Foto: RWE
Der Energiekonzern RWE steckt in einer Führungskrise. Für Aktionäre und Investoren überraschend stellte der Vorsitzende des RWE-Aufsichtsrates, Thomas Fischer, gestern auf der Hauptversammlung des Stromversorgers sein Amt zur Verfügung. Der ehemalige Vorstandschef der WestLB sagte, er habe aus persönlichen Gründen nicht mehr ausreichend Zeit, sich als Aufsichtsratschefs dem zweitgrößten Stromversorger Deutschlands zu widmen. Wie aus dem Konzern zu hören ist, will Fischer über 100 Tage im Jahr ausschließlich für RWE gearbeitet haben.
Zuvor war ein Konflikt von RWE-Vorstandschef Jürgen Großmann mit dem Aufsichtsrat bekannt geworden. Trotz seiner unbestrittenen unternehmerischen Erfolge führe Großmann den Konzern zu oft wie sein eigenes Unternehmen, bemängelten mehrere Aufsichtsräte. Vereinzelt wurde der Basta-Stil Großmanns kritisiert.
Es hieß, gerade zum Aufsichtsratschef Fischer pflege Großmann ein gespanntes Verhältnis. Die beiden „Alpha-Tiere“ des Konzerns könnten nur sehr schwer miteinander kooperieren. Zudem würde Großmann zu oft die Rolle des Aufsichtsrates und dessen Chef Fischer als Kontrollgremium ignorieren. Erst vor wenigen Wochen hatten Aufsichtsräte über eine gleichzeitige Ablösung von Großmann und Fischer von der RWE-Spitze diskutiert.
Ich persönlich denke, die Führungskrise des RWE rührt tatsächlich zu einem großen Teil von den beiden Führungspersonen her. Um zu erklären, warum ich das denke, muss ich ein wenig ausholen. Nach seinem Amtsantritt wollte der neue RWE-Chef den Konzern flott machen für die neue Zeit. Dabei ist es sicher richtig, gerade im Erzeugungsbereich viel zu unternehmen. RWE hat eine miese CO2-Bilanz und zudem den Einstieg in die Erneuerbaren Energien verpaßt. Diese unternehmerische Herausforderung ist Großmann mit Verve angegangen. Und er hat Erfolge. Das bestreitet niemand. Die Einrichtung der Innogy ist glänzend. Es bestreitet auch niemand, dass es nötig war, den Vertrieb im anziehenden Wettbewerb im Stromgeschäft zu pushen. Auch hier hat sich Großmann zur Aktion entschlossen.
Und damit beginnen die Probleme. Großmann hat die Menschen nicht mitgenommen auf seinem Weg. Er hat die Mitarbeiter der RWE Systems verprellt – zu hunderten, als er ihren Teilkonzern zerschlagen hat. Es ging um die kolportierten abwertenden Zitate, von einer AG für Putzfrauen, die jeder im Konzern kennt. Von Mund zu Mund weitergetragen. Verletztend.
Großmann hat den stolzen Konzernteil Energy mit einem Strich ruiniert. Ohne mit den Mitarbeitern zu sprechen und Sie von den angenommenen Notwendigkeiten zu überzeugen. Dass er das bereits geplante Gespräch mit den RWE Energy Mitarbeitern im März abgesagt hat, fiel den Mitarbeitern als Arroganz auf.
Mehr noch: Nahezu alle Vertriebler im Konzern sind überzeugt, dass es notwendig ist, näher an die Kommunen zu rücken, um Konzessionen zu sichern und dauerhafte Beziehungen zu pflegen. Doch gerade die Beziehungen zu den Städten werden durch das Auftreten von Großmann beschädigt. Der RWE-Chef scheint zu denken, es reiche aus, mit den Menschen direkt zu reden. Er müsste sie aber überzeugen.
Das Problem ist der Mensch. Nicht sein Ziel.
Auch die Ziele von Großmann können wahrscheinlich viele im Konzern unterstützen. Aber wenn man tausenden Mitarbeitern vor den Kopf stößt und ihnen die Möglichkeit nimmt, sich einzubringen, ist es nicht verwunderlich, wenn sich diese wehren. Geschubst werden will keiner – und Beileidigungen haßt jeder.
Genau so sehen viele im Konzern die Rolle des scheidenden Aufsichtsratschefs kritisch. Bereits seit Tagen war in Führungskreisen des RWE immer offener über einen möglichen Rücktritt Fischers spekuliert worden. Konkret kündigte sich ein harter Schnitt auf der Eröffnung des neuen Handelszentrums des RWE in Essen am Dienstag an. Im Gegensatz zu vielen prominenten Gästen, wie NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, war Aufsichtsratschef Fischer nicht auf der Feier erschienen. Unmittelbar vor der Eröffnung der Hauptversammlung machte Fischer dann seinen Entschluss öffentlich. Die Ankündigung kam für RWE-Anteilseigner überraschend. Fischer will einfaches Mitglied im RWE-Aufsichtrat bleiben.
Seit seinem Ausscheiden als Vorstandschef aus der WestLB im Zuge eines satten Finanz-Skandals stand Fischer unter Druck. Er aber klebte an seinem Job als RWE-Aufsichtsratschef und versuchte sich anzubiedern. Es war sein letzter Brotjob in einem Großunternehmen. Fischer wollte den Konzern mitlenken und überschätzte damit seine Möglichkeiten. Im Umfeld des Konzerns gelten die persönlichen Zeitgründe Fischers für vorgeschoben. Nach seinem Rücktritt von der WestLB-Spitze hat Fischer keinen neuen Managerposten angetreten. Als Beruf gibt er schlicht "Kaufmann" an, ohne konkrete Stelle. Aus dem Fischer-Umfeld heißt es, der Aufsichtratschef sei wegen andauernder Indiskretionen zurückgetreten. Diese hätten eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unmöglich gemacht. Fischer selbst sagte: „Sie können sich kaum vorstellen, wie sehr das einen ärgert.“
Aber die Indiskretionen sind nur ein Abbild der Verhältnisse unter Fischer und Großmann. Würde die Beziehungen mit den Menschen gut laufen, müsste sich keiner Luft machen. So aber haben die Menschen keine andere Chancen sich zu wehren. Wer will ihnen als letzten Ausweg den Mund verbieten?
Die Verzweiflung in weiten Teilen des Konzerns ist bei vielen Mitarbeitern bereits existenziell. Es geht um intime, persönliche Dinge. Um Dinge, die Angst machen. Wenn Abteilungsleiter dazu angehalten werden, ihre Männer zu schassen, wenn Führungskräfte abgehalfert werden. Manchmal meint man sehen zu können, wie Mitarbeiter Blut schwitzen.
Als Nachfolger an der Spitze des Kontrollgremiums stehen nur wenige Kandidaten bereit. Als Favorit für den Posten gilt der Bayer-Aufsichtsratschef Manfred Schneider. Er könne als Übergangskandidat dienen, bis ein neuer Aufsichtsrat in zwei Jahren gewählt werde, hieß es. Allerdings will Schneider selbst eher nicht. Als weiterer Kandidat gilt der Finanzvorstand der Allianz Versicherung, Paul Achleitner. Er sei bereits als Wortführer der Kapitaleigner aufgetreten, hieß es aus dem Aufsichtsrat. Dagegen spreche nur, dass die Allianz ihre Spitzenkräfte nicht gerne im Vorsitz von Aufsichtsräten sehe. Daneben werden dem Vorstandschef von ThyssenKrupp, Ekkehard Schulz, Chancen auf den Posten eingeräumt. Allerdings stehe Schulz derzeit wegen der Schwierigkeiten in seinem eigenen Konzern so stark unter Druck, dass er den Job wahrscheinlich ablehnen müsse, hieß es weiter. Verzwickt.
Dann gibt es noch ein ganz anderes Szenario: ThyssenKrupp-Chef Schulz oder ein anderer aus der Kapitalbank des RWE könnte freiwillig zurücktreten und den Platz für einen neuen Aufsichtsratschef freimachen. Dann könnte sogar Werner Müller, der Ex-RAG-Ex-Evonik-Chef, an die Spitze rücken. Schließlich war er schonmal vorgesehen als RWE-Chef und ist es schließlich nicht geworden. Ihn selber würde der Job sicher interessieren. Wenn er überhaupt noch Lust auf Streß hat. Heute. Als Pensionär. Genausogut könnte aber auch ein anderer externen Kandidat anrücken. Wer weiß.
Eine Entscheidung soll in naher Zukunft in einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung fallen.
Der Aufsichtsrat des RWE gilt als schwierig. Auf Seiten der Kapitalgeber sitzen neben den klassischen Investoren auch vier kommunale Vertreter. Diese würden vor allem ihre eigenen Interessen vertreten, heißt es aus dem Aufsichtsrat. Zudem sitzen auf der Arbeitnehmerbank mit Verdi und IG BCE gleich zwei starke Gewerkschaften sowie mehrere Betriebsräte. Die unterschiedlichen Fraktionen hätten sich in der Vergangenheit öfter blockiert, hieß es aus dem Aufsichtsrat.
Fischer wurde Ende 2004 an die Spitze des RWE berufen, als er noch WestLB-Chef war. RWE-Chef Jürgen Großmann erwähnte den scheidenden Aufsichtsratschef Fischer in seiner Rede nach dessen angekündigtem Rücktritt mit keinem Wort.