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Ruhr2010: „Widersprüche in der Stadtkultur zulassen“…DEMO

Nahverkehr: Dem VRR fehlen 35 Millionen…Der Westen

Nazis: Haltern hat keine Probleme…Ruhr Nachrichten

RWE: Evonik gibt nichts fürs Stadion…Der Westen

Opel: Der lange Weg zur Staatsbürgschaft…FAZ

Ripper: Preis für Mankell…taz

WP: Jetzt auch noch Bodo Zapp…Zoom

Unperfekthaus: Bestes Ruhrgebietslied gesucht…Hometown Glory

 

Kaum Hoffnung für Alu-Werk

Norsk Hydro muss seine Hoffnung auf eine schnelle Rettung seiner Aluminiumhütte in Neuss aufgeben. Die Politik in Berlin kann sich nicht auf eine schnelle Entlastung der stromintensiven Industrien einigen. Dabei stellt sich das Haus des neuen Wirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg hinter die Forderung der Industrie.

Bei einem Treffen mit dem Betriebsrats von Hydro Deutschland sicherten Vertreter des Ministeriums ihre Unterstützung zu. Die Industrie erhofft sich eine Rückvergütung der im Strompreis enthaltenen CO2-Abgaben. Die Unterstützung von Guttebberg hilft Hydro und den anderen Groß-Stromverbrauchern nicht, denn zuständig für die CO2-Abgaben ist das Bundesumweltministerium. Und dessen Hausherr Sigmar Gabriel hat bereits klargestellt, dass er keine Rückzahlung an Hydro & Co will.

Damit lösen sich die Hoffnungen der rund 650 Beschäftigten von Hydro in Neuss auf einen schnellen Rettungsplan in Luft auf. Das Unternehmen wollte über eine Entlastung bei den CO2-Abgaben und einen neuen Stromvertrag von RWE die Grundlage für eine zukunftsfähige Produktion in Deutschland schaffen. Von RWE liegt ein Angebot vor; ohne ein Entgegenkommen von Gabriel ist der aber aus Sicht von Hydro wertlos.

Derzeit lohnt sich die Aluminium-Produktion in Deutschland nicht, da der Preis für den Werkstoff um mehr als die Hälfte auf 1300 Dollar eingebrochen ist. Das Hydro-Werk in Neuss benötigt ein Preisniveau von 2500 Dollar, um rentabel zu arbeiten.

Um die Verluste zu begrenzen fahren die die Arbeiter der Aluminiumhütte die Produktion zurück. Für die meisten Arbeiter wurde Kurzarbeit vereinbart. Findet sich kein Zukunftskonzept für das Werk, dann könnte die Produktion komplett eingestampft werden.

Ruhr? Ah, toll! – Das Ruhr-Atoll auf dem Baldeneysee

Fotos: Ruhr.2010

Die Zahl der Pressekonferenzen zu 2010 steigt rapide. Dennoch gibt es einen regen Zulauf am Montag Morgen, denn es geht um eines der großen und großteils akzeptierten Projekte: "Ein Archipel der Künste und Wissenschaften auf dem Baldeneysee und der Ruhr". Und auch um sonstige Projekte eines der aktuellen Hauptsponsoren. Dementsprechend das Kräfteverhältnis auf dem Podium: Ein Moderator, drei Künstler, einmal Kulturhauptstadt und zweimal RWE.

Das Projekt: Vier künstliche Inseln, davon eine zwischen See und Wehr und drei auf dem Baldeneysee selbst. Gestaltet zum Thema "Energie" von Ilya und Emila Kabakov, von Kazuo Katase und Michael Wilkens, von Andreas Kaiser und Lars Kindermann und von Andreas M. Kaufmann und Hans U. Reck. Die Künstler stellen hiermit Fragen nach der Ökonomie der Ökologie, dem Energieverständnis des Menschen und der Bedeutung von konkreten Phänomenen wie Polkappenschmelze und Energiekriege. Dies sieht dann einmal wie eine nachhaltige Resterampe, einmal wie eine asiatische Teestube samt Garten, einmal wie ein Eisberg mit Polarstation und dann wie der obere Teil eines (begehbaren) U-Bootes aus. Die Kabakovs hinterfragen den ökologischen Gesamtsinn der Atoll-Idee, die Architekten Katase und Wilkens setzen ein Bild von Kontemplation und Naturkreislauf gegen die oft recht technokratische Energieriesenwelt, die Physiker Kaiser und Kindermann senden live von einer Station auf dem Nordpol und Kaufmann/Reck konfrontieren die Gäste des Spektakels mit dem in ihr U-Boot gemeißelten Satz "Ich kann, weil ich will, was ich muss." Die Freiheit der Kunst sieht also gewahrt aus, RWE wie Ruhr.2010 GmbH können zufrieden sein. Und die Region?

Interessante Bilder, verständliche Botschaften, platziert mitten in eines der Ausflugsziele der Region überhaupt, gefördert von einem der hiesigen Energieriesen. Das wirkt professionell, weltoffen und nachvollziehbar zugleich. Das Konzept von Norbert Bauer ist in dieser Woche in die Bauphase übergegangen, nach mehr als fünf Jahren Vorbereitungszeit, vielen Gesprächen mit dem Stadtteil und Verbänden, und bei einem Volumen von gut einer Million Euro. Es wird in Richtung Zukunft gewiesen, die Medien werden ihre Bilder bekommen, viele Millionen Menschen werden den Baldeneysee kennen lernen und feststellen, dass sich im Ruhrgebiet – auch aus einem Lernen aus der Geschichte und Weltpolitik heraus – Gedanken um die Umwelt gemacht werden, und das auf hohem Niveau. Keine Wermutstropfen?

Auf den Flurgesprächen nach der Konferenz erfährt man vielerlei. Neben Lob für die Ruhrbarone, Schnittchen und offensichtlich auf recht sympathische Weise überzeugten Mitarbeitern des Projektes gibt es bereitwillig viele Zusatzinformationen: Vertreter des RWE diskutieren Ansätze zu einem interaktiven Internetportal zu den mannigfaltigen Aktivitäten des Konzerns ab Herbst (www.energiekulturruhr.de). Mitarbeiter und Freunde des Atoll-Projektes erklären ihre in der Industrie erlernten Prinzipien von Verständlichkeit und Nutzerfreundlichkeit und wie dies auf Kulturprojekte übertragen werden kann. Man diskutiert das "Wie" von Kultursponsoring und die Bedeutung des Projektes Ruhr-Atoll im Vergleich mit der Unterstützung von Fußballvereinen. Man lässt sich sogar über die Schwierigkeit der Vermittlung von Kultursponsoring in Zeiten von Enteignungen und dem generellen Trend zur Industrieschelte aus.

Und selbst das lässt sich im Vergleich mit manch anderen Projekten und deren Aura und Umfeld alles sehr entspannt und selbstsicher an. Ähnlich selbstgewiss wie vorher all die anderen 2010-Projekte des RWE vorgestellt wurden, vom Kommunalen Kino samt RWE-Lounge im Dortmunder U über Kooperationen mit der Yehudi Menuhin-Stiftung, Folkwang, der Stiftung Lindauer Nobelpreisträgertreffen, dem Weltwasserstoff-Kongress und dem Kulturwissenschaftlichen Institut bis hin zu den Ruhrfestspielen Recklinghausen, dem Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna und natürlich der Extraschicht. Gut, der Künstler hätte gern acht statt vier Atolle – aber es schweben eh angenehm wenig Zahlen im Raum herum. Ein gutes Signal, ein gutes One-Off-Großprojekt.

Weltgeist in Wattenscheid: Ein Gespräch über Gerechtigkeit und Fanatismus

Foto: Inkyhack

Seit Jahrzehnten tritt Shirin Ebadi aus dem Iran als Rechtsanwältin für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Nun war sie im Ruhrgebiet. Im Rahmen des Projekts "Herausforderung Zukunft" besuchte Shirin Ebadi am Freitag die Pestalozzi-Realschule in Bochum-Wattenscheid. Hier unterhielt sich die Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2003 mit Schülern der Klassen 9 und 10 über Freiheit, Unterdrückung und ihre schwierige Arbeit in Iran.

Während ihres Besuchs in Bochum-Wattenscheid wird Shirin Ebadi von mehreren schrankbreiten Sicherheitsleuten bewacht. Kurz bevor sie in die von einer Polizeieskorte begleitete Limousine einsteigt, lächelt sie und sagt: „Am wichtigsten ist nicht, welche Religion, Sprache oder Kultur man hat, sondern dass man an die Menschenrechte glaubt.“

Frau Ebadi, was ist Ihr Antrieb, sich unter Einsatz des eigenen Lebens für die Menschenrechte in Iran einzusetzen?

Jeder Mensch kommt mit besonderen Eigenschaften auf die Welt. Als ich klein war, mochte ich etwas, von dem ich nicht wusste wie es heißt: Gerechtigkeit. Ich beobachtete, dass sich Kinder stritten und ergriff Partei für die Schwächeren. In diesem Zusammenhang kam es vor, dass ich auch selber Prügel bezog. Dieser Umstand führte dazu, dass ich Rechtswissenschaften studierte und Richterin wurde. Als mir dann 1979 unmittelbar nach der islamischen Revolution gesagt wurde, dass ich nicht mehr das Richteramt bekleiden darf, dachte ich, dass ich mich als Rechtsanwalt für diejenigen Menschen einsetzen möchte, deren Menschenrechte verletzt werden. Dazu folgende Geschichte: Wenn Sie sich auf dem Feld der Menschenrechte engagieren möchten, müssen sie aber nicht unbedingt Jurist werden. Jeder Mensch und jeder Schüler hat besondere Neigungen und Fähigkeiten. Der eine mag Mathematik, der andere Literatur. Jeder sollte seine eigene berufliche Ausbildung so gestalten, wie es ihm zusagt. Das heißt aber nicht, dass man sich um die Situation anderer nicht mehr kümmert. Beispielsweise kann ein Fotograph mit einem gelungenen Foto, das Wesen des Hungers viel besser verdeutlichen als es ein Jurist oder ein Arzt vermag. Mit literarischen Mitteln, mit einer Geschichte kann man die Unterdrückung viel besser darstellen und auch bekämpfen als ein Jurist. Ich will sagen, der Einsatz für die Menschenrechte ist nicht beschränkt auf Juristen. Das kann jeder tun.

Wie war Ihre erste Reaktion als das Menschenrechtsbüro in Iran geschlossen wurde?

Wenn alle Voraussetzungen wegfallen, die einem helfen, wird es schwer. Der Einsatz für die Menschenrechte ist aber per se immer mit schwierigen Bedingungen verknüpft. Die iranische Regierung hat dieses Büro geschlossen. Aber das ist nicht wichtig. Zwar ist unsere Arbeit dadurch schwieriger geworden. Lassen sie mich aber sagen, dass die Kunst darin besteht, dass man die Schwierigkeiten bewältigt und sich seiner Arbeit widmet. Darauf kommt es an. Ein Beispiel: Wenn einem Schüler hier an der Schule erschwert wird, seine Ausbildung fortzusetzen, kommt es darauf an, sich dafür einzusetzen, dass dieser Schüler seine Ausbildung fortsetzen kann.

Wie hat es sich 1969 angefühlt, in Iran als erste Richterin tätig zu sein?

Ich war sehr stolz. Es war eine sehr große Ehre, einen Wunsch umgesetzt zu haben. Lassen Sie mich aber gestehen, dass ich eine schlechte Eigenschaft habe. Jedes Mal, wenn ein Wunsch von mir in Erfüllung geht, möchte ich sofort, dass ein weiterer, größerer Wunsch in Erfüllung geht. (Shirin Ebadi überlegt) Ich frage mich manchmal, wo das alles enden soll.

Was verstehen Sie unter Gerechtigkeit und wann ist dieses Ziel in einem Staat erreicht?

Ich darf Ihnen empfehlen, sich jeden Tag diese Frage zu stellen. Das Stellen dieser Frage gibt ihrem Leben eine neue Richtung. Wir leben in einer Welt voller Ungerechtigkeit. Schauen Sie, nach Angaben der Vereinten Nationen kann man mit der Menge an Lebensmitteln, die in Europas Restaurants weggeworfen wird, den gesamten Hunger auf dem afrikanischen Kontinent stillen. Sie und ich, wir leben in Gesellschaften, wo es normal ist, dass zu Hause zu jeder Zeit kaltes und warmes Wasser aus dem Wasserhahn läuft. Sie wissen sicherlich, dass viele Menschen auf der Welt keinen Zugang zu Trinkwasser haben. Die Armut auf der Welt breitet sich täglich weiter aus. Wir alle leben auf einer Erdkugel, aber es ist so, dass eine Minderheit durch Ihren großen Konsum erheblich zur Weltverschmutzung beiträt. All das sind Fragen, die man sich im Rahmen der Frage nach Gerechtigkeit stellen muss. Es ist, so denke ich, die Pflicht eines jeden Menschen gegen diese Ungerechtigkeit anzukämpfen.

In Iran sind Frauen und Mädchen stark benachteiligt, wie gehen Sie und andere Frauen in Iran mit dieser Benachteiligung um?

Über 65 Prozent der Studenten in Iran sind weiblich. In einigen Fachrichtungen wie Literatur und Jura ist der Prozentsatz noch höher. Das heißt: Was Ausbildung und Studium betrifft, gibt es keine Probleme für Mädchen und Frauen in Iran. Auch was die berufliche Tätigkeit betrifft gibt es keine Probleme. Schauen Sie: Nach dem Abschluss des Jura-Studiums war ich Dozentin an der Universität, Rechtsanwältin und Richterin. Auf allen diesen Feldern hatte ich keine Probleme als Frau. Die Probleme beginnen dann, wenn man sich für Menschenrechte und Gerechtigkeit einsetzt. Aber die Probleme haben auch meine männlichen Kollegen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen. Ich werde ein Beispiel geben, um zu verdeutlichen, worum es sich handelt: Jede Frau in Iran, ob Muslima oder nicht Muslima, ob Iranerin oder nicht Iranerin, jede Frau muss die islamische Kleiderordnung einhalten. Tut sie das nicht, gibt es eine entsprechende Strafe. Beispielsweise kann ich so, wie ich hier vor Ihnen stehe, in Iran nicht auf die Straße treten. Ich müsste etwas auf dem Kopf tragen und meine Haut bedecken. Diese gesetzlichen Vorschriften schränken unsere Freiheit ein. Dagegen protestieren in Iran aber nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Wenn ich zum Gericht gehe, muss ich natürlich die Kleiderordnung einhalten. Vor Gericht aber rede ich genauso wie meine männlichen Kollegen. Diese Vorschriften wurden den Frauen nach der islamischen Revolution aufgezwungen. Die Frauen sind eindeutig dagegen. In Iran gibt es eine sehr starke Bewegung gegen diese diskriminierenden gesetzlichen Vorschriften.

Was meinen Sie, wie sollte der Westen dem Iran begegnen?

Das Wichtigste ist, dass wir den Iran gut kennen lernen. In Iran lebt nicht nur Herr Ahmadinedschad, es leben dort auch andere Menschen. Deswegen sollte man, wenn man etwas aus dem Iran hört, was verwundert – beispielsweise das, was er über den Holocaust gesagt hat – beachten, dass es auch andere Stimmen gibt. Wenn man die iranische Geschichte eingehend studiert, wird man feststellen, dass der Iran immer ein sicherer Ort für die Juden gewesen ist, die dort ohne Probleme ihre heiligen Stätten gehabt haben. Man muss wissen, dass eine Vielzahl von Juden dort leben und es hat niemals Probleme zwischen Iranern und den dort lebenden Juden gegeben. Das ist heute nicht anders. Wenn Sie beispielsweise Sachen hören, dass in Iran Gliedmaßen abgehackt werden, müssen Sie wissen, dass das gesamte iranische Volk gegen diese Strafen ist und sich dagegen einsetzt. Meine Bitte an Sie ist, wenn Sie sich ein Bild von Iran machen wollen, nehmen Sie nicht das als Grundlage, was der Präsident des Iran sagt, sondern studieren Sie die iranische Literatur und Geschichte. Das sollte Ihr Maßstab für die Beurteilung sein.

Was glauben Sie, ist der Hauptgrund der Schwierigkeiten zwischen Iran und Israel?

Das Hauptproblem ist auf den Streit zwischen Israel und den Palästinenser zurückzuführen. Es gab vor Jahren in Oslo Friedensgespräche zwischen beiden Parteien. Wenn man diese Gespräche auf eine Formel bringen wollte, könnte man sagen: Land gegen Friede. Beide Seiten hatten akzeptiert, dass es zwei Staaten geben muss, die in Frieden nebeneinander leben sollen. Es wurde vereinbart, dass bis zum Erreichen dieses Ziels beide Seiten Frieden einhalten. Leider wurde dieser Prozess des Friedens unterbrochen und die Auseinandersetzungen wieder aufgenommen. Der Grund waren – auf beiden Seiten – extremistische Kräfte. Diese Stimmen wollten alles auf einmal. Die einzige Lösung für diese Problematik ist, dass der Vertrag von Oslo umgesetzt wird. Ich hoffe, dass die Extremisten auf beiden Seiten begreifen, dass es nun reicht mit Krieg und Blutvergießen. Die Problematik zwischen beiden Ländern wird auch von einigen Staaten missbraucht. Iran ist ein Land, dass keine gemeinsame Grenze zu Israel hat. Die jüdische Religion ist in Iran als offizielle Religion anerkannt. Ich hoffe, das beide Seiten zu einer friedlichen Lösung kommen. Dann hat man Extremisten auf beiden Seiten jeden Vorwand genommen. Warum ist der Iran nicht bereit, Religion und Staat voneinander zu trennen? Die Gesellschaft in Iran ist dazu ganz und gar bereit. Wer nicht bereit ist, ist die Regierung. (Shirin Ebadi lacht) Wir sind Muslime, genau so wie die meisten Schüler hier wohl Christen sind. Die Religion ist eine persönliche Angelegenheit, die Gesellschaft sollte durch demokratische Regeln geregelt werden. Das heißt, die Regierung muss fern jeder Religion und Ideologie sein.

Sie sind selbst praktizierende Musima. Welche Bedeutung hat der Islam für Sie persönlich?

Der Islam ist für mich etwas, woran ich glaube. Ich praktiziere den Islam. Aber zugleich bin ich der Überzeugung, dass es jedem Menschen möglich sein muss, selbst zu entscheiden, welcher Religion er angehören will. Im Moment ist der am meisten diskutierte Gegenstand in Iran das Verfahren gegen die Bahai-Religionsgemeinschaft, die nicht als solche anerkannt ist. Sieben ihrer höchsten Vertreter sind in Haft und ich bin ihre Verteidigerin. Wenn sie ein Mädchen oder eine Frau sehen, sollte man dieses Mädchen nicht ausstoßen. Alle Menschen sind gleich und haben dieselben Rechte – ungeachtet der Religion. Die Frage nach der Religion des anderen sollte irrelevant sein. Religion ist eine Herzensangelegenheit, man sollte die Frage nach der Religion des anderen erst gar nicht stellen.

Auf der Internetseite www.muslima.com waren Sie sowohl mit als auch ohne Kopftuch zu sehen. Es wurde gesagt, Sie seien deshalb eine verkommene Person. Was sagen Sie dazu?

Ich glaube, eine der schlechtesten Eigenschaften, die ein Mensch haben kann, ist, dass er fanatisch ist. Fanatismus bedeutet, dass man den Kopf zumauert und keinen neuen Gedanken reinlässt. Ich möchte sagen, dass das Phänomen des Fanatismus nicht ein spezifisch islamisches Phänomen ist. Das gibt es auch im Christentum. Sie erinnern sich vielleicht, dass Bush vor einigen Jahren gesagt hat, er habe von Gott den Auftrag erhalten, die Demokratie in den Nahen Osten zu bringen. Der Fanatismus war auch die Ursache für den Holocaust. Der Fanatismus hat bewirkt, dass das Leid über die Juden gebracht wurde. Fanatismus gibt es aber auch bei Juden. Wir haben gerade über die Verhandlungen von Oslo gesprochen. Der israelische Ministerpräsident, der diese Verträge unterschrieben hat, wurde leider von einem Fundamentalisten umgebracht. Man kann auch in Indien beobachten, wie fundamentalistische Hindus andere Religionen unterdrücken. Für den Fundamentalismus gibt es verschiedene Definitionen. Aber auf einen Nenner gebracht sagt der Fundamentalist: Jeder Mensch, der anders denkt als ich, ist irregeleitet. Es gibt viele muslimische Frauen auf der Welt, die die islamische Kleiderordnung einhalten – aber eben auch viele, die sie nicht einhalten. Das heißt: Diejenige Person, die mich als verkommen bezeichnet, muss eine fundamentalistische Person sein.

Gibt es so etwas wie einen Alltag für Sie? Wenn ja, wie sieht dieser aus?

Bei mir ist es so, dass ich in einem Jahr vorausplane. Die meiste Zeit aber bin ich in Iran. Ein normaler Tag dort sieht für mich folgendermaßen aus: Um 6:30 Uhr beginnt mein Tag – viermal die Woche – mit einer Sitzung mit anderen Rechtsanwälten. Sie stellen sich vermutlich die Frage, warum wir uns so früh treffen. Der Grund dafür liegt darin, dass die Gerichtsverhandlungen um neun Uhr beginnen. Deshalb müssen wir die Vorarbeit auf eine so frühe Uhrzeit legen. Um neun Uhr gehe ich dann zur Gerichtsverhandlung. Steht keine Gerichtsverhandlung an, widme ich mich meinen anderen Aufgaben. In der Regel ist es so, dass ich mich dann nach einem kleinen Mittagessen bis zu eine Stunde ausruhe. Dann gehe ich in meine Kanzlei. Dort arbeite ich bis ca. 20:30 Uhr. In dieser Zeit bis halb neun kommen meine Mandanten, oder auch Journalisten zu Besuch. Wenn ich dann zuhause bin, kappe ich alle Leitungen zur Außenwelt und koche. Dann werde ich zur Mutter und Hausfrau. Ich habe zwei Töchter, die erwachsen sind und nicht mehr zu Hause leben. Die eine promoviert in den Vereinigten Staaten, die andere ist Juristin und macht ein Praktikum am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Das heißt, wenn ich koche, koche ich für meinen Mann und mich. Dann, um 23 Uhr etwa, fange ich mit dem Schreiben an. Ich habe bisher 14 Bücher geschrieben. Sie denken jetzt vielleicht, ich schreibe alle meine Bücher nach 23 Uhr. Das stimmt nur zu einem Teil. Der andere Teil wurde auf Flughäfen geschrieben. Wenn sie also irgendwo eine Verrückte sehen, die am Flughaffen schreibt – das bin ich!

Haben Ihre Töchter Nachteile durch Ihr Engagement in Iran?

Als ich Kinder bekam, habe ich meine Kanzlei in die Wohnung verlegt. Dadurch konnte ich zwischendurch zu meinen Kindern gehen, wenn sich kurz die Gelegenheit ergab. Glücklicherweise war ich so in der Lage, meiner Rolle als Mutter gerecht zu werden. Ich hatte das Glück, dass auch meine Eltern in diesem Haus lebten. Mittags war es so, dass nie abzusehen war, wann ich Pause hatte, so dass meine Kinder nach der Schule zu den Großeltern kamen und gegessen haben. Die Gefahren, denen ich ausgesetzt war, haben meine Familie nicht berührt – bis zum letzten Jahr. Da bekam meine jüngere Tochter nach und nach die Macht des Regimes zu spüren. An dem Tag als in den Zeitungen iranischer Regierungskreise meine Tochter als schlechte Musima beschimpft wurde, habe ich zur ihr gesagt: Willkommen in der Welt der Menschenrechte.

Frau Ebadi, was glauben Sie, wie sieht die Zukunft des Iran aus?

In Iran gib es viel Potential für Veränderung. Die iranische Bevölkerung ist sehr jung. Etwa 70 Prozent ist jünger als 30 Jahre alt. Das ist ein gutes Potential für Veränderung. Ich bin mir sicher, dass es Veränderung in Iran geben wird. Diese Veränderung wird eine Veränderung der Jugend sein. Es wird eine Gesellschaft sein, in der jeder frei ist, in der die Religionszugehörigkeit keine Rolle spielt. In der sich jeder anziehen darf wie er möchte. In der es keine Diskriminierung gibt. Es wird eine Gesellschaft sein, die demokratisch regiert ist. Eine Gesellschaft, in der der Abstand zwischen Arm und Reich klein ist. Gegenwärtig ist der Abstand sehr groß. 5 Prozent in Iran sind überaus reich, die anderen 95 Prozent werden Tag um Tag ärmer. Die Kluft darf nicht groß sein, alle Menschen sollen in relativem Wohlstand leben.

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Zurüttgers in die Zukunft

"Wir sehen uns in der Zukunft", grüßt Zukunftsforscher Lars Thomsen auf seiner Webseite. Streng genommen könnte es am Freitag auf dem Petersberg bei Bonn so weit sein. Noch strenger genommen, sehen "wir" uns dort nicht direkt, sondern Thomsen – laut seiner Webseite "Europas Vor und Querdenker Nr. 1"  – tritt als einer der Diskutanten auf dem Zukunftskongress der NRW-Landesregierung auf, der so genannten "Petersberger Convention".

foto:ruhrbarone.de

Zukunftskongresse sind großartig. Dieser – immerhin geht es um die Zukunft des ganzen Bundeslandes – beschäftigt sich mit dem Jahr 2025 auf vier Foren namens "Innovation", "Beschäftigung", "Lebensqualität" und "Wissen". Thomsen, der im Forum "Beschäftigung" auftreten wird, betreibt die Zukunft als kleines Familienunternehmen. Sein Bruder Frank Thomsen ist zwar nicht "Top-Zukunftsforscher" und auch nicht auf dem Petersberg, aber immerhin ist es Franks "Stärke, die Analyse von menschheitsprägenden Entwicklungen und Themen der Vergangenheit und der Gegenwart, um Zusammenhänge zwischen einzelnen Entwicklungen und Themengebieten zu erkennen und daraus Prognosen für die Zukunft abzuleiten".

Wirklich schade, dass nur Lars am Freitag kommt. Denn worum soll es im Siebengebirge gehen, wenn nicht darum "menschheitsprägende Entwicklungen und Themen zu erkennen und daraus Prognosen abzuleiten?"

Aber immerhin kommen Deutschlands andere Chef-Erkenner wie Fritz Pleitgen, Peter Maffay, Jürgen Großmann (RWE) und René Obermann (Telefon). Und da man die Zukunft keinesfalls verplappern darf, ist das Programm eng gesteckt. Ein Vormittag muss genügen für die Zukunft. Und bereits um halb zwei will Gastgeber Jürgen Rüttgers der Presse vorstellen, wie sich NRW 2025 darstellen wird.

Ministerpräsident Rüttgers hat auch das Grußwort zum Zukunftskongress verfasst. Er zitiert einen "der großen amerikanischen Zukunftsforscher", der gefordert habe, nicht mehr aus der Vergangenheit zu lernen – "das könne jeder" – sondern aus der Zukunft. Sehr gelehrig hat Rüttgers deshalb schon einmal einen zeitlosen Begrüßungstext verfasst: "Wir stehen vor teilweise dramatischen Umwälzungen", schreibt Dr. Rüttgers, "die enorme Chancen, aber auch große Risiken bergen". Es gelte zu "reagieren" auf Globalisierung, "zweite industrielle Revolution" und umgestürzte "Bevölkerungspyramiden" und sich zu fragen, "wie wir unseren Wohlstand auch in Zukunft sichern können".

Die Weltwirtschaftskrise scheint in der Zukunft jedenfalls (noch?) nicht angekommen zu sein, was ja irgendwie ziemlich beruhigend ist. 

PS: Aus der Zukunft zu lernen, heißt siegen lernen, ist übrigens so etwas wie ein Motto fürs ganze Polit-Land NRW. Im vergangenen Jahr veranstalteten nicht nur nordrhein-westfälsche SPD, CDU und Grüne Partei ihre jeweiligen  "Zukunftskongresse", auch das Ruhrbistum und der Initiativkreis Ruhrgebiet luden zum futuristischen Gespräch.

Küppi zu Brender

TV-Produzent Friedrich Küppersbusch, einst im WDR unter Chefredakteur Nikolaus Brender als TV-Moderator tätig, äußerte heute in der taz eine etwas andere Sicht des ZDF-Brender-Koch-Konflikts, als der nahezu komplette bisherige Medienmainstream.

Brender habe Politikerbeschwerden "stattgegeben", ohne mit der betroffenen Redaktion zu sprechen. Zu solchen Beschwerdeführenden habe damals auch der Bundeskanzler Schröder gehört. "Dass er später als erster auf den fallenden Schröder drauftrat, fand ich sehr mannhaft. Von Schröder.", so Küppersbusch. Zu Brenders Erfolgsaussichten im aktuellen Konflikt sagte Küppersbusch: "Dass nun Roland Koch als versierter TV-Kritiker auftritt, könnte Blender (Tipp-/Sprachfehler im Originalzitat, M.B.) retten. Um den Preis, der überparteiliche Lieblingsjournalist von Kurt Beck zu sein. Gratulation!" 

Jungs hier kommt der Masterplan

Am Dienstag stellen zehn Ruhrgebietsstädte in Gelsenkirchen einen Masterplan für das Ruhrgebiet vor. In dem Papier stecken acht Jahre Arbeit. Man hätte es aber auch in acht Wochen schaffen können…

"Masterplan –  das Wort schon" würde Lukas sagen. Gleich zwei Bedeutungen kennt Wikipedia für den Begriff Masterplan : 1. Ein Ausdruck für eine Übersicht über geplante Schritte zur Umsetzung einer Strategie oder zur Erreichung eines Ziels. 2. Ein informelles Planungsinstrument, eine Diskussionsgrundlage, eine Vision oder eine Strategie zur entwurflichen Bearbeitung eines größeren Gebiets. Klar, dass wenn sich zehn Städte im Ruhrgebiet zusammen tun, um einen Masterplan vorzustellen, nur zweiteres gemeint sein kann. Eine gemeinsame Vision, eine Strategie sucht man vergebens – der Masterplan ist eine Aufzählung diverser Projekte der Städte die, wie die Wasserlagen, zum Teil aus der Zusammenarbeit bei anderen Projekte wie Fluss-Stadt-Land herrührt, zum Teil einfach nur unter einem neuen Label zusammen gefasst wurden.

Geht es um die gemeinsame Vermarktung solcher Projekte ist das in Ordnung – nimmt man das Wort „Plan“ in den Mund ist das natürlich zu wenig. Nach jahrelanger Zusammenarbeit – das ganze geht immerhin auf die 2001 von der Bundesregierung gestartete Initiative Stadt2030 zurück – hat man nun für die drei Bereiche Wohnen, Städtebau und Stadtentwicklung und Region am Wasser nun den 188 Seiten dicken Masterplan vorgelegt. Schon der Anspruch des Buches ist denkbar gering: „ Beim Masterplan handelt es sich um ein informelles Planungs- und Kommunikationsinstrument. Es geht im Wesentlichen darum, in den bearbeiteten Handlungsfeldern auf regionaler Ebene – Ist-Situationen zu erfassen und zu bilanzieren – Stärken und Schwächen zu identifizieren – Entwicklungspotentiale abzuschätzen – Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen – Und damit eine Grundlage für weitere Räumliche Planung zu schaffen.“

Natürlich nicht für das ganze Ruhrgebiet, sondern nur für die kreisfreien Städte – die Kreise spielen bei diesem Masterplan keine Rolle. Entstanden ist so, neben der Auflistung der zum Teil heute schon nicht mehr aktuelle städtischen Projekte, ein wenig detailreiches Zahlenwerk und sich widersprechender Leitlinien: „Erhalt der polyzentralen Struktur“ und „Re-Urbanisierung“ passen nun einmal beim besten Willen nicht zusammen, wenn man einen Blick auf die Region als Ganzes wirft. Schön auch: Man will das Image des Wohnens im Ruhrgebiet verbessern – und gleichzeitig die öden Siedlungen aus den 50er und 60er Jahre weiterentwickeln, die klassisches Abrisskandidaten sind, aber einen Grossteil des Bestandes der kommunalen Wohnungsbauunternehmen ausmachen.

Noch vager ist der Stadtplanungsteil: Neben eine Liste von Projekten finden sich am Ende nur ein paar ganz allgemeine Sätze zum Thema Planung. „ „Die Städteregion ist ein Raum der Integration“, „…gemeinsame Qualitätsstandards entwickeln (Was in acht Jahren offensichtlich nicht gelungen ist) oder auch: „Das Ziel ist der Erhalt und die Weiterentwicklung der Lebens- und Gestaltqualität und eine verträgliche Mischung der Funktionen Wohnen, Arbeiten, Konsum, Erholung, Freizeit und Verkehr unter der Einbeziehung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Belangen.“ Dann werden die Wasserlagen des Ruhrgebiets gelobt, die ja wirklich prima sind – aber das war es dann auch schon.

Über Wirtschaft und Einkaufen will man weiter reden. Später. Wenn am Mittwoch der Plan nach achtjähriger Arbeit vorgestellt wird, ist er nicht nur als Ergebnis von achtjähriger Arbeit peinlich – er ist vor allem ein Zeichen dafür, dass die Städte es nie schaffen werden, sich gemeinsam auf mehr als ein paar unverbindliche Sätze in einer bunten Broschüre zu einigen – und es auch gar nicht wollen. Der Masterplan ist ein Verhinderungsinstrument. Er simuliert die Handlungsfähigkeit der Städte um verbindliche regionale Lösungen zu blockieren. Aber auch um das zu erreichen ist er zu schlecht. Wie heißt es doch so schön in Ritter aus Leidenschaft: Du wurdest gewogen, gemessen und für nicht gut genug befunden.

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Essen: Die Linke wird radikaler…Der Westen

NRW: Mehrheit für CDU und FDP…Ruhr Nachrichten

Kommunalwahltermin: SPD will nicht locker lassen…Der Westen

Nazis: Vier Verletzte in Haltern…Ruhr Nachrichten

Opel: Woche der Wahrheit…Welt

Krise: Pieper gegen Unternehmenssteuerreform…Wirtschaftswoche

Rundfunk: Öffentich-Rechtliche online…Kueperpunk

Medien: Bottrop im Lufthansamagazin…Bottblog

BarCamp: Burning Down the House…Coffee & TV

Zwei große Dinge: Camplanungen…Prospero

Heißes Gerücht – Kabinettsrochade in Düsseldorf

Es gibt ein Gerücht, das ich nicht abwegig und im Gegenteil ganz unterhaltsam finde. Deswegen verbreite ich es hier.

Wie bekannt ist, entstand nach dem Abgang von Oliver Wittke (CDU) als NRW-Verkehrsminister ein Loch am Kabinettstisch von Ministerpräsident Jürger Rüttgers (CDU). Und das soll nun angeblich wie folgt geschlossen werden: wie ich gehört habe, soll NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) umsatteln und Verkehrsministerin werden. Dafür soll NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) aus dem Amt scheiden. Ihm soll als Nachrücker einer aus der zweiten Reihe, wie Innen-Staatssekretär Palmen (CDU), auf den Chefsitz folgen. Damit die FDP wieder ihre zwei Minister bekommt, soll anschließend Fraktionschef Gerhard Papke (FDP) neuer Wirtschaftsminister werden.

Wie gesagt, das ist ein Gerücht. So eines, wie man es im Internet verbreitet findet. Eben auch hier. Aber ich hab das jetzt dreimal gehört. Und vielleicht ist was dran.