Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 3: Druckluft in Oberhausen (1)

Was bedeutet Soziokultur? Wie funktioniert in diesem Rahmen aktuelle Jugendarbeit? Wie sind die Städte des Ruhrgebiets diesbezüglich aufgestellt? Fragen im Rahmen dieser Reihe, die bereits das FZW in Dortmund und das KKC in Essen vorstellte. Nun: Oberhausen und das Drucklufthaus. Ein Gespräch mit Christoph Kaiser.

Druckluft: Hervorgegangen aus einer Jugendinitiative schon im Jahre 1979. Seitdem mit dem Segen der Stadt weitgehend autonom geblieben. Als Verein Druckluft e.V. Im Selbstporträt heißt es: „Damals war es ein mutiges Experiment. Heute darf das Drucklufthaus sich guten Gewissens professionell nennen. Professionell, wenn es darum geht, die ursprüngliche Idee am Leben zu halten.“ Für 2009 war und ist eine Renovierung und in Teilen auch Neukonzeptionierung geplant – leider bei mittlerweile völlig maroden Stadtkassen.

Ruhrbarone ?: Eine kurze Vorstellung deinerseits bitte, und der Strukturen in denen du arbeitest.

Christoph Kaiser !: Ich bin als langjähriger Festangestellter des Druckluft e.V. Mitglied der Hausleitung und war in der Vergangenheit für den Kultur- und Veranstaltungsbereich tätig. Das haben wir nun etwas neu aufgegliedert, so dass ich in Zukunft mehr für Verwaltungsaufgaben und die Repräsentation nach außen zuständig bin. Daniel Sprycha ist mein Nachfolger beim Kulturprogramm.

?: Was befand sich eigentlich einmal früher an dieser Stelle? Und was kam dann?

!: Das Haupthaus ist tatsächlich das letzte Überbleibsel der Zeche Concordia, Schachtanlage II, von Ende des 19. Jahrhunderts (Foto). Die meisten Industrieanlagen wurden dann demontiert, dieses Gebäude steht wohl nur noch, weil es bis nach dem 2. Weltkrieg als Wohnhaus genutzt wurde. Und dann war hier erstmal Babcock. 1979 begann dann die Geschichte des Druckluft.
Es gab kaum Jugendarbeit oder kommerzielle Angebote, höchstens die einzige Diskothek „Stratosphäre“. Eine politisch unorganisierte Initiative, eher aus dem links-alternativen Umfeld und bestehend aus 30, 40 Jugendlichen, hat dann recht bald diesen Verein gegründet. Es gab eine breite Basis und einen Jugenddezernenten, der das auch unterstützt hat. Bald wurde Druckluft als Träger der Jugendhilfe anerkannt. Im Gespräch waren zuerst sogar die Umkleidekabinen des Niederrheinstadions, aber man hat dann diesen Ort hier an der Straße „Am Förderturm“ gewählt und aus ziemlich maroden Zuständen wieder hergerichtet.

?: Wie hat sich denn diese Autonomie solange gehalten ohne zu verfilzen?

!: Das ist natürlich schwierig genug. Zur Geschichte noch einmal: Es gab natürlich verschiedenste Interessensgruppen, die den Anspruch „selbst verwaltetes Jugendzentrum“ erstmal mit Inhalt füllen mussten. Es gab da Bedürfnisse von der Selbstverwirklichung, also eher „Jugendkultur für uns selbst“, bis hin zu Bedarf im Stadtteil, klassischer Jugendarbeit und auch verschiedene Gruppen und Initiativen mit Raumbedarf. Nicht gab es eine Regelförderung zum Beispiel. Und Anfang der Achtziger brannte dann nach einer Feier plötzlich der Dachstuhl. Daraufhin hat die Stadt interveniert und eine gewisse Professionalisierung verlangt, woraufhin es dann aber auch eine Mindestförderung gab, da Druckluft als „Offene Tür“ anerkannt wurde und auch professionelle Pädagogen hier arbeiten konnten. Damit war ein Anfang gesetzt.
Und es wurden dann sukzessive Strukturen geschaffen, die immer zum Ziel hatten und haben, betreute Freiräume für Jugendliche zu schaffen. Das bedeutet, dass Einzelpersonen oder Gruppen Räume nutzen können, ob für Workshops, politische Veranstaltungen, Konzerte, Treffen, Lesungen, Partys oder was auch immer. Formal gibt es einen Trägerverein und einen Vorstand mit dem Haus verbundenen oder früher einmal hier tätigen Menschen, die dann auch Personalentscheidungen treffen. Die inhaltliche Entscheidungsfindung passiert vor allem mit den Gruppen und Initiativen im Haus. Wobei auch die Kernzielgruppe fest definiert ist, mit einem Alter von 16 bis 27 also etwas älter als die von klassischen Jugendzentren, und auch für das gesamte Stadtgebiet, also nicht nur Stadtteil bezogen. Ähnliches gibt es in Oberhausen auch sonst nicht, deshalb ist die Arbeit hier im Grunde unumstritten.

Teil 2 des Interviews hier.

 

Pro Gelsenkirchen: Anzeige gegen Hometown Glory

Die rechtsdrehende Liste "Pro Gelsenkirchen" hat Malte vom Blog Hometown Glory angezeigt.

Kevin Gareth Hauer Ausriss: Pro Gelsenkirchen

Pro Gelsenkirchen ist der lokale Ableger der rechtsdrehenden Partei Pro NRW und wie der Chef von Pro NRW, Markus Beisicht, war Kevin Gareth Hauer, der Vorsitzender von Pro Gelsenkirchen, einmal Mitglied der Republikaner. Mit Gelsenkirchen hat Hauer nicht viel zu tun: Die meisten aktuellen Meldungen auf der Homepage von Pro Gelsenkirchen berichten von Pro Köln. Aber da Hauer ja wieder in den Rat will wird wie beim Original gegen den Bau einer Moschee in Horst gehetzt. Ansonsten gibt man sich gut bürgerlich und rechtstaatlich.
Ich mag so Läden wie Pro Gelsenkirchen und Pro NRW aus zwei Gründen nicht: Zum einen sind sie rechts und ausländerfeindlich, zum anderen habe ich immer das Gefühl, dass da ein paar Versager versuchen, über Politik ihre Existenz zu sichern, weil es im wirklichen Leben damit nicht so richtig klappen will. Beides ist zum kotzen und erbärmlich.

Und zu dieser Erbärmlichkeit gehört, dass Parteien wie Pro NRW zwar gut im Austeilen sind, aber wenn es ums Einstecken geht, ziemliche Weicheier: So auch Pro Gelsenkirchen. Die haben nun Malte von Hometown Glory angezeigt. Hometown Glory gehört zu den Blogs, mit denen wir befreundet sind: Es hat nicht nur ein ganz hervorragendes und ausgefallenes Design und berichtet ausführlich über Kultur, sondern widmet sich auch immer wieder der Partei Pro Gelsenkirchen und ihrem charismatischen Vorsitzenden Kevin Gareth Hauer.
Das stört Pro Gelsenkirchen natürlich und nachdem die Partei immer wieder mit rechtlichen Schritten gedroht hat, haben sie nun ernst gemacht: Malte bekam Besuch vom Staatsschutz. Der Vorwurf: Er soll behauptet haben, dass Pro Gelsenkirchen ihn bedroht hat. Malte kann das durch Mails nachweisen, so dass die Anzeige hoffentlich im Sand verlaufen wird. Auf jeden Fall ist sie ein ziemlich mieser Versuch Malte einzuschüchtern. Aber die Anzeige ist ein guter Anlass sich näher mit Kevin Gareth Hauer und Pro Gelsenkirchen zu beschäftigen. Wie verhält sich Hauer eigentlich  wenn er angezeigt wird? Auf welchen Rechtsbeistand greift er zurück und über welche Kontakte verfügt sein Anwalt? Von was lebt der Mann eigentlich? Oder studiert der Ex-Leutnant noch immer Pädagogik an der Ruhr Uni?  Was macht er so im Rat und wie geht Pro Gelsenkirchen mit ihren ehemaligen Mitgliedern um? Warum spalten sich die diversen rechten Parteien im Gelsenkirchener Rat seit über zehn Jahren in nahezu atomarer Geschwindigkeit? Mal schauen, was man so rausbekommt.

Ruhrgebiet Aktuell am Donnerstag

Nachrichten aus dem Ruhrgebiet und mehr

VRR: Minderleister mit Rekordeinnahmen…Der Westen

Unicum: Baldschus allein im Haus…Meedia

Kommunalwahl: Termin auf der Kippe…Ruhr Nachrichten

Peinlich: OB Sauerlands neue Site…Prospero

Nachtleben: Grabungen auf dem Thier-Gelände…Ruhr Nachrichten

Medien: Lob über Zeitzeugen…Patje

Touren: Buer Buch…Buer en Blog

Live: Tom Liwa in Duisburg…Unruhr

Ruhr2010: Teures Versprechen…Der Westen

Ruhr2010: RVR will Popakademie…Ruhr Nachrichten

Ruhr2010: Essens Kulturhauptstadt Budget…Der Westen

Jetzt auch Thyssen

Die Krise hat den Industriekonzern ThyssenKrupp im Griff: In der Stahlsparte sollen Arbeitsplätze gestrichen werden. Betroffen sind nach einem Bericht des WDR 1500 Menschen in Duisburg.

Thyssen bestätigte nur, dass ein Stellenabbau geplant sei, bezeichnete die Zahl aber als "aus der Luft gegriffen". Es gebe keine Entscheidung, so das Unternehmen. Diese soll in einem paar Monaten  gefällt werden. Und dann kann es hart für die Beschäftigen werden, aber nicht so hart, wie vom WDR dargestellt. Denn laut Konzernkreisen sollen rund 70 Millionen Euro beim Personal gespart werden, diese Zahl könnte mit einem Abbau von unter 1000 Arbeitsplätzen erreicht werden.

Hinzu kommt, dass betriebsbedingte Kündigung bis zum Jahr 2013 ausgeschlossen sind. Ein Stellenabbau müsste also über Abfindungsangebote oder eine Nicht-Besetzung von frei werdenden Arbeitsplätzen gestemmt werden. Hart sind die anstehenden Einschnitte allemal, trifft es mit Duisburg doch eine Stadt, die schon hart genug vom Strukturwandel gebeutelt wird.

ThyssenKrupp Steel ringt mit einem kräftigen Auftragseinbruch, der bei rund 50 Prozent liegt. Konzernweit sollen daher über eine Milliarden Euro gespart werden – ein Drittel davon entfällt auf die Stahlsparte mit ihren 20.000 Beschäftigten.

Wir hatten schon vor ein paar Tagen über die Stimmung in Duisburg berichtet. Nämlich hier: klack

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Update #3: Chemieunfall an der A2. Giftlaster aus Holland gestoppt. Lieferung war offenbar für AGR bestimmt

Wie wir soeben erfahren haben, ist ein Giftmüll-Laster der holländischen Firma van Gansewinkel in Herten an der Abfahrt von der A2 auf der Gelsenkirchener Straße mit auslaufenden Flüssigkeiten gestoppt worden. Nach unseren Informationen hatte der LKW-Fahrer des Gefahrengutes keine ausreichenden Begleitpapiere dabei. Die Lieferung soll für die Giftmüllverbrennungsanlage RZR I bestimmt gewesen sein, die zur Tochterfirma des Regionalverbandes Ruhr, der Abfallentsorgungsgesellschaft Ruhr (AGR), gehört.

Nach unseren Informationen forderte die Polizei Experten zur Gefahrenanalyse aus der AGR-Anlage an. Doch dort habe es zunächst geheißen, im RZR I seien keine Kapazitäten frei, um am Ort des Unfalls Proben zu nehmen. Die Polizei versucht den Informationen zufolge nun, Experten aus Holland heranzuholen. Welchen Stoff der Sattelschlepper geladen hat, ist noch unklar. Die Firma Van Gansewinkel ist eine wichtiger Zulieferer des RZR I.

Der genaue Hergang des Unglücks ist noch nicht geklärt. Genauswenig ist klar, ob die Bevölkerung bedroht ist. Die Umgebung wurde großräumig abgesperrt. Die Hertener Feuerwehr ist nach offiziellen Angaben mit mehreren Löschzüge vor Ort.

Update #1: Es heißt nun, der Lkw sei mit Sammelabfällen beladen gewesen.  Aus dem Tankbehälter des LKW sei eine Flüssigkeit ausgetreten. Der behälter habe nun abgedichtet werden können und seine Fahrt fortgesetzt. Allerdings wurde nach unseren Infos kurze Zeit später eine neue Leckage gefunden. Der Laster soll weiter auf seinem Weg in das RZR I sein. Es seien Strafanzeigen gegen Verantwortliche gestellt worden, berichtet die Polizei.

Update #2: Mittlerweile ist der LKW aus dem Verkehr gezogen. Bleibt eine Frage: wäre der Unfall nicht passiert, hätte die AGR nicht gewusst, was da angeliefert worden ist. Denn offenbar stimmten ja die Lieferpapiere nicht. Ist das OK?

Update #3: In der Marler Zeitung versicherte AGR-Pressesprecher Heinz Struszczynski. „Die Mischung des Containers enthielt auch zu 25 Prozent Wasser, welches bei der Anlieferung unzulässig ausgetreten ist. Insgesamt gilt die Abfallzusamensetzung als wenig gefährlich, ist aber aus Sicherheitsgründen als Gefahrgut gekennzeichnet.“ Nicht richtig seien die Berichte einiger Medien, dass RZR habe keine Experten zur Unterstützung der Feuerwehr parat gehabt.

Nun – dazu können wir hier sagen, die Ruhrbarone haben die Informationen aus dem Polizeifunk. Das haben die Beamten dort gesagt, als sie versucht haben, die Experten aus dem RZR heranzuholen. 🙂

Davon unbeeindruckt berichtet Struszczynski weiter, die AGR-Mitarbeiter hätten „alles getan“, um schnellstmöglich für Aufklärung über die Art des Abfalls zu leisten, was dazu geführt habe, dass der Lkw seine Ladung zur Verbrennung in Herten abliefern konnte.

Dann sagte der AGR-Sprecher noch, Polizei und Feuerwehr hätten die Unwahrheit gesagt, als sie berichteten, die Frachtpapiere seien nicht in Ordnung gewesen. Gegnüber Marl Aktuell sagte Struszczynski: „Die abfallrechtlichen Begleitpapiere waren vollständig und der Abfall ordnungsgemäß deklariert.“

Wer sagt die Wahrheit? Raten Sie selbst.

Buzzcocks live im Webstream

Am 11. Februar spielt die meines Wissens älteste Punkband der Welt live und in Farbe im Internet.

Buzzcocks Website Foto: Screenshot

Gegründet wurden die Buzzcocks immerhin 1975.1978 waren sie mit "What do I get?" erstmals in den britschen Charts vertreten. 

Ihr Konzert am Mittwoch 11. Februar im Amsterdamer Paradiso wird leicht zeitversetzt ab ca. 19.30 im Internet beim Fabchannel gestreamt. 

Fabchannel.com ist ein holländisches Portal das bereits vor dem großen Hype um Youtube.com und allen "MeToos" aus dem Webvideobereich Konzerte live streamed. Ein Großteil der Gigs ist als Konserve auch nach dem Konzert abrufbar. Rechtemäßig scheinen die Holländer uns da ein paar Schritte voraus zu sein. 

Hierzulande gibt es zwar mit Concertonline auch Ansätze, Konzerte online verfügbar zu machen. Das Ganze ist aus meiner Warte wenig userfreundlich und ich habe es daher auch noch nicht ausprobiert. Hupsa, sehe gerade, dass die schon wieder weg vom Fenster sind. NACHTRAG: Concert-Online.de hat  scheinbar nur die Url verändert und ist jetzt hier zu erreichen. Zudem haben sie just im Januar eine weitere Finanzierung von der Venture Abteilung des Verlags DuMont aus Köln erhalten.

Zu Fabchannel muß man sagen, das die Tonqualität vorzüglich ist und mit den Jahren auch die Bildqualität extrem zugenommen hat. Kein Vergleich mit dem Daumenkino bei Youtube. 

Beim Stream kommt es Anfangs zu Verzögerungen. Daher mein Tipp etwas später einsteigen.

Grüne greifen Regionalverband Ruhr an

Grünen-Fraktionsvorsitzender Martin Tönnes Foto: RVR

In der Diskussion um die Verteilung der Gelder aus dem Konjunkturpaket II greifen die Grünen im Regionalverband Ruhr (RVR) die Spitze des Verbandes an. Dieser habe sich "vollständig ins Abseits" stellen lassen. Das pikante dabei: die Grünen bilden mit der SPD eine Koalition im RVR.

Der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im RVR, Martin Tönnes, sagt im Wortlaut:

Sowohl in den Freizeitgesellschaften des Regionalverbandes Ruhr (RVR) wie auch bei den regionalen Radwegen gibt es einen erheblichen Investitionsbedarf. Die Revierparks haben in den jeweiligen Standortkommunen eine hohe städtebauliche Bedeutung. Die explodierenden Energiekosten für den Betrieb der Schwimmbäder und Freizeitangebote sind eine Hauptursache für den wachsenden Zuschussbedarf. Die maroden Anlagen sind weitgehend Energieverschwender. Die Umwelt und die kommunalen Haushalte können durch eine Sanierung nachhaltig entlastet werden. Zusätzlich müssen die regional bedeutsamen Freizeitangebote im Hinblick auf den demografischen Wandel entsprechend angepasst und zukunftssicher gemacht werden.

Im Unterschied zu den beiden Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen, die 36,7 bzw. 41,3 Millionen Euro für Bildungs- und Infrastrukturinvestitionen erhalten, steht der Regionalverband Ruhr bei der Verteilung der Mittel vollständig im Abseits. Der Regionaldirektor ist jetzt dringend aufgefordert entweder beim Land auf eine Gleichbehandlung mit den Landschaftsverbänden zu pochen oder mit den Städten als Miteigentümer der Revierparks entsprechende Vereinbarungen über die dringend notwendigen Investitionen zur Energieeinsparung zu treffen.

Ich persönlich habe wenig Hoffnung, dass RVR-Regionaldirektor Heinz-Dieter Klink irgendwo wirkunsvoll drauf pochen kann.

Oje – NRW.SPD unter Kraft im Sturzflug – auch im Revier

Foto: SPD

Nach der aktuellen Stern-Umfrage kann die SPD in NRW nur noch auf 26 Prozent Zustimmung unter den Wählern hoffen. Und das in einem Jahr, in dem wichtige Wahlen in den Kommunen anstehen. Fatale Aussichten. Vor allem die niedrige Zustimmung für SPD-Frontfrau Hannelore Kraft von nur 17 Prozent stimmt spektisch. Rüttgers kann dagegen auf 56 Prozent aller NRW-Bürger setzen.

Besonders hart ist folgendes Ergebnis der Stern-Untersuchung: Demnach würden nur 34-Prozent der SPD-Anhänger für Kraft stimmen – 43 Prozent für Rüttgers. Zitat Stern: " Die SPD-Spitzenfrau kann nicht einmal in ihrer Heimatregion, dem Ruhrgebiet, die Mehrheit der Wähler hinter sich versammeln."

Mir stellen sich nun zwei Fragen:

Muss die SPD die Debatte um die Linkspartei öffnen? Wenn sie sich weiter abgrenzt, verliert sie in meinen Augen ihre Daseinsberechtigung. Was will man mit einer Partei in der Sandwichposition zwischen Linken und CDU?

Muss die SPD ihre Kampagne pro Kohle aufgeben? Der Kampf um die Kohle ist doch eigentlich vorbei. Die Ausstiegsklausel aus dem Ausstieg in 2012 nur ein Feigenblatt. Nur mal so als taktische Überlegung. Würde Kraft die Kohle aufgeben, könnte die SPD schneller als nicht-mehr-nach-rückwärts-gewandte-Subventionspartei-für-abgeschriebene-Industrien gelten. Kraft könnte neue Wähler in der Mitte ansprechen, während die Linkspartei mit den klassischen Altthemen wie Kohlesubventionen den linken Rand abfischt. Um alles kann sich Kraft nicht kümmern, wie man an den Zahlen sieht. Und wenn beide gut sind, können sie nachher eine rot-rote Regierung in NRW bilden. Mit der Rüttgers-CDU klappt sowieso keine große Koalition in NRW.

Der Vollständigkeit halber hier die wenig überraschenden Werte der anderen Parteien. Wären jetzt Landtagswahlen, könnte die CDU laut Stern auf 42 Prozent kommen, die FDP würde den Rekordwert von 13 Prozent einfahren, für die Grünen blieben 9 Prozent übring und die Linkspartei käme mit 6 Prozent in den Landtag.

Die Datenbasis der Forsa-Umfrage ist repräsentativ. 10.031 Bundesbürger wurden im Januar 2009 interviewt. Die statistische Fehlertoleranz liegt laut Stern bei +/- 2,5 Prozentpunkte.

Bevor es losgeht mit Forsa. Der ehemalige SPD-Spezi und Instituts-Chef Manfred Güllner wird von den Genossen nicht mehr geliebt, seit er auch schlechte Zahlen für die SPD bekannt gibt.

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Eine spannende Geschichte aus dem Zeitungsmilieu

Nein, nicht in der Wirklichkeit, sondern in dem elektronischem Medium TV gibt es heute Abend auf 3Sat um viertel vor elf ein Wiedersehen mit "Major Kottan".

Im Dienstwagen zum EinsatzortDarsteller des Kottans ist Lukas Resetarits, der den Kottan mithin am längsten geben durfte. Der heutige Klassiker aus dem Jahre 1981 trägt den Titel "Die Einteilung" und spielt im Zeitungsmilieu: Von zwei bestechlichen "Einteilern" – dass sind die, die den Verkäufern abends die Verkaufsplätze zuweisen – wird einer ermordet und Kottan macht sich auf die Jagd.

Alles zur Serie auf kottan-ermittelt.at

Broder-Interview Teil 2: Über Ahmadinedschad und das schlechte Gewissen der Europäer

Henryk M. Broder Lizenz: GNU Free Documentation License, Version 1.2 Foto: Sven Teschke

Henryk M. Broder legt im zweiten Teil seines Interviews mit den Ruhrbaronen nach. Er spricht über den steigenden Judenhass in Europa, die Angst der Europäer vor Auseinandersetzungen und das schlechte Gewissen hierzulande. Vor allem der Papst kriegt sein Fett weg. "Ein absoluter Skandal" sei die Aufnahme bekennender Holocaust-Leugner in die Kirche. Den ersten Teil des Interviews gibt es hier zu lesen: klack

Ruhrbarone: Herr Broder, ich habe gelesen, Sie bekommen regelmäßig Hass-Briefe…

Gar nicht so viele. Extrem wenige. Deswegen stelle ich diese dann auch sofort online.

Dennoch polarisieren Sie mit Ihren Urteilen. Wie gehen Sie damit um, auf so viel Widerstand zu stoßen? Es gibt beispielsweise mehrere Internetseiten, die sich ausschließlich damit beschäftigen, Ihre Argumente zu widerlegen und Sie zu beschimpfen. Wie geht man damit um?

Ich weiß, es gibt mehrere solcher Seiten. Ich kann den Leuten nichts verbieten. Diese Leute haben wahrscheinlich nichts zu ficken. Sie haben keine Haustiere, haben keine Blumentöpfe, die sie gießen müssen, haben keine Angehörigen und auch keinen Dackel, den sie Gassi führen können. Die haben nicht einmal Brieftauben, aber sitzen da und beschäftigen sich den ganzen Tag mit mir. Klägliche Existenzen!

Die FAZ schrieb kürzlich über Sie, Broder habe nie Recht, aber auch nie ganz Unrecht…

Das kann schon sein. Ich finde, ich habe Recht.

Was sagen Sie zu Stefan Niggemeier (Niggemeier ist ein Kritiker Broders. Er schreibt regelmäßig für die Faz Fernsehkritiken).

Wenn wir zurzeit von Lassalle lebten, würde ich mich mit ihm duellieren. Sie haben nichts verpasst, wenn Sie ihn nicht kennen: Erbsenzähler und Sesselpupser. Niggemeier liebt die Bild-Zeitung und liest sie täglich und braucht dafür einen Vorwand, weshalb er einen kritischen Bild-Blog macht. Es gibt Leute, die lieben Pornographie und können sich ihrem Gegenstand der Begierde nur über den Mantel der Empörung nähern.

Bekommen sie auch Zustimmungsbriefe?

Ja, sehr viele. Von zehn Briefen, die ich bekomme, sind sieben zustimmend, einer ist gemein und zwei sind eher ausgewogen.

Als Ralph Giordano sich als Kölner Bürger gegen den Bau einer Moschee aussprach, erhielt er – ohne es zu wollen – auch von rechten Gruppen Unterstützung. Ist Ihnen das im Zusammenhang Ihrer Kritik am Islam auch schon einmal widerfahren?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe aber auch eine andere Position als Giordano. Ich sehe im Bau von Moscheen und Minaretten kein Problem. Diese Leute sind hier und haben dasselbe Recht wie jeder andere. Ich habe andere Fragen. Es wurde diese Woche eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass Türken die am schlechtesten integrierte Gruppe sind.

Warum schaffen es Iraner und polnische Juden sich hier zu integrieren und Türken nicht? Ich frage mich schon, warum sie permanent Moscheen bauen und nicht Nachhilfestunden für Jugendliche geben, die Probleme in der Schule haben und nicht klar kommen. Das ist mein Punkt der Kritik, nicht die Höhe der Minarette. Das Problem der Türken und der Moslems überhaupt ist meiner Ansicht nach, dass sie immer zwischen zwei Polen gelebt haben. Der eine Pol ist die Überzeugung von der eigenen Überlegenheit durch den Glauben, was natürlich völliger Unsinn ist, auch wenn fast jede Religion glaubt, dass sie besser ist als andere. Der zweite Pol ist die permanente Erfahrung der eigenen Unterlegenheit in der Gesellschaft. Aus diesem Konflikt kommen sie nicht heraus. Mein Freund Leon de Winter sagt auch: „Natürlich bin ich das auserwählte Volk. Ich bin was Besseres. Aber: Ich muss trotzdem arbeiten.“ Sie können also ruhig glauben, dass sie auserwählt sind. Allein auserwählt sein bringt noch nichts auf den Teller. Und noch was: Der Unterscheid zwischen muslimischen Männern und Frauen ist unglaublich. Eine Gesellschaft, die damit beschäftigt ist, die andere Hälfte zu unterdrücken, kann nichts werden.

Haben Sie Angst, wenn Sie an Theo van Gogh und die Entschlossenheit einiger Moslems denken?

Nein, ich habe keine Angst. Ich bin Fatalist. Meine Mutter hat Ausschwitz überlebt, mir kann nichts mehr passieren.

Was war damals für Sie der Grund nach Israel zu ziehen, hatten Sie Deutschland und alles was damit zusammenhängt über?

Offiziell, dass ich von den deutschen Linken die Schnauze voll hatte, die damals genau damit anfingen, womit wir es heute zu tun haben. Mit einem modernen, aufgeklärten antizionistischen Antisemitismus. Aber wenn ich mir das tatsächlich überlege, war das deshalb, weil ich weit weg von meiner Mutter wollte. Das ist mir aber erst später klar geworden. Wie bei so vielen meiner Generation konnten wir die Familienmotive nicht in den Vordergrund stellen, also mussten wir politische Motive vorschieben.

Mit welchem Gefühl reisen Sie heute nach Israel?

Ich fahre sehr gerne hin. Es ist ein tolles Land. Ich bin jetzt 62 Jahre alt und würde dort noch gerne Frieden erleben. Damit die Leiden der Palästinenser aufhören und damit sich in Israel die kreativen Ideen entfalten können, die jetzt schon aufblühen. Wenn Frieden erreicht werden sollte, würde das Land wahrscheinlich vor Kreativität und Einfallsreichtum platzen.

Wie erklären Sie sich den Prozess Ihrer Entfremdung von der deutschen Linken?

Außer bei Oscar Lafontaine ist das, glaube ich, ein völlig natürlicher Prozess, dass jemand der links ist, im Laufe des Reiferwerdens irgendwann nicht mehr links ist. Bei mir aber trifft das nicht zu. Ich bin noch immer links, nur die Linke hat sich katastrophal gewandelt. Sie ist chauvinistisch, nationalistisch, kleinlich geworden. Sie hat eigentlich alles verraten, wofür sie früher gestanden hat. Es ist eine Linke, die sich mit ihrer Geschichte genauso schwer tut wie die gesamte Gesellschaft und die dann irgendwann den Antisemitismus als kleinste gemeinsame verbindliche nationale Frage entdeckt hat. Schauen Sie sich nur an, was für Debatten es heute innerhalb der Linkspartei gibt. Man könnte meinen, Treitschke ist wieder auferstanden und erklärt die Judenfrage zur zentralen Frage des deutschen Bewusstseins. Aber der entscheidende Auslöser war die Entführung der Air France Maschine nach Entebbe, Uganda und die Selektion jüdischer Passagiere. Danach haben sämtliche linken Gruppen in der Bundesrepublik nicht die Entführung bedauert, sondern die israelische Befreiungsaktion. Da haben sich unsere Wege getrennt.

Wie hat man Sie damals in der Linken aufgenommen, war das ein Familienersatz für Sie?

Ja, eine erweiterte Familie. Außerdem war meine erste Freundin Trotzkistin. Aber es ist mir Schlimmeres erspart gewesen.

Wie waren die Reaktionen auf die Arte-Sendung „Durch die Nacht mit…“, in der Sie mit Bild-Chefredakteur Kai Diekmann einen Abend verbringen und sich erstaunlich gut verstehen?

Ich habe sehr nette Briefe bekommen, habe die Sendung aber selber nicht gesehen, da ich in Israel war. Erstaunlicherweise wirkte Herr Dieckmann auf mich nicht unsympathisch. Dieckmann ist auch sympathisch. Ich war selbst überrascht, er ist Etagen besser als sein Ruf. Er ist ein richtig netter Mann.

Macht es das nicht umso schlimmer, dass ein reflektierter und differenzierter Mann wie Dieckmann bewusst eine solch würdelose und teilweise menschenverachtende Form von Journalismus betreibt?

Dieckmann glaubt aber, er macht guten Journalismus. Ich finde, die Bild-Zeitung ist eine unheimlich schlechte Zeitung. Nicht weil es eine Boulevard-Zeitung ist, sondern weil sie so ist wie sie ist.

Das Judentum ist im Werk ihres Freundes Leon de Winter ein zentrales Thema. Die Protagonisten hadern mit ihrer jüdischen Identität. Sie stellen sich die Frage, ob die jüdische Religion und die damit verbundenen Regeln ein überkommenes Relikt jahrtausend alter Zeiten ist. Wie würden Sie ihr Verhältnis zum Judentum beschreiben?

Ich denke darüber gar nicht nach.

Kein Hadern?

Das normale Hadern, ja! Jeder vernünftige Jude rennt dem Judentum davon. Nur die Konvertiten laufen dem Judentum zu. Das ist vollkommen normal. Meine Frau ist katholisch und läuft dem Katholizismus davon. Wir wissen aber beide, dass wir nicht davonlaufen können. Aus dieser Küche kommen wir und das bleibt an uns kleben. Aber das ist kein Hadern. Wenn die mich in Ruhe lassen, lasse ich die in Ruhe. Alles andere ergibt sich. Wissen Sie, das Judentum ist eine Mischung aus gutem Essen und schlechten Manieren. Ich kann mich damit gut arrangieren.

Wenn Sie sich Ihre Religionszugehörigkeit im nächsten Leben aussuchen könnten, für welche würden Sie sich entscheiden?

Im nächsten Leben möchte ich gerne Frau sein, einfach um zu gucken, wie das ist, wenn man immer unten liegen muss. Ich glaube übrigens tatsächlich an Reinkarnation, auch wenn ich völlig ungläubig bin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in einem vorigen Leben auf der Mayflower nach Amerika gesegelt bin. Immer, wenn ich nach Neuengland fahre, nach Boston, bin ich dermaßen unruhig. Ich muss schon mal da gewesen sein.

Die platonische Anamnesislehre.

Genau: Wiedererinnerung.

In Ihren Büchern gehen Sie des Öfteren auch auf Ihre Kindheit ein. Sie sind Kind von Eltern, die den Holocaust überlebten. Für viele Kinder der zweiten Generation war das mit Schwierigkeiten verbunden. Wie war das bei Ihnen?

Ich habe völlig meschuggene Eltern gehabt, die es mir sehr schwer gemacht haben. Aber ich kannte beispielsweise Kinder von Nazi-Eltern, die haben es noch schwerer gehabt, die habe ich noch getröstet. Dennoch habe ich schwere Macken davongetragen, wie jeder, der aus diesem Milieu kommt. Die schwerste Macke ist die, wenn zum Beispiel Mischu Friedman hingeht und sagt, er habe eine glückliche Kindheit gehabt. Das Kind von Holocaust-Überlebenden, das eine glückliche Kindheit gehabt hätte, muss noch geboren werden. Mir war immer klar, dass ich eine beschissene Kindheit gehabt habe und deshalb kann ich diesen Umstand heute gelassen hinnehmen. Ich muss meine Eltern nicht idealisieren. Sie waren schon ziemlich schrecklich.

Warum haben sie sich zur Bahai-Religion bekannt, laut Sandra Maischberger sind Sie konvertiert. Entspricht das der Wahrheit?

Nein! Es ist aber so, dass ich mich seit langem für die Bahai interessiere und auch gute Freunde unter den Bahai habe. Die Väter von zwei befreundeten Bahais wurden von den Mullahs totgeschlagen. Ich finde, die Art wie die Welt sich mit diesem Problem nicht beschäftigt ungeheuerlich. Wenn Sie Iraner kennen, werden Sie wissen, dass es feine, gebildete, kluge und weit von Gewalt entfernte Leute sind. Weder sprengen sie sich in die Luft noch sprengen sie andere in die Luft, weshalb es der Welt scheißegal ist, was mit den Bahais passiert. Ich bin es leid: Meine Mutter muss nicht mehr aus Ausschwitz befreit werden, aber vielleicht müsste man sich heute um die Bahais kümmern, die heute in der Tat so verfolgt werden wie die Juden in Deutschland bis 1939. Dass es keine systematische Massenermordung gibt, ist mir egal. Es reicht schon, wenn dutzende von Leuten verhaftet, gefoltert und getötet werden. Aus diesem Grund habe ich mich mit den Bahai solidarisiert, übergetreten bin ich aber nicht.

Von Maischberger wurden Sie aber als Bahai vorgestellt.

Das fand ich auch in Ordnung. Es hat immerhin ein paar Leute auf das Schicksal der Bahai aufmerksam gemacht. Ich sympathisiere auch wirklich mit den Bahais, das ist nicht nur Mimikry. Wenn es irgendwo eine humane, anständige, liberale und progressive Religion der Intelligenz gibt, dann sind es die Bahai. Mir geht es darum, dass sich die Leute bewusst werden, was heute im Iran mit den Bahai passiert. Wenn die Bahai ein Promille der Aufmerksamkeit bekämen, die die Palästinenser bekommen, dann wäre den Bahai schon viel geholfen.

Der neue Präsident der Vereinigten Staaten Obama versicherte der muslimischen Welt, die USA werde dieser Respekt entgegenbringen und die Hand ausstrecken, sofern diese ihre Faust löst. Halten Sie Obamas Schritt, mit dem Iran Gespräche aufzunehmen für richtig?

Ja. Wenn es gut geht, geht’s gut. Wenn es schlecht geht, dann hat er freie Hände, was zu unternehmen.

Man läuft manchmal Gefahr, Sie auf Ihre humoristische Seite zu reduzieren. Bereuen Sie es manchmal, dass Sie Journalist geworden sind und nicht den akademischen Weg mit Promotion und Habilitation wie Prof. Micha Brumlik eingeschlagen haben. Glauben Sie, auf diesem Wege würde man Ihnen mehr Gehör schenken und Sie ernster nehmen?

Wenn ich den Weg von Brumlik eingeschlagen hätte, wäre ich genauso ein langweiliger Akademiker geworden wie er einer ist. Dessen Sätze man viermal lesen muss, um sich hinterher zu fragen: „Wie hat er es nicht gemeint?“ Nein, das war für mich nie die Alternative und über einen Mangel an Aufmerksamkeit kann ich mich nicht beklagen. Jeder an seinem Platz.

Ein zentrales Merkmal des jüdischen Witzes ist, das erfahrene Leid humoristisch zu verarbeiten. Unter Juden beispielsweise heißt es, dass ein Antisemit sei, wer Juden noch mehr hasst als es normal ist. Aber im Ernst: Wo beginnt für Sie Antisemitismus?

Der Antisemitismus beginnt für mich dort, wo Leute Juden Sachen übel nehmen, die sie anderen nicht übel nehmen. Wenn ich beispielsweise höre: „Jüdischer Spekulant“, dann ist das Antisemitismus. Es spricht nichts dagegen, über den Spekulanten herzufallen, aber ich habe noch nie „katholischer Spekulant“ gelesen. Wenn Sie sich darüber aufregen, was die Juden in Gaza veranstalten, und darüber kann man sich aufregen, aber nicht mal wissen, was in Darfur oder Kongo passiert – das ist Antisemitismus.

Woher kommt diese Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung. Warum werden die Morde im Iran, Kongo und Darfur weitestgehend ignoriert?

Ich glaube, dass ganz Europa, nicht nur Deutschland, eine Rechnung mit den Juden offen hat. Der Holocaust war ein deutsches Projekt, das aber europäisiert wurde. Es gab von Estland, Lettland, Litauen bis Italien und Frankreich Kollaborationen. Es gab wenige Ausnahmen: Die Bulgaren haben ihre Juden gerettet, die Dänen haben ihre Juden gerettet. Ansonsten haben die Europäer kräftig mitgemacht. Ich glaube, dass es ein subtiles, unterbewusstes Bedürfnis der Europäer gibt, diese Rechnung über den Umweg, beispielsweise über Ahmadinedschad, zu Ende zu bringen. Wenn es einen zweiten Holocaust in Palästina geben würde, würde der vorausgegangene im Nebel der Geschichte verschwinden, sodass die Europäer von ihrem Schuldgefühl, das sie haben, entlastet werden. Die Europäer würden die Situation sogar nutzen, um Decken und Milchpulver an die Überlebenden zu schicken. Sie könnten sich also wieder mal als gute Menschen profilieren. Je mieser sich die Israelis, die Juden benehmen umso besser fühlen sich die Europäer, weil sie von ihrer Schuld entlastet werden. Das optimale Schuldentlastungsding wäre, das sage ich als Agnostiker, Gott behüte, das Ende Israels. Das würde die Europäer vollkommen von ihrem Holocaust-Komplex befreien. Das ist so, als würde jemand den man betrogen hat, sich selber als Betrüger herausstellen. Dann hat man kein schlechtes Gewissen mehr.

Kürzlich hat der Papst ein Dekret erlassen, in dem die Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen eingestellten Priesterbruderschaft Pius X. zurückgenommen wird. Einer der Bischöfe, Richard Williamson, leugnet notorisch die Existenz von Gaskammern. Er sprach von höchstens 30.000 Toten. Daraufhin brach das israelische Oberrabinat alle Kontakte mit dem heiligen Stuhl bis auf weiteres ab. Wie haben Sie diese Entscheidung aufgenommen?

Das ist unglaublich. Ein absoluter Skandal. Ich hoffe, es ist eine Panne.

Trotz Unfehlbarkeit?

Selbstverständlich fehlbar. Die jungfräuliche Empfängnis möchte ich erleben und den unfehlbaren Papst. Nein, das hätte nicht passieren dürfen. Die Kirche generell steht nämlich, so denke ich, schon woanders. Es ist unsäglich und unmöglich. Dafür gibt es keine Erklärung. Er muss wissen, was da los ist und seine Kundschaft kennen. Er kann nicht einfach einen so extremen Antisemiten inkommunizieren, nachdem er exkommuniziert wurde. Er könnte einen seiner Ministranten zum Sündenbock erklären, stattdessen wird jetzt noch verdruckster versucht, die Sache zu erklären. (Pause) Extrem hässlich.

Zum ersten Teil des Interviews. klack