Atomkraftwerk Krümmel. Foto: Vattenfall
Der Zwischenfall im Atomkraftwerk Krümmel markiert vor allem zwei Dinge: Das politisches Geschick von Umweltminister Sigmar Gabriel und die Niederlage der Atomlobby.
Es ist schon spannend zu beobachten. Seit gut zwei Jahren, vielleicht schon seit drei, versuchen die Lobbyisten rund um die Kernkraftunternehmen RWE, Vattenfall, E.on und EnBW die Stimmung in der Bevölkerung zu Gunsten der Atommeiler zu drehen. Ihr Argument: Man braucht die CO2-freie Kernenergie, um den Klimaschutz zu schaffen. Es gab Werbekampagnen und Anzeigen in Zeitungen, alles, was das Werber-Herz begehrt.
Das Argument ist auch nicht schlecht. Es wird wiederholt. Fast jeden Tag. Vor gut zwei Jahren fand das Argument breiten Eingang in den politischen Raum in Berlin. Es gelang den Lobyisten mit diesem Argument die Stimmung Schritt für Schritt Richtung Atom zu drehen. Natürlich ist ein Neubau immer noch nicht durchsetzbar, aber die Laufzeitverlängerung wurde immer sexier. Um das Klima zu retten. Und so. Natürlich kann man mit einem abgeschriebenem AKW auch prächtig Geld verdienen – aber das nur am Rande.
Die CDU hat das angenommen. Sie will die Laufzeiten verlängern. Die SPD ist dagegen. Die kleinen Parteien sind hier jetzt mal nicht so wichtig.
Es ist also eine politische Position an der sich die Großen profilieren können. Merkel tat das. Immer offensiver. Sie nutzte das Argument vom Klimaschutz via Kernkraft. Und ich muss sagen, sie kann es ernst meinen, so wie viele in der Branche das Argument ernst nehmen. Es liegt ja auch auf der Hand – und kann viele Menschen überzeugen. Ein starkes Argument.
Dann brennt Krümmel das erste mal. Die Lobbyisten stellen die Arbeit ein. Gabriel ergreift die Chance:
Sein Argument: Kernkraft ist sicher – nur manchmal brennt’s.
Auch dieses Wort ist stark. Es lässt sich beweisen. Irgendwas ist immer los in den AKWs.
Nach einer Karrenzphase von gut einem Jahr, fingen die Lobbyisten im aufwallenden Bundestagswahlkampf wieder an, ihr Argument zu spielen. Die alten Anzeigen wurden eingemottet, dafür gab es neue Motive. Es wurde gesprochen – auf allen Ebenen. Vom Bundestag bis in die Kommunen. Die Leute sollten überzeugt werden – AKWs sind sicher und sie schützen das Klima. Wieder begann sich die Stimmung zu drehen.
Doch die Lobbyisten unterschätzten das politische Geschick von Gabriel.
Denn auch sein Wort ist richtig. Irgendwas ist immer los in den Kernkraftwerken. Er konnte sich zurücklehnen. Beinahe wöchentlich kommen die Meldungen über Zwischenfälle rein. Meist kleines Zeug. Belanglos. Aber irgendwann, das wusste Gabriel, kommt was Größeres. Dann kann er zuschlagen, Wahlkämpfen, Stärke zeigen, Meinung machen. Das ist die entscheidende Kunst der Politik – die richtige Stunde zu finden.
Es kann sein, dass Gabriel jetzt die richtige Stunde gefunden hat, so kurz vor den Wahlen. Als Krümmel wieder runtergefahren wird. Jetzt macht er mit aller Macht einen Skandal. Er hat damit Erfolg.
Die meisten Pro-Atom-Kampagnen sind aus dem Netz verschwunden, die Anti-Bewegung dominiert. Das Argument der Lobbyisten will niemand hören, solange die Kernkraft Probleme macht.
Dabei hat sich eigentlich technisch gesehen nichts Wichtiges ereignet. Krümmel stand nicht vor dem GAU. Weder jetzt noch früher. Die Trafos waren betroffen, die Sicherheitssysteme haben funktioniert. Alles wurde abgeschaltet. Technik versagt. Das ist normal. Die 100-Prozentige Sicherheit kann es nicht geben.
Der Vorfall wurde nur benutzt, um das Argument von Gabriel in einem Kampf um die öffentliche Meinung zu platzieren – gegen die Macht und den Einfluss der Lobbyisten.
Diese Positionen stehen sich gegenüber:
Will man eine Technik, die das Klima schützen kann?
Will man eine Technik, die nur einmal in 500 Jahren in die Luft fliegen muss, um das Land zu verseuchen?
Mit jeder Schlagzeile aus Krümmel wird klar. Die Atomlobby hat es nicht geschafft, die Abwägung über diese Fragen in der Bevölkerung pro Kernkraft zu kippen. Gabriel hat sein Sicherheitsargument besser platziert. Kompliment.