Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Foto: Opel

Opel: China greift nach Opel…FAZ

Theater: Ciulli fordert 1-Prozent vom Bankenrettungsfonds…Der Westen

Logo: Die geilste Party des Jahres ist getanzt…Revier Magazin

Sampling: Kunst mit Handyvideos…Ruhr Digital

NRW: 1000 Schulen sollen saniert werden…Ruhr Nachrichten

SPD: Münte-Talk in Duisburg…Keine Experimente

Piraten: Parteitag in Hamburg…Süddeutsche

Dortmund: Keine Genehmigung für Strandbar…Ruhr Nachrichten

Moers: A Jazz Fest Thats Puts Jazz First…Jazz.com

Mülheim: Zank um  Zähler…Tagesspiegel

Dorsten: Neue Gesamtschule?…Walhus Blog

Unwetter: The Day After…Gelsenkirchen Blog

Auf die befreite Tour!

Die große Schleife ist für mich immer noch die Orangina im Dorfbistro. Sommeraugen, die sich langsam gewöhnen an den Schattenraum hinter der Markise. Der Fernseher klebt wie ein Spinnennetz an der Zimmerecke, bringt 20 Tage Sirenenhupe mit Schluckauf, Tourfunk. Gleich beginnt die 96. Tour de France – eine Hymne, trotz allem!

20 Tage steht die Piquenique-Nation jetzt am Straßenrand. Pferde nehmen es mit dem Pulk auf, bis sie am Ende ihrer Koppel bockig austreten. Flat-flat-flat-flat-flat Hubschrauber über dem Feld der 200 Fahrer, für die es drei Wochen lang keine Grenzen gibt. Kann kommen, was will: Der Mont Ventoux, die Atlantikküste im Gegenwind, 40 Kilometer Contre-La-Montre, Massensturz in La Grande Motte. Verschorfter Zellstoff an bronzenen Armen, wirbelgezackte Leguanrücken. Das Fernsehen – ganz nah hält es auf Rippenbögen, Hühnerbrüste, Wangenknochen, Stirnhöhlen, Sonnenbrände. Ausgezehrte Männer, die Pässe hinauf wanken, zu stehen scheinen, wenn sie eingeholt werden.

Zielgesten. Selbst mit 60 Kaemha werden Sieger und Platzierte aufgefangen, umspült vom Meer der Reporter, Betreuer, Fans. Nur kurzer Stillstand. Auf steifen Beinen zur Kontrolle, in den Tourbus. Ehrungen. Später fahren sie wie die  Touristen auf dem Rad ins Mannschaftshotel zu Nudelbergen und Massageöl. Drei Wochen D-Zug, Mastvieh, Knetmasse.   

Le Tour das ist Merckx, Thurau, Laurent Fignon, LeMond, Indurain. Le Tour ist Eurosport. Le Tour ist Hundert Jahre und mehr. Le Tour war nie unschuldig, ein Kräftemessen mit allen Mitteln, und trotzdem großer Sport, grundehrliche Schinderei – wer das nicht sieht, hat keine Augen im Kopf. Oder mal wieder den Krieg verloren!

Auch Deutschlands vierter Frankreichfeldzug, diesmal auf zwei Rädern und angeführt von einem privatisierten Staatsbetrieb, war eine Pleite. Aufgespielt haben sie sich, die Straßenrandreporter mit ihren neudeutschen Radhelden, als hätten sie auch diesen Sport erfunden. Radsport war das Aufputschmittel der korrupten "Kollegen", ihr Chefschwätzer sitzt im Gefängnis. Die Starfahrer von damals sind in Pension. Bis auf einen haben sie gestanden. Helden, die gerichtet wurden. Und am Ende der Dienstfahrt werden dieses Jahr nur noch dreißig Minuten Live im deutschen Fernsehen gezeigt. Tatsächlich haben die Sendeanstalten nichts begriffen, schon stehen sie vor dem nächsten Scherbenhaufen im olympischen Winter.

Ich habe mich nicht in ihnen getäuscht, nicht in Zabel, in Ullrich oder Armstrong. Welches Recht habe ich auf sauberen Sport? Als Zuschauer, keines. Welche Recht(e) hat das Fernsehen? Senderechte. Sie zahlen für zwanzig Tage Radterror, den Wahnsinn der Getriebenen, bekommen gewaltige Bilder, Dramen, Tempo, aber auch Liebe, Tradition und Kultur, das säuselnde Peloton vor Rapsfeldern. Und statt über die Kultur der Leistungsgesellschaft auf dem Rennrad, über die Tradition der Hilfsmittel zu berichten, haben das die "embedded broadcasting companies" den deutschen Zuschauern für Jahre lieber verschwiegen. So gemein waren sie mit den experimentellen Pedaleuren auf der Terrasse des Teamhotels. Jetzt endet dieser Feldzug endgültig mit 30 Minuten am Tag. Und im nächsten Jahr wird totgeschwiegen.

Das ist die Crux am Doping: Betrogen wird nur der Konkurrent. Aber wer ist schon zimperlich, bei 3.500 Kilometern, 21 Etappen, dem ewigen Auf und Ab. Gleich (16 Uhr) geht es los, ich freu mich – hier klicken und länger zusehen. 

Ruhr oder Berlin ? Eine Serie für Kreative und die sich dafür halten Teil1: Inspiration

Ich bin in der "Kultstadt" Wanne-Eickel mitten im tiefsten Ruhrgebiet geboren, bin dort zur Schule gegangen und habe in Dortmund studiert. Meinen ersten Job hatte ich an der Technischen Universität in West-Berlin  (damals noch „Frontstadt“) bekommen, ging aber danach wieder zurück ins Ruhrgebiet. Meinen engen persönlichen Kontakt zur Spreemetropole  habe ich jedoch weiter bewahrt. Seit fast  10 Jahren lebe ich sowohl in der Ruhr- als auch in der Hauptstadt und möchte auf beide nicht mehr verzichten, so lange ich noch mobil genug fürs regelmäßige Pendeln bin.

Ruhrgebiet bei Nacht: Schwerstintellektuelle lassen sich bei einem Dialog über Wittgenstein von Pils- und Weizenbier inspirieren.

Mag sein dass mir niemand glaubt. Aber Ruhr kann inspirierender  sein als  Berlin. Ich z.B. brauche dafür Abwechslung und Ungewohntes, neue Gesichter wie neue Gegenden.  Im direkten sinnlichen Austausch.  Sie bringen mir neue Gedanken und Ideen.  Es nützt mir nichts regelmäßig da zu sein, wo angeblich was los ist. Weder in Berlin noch in Ruhr. „Was los“- Orte gibt es in Berlin sehr viel mehr als in Ruhr. Ganze  Stadtbezirke haben sich zu dem gemausert, was man heute Szeneviertel nennt. Nach Prenzlauer Berg („Prenzelberg“), Kreuzberg und Friedrichshain ist jetzt wahrscheinlich der Wedding dran. Zumindest sind erste Anzeichen dafür vorhanden.

 Der dazugehörige Szenetourismus ist gewaltig. Immer noch mehr  schlacksige  dünne Männchen mit großen Brillen und auf wild geföhnten und gelegten Haaren mit  darauf drapierten  kleinen Hütchen. Immer noch mehr  weißhäutig Mädchen mit  ebenso  großen Brillen, dafür aber umso kleineren Hund(ch)en,  deren Frau(ch)en ihren nichtssagenden  Gesichter mit  Amy-Winehouse –Frisurvariationen  Authentizität verleihen.  Das ist im ersten Moment ganz spannend, wird  aber sehr schnell langweilig. Da siehst du in jeder S-Bahn im Ruhrgebiet  zwar nicht so gestylte, dafür aber wesentliche interessantere Menschen.  Ihre Unterhaltungen,  vertont in babylonischer Sprachverwirrrung, drehen sich nur sehr selten um die Szenenstandards  Kunst, Kultur und neue Medien, dafür jedoch umso mehr um das, was man das reale Leben nennt.

Bei den „Skinny People“  (nicht nur) in Berlin geht es  dagegen in der Hauptsache um verbale Selbstinszenierung. Ihre  Internationalität demonstrieren sie dabei  mit (schlechtem) Englisch und dieses  möglichst in der amerikanischen Fassung, denn dann könnten die Zuhörer meinen, dass man/frau aus New York wäre.  Es gibt nämlich mehr New Yorker in  Berlin als in sonst einer deutschen Stadt. Ihre Zahl ist allerdings lächerlich klein gegenüber der Menge von Leuten, die so tun als ob und deren krampfhafte Intonation  sie in jeder Sekunde dafür Lügen straft. Dann lieber Kanak-Deutsch  vermischt mit Ruhrslang.

So halte ich mich in Berlin sehr wenig in den sogenannten Vierteln der „Kreativen“ auf. Nicht nur das man die Miete für ein Loft oder auch nur ein kleineres Apartment dort nicht mehr bezahlen kann.  Es ist die besondere Art von Menschen die mich (und nicht nur mich) dort zunehmend nervt. Ihre  ständigen Versuche  anders zu sein als alle anderen, ihre angestrengten Bemühungen immer cool zu wirken, haben etwas tief Vergebliches und damit äußerst  Lächerliches an sich. Als „boringly different”  werden sie  in  New York selbst bezeichnet.  „From being cool to being a fool it´s only a little step”. Stimmt!

Ich suche in Berlin sowie in Ruhr  deswegen ganz bewusst die weniger „szenigen“  Orte auf um mich inspirieren zu lassen. Und dazu benutze ich das urbanste aller Fahrzeuge: das Fahrrad. Der 3D-Film den ich dann jedoch jeweils zu sehen bekomme, könnte unterschiedlicher nicht sein. In Berlin die fast immer währende Dichte und Höhe der kompakten großen Stadt, in Ruhr das nicht enden wollende Straßendorf mit Einsprengsel von etwas, dass man landläufig City nennt. Ja, und Stadtteilzentren gibt es auch. Hunderte. Viel mehr als in Berlin. Dafür aber kleiner und umso weniger frequentiert. Abends und nachts häufig komplett tot. Solche Gegenden gibt’s natürlich auch in Berlin. Mehr als die meisten denken. Aber der größte Teil des innerstädtischen Bereichs ist auf Grund eben dieser baulichen Hochstapelung  und der Zuwanderung vieler junger Leute auch nach 20 Uhr flächendeckend belebt.

Das vermisse ich manchmal in Ruhr. Dieses räumlich breit gestreute und durchaus juvenile urbane Leben. Da muss ich dann doch regelmäßig ins Bermudadreieck nach Bochum um mir in der Ruhrstadt genügend Kompensation für die sonstige Leere  zu holen. Wobei Leere nicht das wirklich trifft, was diesen zweifellos überwiegenden, wenn nicht dominanten Teil dieser ehemaligen Industrieagglomeration ausmacht.  Es gibt sehr wohl Fülle in dieser Leere. Man muss sie nur entdecken wollen. Sie ist nicht offensichtlich, liegt nicht auf der Straße. Sie hat etwas Melancholisches, Verlorenes. Eine Urbanität die  hinter den Kulissen stattfindet.
 Sie hat, was die kreativen Menschen  die (auch) dort leben, betrifft, etwas Dissidentenhaftes.

Ihre Protagonisten verweigern sich nämlich den dröhnenden Treffpunkten der Selbst- und Fremdinszenierung. Des ständigen Sehen und Gesehen-Werdens. Zum einen weil sie es nicht nötig haben, weil ihre Selbstvermarktung  auch ohne das gelingt. Zum anderen weil es die Inspiration des verschworenen kleinen aber feinen Kreises gibt, der vertrauten Gruppe, die sich in der urbanen Diaspora in eben ihrer Distanz zur „Szene“ heimisch fühlt.  Die nur ab und zu die Impulse großer Gruppen und einer Menge fremder Gesichter braucht. 

 Besucht man diese Leute, sofern man von ihnen überhaupt weiß, ja sie sogar kennt,  in der urbanen „Wüste“ der Ruhrstadt, so springt einem im selben Moment der Begriff der „Oase“ an. Ein gerade in seiner Abgelegenheit inspirierender Ort, der allerdings auch von seinen ständigen Besuchern lebt.  Diese wiederum müssen in der Ruhrstadt – im Gegensatz zu Berlin – jedoch, wie die urbanen Wüstenkamele, bereit sein, längere Durststrecken der augenscheinlichen Leere zu überstehen.

Aber wie die Leere  der Wüste eben selbst eine eigene sehr wohl inspirierende  ästhetische Qualität hat,  so hat diese auch das nicht endende Straßendorf namens Ruhr, die sogenannte größte Kleinstadt der Welt. Denn sie enthält  im Gegensatz zu provinziellen Ordnung üblicher ländlicher Kleinorte so viele Brüche,  Verschachtelungen und Fragmentierungen, dass auch der Weg zu den Oasen selten langweilig wird. Zumindest am Tag und in den frühen Abendstunden.  Wer Gespräche führen will, kann das während dessen alle Nase lang tun. Er muss sich nur hinsetzen. Pause machen. Oder von sich aus Jemanden ansprechen. Selbst die schlichte Frage nach dem Weg kann hier ohne Weiteres zu einem überraschend langen Gespräch werden, dem sich in kürzester Zeit weitere (auf den Fremden) Neugierige  anschließen.

Wer hoch interessante bisweilen sogar ausgesprochen schöne Gebäude bzw. Gebäudekomplexe sehen möchte kommt ebenfalls auf seine  Kosten, sofern er die sonstige Banalität der Zwischenstadt nicht als Augenbeleidigung sondern  als  Ausdruck von Normalität auffasst. Auch Berlin ist in seiner Peripherie voll davon und nicht nur da. Wie alle Vorstädte dieser Welt. Die alte europäische Stadt, für die gerade aktuell wieder so viele der „Kreativen“ Schwärmen, macht nun mal auch in Europa nur noch einen Anteil von unter einem Prozent der städtischen Flächen  aus. Das kann man bedauern und/oder sich in ihren letzten vorhandenen Enklaven ein mehr oder weniger teures Plätzchen sichern. Oder man kann sich dem stellen und auf Entdeckungsreise gehen. Im Emschertal  zum Beispiel.

Gäbe es allerdings das B3E nicht, dann würde ich mich in Ruhr als Urbanaut , der ich nun einmal bin, nicht mehr so oft aufhalten. Dann wäre für mich Berlin eindeutig die erste Wahl in Deutschland.  Egal wie viele tolle Museen, Theater, Konzerthäuser usw. usw. es in Ruhr gibt und noch geben wird. Egal wie viele kreative Oasen und Dissidenten sich im Ruhrstadtdschungel verstecken. Egal ob sich das ganze zu einer Stadt mit einer Verwaltung zusammenfindet oder weiter im Klein-Klein der Stadtfürstentümer verharrt.

Ich brauche auch die Impulse durch die dichte Menge der Unterschiede. Ich brauche auch das Schaulaufen der Vielen, die Selbstinszenierung der anderen, und sei es nur als Zuschauer.  Ich brauche klassische sinnlich-interaktive Urbanität durch Menschendichte.  Und da  ist das sogenannte   B3E im Ruhrgebiet (immer noch) nicht zu toppen. Und auch an diesem Ort –an dem es natürlich auch ein paar „Skinnys“ gibt – ist der Unterschied zu Berlin sichtbar. Nicht nur, dass es diese  wenn auch nur städtisch punktuelle Dichte an so vielen Restaurants, Kneipen, Kinos usw. auf engstem Raum selbst in Berlin (noch) nicht gibt.

Hier begegnen sich in der Regel  andere Leute. Sie sind bodenständiger und ihre Unterschiedlichkeit und Vielfalt  ist real größer als in den meisten Szenevierteln Berlins. Dort  werden sie in der Mehrzahl sowohl vom Outfit als auch vom Szene-Sprech  von der mittlerweile weltweit  recht einheitlichen Style- und Face-Book-Generation bestimmt. Und natürlich von ein paar echten und erfolgreichen „Kreativen“ die ihren Epigonen als umschwärmte Vorbilder  gelten. Vielfältigkeit aus dem Worldwide Copyshop mit anschließender (Selbst-)Bildbearbeitung zwecks individueller Note.   Nicht wirklich inspirierend eben.

Ruhrgebiet, Nahverkehr und Regen

Ich liebe das Ruhrgebiet. Hier ist immer was los. Am Freitagabend muss ich mich zwischen einer Oper in Essen, einem Festival in Bochum und einem Filmmusikkonzert in Dortmund entscheiden. Die Freunde überreden mich, das Jubiläumskonzert des Studentenorchesters in Dortmund zu besuchen.

Ich liebe das Ruhrgebiet. Es dauert nur eine halbe Stunde, von Essen zur Dortmunder Uni mit der S-Bahn zu fahren. Als ich am Bahnhof die Treppe zum Gleis hochlaufe, merke ich: Etwas stimmt nicht. Auf der Anzeige steht nicht wie erwartet „S1“, sondern „S3“. Alle Leute steigen aus der Bahn aus. Der Zug fährt nicht weiter. Wegen des Unwetters gab es einen Stromausfall, die Strecke ist gesperrt, erfahre ich vom Zugbegleiter. Wann fährt die S-Bahn nach Dortmund? „Im ganzen Ruhrgebiet kommt es zu Verspätungen“, klärt die Durchsage auf.

Ich liebe das Ruhrgebiet. Ich sehe, wie eine Regionalbahn nach Minden, die über Dortmund Hauptbahnhof fährt, auf dem Nachbargleis eintrifft. Ich laufe schnell hin und erwische den Zug. Ich freue mich aufs Konzert. Ich muss jetzt nur noch einmal am Hauptbahnhof umsteigen; dann bin ich am Ziel. Doch irgendwas stimmt ncht. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich, dass keine Züge in Gegenrichtung fahren. Sie stehen still auf den Gleisen. Was wird, wenn jetzt die S1 Richtung Universität gar nicht fährt?

Ich liebe das Ruhrgebiet. Am Dortmunder Hauptbahnhof riecht es nach Waffel und Vanille. Ich sehe auf der Anzeigetafel, dass die S1 pünktlich ankommen wird. Auf dem Gleis warten schon viele Leute. Die S1 fährt pünktlich ein. Auf der Anzeige erscheint aber die Aufschrift: „10 Minuten Verspätung“. Die S1 verwandelt sich plötzlich laut der Aufschrift auf dem Zug in S2. Die Anzeige: „Nicht einsteigen“, dann „15 Minuten Verspätung“, dann wieder „Nicht einsteigen“. Die Uhr steht. Sie zeigt schon 5 Minuten lang die Abfahrtzeit des Zuges – 20 Uhr 34 Minuten. Die S-Bahn steht. Die Menschen auf dem Gleis stehen. Steht die Zeit still?

Ich liebe das Ruhrgebiet. Trotz der Zugverspätung sehen die Menschen nicht böse aus. Sie unterhalten sich. Ich gehe durch den Gleis und fühle mich wie in Babylon. Ich höre Deutsch, Französisch, Türkisch, Russisch und noch einige mir unbekannte Sprachen. Nur zwei Frauen mit riesigen Koffern sind besorgt. Sie müssen zum Düsseldorfer Flughafen, höre ich.

Ich liebe das Ruhrgebiet. Die Waffel am Dortmunder Hauptbahnhof schmeckt lecker. Die Besitzer des Kaffeeautomats auf dem Gleis haben in den letzten 20 Minuten den Umsatz einer Woche gemacht. Die Anzeige spinnt weiter. „Nicht einsteigen“ – „30 Minuten Verspätung“ – „Nicht einsteigen“ – „25 Minuten Verspätung“. Die Frauenstimme kündigt regelmäßig an: „Aufgrund vom Unwetter kommt es zu Verspätungen und Zugausfällen. Wie werden sie weiter informieren“. Die Nachbarn auf dem Gleis sprechen mich an, sie fragen, wohin ich hin will und beschweren sich über das Chaos. Ich erinnere mich an die „wetterbedingten Seminarausfälle“ an der Uni im Winter. Ich erzähle meinen neuen Bekannten, dass Zugausfälle wegen Schnee oder Regen in Russland unvorstellbar wären.

Ich liebe das Ruhrgebiet. Auf dem Gleis gegenüber warten die Menschen tolerant auf die S2. Die kommt auch nicht bzw. der Zug steht, aber man darf nicht einsteigen. Dann lautet die Durchsage: „Die S2 fällt aus“. Die Damen mit den Koffern sind inzwischen verschwunden. Ich rechne im Kopf nach, wieviel ein Taxi von Dortmund zum Düsseldorfer Flughafen kosten könnte.

Ich liebe das Ruhrgebiet. Ganz unerwartet kommt die erfreuliche Ansage: „Die S1 steht für Sie bereit“. Die Menschen auf dem Gleis steigen erst mal nicht ein, sie schauen sich gegenseitig an, sie glauben ihrem Glück nicht. Dann stürmen sie in den Zug; jeder will jeden vor Freude umarmen.

Ich liebe das Ruhrgebiet. Ich komme nur eine Stunde später als geplant an und erwische die zweite Hälfte des Konzerts. Ein ganz normaler Freitagabend wurde zum Abenteuer. Und das Wichtigste: Man kommt trotz allem an. Im Ruhrgebiet.

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Fünf neue Süchte für Sabine Bätzing

Als ich jung war, war alles ganz einfach: Süchtige waren schlank, hatten Nadeln im Arm und gingen auf David Bowie Konzerte. Spätestens seitdem Sabine Bätzing Drogenbeauftrage der Bundesregierung ist, ist das vorbei.

Sabine Bätzing (Mitte, ohne Hut) kann auch Spaß haben. Ausriss: Seelsorgeeinheit Rheinbrohl

Denn Bätzing hat sich der Suchtproduktion verschrieben: Haschh, Heroin und Hagebuttenlikör reichen ihr nicht mehr. Sie will neue Süchte denn mit jeder Sucht steigt die Bedeutung ihres Amtes und ein wenig natürlich auch ihre eigene Bedeutung. Und: Neue Süchte sind immer ein guter Grund um etwas zu verbieten. Zum Beispiel Online-Spiele für Jugendliche. Aber es muß weiter gehen. Ich habe mir mal fünf Süchte angeschaut, um die sich Bätzing unbedingt kümmern muß, wenn das Abendland gerettet werden soll.

1.  Lesesucht – Hilflose Menschen glauben sie wären Intellektuelle, werden aber von einer skrupellosen Verlagsmafia auf subtile Weise dazu gezwungen, immer neue Bücher zu kaufen.

2. Parteisucht: Irgendwann mal sind die Opfer dieser Sucht ganz naiv in eine Partei eingetreten. Nun, Jahrzehnte später, hat die mit ihren ursprünglichen Zielen nix mehr zu tun aber mit Streuselkuchen, Bratwurst und Bier und sogenannten „gemütlichen Beisammensein“ werden die Mitglieder immer wieder auf neue daran gehindert, sich endlich loszureissen.

3. Kindersucht: Es fängt mit einem an und das ist ja noch ganz niedlich. Dann kommt ein zweites, ein drittes und so geht es immer weiter. Um die Kindersucht finanzieren zu können schleichen sich manche der Kidjunks in Ministerien ein.

4. Redesucht: Trotz aller Mühe: Die Betroffenen sind nicht in der Lage auch nur an einem Mikrofon vorbei zu gehen. Was gefragt wird interessiert sie nicht. Sie erzählen einfach was ihnen in den Sinn kommt.

5. Arbeitssucht: Es ist mit der Arbeit wie mit vielen anderen Drogen:  Den Kick bekommt man längst nicht mehr, es geht nur noch darum die Schmerzen des Entzugs zu lindern: Jeden Tag schleppen sich Millionen Deutsche gegen ihren Willen in Büros und Fabriken. Ein Leben ohne Job? Undenkbar!

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Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Foto: Görges

Bochum-Total:
Fans trotzdem dem Unwetter…Der Westen

Schützen: Ballern lernen in den Ferien…Ruhr Nachrichten

Weltuntergang: 2012 ist Schicht…Kueperpunk

Kulturhauptstadt: Linz mit gemischter Bilanz…Presse

Traumzeit: Festibal startet heute…RP Online

A40: Vollsperrung und Design…WDR

Tonträger: Nachruf auf die Popkomm…Berliner Zeitung

Parteiwechsel: "Warum ich nicht zu den Piraten gehe"…Zeitrafferin

Schützen II: Das Lied von Schützne-Willy…RP Online

Jackson: Abschiedsfeier in Dortmund…Ruhr Nachrichten

Möllemann: Westerwelles Schatten…Sprengsatz

 

4 FÜR DEN FLUR – Runterkommen am Wochenende

So, mir reicht es jetzt. Die Reihe "3 FÜR 7" handelt kurz, knapp und schnodderig die extrem kulturvolle Sparte ab, und das jeden Dienstag. Aber was macht das brave Arbeitervolk hier in der Gegend nach wie vor am liebsten? Genau dann weggehen, wenn jedeR ausgeht, nämlich am Freitag und Samstag. Fatal, und das wird sich ohne ein gewisses Zutun wohl nie ändern. Also werden von nun an total coole Underground-Clubnächte derart unverschämt freitäglich in alle Welt hinausposaunt, bis der Untergrund endlich dahin geht, wo er hingehört: Zu den Werktagen, wie in sonst jeder bescheuerten Super-Menschenansammlungswohngegend auch. Danke, gern geschehen.

Freitags gehen immer die besonders Sauf(-und-so)-Bedürftigen auf die Piste, deshalb macht sich anscheinend kaum jemand die Mühe, da Programm-mäßig überhaupt noch etwas Besonderes abzuliefern. Also gut, könnt Ihr haben: Opening des Panic Room (ehemals in Steele) am Essener Pferdemarkt. Und zwar schon ab 18 Uhr mit Unmengen an Flaschenbiersorten, Rock aus den letzten vier Jahrzehnten, extrem kleinteiliger Trashdeko und den Garagejunggöttern Torpedo Monkeys (sowie noch ner Band mit einem allerdings viel zu langen Namen). Danach kann man dann höchstens noch in den Goldclub (jetzt seit einem Monat im Girardet Center) einfallen, um sich von Thorsten Pop Missile (sonst vor allem Hundertmeister Duisburg) die eher schaumgebremste, nie zu trendige BritPop-Packung (weit gefasst, dieser Begriff) zu geben und dabei beobachten, wie in diesem Etablissement mal wieder Essener Normalvolk und Semi-Szene (nicht) aneinander vorbeitanzen.

Samstag? Besser, wahrscheinlich weil am Sonntag weniger Leute arbeiten – ein Hoch der Arbeit natürlich, blabla, nix dagegen, muss schon, etc. Also: Ganz schön massenkompatibel "Summer Sounds" (ist das noch Englisch?) heißt die Sommerreihe (16 – 22 Uhr) in verschiedenen Parks von Dortmund, und niemanden wird wundern, dass Helmich und Sänger (sonst auch im Taxi des domicil) den Anfang machen, und das – als Westpark Unit auch noch. Da können sie sich auch schön äh eingrooven für die DeepHouse-Saison im von der Stadt gestifteten FZW-Club demnächst. Glückwunsch, nun lebenslänglich DJ, haha. Zum Glück auch noch dabei, aber woanders: Ralf Odermann, und das dann eher ultra-klassisch an alter Stätte, die jetzt Stargate heißt, aber natürlich zum nur zweimal im Jahr stattfindenden Logo-Club. Ahl Männer, all right. Noch mehr Urgestein? Geier, Koth (beide Rote Liebe früher mal), DNMK, Casio (alles Mögliche früher mal, nun vor allem Residents) und ein gewisser Martin Eyerer machen im Goethebunker zum einen auf Disco-MinimalHouse-Connection und zum anderen auf Broken/BigBeat-Techno-Connection. Letzteres auf dem großen, ersteres auf dem kleinen Floor im Goethebunker. Genau, und Beatplantation (Foto: irgendeinE AutonomeR) im Landschaftspark in Duisburg ist auch noch. Viel Spaß! (Fortsetzung dieser Party-Reihe hier: unregelmäßig.)

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Scharfes aus der Welt des Tangos

Ich glaube, ich bin der einzige Ruhrbaron, der dem Tango Argentino frönt. Die dazu notwendigen Fähigkeiten habe ich mir vor über zehn Jahren in mehreren Kursen in der Tanzschule La Boca in der Ruhrstadt Bochum angeeignet. Seitdem gehe ich regelmäßig dieser weltweit schönsten Form der  Nachtarbeit nach. Aber Tango ist nicht nur Tanz sondern eine Reise durch eine eigene Kultur aus Musik, Geschichte, Events, Kunst, Philosophie und Literatur. Vor kurzem bekam ich dabei dieses kleine, fast quadratische, geradezu niedliche Büchlein in die Hand. Mit dem eher romantisch-harmlos daherkommend Titel: Der Tangoengel.

Aber  das Ding enthält hochexplosiven Stoff. Nicht nur für Tangotänzer. Es geht im Kern um das Verhältnis von Tanz und Sex. Ich habe noch nie so viel, so ausschweifend und gleichzeitig so genau darüber gelesen wie in diesem 124  Seiten starken Parforceritt in Sachen erotischer Physik. Die Autorin, die aus gutem Grund einen Decknamen gewählt hat und über die der Verleger nicht mehr zu sagen bereit ist, als dass sie weiblich ist, nimmt kein Blatt vor den Mund. Im Gegenteil! Und doch ist der Text an keiner Stelle pornographisch. Er ist vielmehr grundehrlich, direkt bis zur Provokation, hintergründig und – sofern es das Thema überhaupt zulässt –  sogar ironisch und witzig. Mit einem Satz: Er ist im positiven Sinne verdorben, ist von geradezu praller Lasterhaftigkeit.
 
Die Story selbst ist dagegen eher traurig und bitter. Zumindest gibt es kein Happyend. Sie hat eigentlich überhaupt kein richtiges Ende, denn man fängt nach dem letzten Satz fast automatisch an, die Geschichte erneut von vorne zu lesen. Wieso? Weil sie mit dem Abend danach beginnt, um dann die Nacht davor zu beschreiben. Die Sache wird sozusagen von hinten aufgerollt, aus dem Rückspiegel betrachtet. Die beiden Hauptfiguren befinden sich dabei auf der Milonga (so nennt man beim Tango die Tanz-Location) , die der Ausgangspunkt der Nachtgeschichte ist. Der räumliche und soziale zumindest. Der emotionale Ausgangspunkt ist der Tanz, das gemeinsame Tanzen zur Tangomusik. Die Begegnung in der Bewegung, die zu einer Bewegung in der Begegnung geführt hat. Zu einer Dynamik, die am Ende keiner der beiden Beteiligten mehr kontrollieren konnte und wollte. Die irgendwie überraschend und doch unausweichlich von der Vertikalen in die Horizontale führte, und (wie so oft bei Tango-Affären) zu einem bösen Erwachen.
Das in der Tangoliteratur immer wieder thematisierte Begehren wird hier zu Ende gedacht, phantasiert, erzählt. Rein literarisch gesehen an machen Stellen noch verbesserungsfähig, aber nichtsdestotrotz und meines Wissens erstmalig in solch einer   inneren Konsequenz, mutigen Offenheit und  im wahrsten Sinne des Wortes eindringlichen Körperlichkeit. Und zwar aus der Sicht beider Protagonisten, das heißt in diesem Fall aus der weiblichen und der männlichen, was der Leser angenehmerweise am diesbezüglich wechselnden Schrifttypus gut nachverfolgen kann. Es war für mich immer wieder erstaunlich, wie sehr sich die Autorin dabei auch in der männlichen Seele auskennt, beziehungsweise sich in diese hineinzuversetzen in der Lage ist.
 
Hinter der manchmal beängstigend materialistischen Beschreibung der körperlichen Vorgänge lässt die Autorin in den ebenso niedergeschriebenen Gedanken der „Matadore“ immer wieder deren emotionale Betroffenheit aufscheinen und stellt dabei Stück für Stück die Motive und (Hinter)Gründe ihres Handelns vor. Tanz wird dabei, im immer schneller werdenden Wechsel, zu Sex – und umgekehrt, bis das eine vom anderen nicht mehr zu unterscheiden ist. Zumindest nicht für die beiden Akteure. Ihre Erinnerungen vermischen sich zusehends mit der Gegenwart. Ihre Wünsche und vor allem ihre Ängste werden eins mit der Realität, oder genauer mit der Wahrnehmung ihrer jeweiligen Realität. Lust wird zur Last, Träume zu Alpträumen. Dazwischen immer wieder der Versuch, Sex und Liebe zu verbinden, Leidenschaft und Zärtlichkeit miteinander zu versöhnen. Aber es gelingt nicht. Keinem von beiden. Wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen.
 
So wird ganz nebenbei die diesbezügliche emotionale und soziale Ambivalenz des Tango und insbesondere der Tangoszene abgehandelt, ohne die Freuden und die Glücksgefühle beim Tanzen dabei aus den Augen zu verlieren. Totale Einsamkeit und totale Nähe liegen hier nämlich genauso nahe beieinander wie Schein und Sein. Und Sex löst bekanntlich keine Probleme. Er kann sie sogar – wie wir alle wissen – noch potenzieren. Hier treibt er sie auf die Spitze, ist tragender Teil der Dramaturgie.

Das Büchlein wird übrigens in der Ruhrstadt Herne beim Frisch-Texte-Verlag produziert : Klack
 

Ist die Zukunft des Papiers elektronisch?

Foto: Flickr.com / Yaisog

Alle warten gespannt auf die Zukunft der Medien, reden vom Ende des Druckergewerbes und dann kommt das: Ein eBook Marke Sony PRS-505. Ich hab das Ding ausprobiert. Ein Erfahrungsbericht:

Seit geraumer Zeit frage ich mich, welche Zukunft das Printbusiness hat. Gibt es neue Geschäftsmodelle für Verlage und Reporter, für Buchhändler und Grossisten? Es heißt, das Internet sei das elektronische Grab einer ganzen Branche. Ich muss dann immer an die Menschen denken, die anfingen automatische Webstühle zu bekämpfen. Der Kampf gegen die Technik hatte keinen Erfolg – und heute gibt es billige Kleider für alle, die Textil-Industrie beschäftigt immer noch Millionen Arbeiter – und wir leben zumindest in Europa, da wo die mechanischen Webstühle erfunden wurden, nicht im Elend. Mit anderen Worten: Ich glaube an den Fortschritt und daran, dass man nur die richtige Idee braucht, um eine Branche neu zu erfinden.

So sehe ich auch die Herausforderung an das alte Printgewerbe durch das Netz. Der freie Wissensfluss ist eine Chance, etwas komplett Neues zu generieren. Auch für Verlage. Eine Idee war mal, so ne Art Handyvertrag für Zeitungen und Zeitschriften zu gestalten.

Grundsätzlich kann man ja sagen, die Verleger verkaufen bislang nur Papier. Und um diesen langweiligen Stoff interessant zu machen, bedrucken sie ihn mit möglichst spannenden Geschichten. Stories wollen die Leute haben, also zahlen sie für gepresste Zellulose. Aus diesem Grund ist eine Zeitung mehr wert, als zum Beispiel eine Rolle Klopapier.

Auch im elektronischen Zeitalter wollen die Menschen spannende Geschichten lesen, hören, sehen. Wäre es da nicht klug, statt Papier, elektrische Lesegeräte für digitale Zeitungen zu verkaufen? Der Deal könnte doch so aussehen: Der Verleger verkauft ein Lesegerät für 1 Euro. Dafür muss der Kunde ein Zweijahresabo zum Preis 24 Euro je Monat für die digitale Zeitung abschließen, plus ein Bonusabo auf eine Zeitschrift der Wahl. Die Zeitung und das Magazin werden dann jeden Tag auf das Lesegerät gebeamt. Plus Extra-Features, wie Archiv-Nutzung und kleine Einspielfilme. Was weiß ich.

Diese Idee finde ich gut. Könnte doch ein Weg sein.

Nun: Dazu braucht man aber ein taugliches Lesegerät. Und da fangen die Probleme an: Ich habe das Sony PRS-505 getestet. Das derzeit einzige eBook, das in Deutschland zu haben ist. Die Zukunft also, die jede Zeitung weghauen soll. Zum Preis von 347,90 Euro.

Beim auspacken fiel mir die sehr elegante Schutzhülle auf. Richtig schick. Das Beste zum Angeben im Zug oder im Flugzeug. Edel, schlicht, Leder. Liegt in der Hand, weich, wie ein Pfirsich. Toll.

Dann muss man das Ding aufklappen. Der Bildschirm ist in etwa so groß wie ein Reklambuch. Der Kontrast auf dem eingeschalteten Bildschirm: Schwarze Eckbuchstaben auf schlammigen Recyclingpapier. Kennt noch wer diese Öko-Alternativ-Flugblätter aus den 80er Jahren. Ich meine die Druckqualität von den Dingern? Ungefähr so sieht das aus.

Dies sei Leseoptimiert, heißt es in einer Presseerklärung zum Gerät. So könne der Kontrast am besten hergestellt werden, um auch in der Sonne lesen zu können und im Schatten.

Ok. Lesen selbst geht aber erstmal gar nicht, weil der Akku leer ist. Es gibt in der Packung kein Netzgerät. Das Ding muss an den PC angeschlossen werden. Also Rechner hochfahren, ankabeln, warten. Eine Stunde, zwei Stunden, gefühlte drei Stunden. Dann ist der Akku voll.

Ich fange an zu testen. Auf dem eBook sind einige Romane. Vor allem aber Leseproben. Einer der frei geschalteten Romane heißt: "Gut gegen Nordwind".

Eine Liebesgeschichte, die sich per Email entwickelt. Lauter Emails untereinander, die sich irgendwelche Leute hin- und her schicken. Was weiß ich, 5000?

Emails in einem Buch zu lesen mag spannend sein, da es ein Konzeptbruch ist. Emails in einem elektronischen Device zu schmökern, ist „geht so“. Da nervt schon ein Blackberry. Emails von fremden Leuten zu lesen, die nur von sich erzählen, ist langweilig. Emails von fremden Leuten zu lesen, die ihr Seelenleben ausbreiten ist zum fremdschämen peinlich.

Was ich damit sagen will. Das Buch passt zum eBook.

Es gibt drei Schriftgrößen, die man frei einstellen kann. Nicht lesbar, lesbar, und Kartoffelstempel.

Nicht lesbar ist zu klein. Die Kontraste verschwimmen. Gemessen ist die Schrift zwar so groß wie die Schrift in einem Magazin, aber weil der Hintergrund des Readers so grau wie ein Regenhimmel ist, strengt das Lesen ungemein an.

Lesbar ist lesbar, aber auf einer Seite taucht soviel Text wie in einem Blackberry-Handy auf. Wer will einen Roman auf dem Blackberry lesen? Eben.

Kartoffelstempel ist so groß, dass der Text pro Seite ungefähr der Länge einer SMS entspricht. Absolut untauglich für alle Menschen, die nicht fast blind sind.

Das Problem wird durch die Größe des gesamten Gerätes definiert. Es ist im Außenumfang so groß wie ein normales Buch – also perfekt groß. Aber auf der Innenseite mussten so viele Steuerelemente angebracht werden, dass der Lesebildschirm zu klein geraten ist – wie gesagt Reklamgröße.

Wer hat gerne Reklamhefte gelesen? Ok, der Streber aus der ersten Reihe. Aber wer noch?

Ich will jetzt was gutes Lesen. Auf dem eBook ist nichts, was mich interessiert.

Ich könnte jetzt für 20 Euro oder so einen neuen Roman runterladen. Durchaus guten Stoff. Das geht. Aber für einen Test ist mir das zu teuer. Vor allem weil ich das Gerät nach einer Woche wieder abgebe. Und danach kann ich mir den für 20 Euro angeschafften Roman nicht in mein Regal stellen. Ich kann ihn auch nicht meiner Frau geben, oder einem Kumpel schenken. Ich kann ihn auch nicht verleihen, einpacken oder unter ein zu kurzes Stuhlbein schieben. Ich kann nicht mal damit ein Feuer anmachen.

Ich kann den 20-Euro-Roman eigentlich nur auf dem eBook lesen.

Das eBook akzeptiert aber auch PDF-Dateien. Ich will mir ein paar auf das Gerät laden. Das geht sehr einfach und komfortabel über ein mitgeliefertes Programm. Diese Seite der Technik passt.

Ich muss zum Beispiel noch eine Akte zu einem Prozess lesen. Das Ding hat knapp 8000 Seiten. Da ich morgen lange im Zug unterwegs bin – von Oberhausen nach München -, will ich das Monster auf dem eBook lesen und mir unterwegs Notizen machen.

8000 Seiten passen nicht auf das eBook. Der frei verfügbare, eingebaute Speicher hat unter 300 MB.

Kein Flachs. Das ist wahr.

Mein Handy hat mehr Speicherplatz und ist viermal so klein.

Ich lade einen Teil der Akten auf das Gerät. Das klappt. Ich kann die Akten öffnen. Im Schriftgrößemodus „nicht lesbar.“ Die anderen Modi funktionieren nicht. Mist.

Am nächsten Tag versuche ich aus Neugierde trotzdem zu schmökern. Es ermüdet unheimlich. Allein das Umblättern. Von Seite zu Seite können Sekunden vergehen. Schnell mal ein paar Seiten überschlagen – das läuft nicht. Nach einer Stunde gebe ich auf. Vor allem der Kontrast stört nach einer Weile extrem. Man darf sich das nicht schwarz auf weiß vorstellen, sondern nur so sehr dunkelgrau auf ziemlich hellgrau.

Wie gesagt, ich bin im Zug nach Süddeutschland. Ich schau, was das Gerät sonst noch kann. Die Steuerung ist OK. Ich kann das eBook intuitiv bedienen. Meine Oma würde das zwar nie hinkriegen. Meine Mutter wohl auch nicht. Und mein Vater hätte keine Lust auf dem Minibildschirm. Aber meine Frau kann damit sofort umgehen. Allerdings will sie das Gerät nur einmal in die Hand nehmen. Sie findet die Schrift zu klein.

Aber ich will ja von der Zugfahrt erzählen. Jedenfalls hab ich herausgefunden, dass der Sony Reader Bilder anzeigen kann.

In schwarz-weiß.

Ich denke an ein Bild auf einem 10 Jahre alten Siemens-Handy. Die Auflösung ist sehr gut, keine Frage, obwohl die Kontraste in den Weißbereichen verwischen. Aber darum geht es eigentlich gar nicht. Wieso kann ich auf einem modernen Kühlschrank Spielfilme schauen und auf einem eBook nur schwarz-weiß Bilder? Leuchtet mir nicht ein.

Naja, damit bin ich an der Stelle auch am Ende. Ich hab dran gedacht, mir eine PDF-Zeitung auf das Gerät runterzuladen. Wäre doch mal interessant auf so ein Stück auf dem eBook zu lesen. Da gibt es einige Auswahl im Netz.

Mist. Das eBook hat keinen Netzzugang. Weder mobil, noch über LAN. Einfach nicht vorgesehen der Netzzugang. Wo ist da der Nutzen einen mobilen Gerätes?

Und dann ist der Akku leer.

Auch kein Flachs. Das war kurz hinter Frankfurt. Um das eBook zu laden musste ich den Laptop hochfahren.

Jetzt war der Computer an. Ich hab noch ein wenig im Internet gesurft, mir die Akten in ordentlicher Auflösung angesehen, nebenbei elektronische Notizen gemacht. Was man halt so tut.

Am nächsten Morgen war das eBook dann wieder aufgeladen. Ich hab es mit zum Frühstück genommen. Einige Leute haben neidisch auf das lederne Mäppchen geschaut. Ich habe mir einen Kaffee eingeschüttet und hätte jetzt gerne eine Zeitung gelesen. Doch wie gesagt, auf dem eBook waren nur Bücher mit Liebesemails von irgendwelchen Vögeln und so. Runterladen von irgendwas Nettem? Niente.

Bei Kaffee und Toastbrot musste ich daran denken, was ich von einem elektronischen Lesegerät erwarte. Ich will morgens eine Zeitung auf dem Gerät haben. Ich will damit Bücher und Akten lesen. Ich will damit im Netz neuen Stoff laden können. Ich will alles in Farbe haben, mit einem tollen Kontrast.

Das alles kann das eBook nicht.

Mein Fazit:

Das eBook von Sony ist der erste Pfannekuchen einer langen Serie von elektronischen Lesegeräten. Der erste Pfannekuchen misslingt immer.

Es kommen aber mehr Pfannekuchen. Und spätestens der übernächste wird prima – hoffentlich.

Ach ja, Amazon bringt den Kindle derzeit nicht in Deutschland raus, weil die Amis sich nicht mit den Mobilfunkanbietern auf einen Tarif für das Herunterladen elektrischer Bücher einigen können.

Könnte sein, dass dies der entscheidende Streit ist, warum es mit den Stromheften nicht vorangeht.