Illu: Tonwertkorrekturen
Wenn Steffen Reichelt von Opel spricht, dann leuchten seine Augen und er sagt. „Im Kampf gewinnt man Solidarität.“ Kampf. Darum geht es jetzt bei Opel in Bochum. Die Pleite des Werkes droht. Die Wirtschaftskrise hat den Konzern erfasst. Aber aufgeben will Opelaner Reichelt nicht.
Gerade noch hat er mit ein paar Kollegen ein Transparent gemalt. Darauf steht „Eure Krise ist nicht unsere. Gegen Verzicht und Arbeitsplatzabbau.“ Jetzt trinkt Reichelt in seiner Küche eine Tasse Kaffee. Der Opel-Vertrauensmann hat gerade viel Zeit. Im Werk ist Kurzarbeit. Eine Woche schon. Keine Schicht. Keine Arbeit.
Vor ein paar Monaten hat Reichelt geheiratet. Seine Frau Stefanie hat den Küchentisch mit in die Ehe gebracht. Ein schweres Möbel, mit Eisenbeschlägen. An der Wand hängt ein Setzkasten. Darin eine kleine Matrioschka. Eine dieser russischen Holzpuppen, in denen nur wieder eine neue Holzpuppe steckt.
Kämpfen will Reichelt. In Bochum. Für sein Werk. Er sagt, in den vergangenen Jahren sei genug verzichtet worden. Jetzt gehe es darum alles zu erhalten. Aber geht das? Irgendwo spürt man auch bei Reichelt den Zweifel. Es gibt zu viele Autos. Im russischen Sankt Petersburg hat das neue GM-Werk gerade die Produktion vorübergehend eingestellt. In Spanien ist der Absatz eingebrochen.
Reichelt hat seine Frau Stefanie bei Opel kennen gelernt. „Die hat bei der letzten Personalrunde die Abfindung mitgenommen und macht jetzt eine zweite Ausbildung“, sagt er. Sie wird Röntgenassistentin im Bochumer Knappschafts-Krankenhaus "Bergmannsheil". Ein Job mit Zukunft vielleicht. „Jetzt bin ich Alleinverdiener“, sagt Reichelt. Kinder haben die beiden noch nicht. Er ist 33 Jahre alt. Seine Frau Stefanie 31.
Ein Kollege aus dem Werk ruft an. Ob es was Neues gibt. Reichelt weiß nichts. Seit Februar heißt es von Woche zu Woche nur warten. Gibt es Arbeit in den kommenden Tagen? Oder muss man weiter zu Hause sitzen. Man sieht die Kollegen nicht. Alles erfährt man nur über die stille Post oder aus der Zeitung. Dienstag soll wieder ein Einsatz kommen. Für einen Tag oder eine Woche? Das kann keiner genau sagen. Auch die Werksleitung nicht, glaubt Reichelt.
„Der Absturz kam so schnell, damit hat niemand gerechnet.“ Seit dem großen Streik 2004 ging es eigentlich immer bergauf. Bis zum März im vergangenen Jahr hat der Bandarbeiter Überstunden und Sonderschichten gekloppt. Die Produktion lief auf Hochtouren. Dann kamen normale Schichten irgendwann im Sommer. Jetzt seit November der Zusammenbruch. „Dieser Widerspruch hat ziemlich rein gehauen“, sagt Reichelt. Es ist schwer zu verstehen. Gerade noch gefragter Fachmann, nun ein Mann vor der Arbeitslosigkeit.
Reichelt überlegt. Er schweigt. Wie passt das zusammen? Ständig hatte GM in den vergangenen Jahren neue Werke aufgemacht. In Polen eine Fabrik bei Warschau mit einem Ausstoß von jährlich 350.000 PKW. In Russland zwei Fabriken – auch hier 300.000 Wagen im Jahr. „Wieso können die Autos nicht mehr verkauft werden? Wieso müssen wir bluten?“, sagt Reichelt dann.
Es ist eine Art Trauer zu spüren. Am Kühlschrank hängt ein Wimpel des VFL Bochum. Die Gedanken schweifen mit dem Blick auf das Symbol ab ins Ruhrstadion. Vor jedem Kick wird hier Grönemeyers Hymne an die Stadt gespielt: „Bochum ich komm aus Dir, Bochum ich häng an Dir.“ Die Melodie ist ein trotziges Aufbegehren gegen den Niedergang. Gegen das Ende der Stahlwerke und Zechen. Gegen die Trauer am Ende einer Zeit. Die Melodie schwingt auch jetzt mit, hier in der Küche des Opelaner. Aus der Trauer wird auch hier Trotz. Gegen die Finanzkrise. Gegen die Spekulationen. Gegen die Fehler des Managements. „Die haben aus Opel jahrelang Milliarden rausgepresst. Und jetzt sollen wir zahlen?“, fragt Reichelt. Die Antwort heißt für ihn „Nein.“
Dann folgt eine Pause und der Trotz mischt sich mit dem Gedanken, wie das alles werden soll. „Wir produzieren mit 6000 Mann so viele Autos wie früher 20.000 Leute. Wir haben Lohneinbussen hingenommen und Arbeitsplatzvernichtung. Mehr geht nicht. Irgendwann ist Feierabend.“ Aus dem Trotz wird Wut.
Dabei hat Reichelt keine Hoffnung auf die Politiker wie den NRW Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) oder SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier (SPD). „Die kommen immer, wenn es was zu sagen gibt, und dann sind die weg. Die machen doch den Leuten Illusionen, dass Opel in Europa selbstständig arbeiten kann. In Konkurrenz zu den Amerikanern.“ Die Wut von Reichelt wächst. Er spricht von den Wahlkämpfen in diesem Jahr, von den Zukunftsverträgen, die Arbeitsplätze und Lohn garantieren und doch nur für Einsparungen stehen. Er redet von den 100 Autowerken, die in der Welt angeblich über sind, wie Experten erzählen. Er denkt an die Verluste und an die Gewinne.
„Warum soll jetzt die Belegschaft und der Steuerzahler für die Fehler des Managements haften?“, fragt Reichelt.
Es ist soviel, was im Argen liegt. So viel. „Wir müssen uns zusammenschließen“, sagt der Vertrauensmann. Er steht mit Kollegen bei den Zulieferern in Kontakt, mit Betriebsräten und Vertrauensleuten bei ThyssenKrupp. „Wenn eine Belegschaft den Anfang macht, ziehen die anderen mit. Das bleibt nicht ohne Wirkung. Wir haben Sprengkraft.“ Wie 2004, als die Menschen ans Tor im Bochumer Opel-Werk kamen, die Alten und die Jungen, um zusammen für die Zukunft zu streiten. Ein Rentner, erinnert sich Reichelt, habe ihm damals durch das Gitter 200 Euro zugesteckt. „Ihr braucht das dringender als ich, hat der Alte gesagt.“
In der Siedlung von Reichelt in Bochum-Wiemelshausen leben viele Opelaner. Die Straße hoch. In Backsteinbauten. Der Lebensmittelladen an der Ecke ist verrammelt, der Kaugummiautomat leer. Irgendjemand hat Blumen an die Straße geschmissen. Es riecht nach Nelken.