Bloomberg: Opel in Bochum auf der Kippe

Der US-Autobauer General Motors (GM) will nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg den Standort in Bochum schließen. Dies sei Teil der Überlegungen, um Finanzhilfen von der US-Regierung zu erhalten, berichtet die Agentur heute.

Vorgeschlagen werde zudem der Verkauf der Opelfabrik in Eisenach. GM ist infolge der Finanzkrise in Schwierigkeiten geraten und erhofft sich Hilfen vom Staat. Um an die Finanzmittel der Regierung zu kommen, muss der Konzern weitreichende Zugeständnisse machen. Geschlossen werde soll auch die Autofabrik in Antwerpen.

Hier der Link zu der vollen Harttop-Story: klack

Interessant ist auch: Bloomberg hat auch das folgende WAZ-Stück ausgewertet für seinen Bericht, in dem es um die Beteiligung des Staates an dem Bochumer Opelwerk geht: klick

Junge Union in NRW greift FDP-Minister Pinktwart und Wolf an

Foto: CDU Oer-Erkenschwick / Volmering steht rechts

Nach Meinung der jungen Konservativen müssen die FDP-Minister Andreas Pinkwart und Ingo Wolf dafür sorgen, dass die Studiengebühren ordentlich eingesetzt und nicht verplempert werden. Zudem soll Wolf ausländische Straftäter nach ihrem Herkunftsland statistisch erfassen und auch ansonsten härter durchgreifen. Dies sagte bei "aller Zufriedenheit mit der schwarz-gelben Landesregierung" der JU-Landeschef Sven Volmering.

Zitat:

Pinkwart muss endlich seine Hausaufgaben bei der Verwendung der Studienbeiträge machen. Die CDU hat bereits auf ihrem letzten Parteitag auf Antrag der Jungen Union das Wissenschaftsministerium aufgefordert, die Zweckbindung der Studienbeiträge zur Verbesserung von Forschung und Lehre stärker zu überprüfen und zur Not auch durchzusetzen. An einigen Universitäten in NRW kommt es jedoch immer noch vor, dass Studenten 500 Euro Studienbeiträge zahlen, um dann zu erleben, dass, wie im DFB-Pokal, die Teilnahme an Pflichtseminaren ausgelost wird. Dieser Zustand ist unzumutbar und es ist ernsthaft zu prüfen, ob in solchen Fällen den Studenten nicht ein Teil ihrer Beiträge zurückgezahlt werden muss.

Der FDP-Innenminister ist der erste Wolf in der Geschichte dieses Landes, der ständig zum Jagen getragen werden muss und viele Reformbestrebungen blockiert, sei es bei der Frage der Videoüberwachung, sei es bei der Frage der Wiedereinführung einer Sperrklausel bei Kommunalwahlen oder der Einstellung von mehr Polizeianwärtern.

Ein neuer Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Weigerung von Wolf in der Kriminalitätsstatistik das Herkunftsland von Tatverdächtigen zu erfassen. Wenn sowohl das schwarz-gelb regierte Bayern als auch das rot-rot-regierte Berlin dieses Instrument einsetzen, um Kriminalitätsursachen empirisch besser erfassen und beurteilen zu können, gibt es keinen überzeugenden Grund, warum dies auch in NRW nicht möglich sein kann.

Uwe Tellkamp, Bestseller-Autor und Gewinner des Deutschen Buchpreises über die DDR, den Finanzkapitalismus, das Schreiben und sein nächstes Buch

Foto: privat

Was macht man an einem ganz normalen Mittwochabend im demokratisch-freiheitlichen, aber furchtbar langweiligen Bochum? Man besucht die Lesung von Uwe Tellkamp im Thürmer-Saal und lässt sich vom Autor persönlich aus seinem Buch „Der Turm“ vorlesen. In diesem fast 1000 Seiten langen Epos erzählt Tellkamp davon, wie es ist, in einem unfreien, totalitären Staat zu leben. Am Beispiel des Bildungsbürgertums seiner Heimatstadt schildert der gebürtige Dresdner die letzten sieben Jahre der zerfallenden Republik. Mit diesem Roman ist Tellkamp ein beeindruckendes Panorama der untergehenden DDR gelungen. Vor der Lesung gibt der Autor mir ein Interview. Er möchte vorab jedoch noch etwas trinken, ist sich aber unsicher, ob das im Künstlerappartement befindliche Mineralwasser für ihn gedacht ist. Schließlich schenkt er sich doch ein und sagt: „Ist auch nur fremdes Gut.“

Ruhrbarone ?: Herr Tellkamp, bei Schopenhauer heißt es über den Beruf des Arztes: „Der Arzt sieht den Menschen in seiner ganzen Schwäche“. Nun sind Sie sowohl Arzt als auch Schriftsteller. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Berufen?

Uwe Tellkamp !: Was mir gemeinsam zu sein scheint bei Ärzten, die auch Schriftsteller waren – sei es Benn, Döblin oder Bulgakow und Tschechow -, ist der relativ nüchterne, in gewissem Sinne klinische Blick. Das heißt: Der Arzt kennt den Körper – in seiner Schwäche, im Altwerden und gleichzeitig weiß er um die Schwierigkeit der Diskretion. Als Arzt sieht man den Patienten nackt, verletzbar und muss immer wieder eine Balance finden zwischen dieser Körperlichkeit, dieser Nacktheit und der Diskretion, die dazugehört und mich als Arzt begleitet. Das ist ein sehr schwieriger Zustand, der mir zu denken gegeben hat. Ein ähnlicher Zustand ist auch beim Schreiben da. Meine Figuren sind in einem gewissen Sinne nackt, während ich als Autor bekleidet bin. Mir geht es immer wieder darum, Diskretion gegenüber Figuren zu bewahren und ihnen nicht zu nahe zu treten. Das ist eine Gemeinsamkeit, die ich sehe. Eine zweite Gemeinsamkeit ist die Ähnlichkeit zwischen Diagnose und Diagnoseverfahren, Annäherung, Vortasten und meiner Art zu schreiben.

?: Als Sie noch als Arzt praktizierten, sagten Sie, dass Sie wegen des Zeitmangels teilweise auf Treppen oder im Keller geschrieben haben. Nun haben Sie sich dazu entschlossen, als Arzt zu pausieren, um mehr Zeit fürs Schreiben zu haben. Ging diese Rechnung auf, können Sie die gewonnene Zeit sinnvoll nutzen?

!: Die Rechnung ging auf, als ich arm und unbekannt war. Aber da gab es dann andere Schwierigkeiten. Jetzt lerne ich die Kehrseiten des Glücks kennen und die Beschneidung von Zeit, zu dem zum Beispiel Interviews gehören. (Lacht) Im Gegensatz zu früher habe ich Wahlfreiheit. Ich bin in der glücklichen Lage, nicht alle Lesungen machen zu müssen. Ich versuche schon, das gehört dazu, meinen Teil zu leisten, könnte aber, das ist der Unterschied, die Reißleine ziehen und mich hinsetzen.

?: Bei Wolfgang Koeppen heißt es: „Wer schreibt, der bleibt.“ Er bestimmte das Schreiben als Auflehnen gegen die Endlichkeit. Andere Schriftsteller sagen, das Schreiben gründe in einem Zustand innerer Notwendigkeit. Was lässt Sie zur Feder greifen?

!: Das weiß ich nicht. Das ist ein Drang, der unbegründbar ist und über den ich mir auch keine näheren Gedanken mache. Da gibt es die hübsche Anekdote von der Spinne, die den Tausendfüßler fragt wie er gehe. In dem Moment, wo er sich darüber bewusst wird, verheddert er sich. Vorher hat er es unbewusst gemacht.

?: Sie haben in Ihrem Buch „Der Turm“ über den privaten Rückzugsraum des Bildungsbürgertums im totalitären Staat DDR geschrieben. Sie sagten, die zentrale Frage Ihres Buches sei, wie sich der Mensch gegenüber einer feindlichen Umwelt verhält. Was glauben Sie, von welchen Menschen wird „Der Turm“ in der Bundesrepublik 2009 bewohnt?

!: Das, was damals die „Türmer“, diese Bildungsbürger erlebt haben in ihrer Nische gegenüber dem Sozialismus, scheinen heute Leute zu sehen in ihrer Nische gegenüber den Strudeln von Finanzkapitalismus und grassierender Wirtschaftskrise. Das scheint eine Parallele zu sein, die da greift. Ich glaube, das Buch wird von Menschen gelesen, denen diese Form der Bildung, klassischer Bildung immer noch etwas bedeutet. Das Buch hat enormen Erfolg und der ist nicht allein erklärbar aus 20 Jahre Mauerfall oder Marketing. Auch wenn das Marketing greift, es funktioniert nur bis zu einer gewissen Grenze. Das, was der Verlag und ich mit diesem Buch erleben, ist eine Sache, die weit darüber hinausgeht. Das Buch muss auch Dinge treffen, die anderswo zu finden sind.

?: Sie waren bei der NVA Panzerkommandant und haben im Oktober 1989 – Sie waren 21 Jahre alt – den Befehl verweigert, gegen eine oppositionelle Bewegung vorzugehen. Daraufhin wurden Sie zwei Wochen in Haft genommen. Können Sie etwas zu den genauen Umständen sagen?

!: Das Ganze hing zusammen mit der Ausreisebedingung über Prag, wo die deutsche Botschaft besetzt wurde. Als Genscher an den Balkon trat und sagte, sie können ausreisen, wurden die Züge von dort über Dresden in die Bundesrepublik geleitet. Honecker hatte sich ausbedungen, dass diese Züge noch mal über DDR-Gebiet fahren, was ein schwerer Fehler war. Anfang Oktober eskalierte das Ganze, denn in der Stadt gab es natürlich Gerüchte, dass diese Züge kommen. Es herrschte Visums-Pflicht, man konnte nicht mehr in die Tschechoslowakei oder nach Polen fahren. Es grassierte dann der Witz: Wir können im Grunde nur noch mit den Füßen voran aus dem Land. Jeder hatte Angst, was wird und wohin das Ganze treibt. Sehr, sehr viele Menschen sind dann raus zum Bahnhof und haben versucht, sich an die Züge ranzuhängen, um rauszukommen und zu flüchten. Das ist die Vorgeschichte. Die Kaserne, in der ich war, hatte dann am 5. Oktober den Einsatzbefehl, gegen die aus dieser Anarchie hervorgegangene Gruppe 20, eine Oppositionsbewegung, vorzugehen.

?: War die Erfahrung dieses Aktes staatlicher Repression eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Sie knapp 20 Jahre später sozusagen die Krankengeschichte der DDR geschrieben haben?

!: Ich habe diese Erfahrung gemacht und kenne daher das Gegenstück nicht. Ob ich ohne diese Erfahrung geschrieben hätte, weiß ich also nicht. Es hat aber sicherlich eine Rolle gespielt. Wir redeten im Vorgespräch über Thomas Bernhard. Auch das ist ein Autor, der aus der Verletzung heraus geschrieben hat. Die schwere Lungenkrankheit war eine Triebkraft für ihn. Das Österreichische, diese versteinerten Verhältnisse waren immer eine Triebkraft für ihn. Diese Triebkraft habe ich auch.

?: Thomas Bernhards Todestag jährt sich in diesem Monat zum 20. Mal. Kürzlich erschien von ihm posthum das Buch „Meine Preise“. Ihm waren Preisverleihungen ein Gräuel. Sie erhalten in diesem Jahr den mit 15.000 Euro dotierten Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Was für ein Verhältnis haben Sie zu Preisverleihungen?

!: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Die Frage ist zu privat. Das Buch „Meine Preise “von Bernhard habe ich übrigens gelesen. Man merkt zwar den Ad-hoc-Charakter, aber es ist ein sehr gutes Buch. Ein typischer Bernhard. Seinen Roman „Beton“ mag ich sehr gerne, weil er dort das menschlich Mühevolle in den Blick nimmt. Dort schreibt er über eine Frau, die es einfach sehr schwer hat, ihr Leben zu fristen und hinzukriegen. Deshalb mag ich dieses Buch. Ihr Roman „Der Turm“ endet mit einem Doppelpunkt. Planen Sie eine Fortsetzung des Romans? Ja. Ich habe grobe Vorstellungen vom Handlungsort und von den Figuren, die noch aus „Der Turm“ sind. Aber ich will nicht ins Einzelne gehen. Das ist noch zu zart und kostbar. Und woran arbeiten Sie gerade? Ich arbeite zurzeit an zwei Sachen. Eins ist fertig und heißt „Reise zur blauen Stadt“. Das Buch muss noch überarbeitet und korrigiert werden, bevor es dann im Herbst erscheint. Das andere ist ein Prosa-Buch über meinen kleinen Sohn.

Informationen zum Autor: 2008 war ein gutes Jahr für Uwe Tellkamp. Im Oktober erhielt er für seinen Roman „Der Turm“ den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis. Sein Roman über den Untergang der DDR verkaufte sich bisher mehr als 250.000 Mal. Tellkamp wurde 1968 geboren, veröffentlicht im Suhrkamp-Verlag und lebt zurzeit in Freiburg.

Werbung

Das Elend der öffentlichen Verwaltung

Foto: flickr.com / andred584

Die Wirtschaftswundergeneration der BRD glaubte noch an die Leistungsgesellschaft. Leistung sollte sich lohnen, Wahlparolen wurden danach ausgerichtet. Wer arbeiten will, findet auch was, glaubte man. Deutschland wurde gar als „Modell“ bezeichnet, von der SPD im Wahlkampf 1976. Man glaubte, dass es, mit Rückschlägen durch einzelne Konjunkturkrisen zwar, die professoral und väterlich durch Karl Schiller und Helmut Schmidt tagesschaugerecht analysiert wurden, jetzt stetig aufwärts gehen würde. Den Kindern sollte es einmal besser gehen. Das war die soziale Marktwirtschaft in Reinform, die Attac-Mitglied Heiner Geißler heute rhetorisch verteidigt und gerne wiederhaben möchte.

Es ist anders gekommen. Viele Kinder haben interessantere Jobs als die Eltern, sie stehen nicht am Band, Hochofen oder im Stollen, sondern haben Abitur oder Studienabschluss und entfalten ihre Kreativität am PC. Allerdings: sie kommen die Eltern nur selten besuchen, haben eine Scheidung hinter sich, und vor allem wissen sie nicht, ob sie ihren guten Job auch nächstes Jahr noch behalten. Sie kämpfen mit psychosomatischen Erkrankungen, depressiven Phasen, erzählen den Eltern nichts davon, damit die sich nicht sorgen, aber die sind ja nicht blöd: je weniger geredet wird, umso mehr besteht Anlass zur Sorge.

Die Eltern haben Schwein gehabt. Sie sind aus ihren alten Industriejobs in Stahl- und Bergbauindustrie frühverrentet worden, mit Renten so hoch, wie sie nie wieder sein werden. Sie sind noch rüstig und haben jetzt viel Zeit, sich mit der Welt zu beschäftigen. Etliche gehören jetzt zu den StammwählerInnen der Linkspartei, manche sind sogar bei ihr Mitglied geworden und gehen den erfahrenen Funktionären, die nur wenig Zeit haben, dort jetzt gehörig auf die Nerven. Die jahrzehntelange Lebenserfahrung im Kapitalismus, die sie gesammelt haben, drängt nach Mitteilung, gerade jetzt.

In den 70er Jahren hätte man es nicht für möglich gehalten, dass der Vater mal freiwillig den 1000-Seiten-Wälzer „Schock-Strategie“ von Naomi Klein lesen würde. Naomi Klein ist durch den Bestseller-Erfolg ihres ersten Buchens „No Logo!“ so reich geworden, dass sie davon eine Recherche- und Schreibfirma aufgebaut hat, deren Produkt „Schock-Strategie“ ist. Kernthese des Buches: eine ideologisch von der Chicagoer Monetaristen-Schule Milton Friedmans ausgebildete Kamarilla von Beratern und Lobbyisten legt es überall auf dem Globus darauf an, über bewusst hervorgerufene Krisensituationen putschartig riesige Privatisierungsschübe und Umverteilungsprozesse von öffentlichen in private Kassen, von unten nach oben durchzusetzen. Sie waren und sind überall: in Chile 1973, im Thatcher-England, in Deutschland, Osteuropa, im Russland Jelzins, im China nach Mao, in Südafrika zwangen sie die ANC-Regierung in die Knie. Bei allen Finanzkrisen und fast allen Putschen hatten und haben sie ihre Finger im Spiel. Wer sich das Geschehen der letzten Wochen mit offenen Augen angesehen hat: wer wollte noch leugnen, dass Klein nicht nur rückblickend sondern leider noch mehr prophetisch Recht hat? Bevölkerungsmehrheiten in den USA wie hierzulande dürften ihr heute zustimmen. Wie sonst ist der Drang zur deutschen Bahnprivatisierung, gegen die 70% der Bevölkerung sind, zu erklären? Wie staatliche Milliardenbürgschaften für marode Banken und Konzerne? Und ein Billionen-Dollar-Schirm von US-Präsident Obama reicht „der Börse“ immer noch nicht aus?

Doch wo ist das Rettende? Denn das jämmerlichste Bild gaben in all diesen Prozessen oftmals demokratisch gewählte Parlamente und Regierungen ab. Was wäre durch Verstaatlichung gewonnen, wenn die Verfügungsmacht in die Hände dieser Gestalten gelegt würde? Beweisen die doch permanent, dass sie sich nicht für die Meinung ihrer Wähler interessieren, sondern eine wolkige Verantwortung heranziehen, der sie nachkommen müssen. Diese Verantwortung lassen sie sich von ihnen intellektuell überlegenen hochbezahlten Lobbywissenschaftlern erklären und anschliessend drücken ihnen entschieden nervenstärkere Konzern- und Bankvorstände die Pistole auf die Brust: Milliarden jetzt, oder „alles bricht zusammen“. Da kann man sich nicht lange mit Diskussionen mit dem Volk aufhalten.

Es ist dies eine Geschichte des Elends der öffentlichen Verantwortung und Kontrolle. Die politische Klasse ist nicht mit Personen bevölkert, die das ausüben können. Sie wurden systematisch dazu ausgebildet, solchen riskanten Aufgaben auszuweichen. Leistungsstarke Menschen, die mitten im Berufsleben stehen und in der Regel gleichzeitig eine Familie mit Kindern und pflegebedürftigen Eltern managen müssen, wählen zwar mit Riesenmehrheit Rot-rot-grün, haben aber keine Lust und noch weniger Zeit, selbst in der Politik mitzuwirken. Dafür ist ihnen das Niveau in Ortsvereinen und Ratsfraktionen zu niedrig, zeitverschwenderisch und intrigant. Dort sitzt ein Bevölkerungsausschnitt der, freiwillig oder gezwungenermassen, Zeit hat. Alt-68er im Ruhestand, Eltern, deren Kinder aus dem Haus sind, und prekär oder gar nicht Beschäftigte, die auf die kargen Sitzungsgelder angewiesen sind. Das ist die Basis, aus der heutige politische Elite ausgewählt wird. Helmut Kohl und Joschka Fischer sind prominente Beispiele, die Mehrzahl jedoch bildet heute eine gesellschaftliche Negativauslese. Sie sind eine getreue soziale Abbildung der Entwertung demokratischer Willensbildung durch den Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte. Das subjektive Bewusstsein dieser durchaus gutwilligen und engagierten Menschen besteht aus Minderwertigkeitskomplexen, schliesslich ist PolitikerIn einer der niedrigst geachteten Berufe in unserer Gesellschaft, der ängstlichen Wahrnehmung und Witterung von Krisen und Risiken, und dem Versuch, ihnen stets rechtzeitig aus dem Weg zu gehen. Verantwortung wird auf vermeintlich schuldige KonkurrentInnen, gerne solche in der eigenen Partei, abgeschoben . (s. Freitag 06/2007 „Opfer der Verhältnisse“).

Wenn es solche Menschen nun demokratisch in den Aufsichtsrat der Stadtwerke, der Stadtsparkasse oder gar der Landesbank verschlägt, was will man dort von ihnen erwarten? Man sollte meinen, dass sie sich dort um die Förderung des Mittelstandes und der arbeitsplatzintensiven kleinen Unternehmen in ihrer Region kümmern. Oder um ökologische und verbraucherfreundliche Energieerzeugung. Schön wärs. Weisgemacht wird ihnen, dass wir Globalisierung haben. Dass wir im Wettbewerb stehen. Dass wir uns neu aufstellen müssen. Dass wir konkurrenzfähig bleiben müssen. Dass wir dafür mehr Rendite brauchen. Dass wir Bündnisse schliessen müssen mit Großbanken und Energiekonzernen. Sonst werden wir geschluckt und sind tot und haben nichts mehr zu sagen. Wenn es rundherum von Drachen und Schlangen nur so wimmelt, wie soll sich der Politiker im Aufsichtsrat ohne jegliche alternative Expertise dann verhalten? Er verhält sich wie das Kaninchen: nicht bewegen, Augen und Ohren zuhalten, von nichts wissen und sich also nicht den Schlaf rauben lassen, Aufwandsentschädigung nachhause nehmen, solange es noch geht, und wenn was schief geht schnell eine/n Schuldige/n finden.

Wenn dereinst mal die Milliardenkrisen fast aller deutscher Landesbanken untersucht werden, wird man immer wieder auf dieses Muster stossen. Selten wagt es mal ein Mitglied eines Verwaltungsrates nachzufragen oder seriöse Krisenbewältigungsstrategien zu verlangen. Ganz offensichtlich wurde in keinem dieser Gremien jemals eine Diskussion über Risikomanagement, das es in jeder Bank geben muss, geführt. Die Mehrheit in den Aufsichtsgremien pflegt über solches Sitzung-in-die-Länge-Ziehen die Augen zu verdrehen. Es kommt durchaus vor, dass mal ein professionelles Vorstandsmitglied den Teppich hochhebt, um alte Netzwerke und ihre Vorteilsnehmerei zu untersuchen und für die Zukunft auszuschliessen. Schliesslich steht man doch angeblich im Globalisierungswettbewerb und muss die Effizienz des Unternehmens steigern. Doch dann muss derjenige schnellstens zum doppelten Gehalt an eine andere Stelle gelobt werden, ganz so, wie man es mit übereifrigen sizilianischen Staatsanwälten zu machen pflegt, denen man ein besseres Leben in Rom oder Mailand anbietet.

Stellen wir uns nur mal theoretisch eine absolute Mehrheit der Linkspartei vor: Banken und Energiekonzerne sollen vergesellschaftet werden, aber wer soll diese Unternehmen dann führen? Wo soll das Personal herkommen, das so viel gesellschaftliche Verantwortung auch tragen kann? Mit dem heutigen System ist es nicht zu finden. Verwaltungsrat einer Landesbank, noch nicht einmal einer Stadtsparkasse, ist heute kein Nebenjob mehr, für den zwei Stunden Sitzung im Monat und ein wenig Lektüre der Lokalzeitung ausreichen. Parlamentsmitgliedern, die ihre Aufgabe ernst nehmen, fehlt selbst beim besten Willen die Zeit, eine solche Aufgabe qualifiziert wahrzunehmen. Sie nehmen sie trotzdem gerne an, weil es sie in der politischen Rangordnung aufsteigen lässt. Das ist gut für sie selbst, aber nicht für öffentliche Kontrolle. Selbst Oskar Lafontaine hat nach eigener Aussage bei einer Sitzung des KfW-Verwaltungsrates gefehlt, weil er in Bayern wahlkämpfen musste, eine Aufgabe, die ihn kaum überrascht haben kann. Und was sagt es uns, wenn ein Fraktionsvorsitzender in einer westdeutschen Großstadt lieber Chef der Stadtwerke als demokratisch gewählter Oberbürgermeister werden will? Zu Recht erhofft er sich dort mehr Geld und Macht. Die Demokratie ist gegenüber der ökonomischen Macht auf allen Ebenen in Nischen verbannt.

Parlamente sollten die Unternehmens-Vorstände und -KontrolleurInnen – ja, die Frauen nicht vergessen, hier wäre die Quotierung wohl besonders dringlich! – zwar wählen, aber keinesfalls aus ihrer Mitte. Parteipolitische Abhängigkeit senken, dafür mehr berufliche und/oder wissenschaftliche Qualifikation, intellektuelle und materielle Unabhängigkeit, das täte dem öffentlichen Eigentum, wie es Landesbanken, Stadtsparkassen, Energieunternehmen und Rundfunkanstalten darstellen, gut. Von den heutigen Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitspflichten müssten Aufsichtspersonen solcher öffentlicher Unternehmen befreit werden. Angelegenheiten öffentlicher Unternehmen müssen auch öffentlich erörtert werden dürfen. Die Verbindungen zum Volk müssen verbessert werden: Transparenz- und Berichtspflicht gegenüber der Öffentlichkeit, weniger Geheimhaltung, mehr Zugänglichkeit, vielleicht auch die Urwahl einiger Gremienmitglieder. Türen auf, mehr Luft rein! Es ist dringend! Eine Aufwertung von Politik wird nur gelingen, wenn inhaltliche und personelle Entscheidungen einer öffentlichen Willensbildung wieder zugänglich gemacht werden.

Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Uni Witten-Herdecke: Polizei ermittelt gegen Ex-Chefs…Spiegel

CDU Ruhr: Wird Wittke demontiert?…Kölner Stadtanzeiger

Opel: Betriebsräte in Sorge…Der Westen

TV: Ärger für Toto und Harry…Der Westen

Tittenbar: Hooters kommt nach Dortmund…Ruhr Nachrichten

Live: Bobby McFerrin…Gelsenclan

BVB: Lars Ricken beendet Karriere…Ruhr Nachrichten

Plogbar: Zum letzten Mal im Konkret…Pottblog

Nazis: Interview mit Überfallopfer…Stern

Buch: Abgemurkst…Pottblog

Kunst: Werner Thiel…Hometown Glory

Großmann kommt nicht

Foto: RWE

Der Chef des RWE, Jürgen Großmann, hat seine Teilnahme an einer Betriebsversammlung des RWE am Standort Dortmund abgesagt. Eigentlich hatten die Betriebsräte der Vertriebs- und Handelssparte des RWE damit gerechnet, dass Großmann auf der Veranstaltung in der Dortmunder Westfalenhalle am 5. März seine Ideen von der neuen RWE Deutschland AG präsentiert. Zumindest hatte Großmann zugesagt zu kommen. Die Nummer wurde auf kleiner Flamme gekocht, es hieß offiziell lediglich, man wolle sich "gegenseitig Kennenlernen". Nun ja, mit Großmanns Absage fällt die Veranstaltung nun insgesamt flach, heißt es in einer Mitteilung des RWE-Energy-Betriebsrates.  Als Grund für seine Absage gab Großmann an, dass über die RWE Deutschland AG in der Presse und in Berichten wie diesem hier klack geschrieben wurde.

Und weiter steht da im Namen der Betriebsräte: "Unabhängig gehen wir davon aus, dass im Anschluss an die Aufsichtsratssitzungen der RWE AG, der RWE Energy AG, der RWE Rhein-Ruhr AG und der RWE Westfalen-Weser-Ems AG (alle Ende Februar) weitere Informationen zum Konzernumbau und ähnlichen wichtigen Themen veröffentlicht werden."

Wie immer freue ich mich über weiterführende Infos, gerne unter david.schraven@ruhrbarone.de

Formen als Herausarbeiten – Pia Bohrs Skulpturen in Essen

Ein Gespräch am Rande der Vernissage von "Kraft und Anmut – Neue Holzskulpturen von Pia Bohr" im Essener Hotel Margarethenhöhe. Passend zum Namen ihrer Website, piacensored.com, nahezu ungekürzt und fast wie gesprochen.

Ruhrbarone ?: In der Vorstellung gerade wurde Hans Arp und seine Initialzündung für Deine Beschäftigung mit verschiedenen Holzarten angesprochen. Aber er hat doch eher mit Kupfer, anderen Metallen und sogar Papier gearbeitet…

Pia Bohr !:
Es geht nicht um das Material dabei, sondern um die Glätte, die Harmonie, die Rundungen. Und darum wie fasziniert ich war, dass das ein Mann gemacht hat, wo Männer ja vom Klischee her eher grob mit Objekt und Werkzeugen umgehen.

?: Du entwickelst die Skulpturen dagegen schon an den Maserungen, den Gegebenheiten des Holzes allgemein, entlang…

!: Das Holz zeigt mir den Weg, ja. Es ist ein ständiges Kommunizieren auf eine Art. Bei manchen Hölzern stoße ich auf Unregelmäßigkeiten, und manchmal begegnen mir auf dem Weg ins Innere auch ganze Termitenfamilien. Dann ist darin halt eine Rinne, mit der dann gearbeitet wird. Ich schimpfe dann hin und wieder, aber wenn ich angefangen habe, dann wird das auch beendet.

?: Es kommt dann ja immer etwas sehr Aesthetisches dabei heraus. Ist es leicht festzustellen, wann etwas fertig ist?

!: Das Schleifen allein dauert sehr lange, und da ist dann immer der Gedanke, dass hier und da noch etwas verfeinert werden sollte. Aber dann kommt ja immer noch die Ölung – obwohl manche Hölzer das gar nicht bräuchten – und damit leben die Skulpturen dann für mich.

?: Und die dürfen oder sollen ja dann sogar angefasst werden, wie es gerade in der Begrüßungsrede hieß. Auch eher untypisch für den normalen Kunstbetrieb. Es ist doch sicher auch spannend zu sehen, wie die Gäste dann reagieren…

!: Ich komme ja nun nicht von der Akademie oder so, sondern bin wie in der Musik auch Autodidaktin. Schön ist es wenn, wie gerade, direkt ein Mann sagt, wie schön sich das anfühlt. Aber es gibt auch andere Reaktionen. So kann ich in Dortmund zum Beispiel teilweise nicht ausstellen, ohne Mitglied in einer Vereinigung zu sein. Oder manche sagen, meine Arbeit sei sexistisch. Dabei habe ich das doch gemacht!

?: Ich kann mir schon vorstellen, dass da so old school Feministinnen kommen und von Reduktion auf Geschlechtsmerkmale erzählen.

!: Die sollen mal gerne kommen! Die habe ich besonders gerne!

?: Dabei stehen die Skulpturen ja ziemlich deutlich für sich und brauchen gar nicht viel Erklärungen…

!: Ich kann ja verstehen, dass bei einem Beuys oder so jemandem eine Einführung in das Werk nötig ist, aber so ist das bei mir nicht.

?: (zu sich:) Der Kunstmarkt funktioniert halt gerne so: Vereine, Professuren, Kuratorenjobs, Sekundärliteratur…
Zum Titel: "Kraft und Anmut" ist ja eben nicht gerade ein Gegensatzpaar hier. Obwohl Kraft gerade in einer Regionalkultur Ruhrgebiet immer noch vor allem mit Muskeln und Schweiß gleichgesetzt wird….

!: Kraft und Anmut haben vor allem die Skulpturen selbst, damit ist gar nicht mal das Arbeiten daran gemeint, obwohl ich zunächst ja auch mit groben Werkzeugen arbeite. Manche verstehen meine Arbeit und gerade was ich daran liebe halt überhaupt nicht. Wobei viele Männer grundsätzlich Probleme mit Weiblichkeit in der Kunst haben, viele gar nicht und viele ja.

Die Ausstellung im Hotel Margarethenhöhe ist noch bis zum 29. März zu sehen.
Phillip Boa & the Voodooclub sind mit dem neuem Album "Diamonds Fall" ab Ende Februar auf Tour und u.a. am 10. März in der Bochumer Matrix.

Werbung

Obamas Sparkasse muss nach Köln

Foto: Sparkasse

Kommt der Kommunismus jetzt aus Amerika? Präsident Obama will die Vorstandsgehälter für Banken, die unter den staatlichen „Schutzschirm“ wollen, auf 500.000 Dollar begrenzen. Das sind umgerechnet derzeit weniger als 400.000 Euro! Sind westdeutsche Jusos nicht in den 70er und 80er Jahren für solch radikale Forderungen aus der SPD ausgeschlossen und der moskaugesteuerten DKP quasi überwiesen worden?

Wie absurd Obamas Vorstellung ist, übertrüge man sie auf die blühende deutsche Finanzbranche, können wir am Beispiel der Stadtsparkasse KölnBonn, eine der größten bundesweit, verdeutlichen. Sie gab in diesen Tagen, zufällig 3 Wochen nach der Verjährung damit zusammenhängender möglicher Straftatbestände, die Existenz einiger Beraterverträge zu. Der begnadete Netzwerker Rolf Bietmann, ehemals Verwaltungsratsvorsitzender dieser Stadtsparkasse, ehemals CDU-MdB und bis zu seinem Rücktritt vor wenigen Tagen auch erneuter CDU-Bundestagskandidat, erhielt z.B. von dieser wichtigen öffentlichen Bank ein Honorar von 900.000 Euro für seine Beratungsleistungen. Zwar fehlen dafür Belege, aber die Leistungen sollen doch sehr erheblich gewesen sein, denn Bietmann war und ist in Köln ein wichtiger Mann. Nach Obamas Maßstäben wäre eine solche wichtige Geschäftsverbindung gar nicht mehr möglich gewesen. In weiser Voraussicht wurde ein ähnlicher Beratungsvertrag mit dem ehemaligen Briefträger, ehemaligen CDU-Fraktionsgeschäftsführer und – seit Sonntag auch ehemaligen – Bürgermeister Jupp Müller zur Stadtsparkasse Düsseldorf ausgelagert (aber von Köln bezahlt), und ja, der wurde auch nur in D-Mark abgeschlossen. Müller soll, so wurde böswillig kolportiert, ein Problem mit einer „Rentenlücke“ gehabt haben – wer von uns kennt das nicht? Da wurde ihm geholfen. Sein bester Freund, Kölns Oberbürgermeister Schramma (auch CDU, auch langjähriges Sparkassenverwaltungsratsmitglied), versichert, dass Jupp mit ihm da nie drüber gesprochen habe.

Die CDU ist zur Recht empört darüber, dass alles nun so aussehe, als sei es eine CDU-Affäre. Denn angebahnt, so meint es nicht nur die CDU, hatte diese Beraterverträge der ehemalige Sparkassenvorstandsvorsitzende Gustav-Adolf Schröder (SPD), bis vor kurzem Vorstandsmitglied der RAG-Stiftung (das ist die, die die „Ewigkeitskosten“ des deutschen Steinkohlebergbaus absichert). Herr Schröder ließ durch seinen Anwalt mitteilen, von Untreue könne keine Rede sein, weil alle Verträge mit dem Sparkassenvorstand abgestimmt gewesen seien. Viele Verwaltungsratsmitglieder können sich dagegen nicht daran erinnern, jemals etwas davon erfahren zu haben. Es soll außerdem noch viel mehr solcher Beratungsverträge geben. Schröder selbst wiederum liess sich im Jahre 2000 vom Verwaltungsrat genehmigen, einer „Nebentätigkeit“ nachzugehen. Dem Verwaltungsrat reichte es damals aus, dass er diese Nebentätigkeit nur gegenüber dem Vorsitzenden näher beschrieb. Der Vorsitzende damals: Bietmann. Die Tätigkeit sollte im „Anlageausschuss“ des OppenheimEschFond stattfinden, also dem privaten Immobilienfond, den die Stadtsparkasse bei mehreren Großprojekten von unternehmerischen Risiken freigehalten hat – Risiken die sich mittlerweile auf einen dreistelligen Millionenbetrag summiert haben. Schröder lässt beteuern, dass er diese Nebentätigkeit allerdings gar nicht ausgeübt habe. Entscheidungen für die Beraterverträge habe er mit allen zuständigen Gremien abgestimmt, überhaupt habe er immer nur den Interessen der Stadt Köln gedient, was so viel bedeuten kann, wie: liebe MitwisserInnen, ich kann auch viel über Euch erzählen! Immerhin: sein Vorstandsmandat bei der RAG-Stiftung lässt Schröder jetzt seit kurzem ruhen; ob er es jemals wieder ausüben wird, wird bezweifelt. Fortsetzung folgt sicherlich.

Gut, dass die Stadtsparkasse KölnBonn unter keinen Rettungsschirm muss, weder bei Obama noch bei Merkel. Sonst würde sie all diese intelligenten und effizienten Köpfe verlieren, und wäre dem harten globalen Wettbewerb in der Finanzwirtschaft geradezu hilf- und kompetenzlos ausgeliefert. Die bekannt vermögenden und in Steuereinnahmen förmlich schwimmenden Kommunen Köln und Bonn haben selbst gerade 350 Mio. (Mio., nicht Mrd.!) € nachgeschossen, und zwar ausdrücklich nicht, weil es ihrer Stadtsparkasse schlecht ginge – das zu behaupten, wäre geschäftsschädigend – sondern, um das Kreditgeschäft auszuweiten. Bedrohte Unternehmer, klamme Häuslebauer, und politisch verfolgte Berater in Deutschland, Europa und Amerika, kommt ins Rheinland! Hier ist die Welt noch in Ordnung!

Was meinen Sie? Ist der Filz im Ruhrgebiet weniger schlimm als in Köln? Genauso schlimm? Oder schlimmer? Woran sieht man das?

Chef der Monopolkommission will Ebay beobachten

Foto: Monopolkommission

Justus Haucap, 39, ist Professor für Wirtschaftswissenchaften an der Uni Erlangen. Aber wichtiger noch, er ist Vorsitzender der deutschen Monopolkommission. Er wacht unabhängig von der Regierung darüber, ob sich in Deutschland Kartelle bilden, die den Wettbewerb gefährden, oder ob einzelne Firmen Monopolartige Strukturen ausbilden und ausnutzen. Im Gespräch mit den Ruhrbaronen glaubt Haucap nicht an eine Gefahr für das Internet durch Google. Überraschend stellt er aber fest, dass der Online-Marktplatz Ebay "beobachtet werden sollte". Es stehe zu befürchten, dass der Dienst seine einzigartige Stellung im Privathandel zu Lasten der Bürger missbrauche. Harte Worte eines Wissenschaftlers, der sich der Verteidigung des freien Marktes verschrieben hat. Justus Haucap wohnt mit seiner Frau und zwei Kindern in Berlin, er hat in Bochum gelehrt und unterhält enge Beziehungen zur Uni in Düsseldorf.

Ruhrbarone ?: Sie sind Blogger auf Carta.

Justus Haucap !: Ja, ab und zu, wenn es die Zeit erlaubt.

?: Wie kam es, dass Sie als Wissenschaftler in einem Blog schreiben.

!: Mir kam das Angebot dort mitzumachen, seriös vor. Es geht um hohe Qualität. Zudem ist es schön, mal etwas lockerer zu schreiben, als man es in der Wissenschaft gewohnt ist.

?: Glauben Sie, das Internet hat bereits Bedeutung für die Meinungsbildung in Deutschland?

!: Ich denke, bei den Menschen unter 40 ist das Internet sehr wichtig. Portale wie Spiegel Online haben eine große Meinungsmacht. Immer mehr Leute informieren sich über economist.com oder tagesschau.de. Immer weniger greifen allein auf traditionelle Medien zurück, um sich eine Meinung zu bilden. Ich finde das sehr spannend. Natürlich hat das Vor- und Nachteile. Die Qualität muss ja irgendwie sichergestellt werden. Oft genug gelingt das nicht. Es gibt ziemlich viel Schrott da draußen im Internet – wenn auch manchmal ziemlich unterhaltsamen. Wobei, es gibt ja auch in Printmedien ziemlich viel Schrott. Ich weiß nicht, ob es tatsächlich durch das Internet schlimmer wird.

?: Was gefällt ihnen?

!: Ich kann mich über alles informieren. Ohne Probleme. Wenn eine Kuh in Quakenbrück entlaufen ist, kann ich das lesen. Das ist gut. Ich stamme aus Quakenbrück. Außerdem ist das Internet schneller und vielfältiger als andere Medien, und jeder kann im Prinzip mitmachen.

?: Wie sind die Resonanzen auf ihre Blogbeiträge.

!: Ich bekomme Kommentare und Emails auf meine Beiträge. Das passiert auch, wenn ich in Printmedien schreibe. Allerdings habe ich den Eindruck, dass es im Internet manchmal direkter zugeht – aber auch unhöflicher und teilweise weniger durchdacht.

?: Wie schätzen Sie die Vormachtstellung von Google unter den Suchmaschinen ein? Droht ein gefährliches Monopol?

!: Natürlich suchen sehr viele Leute über Google im Internet nach Inhalten. Und Google nimmt eine Gatekeeper-Funktion war, die auch wirtschaftlich ausgenutzt wird. Etwa indem Google Suchergebnisse nach kommerziellen Gesichtpunkten listet. Wer bezahlt, bekommt einen besseren Platz. Aber wie lange kann diese Macht existieren? Wenn die Leute mit Google unzufrieden werden, kann sich die Position der Suchmaschine schnell ändern. Das Schöne ist doch, dass sich im Internet sehr viele Menschen einbringen, die zunächst keine finanziellen Interessen haben und kostenlos Programme bereitstellen. So entsteht ein großer Konkurrenzdruck auf die etablierten Marken. Ich bin gespannt, wer in 20 Jahren die dominierende Suchmaschine anbietet.

?: Google?

!: Ich glaube nicht. Yahoo ist doch noch gar nicht so lange her. Benutzen Sie Yahoo? Denken wir nur an Altavista oder AOL. Bislang wurden Suchmaschinen oder auch Portale als Gatekeeper immer schnell voneinander abgelöst. Jetzt im Augenblick ist Google sehr stark. Ob das so bleibt, ist offen.

?: Glauben Sie an politischen Einfluss der Suchmaschine?

!: Ich kann nicht erkennen, dass Google aus politischen Gründen Suchergebnisse manipuliert. Da ist ein Fernsehsender wie der Fox-News Channel in den USA doch sehr viel politischer. Entscheidender sind generell im Internet hierzulande die wirtschaftlichen Fragen.

?: Haben Sie etwas Spezielles im Sinn?

!: Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit dem Erfolg von Ebay. In wieweit hat die Online-Börse einen Monopolcharakter und nutzt ihre Stellung in Deutschland und anderen Ländern aus? Ich glaube im professionellen Bereich ist der Konkurrenzdruck stark genug. Da muss Ebay immer neue Anbieter fürchten. Dann gibt es auch noch Wettbewerber aus dem klassischen Einzelhandel. Die Leute können sich schließlich bei Saturn mit Elektrogeräten eindecken. Schwieriger wird es aber mit dem privaten peer-to-peer Handel. Hier ist die Position von Ebay sehr stark. Wenn ich privat einen Kindersitz fürs Auto verkaufen will, kann ich auf den nächsten Flohmarkt warten, oder aber den Sitz bei Ebay einstellen. Viele andere vernünftige Alternativen habe ich nicht. Zudem könnte man vermuten, dass Ebay seine starke Marktstellung ausnutzt. Erst vor Kurzem hat die Online-Börse ihre Preise für den Privathandel erhöht. Das sollte man beobachten.

?: Sehen Sie andere Gefahren für das Internet? Etwa wenn wenige Anbieter den Zugang kontrollieren?

!: Das Thema Net-Neutrality ist in den USA sehr stark. Dort wird über Gesetze diskutiert, wie man den neutralen, gleichberechtigten Zugang zum Internet garantieren kann. Alle Inhalte sollen diskriminierungsfrei nebeneinander stehen. Hier in Europa oder Deutschland gibt es die Diskussion eher nicht, oder sie wird nur in sehr kleinen Zirkeln geführt. Ich denke, das ist auf der einen Seite darin begründet, dass wir in Europa eine andere Struktur haben. Unsere entscheidenden Knotenpunkte im Netz werden nicht von großen Einzelfirmen kontrolliert, wie in den USA. Bei uns besitzen diese Knoten Firmen, die Anbieter gleichberechtigt ins Netz lassen. Zudem gibt es im Markt sehr viele Provider, die einen großen Wettbewerb garantieren. Ich kann als Kunde entscheiden, welche Geschwindigkeit ich haben will. DSL oder einen analogen Anschluss. Auf der anderen Seite ist auch inhaltlich fraglich, ob eine Email mit der gleichen Geschwindigkeit verschickt werden muss, die ein Telefonat über das Netz benötigt. Eine Email kann doch auch ruhig drei Sekunden später ankommen oder über eine schlechtere Verbindung verschickt werden, oder? Es gibt schon gute Gründe, warum manche Dienste priorisiert werden. Eine vollkommene Gleichbehandlung aller Dienste ist daher auch gar nicht sinnvoll.

?: Sie glauben also, die Debatte über Netz-Neutralität muss hier nicht geführt werden?

!: Ich sehe da keinen großen Bedarf. Wie sehen Sie das denn?

?: Irgendwie ist die Debatte spannend. Aber die Marktstruktur über AT & T und die Baby-Bells ist in den USA auch sehr viel stärker konzentriert als hier bei uns.

!: Zudem spielt auch das kommerzielle Peering in den USA eine große Rolle. Bei uns gibt es dagegen an manchen Orten fast genossenschaftliche Strukturen, die einen freien Zugang garantieren. Wir haben einfach eine andere Netz-Geschichte und eine andere Entwicklung hinter uns.