Interview mit Kultautor Jeffrey Thomas

Jeffrey Thomas wurde am 3. Oktober 1957 geboren und ist Autor grandioser Sci-Fi-Epen. Seine erschaffene Stadt Paxton, kurz Punktown genannt, begeistert rund um den Globus Science-Fiction und Horror-Fans. Seine Kurzgeschichten wurden unter anderem in St. Martins The Year’s best Fantasy and Horror # 14, The Year’s best Horror Stories # 12, The Year’s best Fantastic Fiction und Quick Chills II: The Best Horror Fiction from the Speciality Press veröffentlicht. Wir haben uns ausführlich mit Thomas unterhalten.

Ruhrbarone: Zunächst einmal Jeffrey, würdest du gern in Punktown leben?

Jeffrey Thomas: Vielleicht nicht dort leben, denn es ist ein gefährlicher Ort, aber ich würde dort liebend gern regelmäßig zu Besuch sein, weil es ebenso ein reichlich faszinierender Ort ist. Das ist die Sache mit Punktown – ich möchte nicht, dass es nur unheimlich ist. Unsere eigene Welt ist nicht nur Angst einflößend. Sie ist vielschichtig, und Punktown genauso – nur vergrößert. Ich sehe Punktown wirklich nicht als absolute Dystopie. Ich denke, es ist auch schön dort, teilweise.

Wenn ich mir deine Biographie anschaue, dann scheint es, als hätte der Autor in dir lange geschlafen. Wann hast du zu schreiben begonnen und wie hast du eine ganze Stadt erfunden?

Eigentlich begann ich in sehr jungem Alter zu schreiben (meinen ersten Roman beendete ich mit 14); es ist bloß so, dass es eine lange Zeit gedauert hat, bis meine Werke veröffentlicht wurden. In den späten 80er Jahren begann ich, Kurzgeschichten an kleine Pressepublikationen zu verkaufen, und meine ersten beiden Bücher – die englischsprachige Punktown-Ausgabe und die Horrorsammlung Terror Incognita – erschienen im Jahr 2000. Seitdem habe ich viele Bücher veröffentlicht, einige davon wurden ins Deutsche, Russische, Griechische und Chinesische übersetzt, und diese Bücher enthielten viel von dem Stoff, den ich bereits in den 80ern geschrieben hatte, bloß eben erst spät verkaufen konnte. Zur Herkunft von Punktown: Die ganze Idee kam mir 1980 – als hätte sie im Schatten meines Unterbewusstseins nur darauf gewartet. Ab dann begann ich Romane zu schreiben, die in Punktown spielen, später kamen Kurzgeschichten dazu, vermutlich habe ich genauso viel unveröffentlichtes Punktown-Material wie veröffentlichtes. Und ich schreibe weiter!

Irgendwo las ich etwas über eine mysteriös verloren gegangene Punktown-Homepage. Ist daran etwas Wahres und wenn, was ist passiert?

Im Jahr 2000 erschuf ich zur Vermarktung der Punktown Originalausgabe eine kostenlose Webseite namens „Punktown City Limits“ und ich war ziemlich erfinderisch. Wenn man auf verschiedene Seiten schaute, spielten Musik und von mir verzerrte Soundeffekte im Hintergrund, und ich stellte seltsame Bilder und von mir erschaffene Kunstwerke ein, und ich schrieb kleine Geschichten darüber. Ich postete Probegeschichten in voller Länge. Und dann, ohne ausreichende Warnung, wurden all diese freien Webseiten eingestellt, bevor ich die Chance hatte, sie irgendwohin zu verschieben oder zu speichern, oder sie zumindest auszudrucken, so verlor ich die Kurzgeschichten. Es ist traurig, es war eine lustige kleine Seite, und ich fand niemals die Zeit, wieder etwas ähnliches zu erstellen.

Wenn ich mir Punktown als Kinofilm vorstelle, sehe ich ich etwas zwischen dem Sin City- Filmstil und Blade Runner trifft den Herr der Ringe. Gibt es Pläne, die Geschichte auf die große Leinwand zu bringen?

Ha … Zuweilen ziehen die Leute den Vergleich zu Sin City, aber ich habe bereits lang vor dem Film über Punktown geschrieben – sogar ein paar Jahre bevor Blade Runner erschien. Aber diese Filme fangen etwas von dem Punktown-Gefühl ein, wie auch Das fünfte Element (vielleicht noch stärker). Herr der Ringe? Da bin ich mir nicht so sicher … aber ich habe ihn noch nie gesehen. Es gab tatsächlich einiges Interesse an meiner Punktown-Arbeit. Ridley Scotts Produktionsfirma fragte nach einer Kopie meines auf Punktown basierenden Romans Deadstock, als dieser eine lobende Rezension im Publisher`s Weekly erhielt, und New Line Cinema fragte kürzlich nach all meinen Punktown Büchern. Nicholas Cages Produktionsfirma interessierte sich für meinen düsteren Fantasy-Roman Letters from hades, und andere Hollywood-Typen haben sich den Roman auch angesehen. Momentan bin ich im Gespräch mit dem Regisseur von The Blair Witch Projekt. Aber bis heute hat mir niemand ein wirkliches Angebot gemacht. Also warte ich und hoffe, dass es irgendwann passiert. Meine Geschichten sind sehr visuell, was sie für die Filmemacher attraktiv macht, aber sie haben auch gelegentlich komplexe und unkonventionelle Inhalte, was es schwierig oder anspruchsvoll macht, sie in einen Film zu übersetzen. Immerhin wurde eine Reihe meiner Punktown-Geschichten in einer Serie deutscher Hörspiel-CDs von der Firma Lausch umgesetzt, und sie haben da eine brillante Arbeit abgeliefert.

Wächst Paxton weiter oder konzentrierst du dich zukünftig auf andere Geschichten?

Beides! Punktown wird weiter wachsen und sich entwickeln, ich bin mir sicher, sogar hinter meinem Rücken, wenn ich mich eine Weile abwende. Aber ich vermute, ich werde weiterhin viele meiner Geschichten auf ewig in Punktown ansiedeln, weil dort alles passieren kann. Es ist eine Szenerie, die sich für so viele Arten von Handlung eignet. Aber ich möchte auch frei sein, über andere Umgebungen zu schreiben, einschließlich unserer eigenen Welt. Eben erst habe ich eine Kurzgeschichte verkauft, die im heutigen Vietnam spielt (welches ich sechs Mal besuchte), Lovecraft’s Cthulhu Mythos einbeziehend, und gegenwärtig arbeite ich an einem Roman aus der Hölle namens The fall of hades, eine Fortsetzung zu meinem Letters from hades.

Deine Sprache ist radikal, manchmal ekelst du deine Leser. Bist du im wirklichen Leben ein Freund der radikalen Worte und Sprache oder ist das „nur“ deine schreibende Stimme? Ekelst du dich manchmal selber beim Schreiben?

Ich habe die schlechte Angewohnheit, viel zu fluchen, wie viele Amerikaner könnte man sagen, wenn du jemals einen Martin Scorsese Film gesehen hast! Der Job eines Autoren ist es, eine Reaktion beim Leser hervorzurufen, egal ob es Angst, Tränen oder Gelächter sind. Den Leser zu ekeln ist ein legitimes Ziel, wenn es für die Geschichte nützlich ist. Manchmal ist es eine gute Sache, eine wichtige Sache, den Leser zu ekeln. Wenn ich mich beispielsweise von religiös angetriebenen Mördern abgestoßen fühle, kann ich wollen, dass die Abscheu über einen fiktiven Text den Leser erreicht. Aber Ekel kann mit dem Wunsch, den Leser zu verunsichern, leicht verknüpft sein, Angst in ihnen zu provozieren, zu reiner Unterhaltung statt zum Nachdenken anzuregen. Ekel ist nur eine weitere Farbe auf der Künstlerpalette. Ekele ich mich mit meinem Geschriebenen selbst? Nicht wirklich, nicht mehr als ich mich selber erschrecke. Seit das Schreiben eine intellektuelle Praxis ist, realisiere ich, dass was ich schreibe erschreckend oder ekelig ist – würde ich den selben Stoff in dem Buch eines anderes lesen, würde es mich klar erschrecken oder ekeln – aber ich scheine immun gegenüber meinen eigenen Werken zu sein. Merkwürdigerweise jedoch kann ich mich mit meinen eigenen Geschichten zum weinen und lachen bringen oder mich selbst erregen. Also ich weiß nicht genau, warum ich mich nicht erschrecken oder ekeln kann.

Woher erhältst du deine Inspiration? Und wie gefällt es dir, dass in Deutschland Bilder von HR Giger die Titel deiner Romane zieren? Ist das für dich ästhetisch, wenn du an das Punktown-Kunstwerk denkst?

Ich erhalte meine Inspiration von überall her. Aus dem wirklichen Leben, von Orten und Menschen, die ich kenne, aus Träumen, von Musik, die ich höre, aus Büchern, die ich lese, Filmen und Videospielen (aber man sollte vorsichtig „Inspiration“ von „Einfluss“ trennen sage ich immer). Giger ist mein Lieblingskünstler, seit ich seine Arbeiten vor dreißig Jahren erstmalig gesehen habe, und er hat mich natürlich inspiriert, er ist der einflussreichste Künstler, den das fantastische Genre jemals gekannt hat. Es hat sich also ein Traum erfüllt – jenseits meiner Träume, wirklich – damit, dass er einverstanden war, mit seiner Kunst die Hardcover-Ausgabe des deutschsprachigen Punktowns (im Festa Verlag) zu zieren. Und er unterschrieb auch jede Kopie dieser Ausgabe. Es ist noch immer schwer für mich, das zu glauben. Übrigens wählte er genau das Bild für das Cover, von dem ich gehofft hatte, dass er es wählt. Er ist ein Genie, dessen Arbeit in seiner eigenwilligen Mischung aus dem Schönem mit dem Revoltierenden, dem Organischen mit dem Mechanischem, nicht übertroffen werden kann.

Du bist mit deinen Kurzgeschichten bekannt geworden. In vielen Ländern (wie Deutschland) gibt es aber keinen Markt für Kurzgeschichten (es gibt dort keine Magazine oder ähnliches dafür). Denkst du, es ist schwieriger eine Kurzgeschichte oder einen 300-Seiten-Roman zu schreiben?

Es kann schwerer sein, eine Kurzgeschichte zu schreiben, weil man prägnant sein muss. Es gibt so viel weniger Raum, in dem sich ein Charakter entwickeln und die Handlung aufbauen muss, um den Leser zu fesseln. Aber es geht. Ich habe Gedichte gelesen, die in mir eine größere Reaktion hervorgerufen haben als ganze Romane. Es hängt allein von der Fertigkeit des Schreibers ab. Aber aus irgendeinem Grund gibt es einen kleineren Markt für Sammlungen von Kurzgeschichten als für Romane. Ich weiß nicht, weshalb – Kurzgeschichten sind in der Freizeit so leicht zu verschlingen. Und man könnte argumentieren, dass sich Horrorgeschichten besser für die kurze Form eignen, seitdem sie sich aus gruseligen Lagerfeuergeschichten und beängstigenden, warnenden Märchen entwickelt haben.

Jeffrey Thomas, wir danken für das Gespräch!

Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Peer Steinbrück Foto: nrw.de

Kraft: Neue Job für Steinbrück?…Sprengsatz

Opel: Rettung macht EU-Misstrauisch…FTD

Arbeitslose: Duisburg hat die rote Laterne…Der Westen

Ruhr2010: Verkorkste Orte im Revier…Deutschlandfunk

Ruhr2010 II: La Ruhr, capitale européenne…Liberation

Ruhr2010 III: Weitere Kulturhauptstadtprojekte vor dem Aus…Der Westen

Ruhr2010 IV: Größtes Orgelfestival…Bild

Recht: Grundrechtsreport erschienen…FIXMBR

Reform: Hartz und Polylog…Prospero

Netzsperren: Probleme durch Firefox 3.5…Verlorene Generation

Party: Chaos BBQ…Ruhr Digital

Gelsenkirchen: Neues aus dem Norden…Hometown Glory

RWE-Aktien: Klage gegen Landrat…Zoom

Wahl: Landtagswahl am 9. Mai 2010…Ruhr Nachrichten

Weniger Kurzarbeit bei ThyssenKrupp

Die Mitarbeiter von ThyssenKrupp Steel können sich freuen. Die Nachfrage nach Stahl zieht wieder an. Wie man im Unternehmen hört, soll nun die Produktion wieder hochgefahren werden. Das bedeutet mehr Arbeit – und damit weniger Kurzarbeit.

In den ersten Monaten dieses Jahres haben die Hochöfen in Duisburg nur mit halber Kraft gearbeitet, an manchen Tagen sogar nur mit 40 Prozent. Für die rund 20 000 Menschen am Standort eine ungewohnte Erfahrung. Denn noch Mitte vergangenen Jahres wurden die Maschinen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gepeitscht, um den Stahlhunger der Kunden zu befriedigen. Im Konzern galt die Sparte als Cash-Cow, nun ist sie die Problemzone.

Tiefrote Zahlen weist ThyssenKrupp im Stahlgeschäft aus; und auch nach den jüngsten Preiserhöhungen ist keine Entspannung in Sicht. Aber immerhin zieht die Nachfrage wieder an. Die Kunden bestellen wieder, wenn auch auf niedrigem Niveau, heißt es im Unternehmen.

Presseschau Migration/Integration (Mit viel Iran)

Foto: Beate Moser

Das Ruhrgebiet ist die größte Einwanderungsregion Europas. Da kann es nichts schaden manchmal über den Tellerrand zu schauen, wie es in der Einwanderungs-, Integrations- und Flüchtlingspolitik zugeht. An dieser Stelle erscheint ca. einmal im Monat eine Presseschau zu diesem Thema. Sie erhebt keinen Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit, sie enthält Texte, die aus meiner Sicht für – die oftmals kontroverse – Debatte in diesem Themenbereich von Interesse sind. Die Aufnahme von Texten bedeutet keine Identifikation mit ihren inhaltlichen Aussagen. Auf den Link klicken führt zum Text.

Thema Iran:

Eine Reportage vor der Wahl von Charlotte Wiedemann (Zeit)

Eine Reportage der Berliner Zeitung beschreibt die jungen Iraner als USA-Fans

"Das wichtigste Ereignis unserer Zeit" meint Nils Minkmar (FAS)

Abbas Maroufi über die Schlangen auf den Schultern des Zahhak (Tagesspiegel)

Eine iranische Journalistin berichtet über die Angst nach den Massendemonstrationen (Tagesspiegel)

Frauen in der ersten Reihe (Jungle World)

Die FR berichtet über eine Studie über städtische iranische Jugendliche

Navid Kermani berichtet über seine Erlebnisse in Teheran (Zeit)

Die taz porträtiert die Monitor-Redakteurin Isabel Schayani

Die FR porträtiert die Filmemacherin und ehemalige 1live-Moderatorin Siba Shakib

Die Pfründe der iranischen Pasdaran (FAZ)

FR-Kolumnistin Mely Kiyak ist zwischen Deutschland und Iran in Istanbul

Der slowenische Marxist Slavoj Zizek veröffentlichte eine Einschätzung der Entwicklungen im Iran, die von einigen Linken angefeindet wurde (FAS)

Hier eine der Anfeindungen (Telepolis)

Die Junge Welt sieht im Iran wieder die CIA am Werk

und "nichts als unbewiesene Anschuldigungen"

eine ähnliche Sicht bei "Hintergrund"

Mittlerweile ist über die Deutung der iranischen Entwicklungen eine veritable und hitzige deutsche Meta-Debatte entstanden, z.B. hier (Telepolis, mit Links zum Spiegel) und hier (Jungle World)

Weitere Themen:

30.000 geduldeten Flüchtlingen in Deutschland droht die Abschiebung (Jungle World)

Islamkonferenz:

Andrea Dernbach darüber, was die deutsche Islam-Konferenz gebracht hat, und was nicht (Tagesspiegel)

zum gleichen Thema Sabine am Orde (taz)

Weiteres aus dem Inland:

Hilal Sezgin über Tarik Ramadan und seine Thesen zu Islam und Homosexualität (taz)

Eine andere Sicht des gleichen Mannes in der Jungle World

Porträt der Professorin Nilüfer Göle, die verschiedentlich auch im Ruhrgebiet auftrat, jetzt in Paris lehrt (Zeit), es geht u.a. über das Kopftuch als Ausdruck von Modernität

Stuttgart als Muster kommunaler Integrationspolitik (taz)

Die FAZ-Immobilien-Redaktion (!) war in Duisburg-Duissern

Berlin und die Roma (Tagesspiegel) dazu auch ein Kommentar  von Ferda Ataman (Tagesspiegel)

Roger Willemsen sprach mit Sineb El Masrar, die eine Frauenzeitschrift für Migrantinnen macht (Zeit)

Visumspflicht für Türken rechtswidrig (Spiegel)

Die EU-Anstrengungen gegen Einwanderung (Telepolis)

Die hier lebende Rapperin Sister Fa aus dem Senegal berichtet über die Lage in ihrem Herkunftsland (Jungle World)

Reportage aus dem muslimischen Frauen-Fitnessstudio in Köln-Ehrenfeld (FAZ)

Ausland

Türkei: Die Armee bestreitet Putsch-Absichten (Tagesspiegel)

Analyse der schwerreichen Bewegung des Predigers Fethullah Gülen (Junge Welt)

Und hier noch mehr "clash of civilisations":

Magnus Klaue beschreibt Berliner Parallelgesellschaften am Beispiel Lärm (Jungle World)

Nach den ruhrbaronen berichtete auch Telepolis über den missionarischen Hintergrund der Mordopfer im Jemen

Ein niederländischer Sozialdemokrat will sich auf dem Marktplatz stellen, um zu erfahren, was sein Volk will (Jungle World)

Französische Regierung kärchert weiter gegen Jugendbanden (Telepolis)

Ex-Ministerin Rachida Dati erlebte einen Karriereknick (taz)

Ein neuer Frauentyp? Die "digitale Scheherezade" (Tagesspiegel)

taz-Hinweis auf ein Buch über den ersten schwarzen brasilianischen Fußballnationalspieler und "Rassismus a Brasileira" (taz)

In Südafrika sind viele sauer über die koloniale Sicht auf ihre WM- und Confed-Cup-Organisation (Tagesspiegel)

Daniel Theweleit zum Erfolgsgeheimnis der deutschen U21-Europameister – der 4:0-Finalsieg gegen England war bei Erscheinen des Textes noch nicht erspielt (Zeit)

Das Judentum als Projektionsfläche im niederländischen Fußball (Jungle World)

Der US-TV-Moderator Jon Stewart (Berl.Zt.)

Anwälte von 9/11-Opfern wollen gegen saudische Prinzen klagen (Telepolis)

 

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Schwachsinn Bürgerkrieg

Udo Ulfkotte hat ein Buch mit dem Titel „Vorsicht Bürgerkrieg“ geschrieben. „Vorsicht Paranoia“ wäre auch ein schöner Titel gewesen.

Bad Godesberg kurz vor mörderischen Krawallen. Foto: nrw.de

Glaubt man Udo Ulfkotte, stehen wir in Deutschland vor schwersten sozialen Unruhen. Die Bücher des ehemaligen FAZ-Redakteurs erscheinen heute im Kopp-Verlag.  In Nachbarschaft zu Titeln wie „Befreit von dunklen Mächten – Wie kann man fremde Energien und Wesenheiten erkennen oder dämonische Besetzungen bemerken?“ oder Catherine MacCouns „Der Weg zum Alchimisten – Ein Leitfaden für den Magier des 21. Jahrhunderts“ finden wir auch Ulfkottes neues Buch „Vorsicht Bürgerkrieg“.

Gut, von den Rechtsradikalen, die zeitweise seine Nähe suchten, hat sich Ulfkotte distanziert, doch seine Bücher werden immer schriller, haben etwas vom Untergangsprediger, der weiß, dass das Ende nahe ist und der daran leidet, dass niemand ihm glaubt. Liest man Ulfkottes Buch, dessen Thesen zum Teil von der Welt ohne jede Kritik weiter verbreitet wurden, eröffnet sich einem ein Szenario des Untergangs: Die Bundesregierung wusste schon 2003 von dem Crash, Ausländer werden bei der Vergabe von Arbeitsplätzen bevorzugt und bei der Bundesregierung kursieren Listen mit potentiellen Brandherden – der angeblich so genannte "Atlas der Wut". Er listet Stadtteile auf, in denen die Sicherheitsbehörden angeblich von einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es zu schwersten sozialen Unruhen kommt. Akribisch fügt Ulfkotte Beleg an Beleg – da eine Ausschreibung des WDR für einen Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, hier einen Artikel aus dem Handelsblatt von 2003, in dem es um Bad Banks geht – und den "Atlas der Wut" durfte er einsehen.

Zu den Stadtteilen, in denen bald marodierende Horden ihr Unwesen treiben könnten gehören das beschauliche Bad-Godesberg, das etwas schmuddelige Bottrop Boy, Berlin-Lichterfelde, das Bochumer Uni-Viertel und Gelsenkirchen Bismarck. Auch Dortmund-Hörde und das sauerländische Attendorn stehen angeblich kurz vor der Explosion. Es wird niemanden überraschen, dass ich beim Nachfragen nach diesem Atlas keine Bestätigung bekam. Mocki Diller, Mitarbeiter des Gelsenkirchener OBs Frank Baranowski hielt schon die Idee für Schwachsinn, bei der politischen Polizei in Bochum brach man in lautes Lachen aus, und bei der Pressestelle der Bundesregierung in Berlin bemerkte man trocken, dass wenn das Märkische Viertel auf der Liste fehlt, was es tut, die Liste sowieso Schrott wäre. Mag sein, dass es so eine Liste trotzdem gibt – es wird tausende von Listen geben.

Was erschreckend ist, ist die Einseitigkeit, mit der Ulfkotte seine Fakten zusammen trägt. Ja, es gibt Probleme mit Islamisten – aber es gibt auch Integrationserfolge. Ja, es gibt rechtsfreie Räume – aber die Kriminalität in Deutschland liegt im internationalen Vergleich auf einem niedrigen Niveau und ist leicht rückläufig. Ja, es gibt faule und korrupte Richter, Polizisten und  Politiker – aber solche Einzelfälle fliegen immer wieder auf und sind, bei aller Kritik an jedem Fall, nicht typisch. Ulfkotte malt das Bild eines Landes im Niedergang – in drastischen, dunklen  Farben. Was nicht zu seiner Katastrophenthese passt, wird ignoriert. Man kann das tun: Man kann alle Probleme auflisten, einen Strich drunterziehen, addieren und dann mit Erschrecken das Ergebnis betrachten: Den Untergang. Man kann sich aber auch die Probleme anschauen, nach erfolgreichen Lösungsansätzen suchen und zeigen, wie es besser geht. Nur, dann wird man keinen reißerischen Titel wie „Vorsicht Bürgerkrieg“ schreiben können.

3 für 7 – (d.h.:) 3 Kulturtipps für die nächsten 7 Tage

Im Grunde wird Popmusik, speziell Lieder über das übliche, weniger in Frage gestellt denn je. Das ist natürlich langweilig, es kann sich nämlich genau die Generation, die ja gerüchteweise eher an Interaktivität oder so interessiert sein sollte,  erst recht nicht von Strophe-Refrain-Strophe-Refrain lösen. Man findet sich einfach allzu gern immer noch wieder in ander Popstars Liedern. Ja, Mensch!  Und dafür gibt es dann, als wären all die Files und Streams nicht genug, auch noch Billionen von Songwritern, Millionen von Konzerten und Hunderttausende an Festivals. Von Stadtfesten und Einzelkonzerten natürlich mal abgesehen. Hier mal drei: In einer Hafenschänke, in einer Fußgängerzone und in (gähn) umfunktionierten Industriehallen.

A Hawk and a Hacksaw: Aus der Beirut-Ecke. Also so irgendwie studiert wirkende Amis, die gern auf Folklore und Europa machen. Betont an Volksmusik angelegtes Grundprinzip, aber immer recht Crossover-haft, immer ein bisschen durch den Kopf-Fleischwolf gedreht überspannt, aber nichtsdestotrotz recht "authentisch" wirkend. Hier mal mit einigem an Balkan und Klezmer von einem weitgehend instrumental operierenden Duo. Aus Albuquerque ins Subrosa. Sehr angenehm für Dienstags.

Recht unangenehm irgendwie, aber natürlich der ganze Stolz Bochums, schon aus Prinzip und wegen über Jahre gewachsenem "Sind-ja-alle-irgendwie-beteiligt"-Filz: Bochum Total. Viele Bühnen zwischen mehr oder weniger grauen (Einkaufs-)Häusern, Gerempel, vom mittelmäßigen Programm unbeeindruckt aufgedrehte Kids, Aufreißkommandos und einfach auch Gelegenheitssäufer. Die große Unübersichtlichkeit in der globalen Musikszene führt in Bochum zu sogenannten "Headlinern" wie Jennifer Rostock, Madcon und Dune. Und bei dem Konzertprogramm in den Läden drumherum ist irgendwie auch immer noch 1985. War ja aber auch ein gutes Jahr für Bochum, da ist man sicher gerne drauf hängengeblieben.

Tim Isfort macht es anders als künstlerischer Leiter des Traumzeitfestivals und geht von der E- auf die U-Musik zu. Kronos Quartet hier, Calexico da, Kitty Hoff hier vorne, Beatplantation im Partybereich. Und Françoiz Breut (Foto: T.Rec), John Scofield, Goran Bregovic, Zita Swoon, Lambchop und Gilda Razani z.B. Übrigens von der Tendenz her also auch eher ins Folkloristische lappend, dieses Festival, damit schließt sich ein schöner Bogen (nach Albuquerque, nicht nach Fußgängerzonenfolklore hin!), der Autor kann noch kurz einen Avantgarde-Tag für die Traumzeit 2010 einfordern und verweist ansonsten auf den…

Überblick:
A Hawk and a Hacksaw (plus Balkan Pepper Ece) am Dienstag, 30. Juni, im Dortmunder Subrosa so ab 20 Uhr.
Bochum Total von Donnerstag bis Sonntag.
Traumzeit von Freitag bis Sonntag im Landschaftspark Duisburg-Nord.

Bundestagspräsident Lammert im Interview

Foto: Deutscher Bundestag

Nach der Wahl ist vor der Wahl: Bei der Europawahl am 7. Juni hat die CDU jede Menge Stimmen verloren. Als nächster Meilenstein steht die Bundestagswahl im September auf dem Programm. Bundestagspräsident Norbert Lammert im Gespräch mit Ruhrbarone-Autor Philipp Engel über die Weltfinanz- und Wirtschaftskrise, Studiengebühren und die Einbildung, gebraucht zu werden.

 

Herr Bundestagspräsident, Sie haben in Bochum an der Ruhr-Universität studiert und an der Fakultät für Sozialwissenschaft promoviert. Mit welchen Gefühlen denken Sie an Ihre Studienzeit zurück?

Vor allem erinnere ich mich, wie schwer mir zunächst die Entscheidung zwischen einem sozialwissenschaftlichen Studium und einem Musikstudium gefallen ist. Ich habe sehr früh als Schüler sowohl ein ausgeprägtes Interesse an der Musik wie an der Politik entwickelt. Der Versuchung, Musik zu studieren, habe ich dann aber tapfer widerstanden – in der demütigen Einsicht, dass eine hinreichende Begeisterung für das Fach eine nicht ausreichende Begabung auf Dauer nicht würde ersetzen können. Aus meinem Studium habe ich vor allem eines nachhaltig in Erinnerung behalten: dass Idealtypen nur in der Theorie vorkommen, in der Wirklichkeit nicht. Sie dienen geradezu als Folie, um die Unzulänglichkeiten der Praxis umso deutlicher erkennen zu können.

Sehr viele unserer Leser haben aufgrund der Studiengebühren große Probleme, den Spagat zwischen Studium und Finanzierung des Lebensunterhaltes zu meistern. Für Studenten stellt das ein gewichtiges Argument gegen die Wahl der CDU dar. Was entgegnen Sie den Studenten, beispielsweise in Ihrem Wahlkreis, auf Kritik an den Studiengebühren?

Über die scheinbare Selbstverständlichkeit, mit der man hierzulande erwartet, dass die mit Abstand teuerste und zugleich mit Abstand aussichtsreichste Ausbildung allein von der Gemeinschaft der Steuerzahler zu finanzieren sei, kann ich mich nur wundern. Wieso eigentlich soll dem unmittelbaren Nutznießer der akademischen Ausbildung an Hochschulen eine persönliche Beteiligung nicht zumutbar sein – und das ausgerechnet in einem Land, das mit der gleichen Selbstverständlichkeit für seine Kindergärten Gebühren erhebt? Studiengebühren sind notwendig, um die finanzielle Situation der Hochschulen zu verbessern und damit bessere Studienbedingungen zu erreichen. Dass eine qualifi zierte Ausbildung nicht an fehlenden finanziellen Mitteln scheitern darf, versteht sich von selbst. Deshalb setzen CDU und CSU sich auf Bundes- und Landesebene für ein breites Angebot an Studienförderungsprogrammen und Stipendien für Begabte und Bedürftige ein. Im Übrigen hat die große Koalition 2007 das Berufsausbildungsförderungsgesetz (BAföG/Anmerk. d. Red.) novelliert. Die Fördersätze wurden zum Wintersemester 2008/2009 deutlich erhöht, und aufgrund der höheren Freibeträge haben noch mehr Auszubildende einen Anspruch auf Förderung. Union und SPD haben damit eine der umfassendsten Erhöhungen seit Bestehen des BAföG beschlossen.

Inwieweit ist die CDU für Studenten attraktiv?

Ich kann jeden Studenten nur einladen, sich im RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten/Anmerk. d. Red) oder in der CDU zu engagieren und genau das für sich selbst heraus zu finden und zugleich einen Beitrag zu den Veränderungen zu leisten, die er/sie selbst für nötig und möglich hält.

Das Jahr 2009 ist ein so genanntes Super-Wahljahr Aus welchen Gründen sollte der Bürger Ihrer Ansicht nach die CDU wählen?

Es gibt viele gute Gründe, CDU zu wählen – sowohl mit Blick auf das Politik- wie das Personalangebot. Entscheidend ist aber, dass Bürgerinnen und Bürger aktiv am politischen Prozess teilnehmen. Das bedeutet zumindest, sich regelmäßig zu informieren und sich eine eigene Meinung bilden. Dieser Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, sollte die Grundlage jeder Wahlentscheidung sein – für welche demokratische Partei auch immer.

Über Jahre hinweg galten auch in der CDU staatliche Eingriffe in die Wirtschaft als schädigend. Die Maxime lautete: Deregulierte Märkte sind die Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg. Nun legt die Weltfinanz- und Wirtschaftskrise das genaue Gegenteil nahe. Trägt die CDU mit ihrem wirtschaftsliberalen Kurs Mitschuld an der Krise?

Was die Neigung zur Deregulierung angeht, hatten wir in allen westlichen Systemen zweifellos einen Trend, der sich von sozialstaatlichen Regulierungen immer mehr entfernte. Die Freisetzung von Eigendynamik wurde begünstigt. In Deutschland war das zwar zu keinem Zeitpunkt so ausgeprägt wie in den angelsächsischen Ländern. Trotzdem hat dieser Trend auch in Deutschland seine Spuren hinterlassen. Ich habe den Eindruck, dass es jetzt, angesichts der Krise, den breiten politischen Willen gibt, die Finanzmärkte national und international zu regulieren. Gleichzeitig warne ich allerdings davor, nun von einem Extrem ins Andere zu verfallen und im Zusammenhang mit der berechtigten Kritik an der Verselbständigung der Finanzwirtschaft die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien zu fordern oder gar Wettbewerb und Globalisierung insgesamt in Frage zu stellen. Die Wiederentdeckung der Unverzichtbarkeit von Politik und staatlichem Handeln in Zeiten der Krise sollte nicht zur nächsten Übertreibung führen, die darin bestünde, nun alle Probleme politisch und durch staatliches Handeln lösen zu wollen.Einen vernünftigen Mittelweg zu finden, das ist unsere Aufgabe.

Infolge der Wirtschaftskrise erfahren sozialistische Ideen gegenwärtig eine Renaissance. In der Gesellschaft gibt es ein Gefühl der Ungerechtigkeit, die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt stetig zu. Hat das System des Kapitalismus versagt?

Nein. Die Krise zeigt, dass Wettbewerb ohne Rahmenbedingungen nicht funktionieren kann. Diese Einsicht, dass eine kapitalistische Wirtschaftsordnung keine hinreichende innere Stabilität haben würde, gehört zu den Grundlagen der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Sie war auch einer der Gründe für die Entwicklung eines alternativen Konzeptes einer sozialstaatlich verfassten Wirtschaftsordnung, die sich nach meinem Eindruck bislang weltweit als bestmögliches System einer modernen Wirtschaftsordnung bestätigt hat. Unter dem Eindruck der Weltfinanzkrise ist die Bereitschaft gewachsen, sich auf gemeinsame Grundbedingungen einer Weltwirtschaftsordnung zu verständigen.

Sie sind begeisterter Läufer und haben sogar kürzlich in Bochum am Halbmarathon teilgenommen. Stellt das Laufen für Sie einen Ausgleich zu den langen Diskussionen im Deutschen Bundestag dar?

„Politik ist ein Langstreckenlauf und kein Sprint“, hat Helmut Kohl einmal gesagt. Mir liegt die Langstrecke, auch und gerade in der Politik. Laufen ist für mich unter anderem eine Möglichkeit, meine Umgebung bewusst zu erleben. Mit dem Ruhrgebiet beispielsweise verbinde ich besonders die einmalige Industriekultur. Die Marathon- bzw. Halbmarathonstrecke führt durch diese grandiose Kulisse. Deshalb habe ich mich auf diesen Lauf besonders gefreut. Leider habe ich nur sehr selten Zeit für das notwendige Training. 

Sie treten darüber hinaus gelegentlich auch als Kritiker von Theater-Inszenierungen in Erscheinung und verfassen Rezensionen. Was bedeutet Ihnen das Theater?

Theater ist für mich Entspannung und Inspiration, so wie auch ein Konzertbesuch oder ein paar Stunden mit einem guten Buch.

Was treibt Sie nach über 35 Jahren Berufspolitik noch an?

Die Einbildung, ich würde gebraucht.

 

Das Interview erschien am 23.06.2009 in der Studierendenzeitung der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (pflichtlektüre)

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Forsa-Chef Güllner: Linkspartei profitiert nicht von SPD-Schwäche

Bei den Kommunalwahlen im Westen muss die SPD nach Meinung von Forsa Chef Manfred Güllner keine Angst vor der Linkspartei haben. Das SPD Problem heißt SPD.

Manfred Güllner Foto: Forsa

Gute Nachrichten sind in diesen Tagen für die SPD selten geworden: Die einstige Volkspartei errang bei der Europawahl ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis bei bundesweiten Wahlen und Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier schleppt sich und seine Partei von Umfragetief zu Umfragetief. Doch nun kommt ausgerechnet von Manfred Güllner, dem Chef der Meinungsforschungsinstituts Forsa, der bei den Sozialdemokraten wegen der von ihm festgestellten schlechten Zahlen nicht allzu beliebt ist, ein Hoffnungsschimmer. Im gestrigen Gespräch sagte er mir auf die Frage, ob die Linkspartei bei den Kommunalwahlen in NRW von der Schwäche der SPD profitieren werde: „ Im Osten hat sie die Kümmerer, die der SPD fehlen – im Westen hat sie die nicht. Das Personal der Linkspartei besteht hier oftmals aus stadtbekannten Querulanten oder ehemaligen K-Gruppen-Leuten. Für viele ehemalige SPD-Wähler ist das abschreckend.“
Allerdings leuchtet der Hoffnungsschimmer für die SPD nicht allzu hell. Güllner ist der Ansicht dass die SPD am 30. August bei den Kommunalwahlen in NRW in allen Städten Probleme bekommen wird, wo die Kümmerer fehlen: Jene SPD-Lokalpolitiker, die sich früher darum gesorgt haben, dass im Winter die Straßenbeleuchtung auf dem Schulwegen funktionierte und die Mülleimer im Park nicht überquollen. Die hätten die SPD früher stark gemacht – und ihr Fehlen könnten die Sozialdemokraten auf kommunaler Ebene nicht auffangen. Durch die zunehmende Akademisierung der SPD seit den 70er Jahren, erklärt Güllner, sei in der SPD ein Politikertyp nach oben gekommen, der sich häufig für diese Alltagssorgen nicht mehr interessieren würde.

E.on bremst auf hoher See

Foto: Flickr.com / phault

In der vergangenen Woche war ich mit dem Energieversorger E.on unterwegs. In England. Wir haben Windfarmen besucht. Irgendwo vor Anglia. War sehr beeindruckend. Und küstennah. Die Technik war gigantisch. Jungensspielzeug. Das Gegenteil von Nanotechnologie. Schrauben so groß wie Unterarme. Am Ende der Fahrt waren wir in Cuxhaven. Da ist die E.on-Basis für den Offshore-Betrieb. Alles noch ne Nummer größer, fetter, höher, stärker – die Turbinen. Ich hab nachher auf dem Generatordach gestanden, in 100 Meter Höhe und auf die Elbe geschaut. Diese 5 Megawatt-Propeller sind so hoch wie der Kölner Dom – oder fast so hoch. Sie sollen eigentlich ins offene Meer. Eigentlich, denn E.on bremst das Wachstum in den deutschen Hochsee-Gewässern stark. Stattdessen will der Konzern im Ausland wachsen. Der Grund ist einfach: Dort kann man mit dem gleichen Kapitaleinsatz mehr Geld verdienen.

Der E.on-Chef für Erneuerbare Energien, Frank Mastiaux, sagt, zunächst sollen die Erfahrungen mit dem Pilotprojekt Alpha Ventus in der Nordsee abgewartet werden, bevor weitere Projekte mit einem Gesamtvolumen über 1200 Megawatt realisiert würden. Man müsse wissen, wie das geht, welche Gefahren drohen, welche Schwierigkeiten auftauchen. Mastiaux sagte auch, wo das Kapital ansonsten eingesetzt werden soll: Und zwar will er in den USA, Spanien, England und Skandinavien Windparks, Sonnenfarmen und Biomassekraftwerke ausbauen.

Als Gründe für das reduzierten Tempo nannte E.on-Chef Wulf Bernotat vor allem die ungünstigen Bedingungen für Windparks in Nord- und Ostsee. „Während wir in Großbritannien und Dänemark sehr küstennah in geringen Wassertiefen bauen können, sind wir in der deutschen Nordsee aus Rücksicht auf den Naturschutz gezwungen, die Anlagen bis zu 60 Kilometer weit vor den Küsten in Wassertiefen von bis zu 50 Metern zu errichten.“ Dies würde um bis zu 30 Prozent höhere Investitionskosten und das dreifache an Betriebskosten bedeuten. Bernotat: „Angesichts dieser objektiven Schwierigkeiten hat die deutsche Bundesregierung ihr ursprüngliches Ziel, bis 2020 Offshore-Windparks mit einer Gesamtkapazität von 20.000 Megawatt installieren zu wollen, auf die Hälfte reduziert.“

Doch selbst dieses Ziel wird in Deutschland schwer zu erreichen sein. Zwar hatte die Bundesregierung gehofft, nach der Erhöhung der Förderungen aus dem Erneuerbaren Energien Gestez für Hochsee-Kraftwerke einen wahren Bauboom auszulösen. Doch bislang bauen nur wenige Stromkonzerne wie der süddeutsche Versorger EnBW die ersten kommerziellen Offshore-Windparks. Vor allem Projekte kleinerer Entwickler stehen vor dem Aus. Im Zuge der Finanzkrise haben die meisten Banken ihre Anforderungen an die notwendigen Baukredite erhöht. Statt wie bisher 15 Prozent der Investitionssumme müssen Windparkbauer nun 30 Prozent aus eigener Tasche bezahlen. Damit werden die Eigenkapitalrenditen der Projekte schwer belastet.

Der Bauleiter der E.on-Offshore-Projekte Adrian Chatterton erläutert die besonderen Schwierigkeiten in offener See. So müssten Spezialschiffe beschafft werden, die in den tiefen Gewässern der Nordsee die Fundamente für die über 100 Meter hohen Windtürme errichten. Ein Schiff kostet rund 200 Mio Euro. Für den Aufbau der Windkräne selber benötige man wieder andere Kranschiffe, die in der Lage seien, 900 Tonnen in hoher See auf 100 Meter zu hieven. Auch dies: schwierig und vor allem teuer. Dazu kommen Probleme mit dem Wetter, berichtet Chatterton. Schon bei einem Wellengang von über einem Meter müssten die meisten Arbeiten in der Nordsee eingestellt werden. Die Wellen in der Nordsee seien in rund 300 Tagen höher als einen Meter.

E.on-Chef Wulf Bernotat sagte, sein Konzern werde lieber in anderen Ländern in Windprojekte investieren, um so seine Ökobilanz zu stärken. So soll trotz der Wirtschaftskrise der Anteil der Sauberen Energien bis 2030 auf 36 Prozent am Energiemix des Unternehmens gesteigert werden. Allein in den kommenden drei Jahren sollen 12 Mrd Euro investiert werden.

E.on-Entwicklungschef Lutz Feldmann sagte, sein Konzern werde nur dort in erneuerbare Energie investieren, wo wirtschaftlich sinnvoll sei: So sei es richtig, in Südeuropa auf Sonnenenergie zu setzen, und in Nordeuropa auf Wind und Biomasse. „Wir werden aber kein Solarkraftwerk in Schottland bauen“, sagte Feldmann.

Derzeit setzt E.ON vor allem auf Windenergie. In Südeuropa und den USA geht es um Anlagen auf dem Land, während Großbritannien und Skandinavien Projekte auf hoher See ins Visier genommen werden. So baut der Konzern derzeit in Texas den mit 800 Megawatt größten Windpark der Welt. Vor england ist E.on am Bau des größten Offshore-Windparks der Welt, „London Array“, beteiligt. Weitere Projekte in küstennahen Gewässern werden vor Dänemark realisiert.