Meine ersten fünf Lebensjahre brachte ich an der Stadtgrenze Gelsenkirchen/Gladbeck zu. Die damals sehr kinderreiche Siedlung, heute sieht sie wie eine akkurate Rentnerreihenhaussiedlung aus, wurde damals "Mau-Mau-Siedlung" genannt und noch heute hat ein Kartenspiel diesen Namen. Wenn meine Eltern mich veranlassen wollten, mein Kinderzimmer aufzuräumen, behaupteten sie häufig: "Hier siehts ja aus wie bei den Hottentotten."
Das war zwischen 1957 und 1962. Meine Eltern wählten CDU, die Großeltern waren keine Nazis, sondern beim Zentrum oder wählten SPD. Das war damals normaler Ruhrpottsprech, niemand dachte sich was dabei.
Heute geht es etwas anders zu, aber der projektive Rassismus feiert offensichtlich dennoch weiter fröhliche Urständ. Was uns der damalige Sprech als Kleinkind einbimste war ja, dass es auch Andere gab, Wilde, Unerzogene. Im heraufziehenden TV sahen wir, dass die nicht nur beängstigend dunkel aussahen, sondern auch schneller rennen und besser boxen konnten. Sie legten es, wie ein gewisser Cassius Clay mit seinem Großmaul, regelrecht darauf an uns Angst zu machen. Heute bedauern wir den gleichen Mann als erkrankten Ali und weinen zusammen, wenn er das olympische Feuer anzündet. Trotzdem glauben wir, dass die Schwarzen irgendwie mehr Rhythmus im Blut haben, und – ganz entscheidend: wilder rumvögeln, sonst gäbe es in Afrika ja nicht so viele Aids-Opfer.
Genau dieses Bild wird in dem Fall der Frau, die unter dem Vorwurf, mehrere Männer bewusst mit Aids infiziert zu haben, verhaftet wurde, unausgesprochen aber penetrant bedient. Die meisten Zeitungen beschäftigen sich ausführlich und extrem selbstbezogen mit der Frage, inwieweit der Fall die Pressefreiheit und das Persönlichkeitsrecht berührt. Heribert Prantl hat heute in der Süddeutschen zu dieser Abwägung, wie so oft, fast alles Nötige geschrieben.
Nirgends jedoch wird die rassistische und Gender-Komponente des Falles erörtert. Man lässt die Bilder und den Staatsanwalt sprechen, der Rest spielt sich in den Köpfen ab. Wer ist schwer im Kommen in unserer Gesellschaft? Es sind die Frauen. Und es sind besonders die bi- oder trikulturell gebildeten Migrantinnen. Dass sie bei den Castingwettbewerben der privaten TV-Sender so überdurchschnittlich reüssieren konnten, hat bereits etwas mit ihrer hohen Adaptionsfähigkeit neuer Spielregeln zu tun. Sie machen uns vor, wie frau heute Karriere macht, berühmt wird, dabei gut aussieht und im Bett immer öfter oben liegt.
Nun haben deutsche Juristen mal zurückgeschlagen. Diesem wilden Treiben durfte nicht mehr tatenlos zugesehen werden. Über ein Jahrhundert ist es gelungen, in der deutschen Rechtswissenschaft durch alle historischen Umbrüche Kontinuität zu sichern, vor allem auf den Lehrstühlen, aber auch in den Behörden. Da wächst selbstverständlich die Verantwortung, eigene Beiträge gegen wachsende gesellschaftliche Unordnung zu leisten. Vieles, was bereits den Verfassungsrichter Udo die Fabio in seinen Werken "Die Kultur der Freiheit" (2005) und "Gewissen, Glaube, Religion" (2008) beunruhigt hat, ist symbolisch mit der Verhaftung dieser schönen schwarzen Sängerin zielsicher getroffen worden.
Nachbemerkung: "Schwarz" wird hier nicht als identisch mit afrikanischer Herkunft angenommen, sondern als Sammelbegriff für rassistische Diskriminierung aufgrund äußerer Erscheinung. Es gibt, was nicht viele wissen, z.B. mehrere hunderttausend Schwarze Deutsche, die nicht nur zur Nazizeit, sondern auch zu Zeiten des "Mau-Mau"- und "Hottentotten"-Sprech extrem übler Diskriminierung ausgesetzt waren. Heute agieren sie mit erheblich größerem Selbstbewußtsein, z.B. in der Initiative Schwarze Deutsche. Durch die Einwanderungswellen der letzten Jahrzehnte hat sich zum Glück zumindest in den Städten das öffentliche Erscheinungsbild spürbar internationalisiert. Aber nicht jedem Weissen Deutschen gefällt das.
Noch ein Quellenhinweis vom Sonntag: zum Thema "HIV & Öffentlichkeit" Nils Minkmar in der FAS, eine seltene Stimme der Vernunft.