Leben im Leistungsbunker

„Kinder werden heutzutage vom Leben entfremdet“ Der Diplom-Psychologe Hubert Couturier, Lehrer für Psychologie und Sport an einem Wattenscheider Gymnasium, bietet seit über 25 Jahren einen psychologischen Beratungsdienst für Schüler an. Zusätzlich führt er eine therapeutische Praxis in Hattingen. Im Gespräch mit den Ruhrbaronen berichtet er von den Belastungen der Jugendlichen, dem Verlust der Selbstständigkeit und dem Weg hin zu einem freien Denken.

Ruhrbarone: Herr Couturier, was sind – aus Ihrer Erfahrung – Probleme, mit denen sich Schüler heutzutage auseinandersetzen?

Hubert Couturier: Natürlich kann ich hier nur die Probleme ansprechen, denen ich auch konkret in meinem Beratungsdienst begegne. Aktuell – besonders angesichts der verkürzten Schulzeit bis zur Stufe acht – gehören mit Sicherheit die stetigen Arbeitsüberlastungen und zu hohen Leistungsanforderungen zu den Hauptproblemen. Diese stehen wiederum in Verbindung mit fehlender Unterstützung von Seiten der Eltern oder des sozialen Umfeldes. Gerade die Vereinsamung, die viele Schüler empfinden, ist da eine massive Belastung. Der Zehnjährige, der mich aufsucht, ebenso wie der Abiturient fühlt sich häufig allein. Allein gelassen mit den Anforderungen, die an ihn gestellt werden, und allein gelassen mit der Angst, diese nicht bewältigen zu können. Die Angst zu versagen ist ein Thema, das über der gesamten Problematik im Lebensbereich Schule stehen kann. Es ist die subjektive Angst von Schülern, den Anforderungen ihres Lebens nicht gewachsen zu sein.

Woher kommt dieser Druck?

Der Druck kommt von mehreren Seiten – von Eltern, der Gesellschaft, aber auch von den Lehrern. Er summiert sich und baut aufeinander auf. Systematisch wird den Kindern eine Zukunftsangst suggeriert und schon in jungen Jahren verinnerlicht. Du musst Top sein, um es in dieser Gesellschaft zu etwas zu bringen.

Wie äußert sich dies bei den Kindern?

Sie setzen sich ab einem bestimmten Punkt selbst unter Druck. In meinen Beratungsgesprächen höre ich immer wieder den Satz: „Ich muss gute Noten schreiben, damit ich später einen guten Beruf bekomme.“ Die Kinder haben in einem dafür untypischen Alter bereits eine Leistungsorientiertheit angenommen, der sie oftmals nicht gerecht werden können.

Hat diese Belastung in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen?

Selbstverständlich. Die Probleme der Jugendlichen hängen mit den gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen. In den vergangenen sieben bis acht Jahren ging das gesellschaftliche Denken deutlich in die Richtung: Du musst Leistung erbringen und Karriere machen, damit du etwas bist! Von allen Seiten strömt dieser Gedanke auf die Kinder ein. Vor 20 Jahren kam es beispielsweise kaum vor, dass Kinder im Alter von 10 bis 14 Jahren bereits konkrete Vorstellungen ihres Lebensweges und ihrer späteren Berufe hatten. Heute begegne ich Elfjährigen, die mit absoluter Überzeugung sagen: „Ich werde Diplom-Ingenieur.“ Noch bevor Kinder in der Lage sind, sich mit ihrer Zukunft auseinander zu setzen und Erwartungen kritisch zu hinterfragen, sehen sie sich in einen Leistungsbunker gepfercht.

Demnach sind Jugendliche heute höheren Stressbelastungen ausgesetzt?

Auf jeden Fall! Stress hat mit dem Empfinden von Druck zu tun. Ursprünglich kommt dieser Druck von außen, allerdings wird er mit der Zeit von den Kindern verinnerlicht, weiterproduziert und damit auch potenziert. Selbst in Fällen, in denen keine übersteigerten Erwartungen von Seiten der Eltern wirken, setzen sich die Kinder zum Teil selbst diesem hohen Maß an Belastung aus.

Wie gehen diese Kinder dann mit dem Stress um?

Sie haben zum Teil so gut wie keine Freizeit, weil ihre schulischen Anstrengungen derart ausgedehnt werden, dass kaum Platz für Freiräume bleibt. Sie bekommen – ob aus eigenem Antrieb oder von Seiten der Eltern – Förderunterricht verordnet. Aus meinem Beratungsdienst kenne ich beispielsweise keinen Schüler, der nicht wenigstens in einem Fach Nachhilfe bekommt. Und das unabhängig von der Note. Eine Schülerin, die ich derzeit betreue und die in all ihren Fächern zwei bis drei steht, nimmt in drei Fächern Nachhilfe.

Was hat das für Konsequenzen, wenn einem Kind die Freizeit genommen wird?

Den Kindern fehlt einfach ein Entwicklungsraum. Ein Bereich, in dem sie durch eigenes Erfahren lernen können – durch eigene Entscheidungen, die sie selbstbestimmt fällen ohne die Vorgabe von Erwachsenen. Das Kind entscheidet, mit wem es sich umgibt, wo es hingeht, gegen welche Regeln es verstoßen möchte oder nicht. In der Schule wird letzten Endes nur durch Vorgaben gelernt. Es ist ein klar verordnetes Lernen. Das selbstständige Lernen allerdings, das so nur in der Freizeit möglich ist, ist für das Kind notwendig, um eine Freiheit des Denkens zu entwickeln.

Das hat zur Folge?

Die Kinder werden – ich will es mal marxistisch formulieren – entfremdet, entfremdet vom Leben. In jedem Falle werden sie aber, wenn man es weniger pathetisch sagen möchte, realitätsfern. Und daraus bildet sich wiederum weitergedacht eine sehr schmalspurige Lebensperspektive.

Welche psychischen Erkrankungen resultieren aus einer derartigen Entwicklung?

In erster Linie sicherlich Depressionen. Dann Ängste und Angststörungen, häufig beides zusammen.

Auf welche Anzeichen sollten Eltern und auch Lehrer achten?

Pauschal gesagt auf Veränderungen. Ein Warnsignal ist, unabhängig von den Entwicklungen in der Pubertät, die natürlich mit Veränderungen einhergehen, wenn relativ plötzlich das Verhalten eines Jugendlichen umschwenkt. Beispielsweise im Umgang mit anderen Personen, das kann Isolation vom Freundeskreis bedeuten aber auch ein hohes Maß an Aggressivität und Streitsucht. Meistens bewegen sich die Verhaltensänderungen zwischen den Polen: extremer Rückzug oder extreme Offensivität. Der Schüler gerät aus seiner Mitte, driftet in Randbereiche ab. Plötzliche und deutliche Leistungsabfälle sind ebenfalls Indikatoren für Probleme.

Eine Schwierigkeit für Außenstehende, Warnsignale zu erkennen, ist jedoch, dass häufig Veränderungen geschehen, die nicht direkt beobachtet werden können, die sich dann leider erst rückblickend aufzeigen lassen.

Führen diese Verhaltensänderungen nicht auch wieder zu neuen Problemen und damit zu Stress?

Natürlich. Fällt jemand aus der Norm und verhält sich in den Augen der anderen unnormal, neigen einige Kinder dazu, diesen zu mobben. Mobbing in unterschiedlichen Varianten hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Das betroffene Kind wird ausgegrenzt, fühlt sich noch stärker isoliert, allein gelassen und erfährt damit wieder ein zusätzliches Maß an Stress.

Kommt es auch zu Burnout-Fällen bei Jugendlichen?

Durchaus. Wenn Kinder einfach nicht die Talente haben, um ihren Anforderungen gerecht zu werden und dennoch weiter unter Druck gesetzt und vergeblich in Förder- und Nachhilfeunterricht geschickt werden, dann geben sie irgendwann auf, wirken schlapp und ausgelaugt. Im Extremfall verlieren sie jegliche Perspektive. Zum Teil wäre es in diesen Fällen sinnvoller, einen Schulwechsel vorzunehmen. Viele Eltern halten allerdings weiterhin an der Schulform Gymnasium fest. Zum Teil ist es mein Eindruck, dass es den Eltern is wichtiger ist, dass ihr Kind einen erwünschten Abschluss erlangt als dass es dem Kind gut geht. Dies muss so nicht immer beabsichtigt sein, dennoch ist es das Resultat. Leider gehen einige Eltern kaum auf Vorschläge ein, die eigentlich zum Wohle des Kindes gedacht sind.

Was raten Sie Schülern, um diesem Druck zu entgehen? Was sind also Präventionsmaßnahmen, um nicht in einer psychischen Erkrankung zu enden?

Das Erste wäre, die Belastungen durch sinnvolle Arbeitsstrukturierung zu senken. Schüler sollten für sich eine Art Zeitmanagement entwickeln, das heißt, Hausaufgaben zu erledigen oder zu lernen, wenn sie es wirklich wollen. Sie sollten anfangen ihren Tagesablauf selbst zu strukturieren und Entscheidungen treffen. Natürlich kollidiert das häufig mit den Vorschriften der Eltern und ist in vielen Fällen schwer umzusetzen. Auch die Schule hat da Probleme, dies den Eltern zu vermitteln. Sie haben zu Hause einfach die „Territorialgewalt“.

Wenn die Schüler dann vor ihren Aufgaben sitzen, sollten sie nicht blind durcharbeiten, sondern zeitlich dosieren, auch mal Pausen einplanen und sich Erholungen gönnen. Die Jugendlichen müssen lernen ihre Freiräume, also ihre Freizeit zu schützen. Gegebenenfalls müssen dafür unnütze Tätigkeiten, wie den halben Nachmittag spielend vor dem Computer zu verbringen, reduziert werden.

Dies hilft jedoch nur den Schülern, denen es an Zeit fehlt. Was ist mit den Kindern, die gewisse Erwartungen einfach nicht erfüllen können?

Ein neues Zeitmanagement ist der erste Schritt, um Belastungen zu reduzieren. Ebenso ist es notwendig für das Kind, die Leistungserwartungen, die gestellt werden, für sich zu relativieren, das bedeutet, eine kognitive Umstrukturierung vorzunehmen. Es ist nicht schlimm, wenn mal eine Klassenarbeit schief läuft, oder es mal eine schlechte Note gibt. Es gilt sich von dem gesellschaftlichen Denken freizumachen, immer nur der Erste sein zu müssen. Gerade Kinder im kritischen Alter von 10 bis 14 Jahren schauen bevorzugt Sendungen wie DSDS oder Germanys Next Topmodel. Was dort gezeigt wird, ist eine entwürdigende Art mit Menschen umzugehen, die den Ansprüchen nicht genügen. Dies verinnerlichen die Kinder. Über längere Zeiträume hinweg zeigt diese Infiltration des Denkens natürlich immer größere Auswirkungen.

Der Schüler will lernen. Wie geht er es am Besten an?

Das Kind muss anfangen, den Weg des Lernens nicht als notwendiges Übel zu empfinden, sondern als Weg, etwas zu entdecken. Es sollte verinnerlichen, dass es aus eigener Kraft etwas erreichen kann und daraus Freude und Bestätigung ziehen. Reframing ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Bergriff. Der Schüler stellt etwas, hier das vorgegebene Lernen an der Schule, in einen anderen Rahmen. Er lernt nicht, weil es von außen verlangt wird, sondern weil er persönlich etwas davon hat. Da kann auch mit (Selbst)Belohnung, also einer gewissen Form der Konditionierung gearbeitet werden. Wenn das eine erledigt ist, gönne ich mir etwas Gutes. Lernen sollte als positiv empfunden werden.

Dieser Ansatz verlangt allerdings Eigeninitiative des Schülers. Was sind Gründe, warum viele Kinder sich ihrer Situation ergeben?

Da der Druck von außen auf die Kinder einwirkt – also external erzeugt wird – neigen Schüler immer stärker dazu, ihre Misserfolge auch external zu attribuieren und sie eben nicht internalen Faktoren zuzuschreiben wie der erbrachten Leistung oder dem eingesetzten Lernaufwand – welche für das Kind veränderbar wären. Die Schüler werden von außen bestimmt, bekommen die Noten, die Rückmeldungen von anderen. Wenn dazu gehäuft Sätze vorkommen im Sinne von „Du bist zu mehr nicht fähig“, legt das dem Schüler natürlich nahe, dass an seiner Situation nichts zu ändern ist. Es wird den Kindern systematisch ein Gefühl der Hilflosigkeit vermittelt, welches wiederum eine der klassischen Ursachen einer Depression ist. Die externale Kausalatttribuierung führt ganz einfach zu einer Abnahme der Selbstständigkeit und damit letztlich auch der Bereitschaft selbst zu denken. Es kommt ja schließlich eh alles von außen.

Wie ist dem zu entgegnen?

Die Kinder lernen einfach nicht Verantwortung für sich und ihre Taten zu übernehmen. Hier wäre es wichtig, dass Eltern sich sukzessive im Laufe der Entwicklung des Kindes zurücknehmen, ihnen Eigenständigkeit zugestehen. Das gelingt leider nicht immer, weil Eltern oftmals der Auffassung sind, sie müssten Kontrolle ausüben, damit ihr Kind Leistung erbringt. Diese Vorwegnahme von Entscheidungen ist das Schlimmste für eine freie Entwicklung der Kinder hin zur Selbstständigkeit und zieht sich leider durch alle Bereiche: Der Lehrer macht Vorschriften, ebenso die Eltern. Indirekt wird auch durch die Gesellschaft und die Medien Druck ausgeübt. Es ist einfach immer schwieriger geworden, überhaupt Entscheidungen zu treffen.

Ein gesellschaftliches Problem also?

Wir reden hier ja von Randbereichen. Es ist immer ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren, sowohl von gesellschaftlichen als auch familiären. Es gibt auf der einen Seite die vernachlässigten Kinder, auf der anderen die überbehüteten. Zwischen diesen zwei Extremen, zwischen Über- und Unterforderung, bewegen wir uns. Im Falle der überbehüteten nehmen die Eltern den Kindern jede Entscheidung vorweg, im Falle der vernachlässigten können die Kinder überhaupt nicht entscheiden, weil sie von Anfang an mit Entscheidungen überfordert worden sind, anstatt behutsam an sie herangeführt zu werden. Das ist in den vergangenen Jahren massiver geworden, die Randbereiche – meiner Erfahrung nach – größer.

Ich glaube allerdings, dass alle Kinder nach einer gewissen Zeit der Anleitung Verantwortung für sich übernehmen. Nur dann können sie merken, dass sie ihr Leben selbst in der Hand haben und entsprechend etwas ändern können.

Was wären Präventionsmaßnahmen von Seiten der Behörden beziehungsweise der Schulen?

Abstrakt gesagt Freiräume für die Kinder zu schaffen, ihnen die Möglichkeit bieten, überhaupt Entscheidungen treffen zu können und ihnen die entsprechende Zeit dafür zuzugestehen. Und das meine ich nicht im Sinne irgendeiner Kuschelpädagogik, es geht vielmehr darum der Entwicklung und den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden.

 

Ruhrgebiet Aktuell am Freitag

Nachrichten aus dem Ruhrgebiet und mehr

Uni Witten-Herdecke: Vor der Pleite gerettet…FTD

Loveparade: Absage ist ein Desaster...Der Westen

Zugang: Coolibri bloggt…Blogbird

Wirtschaft: Evonik soll an die Börse…Reuters

Krise: RWI setzt auf Konjunkturpaket…Spiegel

Nazis: Kurzdemo in Recklinghausen…Indymedia

Second Life: Blogger bündeln…Küperpunk

Live: Sebastian Sturm in Dortmund…Unruhr

Theater: Dortmunder sind zufrieden…Ruhr Nachrichten

Prozess: Zumwinkel bereut…Spiegel

Wahlkampf: SPD dealt mit Linken in Castrop…Ruhr Nachrichten

Wahlkampf II: Sauerland in Duisburg nominiert…RP-Online

Ruhr2010: Pleitgen in Lüdinghausen…MV

Schalke: Basler gegen Kuranyi…Bild

 

 

 

…und Tschüss, Ruhrpilot

 

Für den Ruhrpilot könnte  bald das letzte Stündlein schlagen – aber auch der WDR kann sich von seinem Verkehrsfunk verabschieden.

 

Denn heise.de berichtet, dass Navteq und TomTom  bald  Stauwarnung mittels der anonymisierten Positionsdaten von Mobiltelefonen ermitteln werden: ""Telefonwolken" künden davon, dass viele Fahrer in einem Stau stecken, Abflüsse in verschiedenen Richtungen zeigen, dass die Umleitungen über Bundesstraßen genommen werden. "Floating Phone Data" nennt Navteq die bei T-Mobile eingekauften Daten. Zusammen mit den übrigen Sensordaten der Brücken, Induktionsschleifen und BMWs soll TMCpro in der Lage sein "zuverlässig einen Kollaps des Verkehrs für die nächsten 20 bis 30 Minuten" vorherzusagen. Auch für die bereits im Stau steckenden Pechvögel gibt es Vorteile: Ihnen kann das System bei Einfahrt in den Stau die Staulänge und die Verzögerungszeit übermitteln."

Später sollen noch die Daten von PKW-Sensoren Infos über Glätte und Nebel weiter leiten. Mit so einer Datendichte kann der Ruhrpilot nicht mithalten. Das war es –  und die paar ÖPNV-Daten die TomTom und Navteq fehlen, lassen sich ziemlich schnell integrieren wie die Daten der Verkehrssituation auf weiteren wichtigen Straßen – so es denn dafür einen Bedarf gibt. 

Trotz 30 Millionen Subventionen hat der Ruhrpilot nie richtig funktioniert – nun fehlt endgültig auch jede  Perspektive. Dass diese Technik eines Tages kommen wird, war schon lange vor dem Start des Ruhrpiloten klar, hat aber die Macher zu keinen Zeitpunkt interessiert. Nun sollten sie ihr System besser heute als morgen abschalten. Jeder Tag mehr bedeutet nur mehr Geldverschwendung.

Eine Anfrage an die Pressestelle des Ruhrpiloten via Ruhrpilot-Homepage wurde prompt beantwortet: "This message was created automatically by mail delivery software. A message that you sent could not be delivered to one or more of its recipients. The following addresses failed:  <ruhrpilot.nrw@siemens.com>

Der Aalhäcksler: Die Geschichte eines Greenpeace-Kraftwerkes

Montage: Weserkraftwerk in Betrieb. Links die Turbinen

Ich schreibe hier über gutes und über schlechtes. Über eine Abwägung und eine Entscheidung. Möge jeder selbst beurteilen, was für ihn das wichtigste ist.

Die Luft ist in diesen Tagen an der Bremer Weser diesig. Man kann kaum die Baustelle bei Flusskilometer 362 sehen. Neben ein paar Spundwänden steht ein Bagger. Die Arbeit ruht offensichtlich. Erst im Frühling soll es weitergehen, wenn das Wetter wieder freundlich wird, heißt es.

Die Baustelle ist etwas besonders. Hier errichten Planer von Greenpeace unter dem Schutz des Staates Bremen gemeinsam mit Partnern aus der Ökobranche und den kommunalen Stadtwerken das größte Wasserkraftwerk im Land. Die Anlage ist mehr als nur ein Energielieferant. Wie ein Leuchtturm soll von hier aus ein Signal ausgehen: das rot-grüne Projekt lebt noch. Denn im Land Bremen regiert die letzte Koalition von SPD und Grünen in der Bundesrepublik.

Besonders der Bremer Umweltsenator Reinhard Loske (Grüne) freut sich über das Bauwerk: „Für uns hat das Weserkraftwerk eine herausragende Bedeutung.“ Eines Tages soll jeder zehnte Bremer Haushalt saubere Energie aus dem Fluss beziehen. Ein Sprecher der ausführenden Greenpeace-Tochter Planet Energy lobt zudem, dass die Stadtwerke Bremen den Ökostrom in einem besonderen Ökotarif vermarkten wollen. „Das ist ein Vorbild für andere Projekte.“

Doch auf den zweiten Blick hat der Leuchturm ein rissiges Fundament. Die Weser ist ein Strom. Ihre Quellen und Zuflüsse führen Wasser vom Harz, von Bayern und Hessen aus, quer durch die Republik bis in die Nordsee. Das Weserkraftwerk soll an einem Wehr aus dem Jahr 1993 erbaut werden. Damit die Turbinen laufen können, müssen hier die Stauklappen geschlossen bleiben. Was auf den ersten Blick unbedenklich erscheint, erweist sich als ökologisches Problem. Mit dem geschlossenen Wehr wird der Zugang zum Meer versperrt. Kein Fisch kann hier frei passieren.

Dabei sind gerade bedrohte Arten wie Lachs, Aal oder Meerforelle auf den freien Zugang zum offenen Wasser angewiesen. Kommen sie nicht durch, können sie sich nicht fortpflanzen. Der Lebenskreislauf wird unterbrochen, das Ökosystem Weser verarmt.

Die Planer der Greenpeace-Firma Planet Energy haben das Problem erkannt. Gemeinsam mit der Firma Tandem wollen sie ein neues Schutzsystem im Weserkraftwerk installieren. Fische, die vom Meer in den Fluss aufsteigen, sollen über eine so genannte Fischtreppe das Wehr passieren. Arten, die in die See abwandern, sollen über moderne Rechen, Röhren und Abflussrinnen einen Weg an den Turbinen im Kraftwerk vorbei finden. Ein Sprecher von Planet Energy sagt: „Ich glaube, dass dieses Kraftwerk einen beispielhaften Fischschutz für ganz Europa hat.“ Soweit die Theorie.

Doch manche Forscher glauben nicht daran, dass die Pläne von Greenpeace aufgehen. Besonders der Aal ist in ihren Augen gefährdet. Beate Adam vom Institut für angewandte Ökologie gilt als eine der wenigen Experten weltweit, die sich mit dem Verhalten der Spezies auskennt. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit dem rätselhaften Fisch.

Alle Aale der Welt stammen aus der atlantischen Tiefsee in der Nähe der Bahamas-Inseln. Hier liegt bei 30 Grad nördlicher Breite und 60 bis 75 Grad westlicher Länge die Sargossasee. Das Gebiet am Rande des Golfstroms ist größer als Mitteleuropa. Das Wasser ist ruhig, fast bewegungslos. Es liegt da wie das Auge eines riesigen Wirbels. Hier paaren sich die Aale irgendwo in mehreren hundert Metern Tiefe. Niemanden ist es bisher gelungen aufzuklären, wie das geschieht, wie die Fischeier sich entwickeln, wie die Larven schlüpfen. Forscherin Adam sagt: „Wir wissen nur, dass die schon etwas größeren Aale, die so genannten Glasaale im Alter von etwa drei Jahren mit dem Golfstrom an die europäischen Küsten kommen.“ Hier wandern die Jungtiere Flüsse und Bäche hinauf, um sich im Süßwasser weiterzuentwickeln. Nach etwa zwölf Jahren spüren sie plötzlich und unerklärbar einen Trieb, erklärt Adam. Als so genannte Blankaale lassen sie sich flussabwärts ins Meer treiben, um in der Tiefe zurück in die Sargossasee zu schwimmen.

An einem Rechen verendete abwandernde Aale aus nur einer Nacht. Foto: Adam

Jahrtausende funktionierte dieser Kreislauf ungestört. Aale galten als Brottiere der Fischer. Aber das ist vorbei. Seit ein paar Jahren schwinden die Bestände dramatisch. Die europäischen Küsten erreicht nur noch ein Prozent der Glasaale, die hier vor dreißig Jahren ankamen. Aufgrund des Schwunds steigt der Preis für Jungtiere. Vor zehn Jahren kostete jedes Kilo Glasaale fünfzig Mark. Heute liegt der Preis bei 800 Euro – wenn man welche bekommt.

Im Herbst 2007 erkannte die Europäische Union das Problem. Der Aal ist vom Aussterben bedroht. In einer eigenen EU-Richtlinie wurden alle Tiere unter Schutz gestellt. Besonders der Lebensraum der Fische soll gesichert werden, damit die Aale ungestört in die europäischen Flüsse auf- und absteigen können.

Nach Ansicht von Adam wird das Kraftwerk in Bremen dafür sorgen, dass kaum noch ein Aal aus dem Harz, Hessen oder Bayern zurück ins Meer findet. Der Kreislauf des Lebens wird in den Turbinen unterbrochen. Im wörtlichen Sinne. Adam: „Die Rückgrate der Fische werden zerbrochen, Körperteile zerfetzt oder lebensbedrohlich beschädigt. Das Bremer Kraftwerk verstopft den Flaschenhals zwischen Wesersystem und Meer.“

Die Planer der Anlage sehen das nicht so. Sie verweisen auf neuartige Rechen, die vor den Turbinen sitzen. Mit einer Spannweite von „nur“ 25 Millimetern werde verhindert, dass die Aale in die Kraftanlage schwimmen könnten, sagt der Projektleiter Dietrich Heck. Die Fische würden in einen Ablaufrinne und in ein Bypasssystem umgeleitet. „Unser Anspruch und der von Greenpeace ist es, ein Konzept aufzustellen, das Maßstäbe im Fischschutz setzt.“

Forscherin Adam sagt, männliche Aale seien viel kleiner als weibliche Aale. Laborversuche hätten gezeigt, dass nur eine Spannweite von 15 Millimetern die männlichen Fische davon abhält, sich durch die Rechen zu zwängen. „Die Fische versuchen verzweifelt weiterzukommen.“

Planer Heck hält das nicht für einen Beweis. In Adams Laborversuch hätten die Fische keine Chance gehabt, durch einen Abfluss zu verschwinden, wie er im Wasserkraftwerk geplant ist. Zudem sei das in Bremen eingesetzte Verfahren einzigartig in der Welt.
Forscherin Adam sagt, die Bremer Ideen seien einzigartig, weil sie keiner wegen ihrer Unsinnigkeit umsetzen würde. „Abwandernde Aale lassen sich treiben, schon bei geringer Strömung haben sie nicht mehr die Kraft sich neue Wege zu suchen.“

Fischereiverbände entlang der Weser haben gegen das Projekt geklagt. In den Planungsbeschlüssen finden sich seltsame Passagen. So wurden Forschungsberichte nachweislich falsch zitiert. Nur ein Beispiel: So heißt es, Versuche von Adam hätten gezeigt, dass Aale Rechen mit einer Spannweite von 20 Millimetern nicht durchschwimmen würden. Die Forscherin bezeichnet das als Quatsch. Sie habe im Gegenteil in ihrer Forschungsarbeit geschrieben: „Ein deutlich größerer Teil der Aale jedoch zwängte sich Schwanz oder auch Kopf voran zwischen den Rechenstäben hindurch.“

Ein Aal zwängt sich durch einen Rechen mit einer Spannweite von 20 Millimetern Foto: Adam

Erst Anfang der Woche konnte der Niedersächsische Sportfischerverband einen Teilerfolg gegen das Kraftwerk erringen. Seine Klage wurde vom Oberverwaltungsgericht Bremen angenommen. Das Ziel des Verbandes ist es, die Europäische Aalschutz-Richtlinie durchzusetzen. Und damit neue Investitionen in den Fischschutz möglich zu machen.

Doch das würde neue Millionen kosten, die niemand bezahlen will. Schon jetzt ist das 40 Mio Investment an der Grenze des Möglichen. Die Bauarbeiten des vor acht Jahren initiierten Projektes haben sich mehrfach verzögert. Die Planer streiten sich mit dem Bauunternehmer um Zahlungen. Greenpeace kommt seit Monaten nicht damit voran, Anteile an dem Kraftwerk im Wert von 20 Mio Euro über einen Ökovertrieb an interessierte Bürger zu verkaufen. Neue Probleme will keiner in Bremen. Mehr Schutz für die Fische? „Das kostet Geld“, sagt Planer Heck: „Es gilt einen Kompromiss zu finden zwischen dem was wirtschaftlich machbar ist und dem Schutz der Fische dient.“

Wenn man mit den Fischern in Bremen spricht, spürt man Resignation. Zu dicht ist das Gewebe von rot-grün und den Öko-Investoren im kleinsten Bundesland. Der Präsident des Niedersächsischen Sportfischerverbandes, Peter Rössing, setzt kaum noch Hoffnung in die Unabhängigkeit der Justiz. „Das Kraftwerk ist politisch gewollt.“ Die Richter seien im Stadtstadt abhängig vom Senat. „Wir müssen bis zum Bundesverwaltungsgericht kommen, damit wir den politischen Druck loswerden“,

Heike German vom Bremer Fischereiverband ist ähnlich verhalten. Es sei zwar richtig, die alternativen Energien zu fördern, aber es müsse auch für den Erhalt der heimischen Tierwelt gesorgt werden. „Das hält sich hier nicht die Waage. Greenpeace sagt: Rettet die Wale, aber sie schützen nicht unsere Fische.“

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Zumwinkel Gezwitscher

Es ist jetzt nicht der ganz große Prozess, der da seit heute in Bochum gegen Klaus Zumwinkel aufgerollt wird. Dafür blieb die Schadenssumme plötzlich zu gering. Auch fehlt eine der Hauptpersonen, die nach vielen Wirren im Justizapparat nun ihren Dienst in Essen als Amtsrichterin versehen muss. Margrit Lichtinghagen sitzt dort übrigens auf der Planstelle einer erkrankten Ex-RTL-Jugendrichterin.

Am Essener Gericht munkelt man bereits, dass auch Lichtinghagen keinen einzigen Tag als Amtsrichterin arbeiten wird. Das NRW-Justizministerium soll gerade an einer auf die prominente Staatsanwältin zugeschnittenen Aufgabe arbeiten – etwa in Lehre und Ausbildung von Fahndungspersonal.

Doch auch ohne allzu hohe Strafen – Zumwinkel erklärte heute unter anderem, dass er Steuern hinterzogen ("größter Fehler meines Lebens!"), seine Steuerschuld aber beglichen habe und deshalb mit den Steuerbehörden im Reinen sei – ist es ein Prozess gegen einen bundesdeutschen Spitzenmanager. Und wer das Geschehen fast live mitverfolgen will, kann sich von Bernd Kiesewetter zutexten lassen klick. Der Bochumer WAZ-Gerichtsreporter twittert *fast* aus dem Gerichtssaal. Und das liest sich ziemlich putzig.

Abb.: flickr.com

Stinkende Probleme bei der AGR-Entsorgungs-Tochter DAR

In Herten beschweren sich derzeit duzende Bürger über ihren müffelnden Nachbarn, die AGR-Entsorgungstocher DAR. Zur Erinnerung: die AGR steckt in diversen finanziellen Zwickmühlen und gehört ansonsten dem Regionalverband Ruhr, RVR.

Die betroffenen Nachbarn in Herten stören sich am Gestank, der an der Hohewardstaße über Mauern und Zäune der DAR zieht. Nach Angaben der Hertener Grünen werden auf dem Gelände offensichtlich große Mengen von Abfall gelagert. Unzählige Möwen würden den Müll nach fressbarem durchpicken. Dazu sollen Ratten über die Dreckhaufen flitzen. So eine Art Neapel Außenstelle Herten-Nord. 

Nun gut. Die Grünen berichten, sie hätten bei einer Ortsbesichtigung gesehen, wie der Plastikmüll ungesichert auf dem Gelände vor sich hin gammelt. Die Hallen seien so überlagert, dass der Dreck aus den Zwischenräumen quillt.

Und weil Anwohner-Beschwerden bei der Stadt nicht gebracht hätten, habe man die Bezirksregierung in Münster eingeschaltet. In der kommenden Woche soll es erste Gespräche zwischen Grünen, Anwohnern und Bezirksregierung geben. Wir werden über die Ergebnisse berichten.

Hier nun einige Impressionen vom Gelände der AGR-Müllfirma-Tochter DAR: 

Warum ich nicht protestieren werde

In Bochum soll eine sozialtherapeutische Anstalt für Sexual- und Gewaltstraftäter gebaut werden. Ich wohne in der Nachbarschaft und werde nicht gegen den Bau protestieren.

Natürlich habe ich mich nicht gefreut, als bekannt wurde, dass das Land nur gut 500 Meter von meiner Wohnung entfernt eine sozialtherapeutische Anstalt für Sexual- und Gewaltstraftäter bauen will. Könnte ich es mir aussuchen, die Anstalt käme an einen anderen Ort. Aber da das alle künftigen Anlieger so sehen werden, muss das Land sich nun einmal für einen Standort entscheiden und, ganz objektiv betrachtet, ist der in meiner Nähe nicht der Schlechteste: Er liegt direkt neben der Krümmede, einem der größten Gefängnisse des Ruhrgebiets und der Polizeikaserne, in der die Bochumer Einsatzhundertschaft untergebracht ist.

Mir ist es wichtig, dass solche Täter streng überwacht werden und die Polizei nicht weit ist, wenn doch mal was passiert. An diesem Standort geht beides. Dass sich viele gegen die Ansiedlung wehren und auch die Stadt auf die Barrikaden geht, ist leider normal: Es herrscht das St. Florians Prinzip:  Man wünscht sich die Bedrohung an einem anderen Ort, denn man kann sich ihr nicht entziehen: Solange man der Ansicht ist, dass es Straftäter gibt, die behandelt werden müssen, was ich bin, braucht man einen Ort, an dem das geschieht. 

Ich fand es immer arm, wenn sich Anwohner in anderen Städten gegen solche oder vergleichbare Einrichtungen in ihrer Nachbarschaft gewehrt haben – und jetzt, wo ich einer der Anwohner bin, habe ich nicht vor, meine Haltung zu ändern: Der Standort auf dem Gelände der Krümmede geht  aus den beschrieben Gründen in Ordnung. Die Castroper Straße ist nicht, wie es die Verwaltung  darstellt, der attraktive Eingang zur Stadt, sondern vom ersten bis zum letzten Haus eine der hässlichsten Straßen Bochums, und dass Beamtenwohnungen für den Neubau abgerissen werden, ist zu vertreten: Das Land wird, es ist ja unser Geld, den Umzug der Betroffenen großzügig regeln, und der Bochumer Wohnungsmarkt ist so entspannt, dass alle bald eine Wohnung finden werden. Außerdem kann das Land ein solches Projekt nur auf eigenem Grund und Boden umsetzen –  an jedem anderen Ort  wären die Widerstände noch größer.

Was ich mir jetzt wünsche, ist keine populistische Diskussion über Sexualstraftäter. Als Anwohner will ich über die Sicherheitsmaßnahmen informiert werden, und von mir aus kann der Zaun gerne ein wenig höher ausfallen und die Zahl der Wachen größer werden. Ansonsten heißt in einer Gesellschaft zu leben nicht nur, die Annehmlichkeiten willig anzunehmen, sondern auch die negativen Konsequenzen mitzutragen. Ich würde mir wünschen, wenn das bald einige Bochumer Politiker ebenso formulieren würden. 

Übrigens: Rübe ab Kommentare werden wir, wie immer, nicht freigeben.  

Ein Mann betritt den Ring

Foto: presseportal

Manchmal, wenn die Nacht am tiefsten ist. Wenn alles nur noch grau und schwarz erscheint, kommt plötzlich ein Lichtstrahl aus einer unerwarteten Richtung. In diesem Fall ist der Lichtstrahl rund Einmetersiebzig hoch, 67 Jahre alt und hat einen Hang zum Übergewicht. Die Rede ist von Wilhelm Bonse-Geuking und der Debatte um das einheitliche Ruhrgebiet.

Gestern abend stellte sich der Chef der RAG-Stiftung bei seinem Auftritt vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung in Düsseldorf als Mann mit Ambitionen für das Ruhrgebiet vor. Er hielt eine erste politische Grundsatzrede, in der er von allen Verantwortlichen im Pott unverblümt mehr Kooperation einfordert. Damit nicht genug. Der Ex-Manager der Veba und BP, der gelernte Bergmann und Wirtschaftslenker bringt Ideen mit.

Und das ist ein heller Hoffnungsschimmer. Denn nach dem Ausscheiden der WAZ aus der Ruhrgebiets-Debatte drohte die Suche nach einer Idee für die Ruhrstadt zu versanden. Es schien, als wäre die Frage nach der richtigen Lösung für den Pott nur noch etwas für alte Männer mit dem Hang zum Idealismus. Eine staubige Sache für staubige Menschen.

Geschenkt, auch RAG-Chef Bonse-Geuking ist ein alter Mann. Aber zumindest in seiner Position ist er jung. Die Stiftung hat erst seit wenigen Monaten Geld, um ihren Auftrag zu erfüllen, das Revier auf den Ausstieg aus dem Kohlebergbau vorzubereiten.

In seiner Analyse geht der Mann aus der Wirtschaft weit. Er sagt, die Region leide daran, dass zu viele Leute etwas zu sagen hätten und doch nur ihre eigenen Interessen verfolgen würden. Das Gesamte gerate ihnen zu oft aus den Augen. Er sagt, seit über 50 Jahren sei die Frage unbeantwortet: „Wo liegt die Zukunft der Ruhr?“ Und das will er ändern.

Er plädiert dafür, einen gemeinsamen Sinn zu finden. Ein Ziel zu definieren, dass es zu erreichen gelte. Erst wenn man das geschafft habe, sei es möglich eine Prioritäten-Liste aufzustellen, was zu welchem Zeitpunkt zu geschehen habe.

Bonse-Geuking beschreibt das Grundproblem in der Schwäche eines gesunden Mittelstandes, aus dem die Kreativität für den Wandel kommen könnte. Diese innovative Schicht sei „unterentwickelt, viel mehr als anderenorts in NRW.“ Die Menschen hätten sich stattdessen viel zu lange auf die Stärken der Großindustrie verlassen. Er gibt ein Beispiel, das ich gerne in ganzer Länge zitiere:

Bei einer Adventsfeier des Bergwerks Prosper Haniel sang ein eindrucksvoll frischer, fröhlicher Chor junger Bergleute unter anderem das schöne Lied: „Glückauf ihr Bergleute jung und alt.“

Darin gibt es eine Strophe, in der heißt es: „nun lobt die werte Obrigkeit, die für uns sorgt und fürderhin zu sorgen ist bereit.“

Die Erwartung, die da oben werden schon für uns sorgen, ist nach meinem Eindruck tief in der Mentalität des Ruhrgebietes verankert.

Und dann sagt Bonse-Geuking:

Wie erreichen wir den Mentalitätswandel?

Bonse-Geuking will die Menschen erreichen, will sie mitnehmen auf die Reise in die Zukunft. Er will ein gemeinsames Ziel finden und dieses verfolgen. Dazu sucht er nicht die eine zentrale Steuerung, aber einen ordnenden Gedanken, der für alle eine Gewinner-Position schafft.

Viele kennen diese Worte und denken an die Summe der Einzelteile, die nie im Ruhrgebiet ein Ganzes gab. Viele werden an die Versuche der Projekt Ruhr GmbH unter Hanns-Ludwig Brauser erinnert, der alle Oberbürgermeister und Landräte zusammenholte, um einen Plan für das Ruhrgebiet zu entwerfen. Bei diesem Scheitern kam eine Sammlung von individuellen Wünschen heraus, die wenig Gemeinsames brachte. Dafür Millionengräber wie den Ruhrpiloten oder das Projekt Digitales Ruhrgebiet.

Bonse-Geuking denkt als Realist weiter. Er sagt, man müsse zur Not die Gemeinden zu ihrem Glück zwingen. Das gehe relativ einfach. Wenn man nämlich Zuwendungen von gemeinsamen Ideen abhängig mache. Etwa beim Konjunkturpaket II, das in wenigen Wochen und Monaten  über 2 Mrd Euro nach Nordrhein-Westfalen spülen soll.

Bonse-Geuking sagt, er wünsche sich, dass es eine „zentrale Priorisierung“ für das Geld gebe. Es müsse nach dem Grundsatz verfahren werden: „wo erreichen wir den größten Nutzen für das Ruhrgebiet als Ganzes?“

Dies ist in meinen Augen ein großer Wurf.

Momentan suchen alle Städte nämich für sich alleine nach Möglichkeiten, das versprochene Geld zu investieren. Niemand hat bisher davon gesprochen, die Millionen für gemeinsame Ziele auszugeben. Auch der Chef des Regionalverbandes Ruhr, Heinz-Dieter Klink nicht, von dem man soetwas hätte erwarten können, wenn er das Format dazu hätte.

Bonse-Geuking aber sagt: „Wir brauchen ein Ziel und eine Strategie für das Ganze.“ Die Oberbürgermeister und Landräte im Revier werden diese Sätze beunruhigen, genauso wie den verschlafenen Direktor des Regionalverbandes.

Hier ist einer der Ideen hat, der führen will und es auch kann. Dass Bonse-Geuking zudem als RAG-Stiftungs-Chef Macht hat und über Einfluss bis in die NRW-Landesregierung hinein verfügt, macht aus der Unruhe vielleicht Sorge.

Was ist, wenn Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) die Idee aufnimmt?

Vieles ist denkbar.

Selbst für die Stiftung gibt sich Bonse-Geuking ein politisches Programm. Er will mit seinen Mitteln über die RAG Immobilientochter und die RAG Flächenverwaltung Pilotprojekte initiieren, die zeigen, was man erreichen kann. Wie man Viertel aufwecken kann aus dem Tiefschlaf. Wie man Bildung zu jungen Leuten bringt nd Aufbruchstimungen erzeugt. An diesen Erfolgen wollen dann alle teilhaben, ist sich der politische Manager sicher.

Ich drücke Bonse-Geuking die Daumen, dass er seine Träume nicht aufgibt, sondern die Kraft findet, sie durchzusetzen. Mich freut es ungemein, dass sich hier ein neuer politischer Kopf in den Ring gestellt hat. Die Punkte werden ab jetzt neu vergeben.

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Ruhrgebiet Aktuell am Donnerstag

Nachrichten aus dem Ruhrgebiet

Überraschung: Sozialdemokrat lobt CDU…Pottblog

Ruhr2010: 2-3 Straßen Projekt…Frankfurter Rundschau

Gesundheit: Ruhr Uni gegen Heuschnupfen…Daily Mail

Verfolgung: Nazis jagen Antifaschisten…Der Westen

Spass: Gelsenkirchen wird Zockermetropole…Gelsenkirchen Blog

Umfrage: weitgehend unsinnige Unternehmerbefragung in Dortmund…Claudia blogt

Ruhrfestspiele:
Das neue Programm…Der Westen

Masern: Stadt schießt drei Schule in Gelsenkirchen…Gelsenclan

Arbeitskampf: Sollen Lehrer streiken?…Zoom

Live: Baender Bender…Unruhr

Und sonst:

Geschichte: Das vielleicht erste Emoticon der Geschichte…nerdcore

Stefan Aust: Ex-Spiegel-Chef bei Elke Heidenreich als Bücherwurm…littv

Werner Butter gestorben

"Das Ruhrgebiet – Ein starkes Stück Deutschland" war die bislandg erfolgreichste Kampagne für das Ruhrgebiet. Nun ist Werber Butter, der Vater der Kampagne gestorben.

"Der Pott kocht" oder "Ruhr hoch N": Keine Werbekampagne für das Ruhrgebiet war bislang so beliebt (und so erfolgreich) wie die Kampagne "Das Ruhrgebiet – Ein starkes Stück Deutschland." Bis heute wirken die Motive modern. Doch die Kampagne sah nicht nur gut aus, sie brachte durch ihre Responseelemente – man konnte zu jedem Motiv Material anfordern – tausende dazu, sich über das Ruhrgebiet zu informieren. Der Mann der sich die Kampagne ausgedacht hat war der Werber Werner Butter und der ist nun auf Mallorca gestorben.

Für Butter war die KVR-Kampagne Zeit seines Lebens seine beste Arbeit. Und sie war ein Vorbild für zahlreiche andere Regionallampagnen.