Teuer Wasser

Foto: flickr.com/jörgenshaus

In den vergangenen Monaten ist die deutsche Wasserindustrie unter Druck geraten. Im Gespräche ist eine harte Regulierung, wie sie schon in Hessen praktiziert wurde. Die Kartellbehörde dort verlangt Preissenkungen von bis zu 37 Prozent. Nun wollte auch die NRW-Regierung die Zähne zeigen.

Allerdings blieb es nun beim zeigen, denn reagieren will die schwarz-gelbe Koalition nicht. Aber ich fange mal lieber vorne an. Der Markt für Trinkwasser steht anders als Strom und Gas nicht im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Die monatliche Pauschale wird halt abgebucht, den Verbraucher kümmert es nicht weiter. Grund ist nicht nur die im Vergleich zur Strom- und Gasrechnung geringe Summe, sondern auch der simple Grund: Wasser ist gut, also sind die Unternehmen auch gut.

Da die Wasserbetriebe oftmals recht klein sind – es gibt rund 6500 in Deutschland – werden sie von den Landeskartellbehörden beaufsichtigt. Aktiv werden die Kartellwächter erst wenn sie überhöhte Preise vorfinden. Und da hakt es. Die Preise sind zwar leicht zu ermitteln, aber schwer zu vergleichen. In manchen Regionen muss das Wasser teuer aufbereitet werden, in anderen schießt es für kleines Geld quasi aus dem Boden oder fließt kostengünstig vom Berg herab.

Der Vergleich ist also schwer. Da braucht man viele Daten, muss sich auch noch mit den Kommunalpolitikern rumschlagen, die ihre Wasserbrunnen schützen wollen. Das macht keinen Spaß, die Beamten lassen also die Finger davon.

Einer springt allerdings aus der Reihe, die Hessen. Die haben sich ihren Markt genau angeschaut und kräftige Preissenkung verlangt. Die Frankfurter Mainova etwa soll ihre Wasserpreise um ein Drittel kürzen. Das ist happig und fand auch seinen Widerhall in den Medien.

Andere Bundesländer mussten also reagieren. Auch die Landesregierung in Düsseldorf nahm den Wassermarkt unter die Lupe. Statt aber die Landeskartellbehörde damit zu beauftragen, machte eine Unternehmensberatung eine Umfrage unter den Wasserfirmen. Ganze 13 Prozent nahmen teil. Eine Schlappe, heißt es unter der Hand bei Vertretern der Landeskartellbehörden. Ein Erfolg, meint das zuständige NRW-Wirtschaftsministerium.

Der Handlungsbedarf erstreckt sich nun darauf, die nächste freiwillig Befragung anzuleiern. Dabei zeigt ein Blick in die Studie der Unternehmensberatung, die Firmen kassiert massiv ab. Die befragten Wasseranbieter kommen bei einem normalen Haushaltskunden auf eine Nettorendite von 20 Prozent. Von jedem umgesetzten Euro bleiben 20 Cent Gewinn bei den Firmen hängen. Von einer solchen Rendite träumen selbst Softwarekonzerne.

Schön, das wir darüber gesprochen haben…

OK, wäre  Ossi Urchs, in den 90er Jahren Minister for Tomorrow unser Ministerpräsident und nicht sein damaliger Amtskollege, der ehemalige Zukunftsminister Jürgen Rüttgers Ministerpräsident von NRW, der Bericht der Zukunftskommission wäre unterhaltsamer und futuristischer ausgefallen. Viel weniger Inhalt hätte er wohl nicht gehabt.

Ralf Dahrendorf, Bodo Hombach, Alice Schwarzer, Jürgen Großmann, Hubert Kleinert, Jürgen Flimm und viele andere: Die Zukunftskommission des Landes war wahrhaft prominent besetzt. Und politisch facettenreich zugleich: Aus jeder Partei, aus jeder gesellschaftlichen Schicht, aus allen Bereichen waren sie heute gekommen um Jürgen Rüttgers ein Papier vorzulegen mit Überlegungen, wie es denn 2025 in NRW so zugehen könnte. Sie gaben Rüttgers weniger klare Antworten als Fragen, die sie  mit gut  abgewogenen Maßnahmen  gleich mit beantworteten: Warum nicht nachgelagerte Studiengebühren? Warum nicht ein allgemeiner Sozialdienst für alle jungen Frauen und Männer? Warum nicht ein garantiertes Mindesteinkommen für alle? Warum nicht ein staufreies Ruhrgebiet durch intelligente Autobahnen? Warum nicht Kernkraft fortentwickeln und als Energiequelle weiter nutzen? Warum nicht die Möglichkeiten der Forschung mit humanenembryonalen Stammzellen erweitern? Warum nicht ein kostenloser Zutritt zu den Dauerausstellungen der Museen? Warum nicht Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Bund und Land einführen? Warum nicht stärker die Erfahrung von älteren Menschennutzen? Warum nicht ein Kopftuchverbot auch für Schülerinnen?

Das meiste was die Kommission vorgeschlagen hat ist vernünftig, entspricht dem was viele denken wenn sie sich einmal außerhalb der ideologischen Debatten bewegen und nicht mit der verbalen Keule aufeinander losgehen. Über Forderungen nach einer weiteren Prüfung der Nutzung der Kernenergie wird es trotzdem ebenso eifrige Debatten geben wie über das Kopftuchverbot und so hat Der Westen auch schon fröhlich ausgerufen, dass nun die öffentliche Debatte beginnen kann. Schade, sie wäre schärfer ausgefallen wenn die Kommission sich nicht bei der Beantwortung jeder Frage um Konsens bemüht hätte. Und das klingt dann so:

Warum nicht ein garantiertes Mindesteinkommen für alle?
Worum geht es?
Jedem Menschen soll ein Mindesteinkommen zustehen, nicht weil er arm ist oder arbeitslos, sondern in seiner Eigenschaft als Bürger dieses Landes (Bürgergeld). Das Einkommen wird bedarfsunabhängig gezahlt, das heißt ohne eine Prüfung seiner wirtschaftlichen Lage oder die seiner Eltern, Kinder oder Partner. Zugleich sind mit dem Bürgergeld alle sozialen Ansprüche abgegolten. Es gibt keine weiteren Zahlungen.

Was spricht dagegen?
 
Wenn alle das Gleiche erhalten, dann sprengt das
Mindesteinkommen alle Vorstellungen von Gerech-
tigkeit und jede Bereitschaft zur Solidarität.
 
Leistung ohne Gegenleistung unterhöhlt die Fun-
damente unserer Marktwirtschaft.
 
Trotz Bürgergeld kann es zu sozialer Not kommen,
insbesondere dann, wenn Einzelne nicht haushalten
können. Dann muss der Staat wie bisher einspringen.

Das garantierte Mindesteinkommen ist entweder zu
niedrig, aber bezahlbar, oder zu hoch und sprengt
dann alle Haushalte.

Was spricht dafür?
Soweit es sich um ein bedingungsloses Grundein-
kommen handelt, das alle Bürger in gleicher Höhe
und ohne Bedarfsprüfung erhalten, ist es nicht
diskriminierend.

Es ist unkompliziert, transparent und verhindert
Leistungsmissbrauch.

Das Bürgergeld versetzt Bürger in die Lage, sozial
sinnvolle Aktivitäten zu entfalten u.a. im sozialen,
wirtschaftlichen oder auch künstlerischen Bereich.

Was kann das Land tun?
Das Bürgergeld kann nur bundesweit eingeführt werden. Deshalb könnte Nordrhein-Westfalen eine Bundesratsinitiative starten mit dem Ziel, das gesamte System der Sozialleistungen durch ein garantiertes Mindesteinkommen zu ersetzen. Allerdings wäre es sinnvoll, vorab wichtige offene Fragen zu klären: Welche von den Vorschlägen taugen? Welche auf dem Markt befindlichen Varianten können in unserer Sozialen Marktwirtschaft tatsächlich durchgesetzt werden, ohne den Haushalt zu sprengen?

Viele der Vorschläge klingen zudem wie schon hundert mal gehört:  Der Versuch imt High-Tech die Autobahnen im Revier staufrei zu machen nennt sich Ruhrpilot und hat gute Aussichten aus der Erprobungsphase gleich ins Technikmuseum umziehen zu können.  Ich hätte mir gewünscht die Kommission hätte sich auf harte Vorschläge geeinigt und wäre dann in die Debatte eingestiegen. Was jetzt herausgekommen ist, macht jeden ein wenig glücklich, jeden aber auch ärgerlich. Kurzum: Missglückte Konsenspolitik.  

Anstatt Vorschläge zu machen, was man tun könnte hätte eine Beschreibung dessen was in den nächsten Jahren kommen könnte viel genutzt. Die Fakten finden sich alle im Bericht: Das Ruhrgebiet hinkt hinterher, die Akademikerquote im Land ist lausig, unsere Hochschulen bilden Akademiker für den Export aus, wir überaltern rasant. Als erstes einmal hätte man die Frage stellen müssen: Was ist falsch gelaufen? Denn wir sind da wo wir sind obwohl wir seit Jahrzehnten versuchen genau dort nicht hinzukommen. Ohne eine Fehleranalyse kann es keine vernünftigen Vorschläge für die  Zukunft geben.

Als nächsten Schritt hätte man erklären müssen, was alles nicht mehr gehen wird: Rente in den 50ern, die Subventionierung alter Industrien und des ländlichen Raums. Der globale Wettbewerb wird zunehmen und dafür sorgen, dass unsere Auswahlmöglichkeiten begrenzt sein werden. Und über diese begrenzten Auswahlmöglichkeiten müssen wir dann reden: Dabei geht es vor allem um eine Frage: Woher bekommen wir Jobs? Ohne Jobs kein Geld, keine Kultur, keine Integration. Die Frage nach der wirtschaftlichen Zukunft des Landes ist zentral. Wofür wollen wir noch Geld ausgeben und wo müssen wir es sparen? Beispiel Grundeinkommen als Ersatz für andere Sozialleistungen: Wer sagt den Leuten im Sozialamt dass sie überflüssig geworden sind, wenn es kommen sollte? Nur über einen massiven Stellenabbau in diesem Bereich wird sich so eine Idee finanzieren lassen. Ich höre die Schreie der Beamten schon heute.

Der Bericht der Kommission ist zu nett. Er hätte klarer und härter ausfallen müssen. So ist nur ein schönes Papier für die Schublade entstanden und ein netter Pressetermin für Rüttgers. 

 

„Kulturschock für Zuhälter“

Seit der Legalisierung der Prostitution hat sich im  ältesten Gewerbe der Welt viel getan. Thorsten Stumm, Sprecher des Dortmunder Unternehmens M&S Media, dass das Kontakt-Portal Intimes-Revier betreibt, über die Rechtssicherheit, Zuhälter und  die klingelnden Staatskassen.

Thorsten Stumm

Alle Branchen stöhnen unter der Krise – in ihrer wird aus ganz anderen Gründen gestöhnt ?
Die Clubs und die Damen stöhnen über eine Sparsamkeit der Kunden und einen deutlichen Preisverfall. Dieser Trend verstärkt sich noch durch immer mehr neue Prostituierte.
 
 
Also hängt drohende Armut direkt damit zusammen, das Frauen und – bei den Transsexuellen – auch Männer sich prostituieren?
 Hier gilt es zu unterscheiden, denn es gibt mehrere Arten von Prostitution. Im Bereich der Drogen- und Zwangsprostitution gibt es nur wenig konjunkturelle Schwankungen. Hier arbeitet ein kriminelles Milieu und dies wird auch weiter unabhängig von Wirtschaftlagen existieren.
 
Im Bereich der legalen, selbstbestimmten Prostitution spielt weniger nackte Armut eine Rolle als vielmehr eine Abstiegsangst aus bürgerlichen Verhältnissen. Wer öffentlich der Prostitution nachgeht, Werbemassnahmen in Portalen wie intimes-revier.de wahrnimmt ist eigentlich nie existentiell von Armut bedroht. Wohl aber von der Angst des Abstiegs aus der Mittelstandswelt. Der Verlust der eigenen, bürgerlichen Arbeit oder die Arbeitslosigkeit des Partners und der damit verbundene Einkommensverlust wird durch die Einnahmen der Prostitution aufgefangen. So verrückt es klingt, viele Prostituierte gehen ins Gewerbe um sich einen Status von Konsum zu erhalten. Diese Frauen prostituieren sich um in ihrem Leben,  Partnerschaft oder an ihren Kindern nicht sparen zu müssen.
 
Transsexuelle sind eine sehr spezielle Gruppe. Zunächst sind sie biologisch zwar noch Männer, die aber bereits durch Hormone körperlich sehr weiblich geworden sind. Zudem fühlen sie sich eindeutig als Frauen. Sie sind also keine verkleideten Männer. In der Prostitution nehmen Transsexuelle eine Sonderstellung ein, die sich auch in einem höheren Preisniveau ausdrückt: Sie bieten ihren Kunden homosexuelle Sexpraktiken in einem heterosexuellen Rahmen. Und das ist denen mehr Geld wert als Sex mit einer biologisch echten Frau.
 
Wir beobachten schon, dass die Anzahl der Prostituierten in wirtschaftlich schlechten Seiten zunimmt. Insofern ist dies  eine Art Konjunkturbarometer. Das ist allerdings auch keine neue Erkenntnis. Was überrascht ist die Heftigkeit des Anstiegs in den letzten Monaten.
 
Wie stark ist der Andrang in der Branche?
Intimes-revier.de erlebt gerade ein deutliches Wachstum des Anzeigenvolumens und damit  ein Anwachsen der Prostitution im Ruhrgebiet. In Zahlen ausgedrückt liegt unser Wachstum im ersten Quartal 2009 bei 30 % gegenüber dem Vorjahr. Wer kann dies in solchen Zeiten ohne Abwrackprämie schon melden?
 
Verrechnen sich nicht viele: Steigt das Angebot sinken die Preise – und so manch einem Freier dürfte in der Krise die Brieftasche auch nicht mehr so locker sitzen.
Das ist sicher so. Die Erwartungshaltung über das erzielbare Einkommen ist manchmal schon deutlich übertrieben. Ein größeres Angebot lässt außerdem die Preise sinken. Allerdings ist die Gruppe der Freier in Ihrer Kaufkraft eher konstant. Der typische Freier ist zwischen 35 – 60 Jahre alt, in der Regel verheiratet mit Familie und geregeltem Einkommen. Dieser Kreis von Leuten wird sich auch weiterhin die Dienstleistung Prostitution leisten können. Die Kunden können aber aus einem größeren Angebot auswählen bei tendenziell fallenden Preisen. Zudem schauen besonders die Clubs nicht tatenlos zu. In der Clubszene setzt sich immer mehr die Sexflatrate durch. Für einen festen Betrag kann der Kunde im gebuchten Zeitraum so oft und mit so vielen Frauen Sex haben wie er will. Solche Clubs haben erheblichen Zulauf an Kunden und auch keine Schwierigkeiten Mitarbeiterinnen zu finden. Ist damit doch ein gewisses Einkommen garantiert.
 
Wie stark ist denn die Konkurrenz für die legal arbeitenden Prostituierten durch illegal Prostituierte auf de Straßenstrich wie im Dortmunder Nordviertel?

So unglaublich es klingt, aber die Strassenszene steht nicht wirklich in Konkurrenz zur Wohnungs- oder Clubprostitution. Was von Außen betrachtet unlogisch klingt, erklärt sich an den Gewohnheiten der Kunden. Ein Besucher des Straßenstriches sucht gerade diese spezielle Situation und wird in der Regel keine Clubs oder Wohnungsprostituierte besuchen. Schon wegen des höheren Preisniveaus nicht. Umgekehrt wird ein Freier der die private Atmosphäre schätzt niemals auf dem Straßenstrich auftauchen. Auch die Welt der Freier kennt feste Gewohnheiten und Vorlieben. Beunruhigend in der Strassenszene ist, dass dort immer häufiger auf geschützten Sex verzichtet wird, weil die Freier verstärkt danach fragen.
 
Ist  das Gewerbe noch durch die klassischen Zuhälter geprägt ?  

 Die Legalisierung der Prostitution  hat das Gewerbe vollkommen umgekrempelt. Den Zuhälter wie man ihn aus Büchern oder Filmen kennt gibt es in der legalen Szene fast nicht mehr. Mit der Legalisierung kamen neben Rechtssicherheit  auch  neue Anforderungen, die einen Zuhälter alter Prägung schlicht überfordern. Plötzlich brauchte man einen Steuerberater, musste eine Konzession beantragen, eine Firma gründen, Vorschriften einhalten, die von den Ordnungsämtern kontrolliert werden, und das Finanzamt meldet sich und will regelmäßige Zahlungen und Erklärungen.
 
Die Frauen haben außerdem schnell festgestellt, dass sie nun nicht mehr rechtlos und hilflos sind. Das war ein Kulturschock, den fast alle nicht überlebt haben.
 
Zusätzlich erlebt die angestammte Szene, dass in den Markt mehr und mehr legales Investmentgeld drängt. Es gibt heute Clubs, die werden nicht in irgendwelchen Schmuddelecken eröffnet, sondern sind von Architekten mit Investorengeld als Wellness-Oasen geplant. Ambiente, Service und Ausstattung dieser neuen Unternehmen sind durchweg hochwertig und nicht offenkundig auf Sex angelegt.  Finanziert wird dies durch bürgerliche Geschäftsleute mit legalem Geld, die letztlich eine normale Renditeerwartung haben.
 
 
Malen Sie die Situation in den Clubs nicht allzu rosig? Gerade aus Osteuropa werden doch immer wieder Frauen mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt und müssen dann in Sexclubs arbeiten.

Es wäre falsch zu behaupten, dass es keine Zwangsprostitution gibt.  Diese findet man in der Strassenszene und, auch wenn das politisch jetzt nicht korrekt ist, innerhalb der geschlossenen Parallelwelt der Migranten.  Dort gibt es tatsächlich „Sexclubs“ die nur informell bekannt sind und in denen Frauen zur Prostitution gezwungen werden.
 
Für die Clubs und Frauen, die öffentlich inserieren gilt das aber nicht.  Denn Illegalität und Öffentlichkeit schließen sich aus. I
 
Außerdem ist die Zeit, wo in den Amtstuben der Ordnungsämter und der Polizei nur mechanische Schreibmaschinen standen lange vorbei. Heute gehen die Mitarbeiter dort morgens online, schauen die Anzeigen an und drucken sich die aus wo später kontrolliert wird. Da hat Zwangsprostitution keine Chance unentdeckt zu bleiben.
 
Eine Folge der Legalisierung ist ja auch die Steuerpflicht. Wie viel nimmt der Staat denn mit der Prostitution ein?
Nach Schätzungen der Finanzbehörden gibt es in Deutschland 400.000 Prostituierte die etwa 14.5 Milliarden Umsatz erwirtschaften. Also wie viel das an Steuern in Euro und Cent genau ist, sollten Sie den Finanzminister selbst fragen. Aber mal anders herum gerechnet: Von den 50 € für eine halbe Stunde Sex möchte der Staat zunächst mal 19 % Mehrwertsteuer haben. Dann muss die Prostituierte noch Einkommensteuer bezahlen, dafür haben sich die Finanzbehörden eine eignes Steuermodell ausgedacht, genannt das „Düsseldorfer Modell“. Hier wird ein fester Vorauszahlungsbetrag pro Tag Tätigkeit als Prostituierte fällig. Dann gibt es noch Städte wie Gelsenkirchen die erheben auf Sex mit Prostituierten eine städtische Gebühr. Im Amtsdeutsch heißt das Verrichtungsgebühr, diese wird pro Verrichtungsakt fällig.
Für die Finanzämter jedenfalls ist seit der Legalisierung der Verkauf von Sex eine Dienstleistung wie jeder andere.

RWE hat Streß mit Bulgaren-Atomkraftwerk

Foto: halbfertiger Atommeiler Belene in Bulgarien

Der Bau des umstrittenen RWE-Kernkraftwerkes Belene in Bulgarien steht auf der Kippe. Vor allem die Finanzierung des Meilers bereitet nach meinen Recherchen derzeit große Probleme. So werden der bulgarischen Regierung Schwierigkeiten nachgesagt, einen Kredit aufzutreiben, um den Eigenanteil von 51 Prozent an dem 3,8 Mrd Euro teuren Bau zu finanzieren. RWE selbst hat sich bislang bereit erklärt, einen Anteil von 49 Prozent an dem Meiler zu übernehmen, und sichert damit eine Finanzierung von rund 1,3 Mrd Euro ab. Das Projekt gilt als eines der wichtigsten Prestigeprojekte des RWE-Chefs Jürgen Großmann.

Bereits im vergangenen Sommer hat der staatliche Bulgarische Energieversorger NEK mit der französischen Bank BNP Paribas einen Vertrag abgeschlossen, nach dem das Geldinstitut einen Konsortium zusammenstellen soll, um den bulgarischen Eigenanteil darzustellen. Doch aus Bankkreisen war zu erfahren, dass BNP Paribas mitten in der Finanzkrise Schwierigkeiten hat, genügend Geldhäuser zu finden, die bereit sind, die Risiken aus dem Geschäft zu übernehmen. Es gibt bis jetzt kein Konsortium. Das Kernkraftwerk Belene wird mitten in ein Erdbebengebiet gebaut. Die Europäische Union hatte massive Sicherheitsbedenken gegen den Standort geäußert und vor der Aufnahme Bulgariens in die EU verlangt, einen Vorgängermeiler am gleichen Ort stillzulegen. Mehrere Banken haben sich in der Vergangenheit aus Sicherheitsbedenken aus der Finanzierung zurückgezogen. Aus Kreisen der Bank BNP Paribas erfuhr die Welt nun, das Haus sei zwar weiter daran interessiert, ein Konsortium zusammenzustellen, werde aber keine eigenen Mittel für einen Kredit bereitstellen.

Die Bulgarische Regierung hat bereits reagiert und versucht nun gegen den Widerstand der Opposition in direkten Gesprächen mit Russland Kredite zu bekommen, um den Bau zu finanzieren. Der russische Konzern Atomstrojexport soll Generalunternehmer des Kernkraftwerkbaus werden. Er arbeitet dabei mit Siemens zusammen.

Bereits im Dezember hatte RWE ein Joint-Venture-Abkommen mit dem bulgarischen Versorger NEW unterzeichnet. In Rahmen dieses Abkommen hat sich RWE bereit erklärt, bis zu 450 Mio Euro in die Gründung einer gemeinsamen Projektgesellschaft zu investieren, heißt es aus dem Essener Konzern. 225 Mio will RWE demnach direkt investieren, weitere 225 Mio sollen fließen, falls der bulgarische Partner nicht fähig ist, eine eigene Finanzierung bereitzustellen. Das Geld soll dazu dienen, den Baubeginn des Kernkraftwerkes zu ermöglichen. Ein RWE-Sprecher wollte die Angaben nicht kommentieren. Auch zum konkreten Zeitplan wollte sich der Sprecher nicht äußern. Es hieß lediglich, bis 2010 solle die Projektentwicklung abgeschlossen werden.

Im RWE selbst ist das Vorhaben weiter umstritten. Während Konzernchef Jürgen Großmann den Meiler in Bulgarien bauen lassen will, hat sich im Aufsichtsrat Widerstand formiert. Es heißt, zum einen sei das Kraftwerk zu unsicher, zudem hätte Bulgarien neben den finanziellen Schwierigkeiten zu große Probleme mit Korruption, in die sich RWE nicht verstricken dürfe. Erst vor wenigen Wochen hatte die EU einen Bericht vorgelegt, in dem die Verhältnisse in Bulgarien stark kritisiert wurden. Hilfsgelder an das Balkanland in Millionenhöhe bleiben deshalb gesperrt.

RWE-Chef Großmann hatte versucht, das Projekt Belene ohne Zustimmung des Aufsichtsrates durchzusetzen. Unter anderem um einen Alleingang des Konzernchefs zu verhindern, hat der Aufsichtsrat deshalb eine Änderung der Geschäftsordnung beschlossen, wonach die Unternehmens- und Investitionsplanung und damit der Baubeschluss von Belene von den Konzernaufsehern genehmigt werden muss. Großmann hatte erfolglos mit Rücktritt gedroht, sollte die Geschäftsordnung entsprechend geändert werden.

Unterdessen hat die Naturschutzorganisation urgewalt zwei prominente Gegner des Kernkraftwerkes aus Bulgarien nach Deutschland eingeladen. Gueorgui Kastchiev, der ehemaligen Chef der bulgarischen Atomaufsicht, und Albena Simeonova, einer der bekanntesten Umweltschützerinnen Bulgariens, wollen in den Ruhrgebietsstädten über die Bedenken der Bevölkerung gegen die Reaktoren berichten. Dabei sollen vor allem in den SPD-regierten Städten die Oberbürgermeister sensibilisiert werden, dass sie nicht in Deutschland mit ihrer Partei für den Atomausstieg eintreten und dann im Aufsichtsrat des RWE für den Bau eines mutmaßlichen Risikoreaktors stimmen können.

Hier die Termine mit den beiden bulgarischen Gegnern des RWE-Kraftwerkes.

Dortmund: Am Dienstag, den 21.4. trifft ab 19 Uhr Kastchiev auf Dortmunder Kommunalpolitikern im Wichern Kultur und Tagungszentrum (Stollenstr. 36).

Essen: Am Mittwoch, den 22.4. findet um 19 Uhr eine Diskussionsveranstaltung mit Kastchiev und Essener Kommunalpolitikern im Haus der Technik (Hollestr. 1) statt.

Mülheim: Am Donnerstag, den 23.4. trifft sich Albena Simeonova um 19 Uhr mit Mülheimer Kommunalpolitikern im Handelshof (Friedrichstr. 15)

Werbung

„It actually does get easier.“ Brooks Brown über Columbine

Das sind die Worte, die Brooks Brown verwendete, als er im vergangenen Jahr seine kurzen Gedanken über das Massaker an der Columbine High School bloggte. Der Prototyp des "School Schootings" jährt sich nun zum zehnten Mal, Eric Harris und Dylan Klebold erschossen 13 Menschen. Brown war Beteiligter, kurzzeitig auch Verdächtiger, da er mit den Tätern befreundet war. Eric Harris, einer der Täter, schickte Brown am Tag der Tat nach Hause. Später beriet Brown Michael Moore für seinen Film Bowling for Columbine. Mittlerweile, sagt Brown, habe die Zeit einige seiner Wunden geheilt.

Foto vom Columbine Memorial: Jeffrey Beall via flickr.com

Um Bilanz zu ziehen, was alles leichter geworden ist, wie und ob Zeit die Wunden heilt, ist Brown vielleicht nicht der Richtige, den es zu fragen gilt, da er die 7 1/2 Minuten in denen die Täter in der Bibliothek der Schule wüteten und die die Polzei am Telefon mitschnitt, beispielsweise nicht miterlebte. Aber sein Blogbeitrag vom vergangenen Jahr zeigt, wie leicht unverlangte Informationen fließen und erhalten bleiben und vor 10 Jahren schon schuf der Tattag auch eine Zäsur, die bis heute zu spüren ist:  Den ungehemmten Ausstoß von Content und dessen ebenso ungehemmte, teilweise folgenlose, teilweise hysterische Wahrnehmung.

Der Täter Eric Harris schimpfte und beleidigte folgenlos schon seit 1996 auf einer persönlichen Website. Das Netz verbreitete die Fotos der Überwachungskameras aus der Schulcaféteria, Fernsehsender schickten Ausschnitte wie diesen durch das Netz. Noch vor 9/11 lieferte das Netzzu einem besonderen Ereignis eine Fülle an ungefilterten Informationen, von Gerüchten. Alles immer neu, Wahrheitsgehalt fraglich. Die Art, wie Informationen auch heute durch das Netz sickern. Mittlerweile gibt es sogar ein Hörspiel.

Aber noch etwas Anderes machte dieses School Shooting zu einer Zäsur: Die Aufbereitung der erlangten Informationen durch die klassischen Medien. Grob gesagt: "Wie erläre ich dem Fernsehzuschauer, was die Jugend (und gerade die den Massakern zugeneigte) vor dem Rechner treibt?"

Die damals begonnende Debatte über die Ego-Shooter, von ihren Gegnern gerne auch Gewalt- oder Killerspiele genannt, ist bis heute nicht abgeebbt. Die Namen Doom, Half-Life und Quake, um nur eine Auswahl der damals erhältlichen Titel zu nennen, die auch von den Columbine-Tätern gespielt worden seien sollen, dürften noch heute den Mittfünfzigern im Polzeidienst Schweißperlen auf die Stirn treiben. Die Spiele, die es den Spielern leicht machten, eigene Shooting-Areas zu erstellen, wurden und werden natürlich gerne dazu benutzt, die Räumlichkeiten der eigenen Schule nachzubilden, um sich dann dort mit anderen zu duellieren. Findet sich solch eine Schulkarte auf dem Rechner eines School-Shooters ist meist sofort klar, welchen Einfluss der Ego-Shooter auf den Einzellfall hatte. Niemand fragt, welches große Gebäude ein 17-jähriger so in-und auswendig kennt, sodass er es am Computer sofort nachzeichnen kann. Seine Schule. Krank? Nein, bestenfallls erwartbar.

Um zu beweisen, dass sich mit Ego-Shootern durchaus die Lust am aktiven und effektiven Waffengebrauch steigern lässt, eignet sich die US-Army besser: Sie vertreibt seit 2002 kostenlos America’s Army und konnte seitdem die Zahl ihrer Rekruten wieder erhöhen. Ob die alle durch das vorherige Spielen des Spiels zu Killern und Psychopathen geworden sind oder es vorher schon waren, sollen die Army-Psychologen feststellen. In Sachen Abu Ghraib dürfte übrigens eher "Thrill Kill" als vorheriger Katalysator gewirkt haben. Bitte selbst bei youtube suchen, ich werde hier zu diesem nie erschienenen Spiel keine Links posten.

Wenn das schon eklig ist, werde ich hier mal eine kleine Prognose abgeben: Binnen der kommenden zehn Jahre wird es jemand mit ’ner Webcam machen. Und ich will nicht wissen, wer alles hinschaut/hinklickt. Dass es die Technik dazu gibt, sollte uns nicht verstören, nur wie auf der Gedenktafel im Bild oben zu lesen ist,"dass Kinder Kinder töten". Und dass daran immer das Unverstandene, das Neue schuld sein soll, das ist schwer zu ertragen. Oder wie ich es heute (auf einer Shooter-Seite) las:

Sobald die Gewalt aus Spielen, Filmen, Medien und Sprache verbannt wurde, werden auch Sie bemerken, dass man Kinder auch erziehen muss.

Es lassen sich viele Zitate dieser Art im Netz finden. So schlimm kann es also um die Heranwachsenden nicht stehen, die um Erziehung betteln, nur damit sie nebenbei ein bisschen Counter Strike spielen können. Alles also wie früher. Wie sich die Zeiten ändern. Vielleicht sollten wir Herrn Brooks Brown aus Littleton noch einmal dazu befragen. Denn der arbeitet mittlerweile in der Computerspielbranche.

 

Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet und was sonst so noch da ist…

Zukunftskommission: Bürgergeld für alle…Der Westen

Opel: GM will Opel-Anteile verschenken…FTD

Arcandor: Warenhauskonzern vor harten Einschnitten…Handelsblatt

Online: Community-Termine…Ruhr Digital

Jubiläum: 10 Jahre Hundertmeister…Der Westen

Antifa: Demo gegen Naziladen in Essen…Der Westen

Und sonst…

Uno-Tagung: Deutschland boycottiert Anti-Rassismus Konferenz…Spiegel

Recht: Piraten auf dem Weg nach Brüssel…FAZ

Steinmeier: Ein bisschen Hope macht noch keinen Obama…Stern

Ausstellung „Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik?“

Ob der Boykottaufruf gegen Israel des ehemaligen Duisburger OB-Kandidaten der Linkspartei Herrmann Dierkes, Nazi-Schmiereien auf jüdischen Friedhöfen, der religiöse Fanatismus der katholischen Pius-Brüder oder die Hasstiraden radikaler Muslime: Antisemitismus hat viele Formen. Mit Ihnen beschäftigt sich nun eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Dorsten.

Anti-Israel Demo in Duisburg Foto: Görges

Die Aktualität des Themas spürt man, wenn man das Jüdische Museum in Dorsten besucht: Hinein kommt man erst, nachdem man geschellt hat und ein Polizeiwagen bewacht das Gebäude.
„Und immer wieder regen sich Dorstener Bürger darüber auf, dass das Museum geschützt wird. Sie regen sich nicht darüber auf, dass so ein Schutz leider notwendig ist, sondern sorgen sich um die Kosten“, erklärt Thomas Ridder, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums und Kurator der Ausstellung „Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik?“ die seit heute und bis 29. Juni in Dorsten zu sehen ist.

Sie wurde in Zusammenarbeit vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin und der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem erarbeitet. Wer glaubt, beim Antisemitismus handelt es sich um ein aussterbendes Phänomen, der irrt“, sagt Ridder. „Judenfeindlichkeit ist weiterhin eine lebendige Strömung in unserer Gesellschaft, die sich vermischt mit antiisraelischen Stimmungen.“

Anhand aktueller Formen des Antisemitismus in Deutschland und Europa zeigt die Ausstellung „Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik?“ wie sich judenfeindliche Denkstrukturen in vielen gesellschaftlichen Gruppen bis heute gehalten haben. Die Motive, denen sich der Antisemitismus bedient, sind dabei immer die gleichen: Die Juden kontrollieren das Finanzsystem, die Medien (Wir erinnern uns an Dierkes Gejammer, er sei Opfer einer Medienhatz geworden) oder nehmen über mehr oder weniger geheime Kanäle Einfluss auf die Weltpolitik. Zum Teil sind die  Texte auf die sich die Antisemiten beziehen, sogar die selben: So finden die zum Zwecke der Stigmatisierung der Juden geschriebenen fiktionalen „Protokolle der Weisen von Zion“ heute sowohl in den Kreisen von Neonazis als auch unter fundamentalistischen Muslimen nach wie vor eine begeisterte und vor allem gläubige Leserschaft und so traten die antisemitischen Strömungen bei den Protesten gegen den Gaza-Krieg zum Jahresanfang besonders zu Tage: Friedensfreunde liefen zum Teil begeistert hinter der Fahnen der Hamas hinterher, welche die Vernichtung Israels will und die Polizei in Duisburg entfernte gar eine israelische Fahne aus einem Fenster, weil der Mob auf der Straße sich durch die Fahne provoziert fühlte.

„Oft“, erklärt Ridder, „versteckt sich Antisemitismus heute hinter dem Schlagwort Antizionismus. Da wird Israel kritisiert, aber alle Juden sind gemeint. Natürlich hat jeder das Recht, Israel zu kritisieren, aber warum werden an das Land immer ganz andere Maßstäbe angelegt als an alle anderen Länder?“

Begleitet wird die Ausstellung von mehreren Veranstaltungen. Informationen unter: www.jmw-dorsten.de.

Weißrussland: Geopolitisches Spiel als Mittel gegen die Finanzkrise

Ein Autoladen in einem belarussischen Dorf

Weißrussland, der östliche Nachbar der EU, ist von der Wirtschaftskrise mit am schwersten betroffen. Der Export in die Nachbarländer – nach Russland und Polen – sank auf die Hälfte. Die Lager sind mit unverkaufter Ware überfüllt. Der belarussische Rubel wurde im Januar auf einmal um 20 Prozent abgewertet. Der Durchschnittslohn der Weißrussen sank ebenso um 20 Prozent. Während das Volk sich den Gürtel enger schnallt, knickst Präsident Alexander Lukaschenko in verschiedene Richtungen – mal in den Westen, mal in den Osten. Dabei verspricht er liberale Reformen oder Anerkennung von Ossetien und Abchasien und hofft auf finanzielle Hilfe. Nicht ohne Erfolg.

Die Weltwirtschaftkrise hat auch die entlegensten Ecken Weißrusslands erreicht. Am Rande des Dorfes Galusy im Osten von Weißrussland versammeln sich die betagten Bewohner der Siedlung. Es ist Dienstag, 16 Uhr. Wie immer um diese Zeit soll ein Mercedes-Minibus vorbeikommen. Er bringt in das aussterbende Dorf ein Stück vom Luxus: frische Milch und Brot, gegrilltes Hähnchen, Schokolade und Bonbons, deren Etikette mit nicht-kyrillischen Buchstaben beschrieben sind. Der Bus kommt wie immer pünktlich. Doch abgesehen davon ist nichts mehr, wie es war.

Eine 60-Jährige fragt nach Obst. „Früchte und Limonade haben wir nicht mehr im Angebot“, sagt der Privatunternehmer Ruslan Alexeenko (25), Fahrer und Verkäufer in einer Person. Unter den Kunden sind nicht, wie gewöhnlich, nur Omas, sondern auch ein paar jüngere Frauen. Das sind die Frauen, die wegen Zwangsurlaubs aus Minsk in ihr Heimatdorf zurückgekehrt sind. Doch trotz ihres Besuches verkauft Alexeenko kaum mehr als sonst. Als er Galusy verlässt, zählt er zwei Paletten Brot und eine Kiste Milch, die nicht verkauft wurden. „Das war kein guter Tag“, resümiert der Unternehmer. „Alles wegen der Finanzkrise. Ich muss Preise nach oben treiben, weil die Einkaufspreise für mich auch steigen. Die Dorfbewohner können sich immer weniger leisten“.

Nach offiziellen Angaben stiegen die Lebensmittelpreise in Weißrussland im Januar 2009 im Vergleich zu Dezember 2008 um 3,3 Prozent. Sie wurden in belarussischen Rubeln verglichen. In Anbetracht der Abwertung der heimischen Währung ist der Preissprung deutlich höher. Der Durchschnittslohn der Weißrussen sank im Januar im Vergleich zu Dezember in US-Dollar Äquivalent um 20 Prozent – von 450 USD auf 330 USD.

Zuerst wollte der belarussische Präsident Lukaschenko nicht zugeben, dass es in Weißrussland wirtschaftliche Probleme gibt. „Es gibt keine Krise im Lande, und es wird um keine Krise gehen“, sagte er Ende Oktober 2008. Doch bald ließ sich die Rezession nicht mehr vertuschen. Am zweiten Januar 2009 wurde der belarussische Rubel im Vergleich zum US-Dollar und zum Euro auf einmal um fast 20 Prozent abgewertet. Es herrschte Panik in Weißrussland. Die einen stürmten die Banken, die anderen die Geschäfte. Es wurde alles gekauft – Kühlschränke, Mikrowellenherde, Staubsauger – auch das, was seit Monaten in den Ladenregalen verstaubte. Denn die Menschen wussten: Bald werden alle Importwaren sehr viel teurer sein.

„Lukaschenko sagte, dass der weißrussische Rubel sicher ist. Das ist unverschämt!“, empörte sich eine Studentin mit der roten Mütze im belarussischen Regionalzug. „Hör dem Präsidenten besser zu“, sagte ihr die andere Studentin. „Er hat auch gesagt: Wir werden schlecht leben, aber nicht lange.“

Präsident Lukaschenko gab sich weiter optimistisch. „Wir exportieren alles – Motoren, Schuhe, Kleidung. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise zeigen sich wegen der Exportorientierung auch bei uns. Trotzdem müssen wir 2009 mindestens 2.000 bis 3.000 Motoren mehr herstellen als 2008. Es gibt einen Anlass zum Optimismus“, munterte Lukaschenko die Mitarbeiter des Minsker Motorenwerks während seines Besuches bei dem Unternehmen auf. Seine Rede wurde im Fernsehen ausgestrahlt. Dass die Lager der weißrussischen Fabriken voll mit unverkauften Produkten sind, wurde dabei nicht gezeigt.

Das Gesamtvolumen der nichtrealisierten Erzeugnisse der Leichtindustrie beträgt zur Zeit 200 Prozent des monatlichen Produktionsumfangs. Die Regale der belarussischen Geschäfte sind mit inländischen Handtüchern, Geschirr und Waschmitteln überfüllt. Die Schildchen appellieren zu den Kunden: „Kauft das Weißrussische!“ Eine Packung der weißrussischen Flüssigseife kostet zum Beispiel ein Euro, ein Analogprodukt einer westeuropäischen Marke ist 2,5 Mal teurer. Man muss wohl kein großer Patriot sein, um sich fürs Weißrussische zu entscheiden. Die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt.

Die wirtschaftliche Lage des Landes verschlechtert sich dramatisch. „Die Rentabilität der Produktion ist im Vergleich zu Anfang 2008 um zwei mal gesunken. Fast ein Drittel aller Unternehmen machen Verluste, wie in den katastrophalen 90er Jahren“, schreibt der Professor einer Privathochschule in Minsk Boris Schiliba in der regierungskritischen Zeitung „Narodnaja Wolja“. In der zweiten (es gibt nur zwei) kritischen Zeitung „Nascha Niwa“ schreibt der Wissenschaftler Alexander Tschubrik, dass die Finanzkrise in Europa nur Lettland, die Ukraine, Ungarn und Island noch stärker als Weißrussland treffe. „Nur diese Staaten haben wie unser Land eine dringende Hilfe des IWF benötigt.“ Anfang des Jahres hat der IWF einen Kredit in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar für Weißrussland gebilligt. Zwei weitere Milliarden USD leiht sich Weißrussland vom Nachbarn Russland aus.

Belarus liegt zwischen der EU und Russland. Lukaschenko weißt die geopolitische Lage seines Landes zu nutzen, um aus der finanziellen Sackgasse rauszukommen. Er spielt gerne Figaro. Letzte Woche besuchte er den russischen Präsidenten Medvedev. Da machte Lukaschenko seinem Kollegen ein weiteres Mal eine Treue- und Liebeserklärung und bekam als Geschenk eine Gaspreissenkung versprochen. Genau eine Woche später, am 17. April, empfängt Alexander Lukaschenko zu Hause den tschechischen Außenminister Karl Schwarzenberg. Von ihm bekommt „der letzte Diktator Europas“ eine Einladung der EU nach Prag zur Gründung der „Östlichen Partnerschaft“.

Werbung

ThyssenKrupp – droht jetzt „Ruhr in Flammen“?

Foto: Flickr.com / Jochem Veenstra

Die Gewerkschaften stehen bei ThyssenKrupp vor einer riesigen Herausforderung. Wie die Welt am Sonntag heute schreibt, ist die Montanmitbestimmung bedroht, etliche Aufsichtsratsposten akut gefährdet und es dräuen Massenentlassungen. Die Frage ist ob sich die Gewerkschaften wehren oder der eigenen Entmachtung zustimmen. Ich denke, sie werden zustimmen. Denn der Aufsichtsratschef von ThyssenKrupp, Gerhard Cromme, wird sagen, dass es auch schlimmer kommen könne. Die ganz große Pleite nämlich. 

Ich finde es bemerkenswert, wie starr und zeistrebig Cromme ist und die jetzige Krise nutzt, um seinen alten Plan zu verwirklichen. Die feindliche Übernahme von Thyssen. Wie die WAMS heute enthüllte, erwägen die ThyssenKrupp-Vorstände um Cromme einen erheblich weiteren reichenden Konzernumbau als bisher bekannt. Schon Morgen will der Vorstand demnach die Grundzüge der neuen Konzernstruktur festzurren. Am Ende würde dann nur noch die ThyssenKrupp AG als Aktiengesellschaft existieren. Vorstandschef Ekkehard Schulz hatte schon Ende März einen Umbau des Konglomerates angekündigt, durch den jährlich rund 500 Millionen Euro gespart werden sollen.

Das war die direkte Reaktion auf den drastischen Einbruch der Konjunktur, der die Stahlhersteller besonders trifft. Ein Freund von mir, hat bei ThyssenKrupp in der Auftragsannahme gejobbt. Da haben die wochenlang keinen einzigen Auftrag reinbekommen. Nichts – Na – Da.

Schulz kündigte bislang an, die alten fünf Sparten auf nur noch zwei rechtlich eigenständige Sparten zu reduzieren. Gleichzeitig mussten zwei Vorstände gehen.

Das neue Konzept, zu dem nach Angaben der Welt bereits Präsentationsfolien im kleinen Kreis im Konzern kursieren sollen, würde einen massiven Kompetenzzuwachs für den Zentralvorstand bedeuten. Demnach sollen viele GmbHs die alten AGs entmachten.

Die Spartenchefs würden damit an Einfluss verlieren.  Genauso wie die Arbeitnehmervertreter. Denn vor allem die Aufsichtsräte fielen weg. Die Mitbestimmung würde drastisch eingeschränkt.

Es wäre ein schwerer Affront gegen die IG Metall, nachdem sich Vorstand und Arbeitnehmervertreter nach turbulenten Verhandlungen erst Ende März auf einen Kompromiss einigten.

Nach Recherchen der Welt entspricht der neue Plan dem alten Führungsmodell des Krupp-Konzerns, obwohl man sich bei der Fusion der beiden Stahlriesen vor knapp zehn Jahren grundsätzlich auf die Struktur der damals erfolgreicheren Thyssen AG geeinigt hatte.

Dieses Modell haben Vorstand, Betriebsrat und Gewerkschaftsvertreter noch einmal in ihrem Ende März dieses Jahres verfassten Grundsatzpapier bekräftigt.

Das was nun passiert wäre gut zehn Jahre nach der Fusion ein Rückwärtsgewandter Übernahme von Thyssen durch Krupp. So etwas ist in der deutschen Wirtschaftsgeschichte nahezu ohne Beispiel.

Denn anders als bei Thyssen mit seinen rechtlich eigenständigen Töchtern war Krupp vor der Fusion ein zentral geführtes Familienunternehmen, bei dem der heutige Krupp-Stiftungsvorsitzende Berthold Beitz die Strippen zog.

Der inzwischen 95-jährige Beitz war 20 Jahre lang Vorsitzender des Krupp-Aufsichtsrats, später dessen Ehrenvorsitzender; eine Position, die er heute noch bei ThyssenKrupp innehat, wenn er von der Villa Hügel aus als Alter vom Berg seinen Einfuss auf den Stahlriesen ausspielt. Es heißt, Beitz könne über den Baldeneysee wandern, soviele Gegner von ihm würden drin liegen.

Jetzt scheint es, als würden die Alten Konflikte im Konzern wieder aufleben, wenn Cromme und Beitz ThyssenKrupp nach Krupp’schem Vorbild umbauen wollen.

Das ist aber wohl nicht alles.

Offenbar sollen auch weit mehr Stellen wegfallen als bisher bekannt, berichtet die WAMS. Allein in den Stahlsparten würden 2000 Jobs gestrichen, heißt es, weitere 2000 in den anderen Geschäftsbereichen. Bislang war immer von 3000 Stellen insgesamt die Rede. In den 4000 Arbeitsplätzen ist dem Vernehmen nach der Personalabbau im Zuge der 500-Milllionen-Euro-Einsparungen durch den Umbau der Konzernstruktur noch gar nicht enthalten.

Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Grafik via Prospero: Flickr/MrTopf

Zensur: Websperre verpufft…Zoom

WAZ: Monopol schlecht für das Klima in Gelsenkirchen…Hometown Glory

NRW: Morgen kommt der Superplan…Welt

Risen: Das Leben nach Gothic…Der Westen

XX09: Dortmunder Kurzfilmfestival…Ruhr Digital

Lulu: Leichtverdauliches Luder…Der Westen

Erneuerung: Buzz, wir brauchen Buzz…2.0

Geselligkeit: Zehntes Duisburger Bloggertreffen…Prospero