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Die Wirtschaftswundergeneration der BRD glaubte noch an die Leistungsgesellschaft. Leistung sollte sich lohnen, Wahlparolen wurden danach ausgerichtet. Wer arbeiten will, findet auch was, glaubte man. Deutschland wurde gar als „Modell“ bezeichnet, von der SPD im Wahlkampf 1976. Man glaubte, dass es, mit Rückschlägen durch einzelne Konjunkturkrisen zwar, die professoral und väterlich durch Karl Schiller und Helmut Schmidt tagesschaugerecht analysiert wurden, jetzt stetig aufwärts gehen würde. Den Kindern sollte es einmal besser gehen. Das war die soziale Marktwirtschaft in Reinform, die Attac-Mitglied Heiner Geißler heute rhetorisch verteidigt und gerne wiederhaben möchte.
Es ist anders gekommen. Viele Kinder haben interessantere Jobs als die Eltern, sie stehen nicht am Band, Hochofen oder im Stollen, sondern haben Abitur oder Studienabschluss und entfalten ihre Kreativität am PC. Allerdings: sie kommen die Eltern nur selten besuchen, haben eine Scheidung hinter sich, und vor allem wissen sie nicht, ob sie ihren guten Job auch nächstes Jahr noch behalten. Sie kämpfen mit psychosomatischen Erkrankungen, depressiven Phasen, erzählen den Eltern nichts davon, damit die sich nicht sorgen, aber die sind ja nicht blöd: je weniger geredet wird, umso mehr besteht Anlass zur Sorge.
Die Eltern haben Schwein gehabt. Sie sind aus ihren alten Industriejobs in Stahl- und Bergbauindustrie frühverrentet worden, mit Renten so hoch, wie sie nie wieder sein werden. Sie sind noch rüstig und haben jetzt viel Zeit, sich mit der Welt zu beschäftigen. Etliche gehören jetzt zu den StammwählerInnen der Linkspartei, manche sind sogar bei ihr Mitglied geworden und gehen den erfahrenen Funktionären, die nur wenig Zeit haben, dort jetzt gehörig auf die Nerven. Die jahrzehntelange Lebenserfahrung im Kapitalismus, die sie gesammelt haben, drängt nach Mitteilung, gerade jetzt.
In den 70er Jahren hätte man es nicht für möglich gehalten, dass der Vater mal freiwillig den 1000-Seiten-Wälzer „Schock-Strategie“ von Naomi Klein lesen würde. Naomi Klein ist durch den Bestseller-Erfolg ihres ersten Buchens „No Logo!“ so reich geworden, dass sie davon eine Recherche- und Schreibfirma aufgebaut hat, deren Produkt „Schock-Strategie“ ist. Kernthese des Buches: eine ideologisch von der Chicagoer Monetaristen-Schule Milton Friedmans ausgebildete Kamarilla von Beratern und Lobbyisten legt es überall auf dem Globus darauf an, über bewusst hervorgerufene Krisensituationen putschartig riesige Privatisierungsschübe und Umverteilungsprozesse von öffentlichen in private Kassen, von unten nach oben durchzusetzen. Sie waren und sind überall: in Chile 1973, im Thatcher-England, in Deutschland, Osteuropa, im Russland Jelzins, im China nach Mao, in Südafrika zwangen sie die ANC-Regierung in die Knie. Bei allen Finanzkrisen und fast allen Putschen hatten und haben sie ihre Finger im Spiel. Wer sich das Geschehen der letzten Wochen mit offenen Augen angesehen hat: wer wollte noch leugnen, dass Klein nicht nur rückblickend sondern leider noch mehr prophetisch Recht hat? Bevölkerungsmehrheiten in den USA wie hierzulande dürften ihr heute zustimmen. Wie sonst ist der Drang zur deutschen Bahnprivatisierung, gegen die 70% der Bevölkerung sind, zu erklären? Wie staatliche Milliardenbürgschaften für marode Banken und Konzerne? Und ein Billionen-Dollar-Schirm von US-Präsident Obama reicht „der Börse“ immer noch nicht aus?
Doch wo ist das Rettende? Denn das jämmerlichste Bild gaben in all diesen Prozessen oftmals demokratisch gewählte Parlamente und Regierungen ab. Was wäre durch Verstaatlichung gewonnen, wenn die Verfügungsmacht in die Hände dieser Gestalten gelegt würde? Beweisen die doch permanent, dass sie sich nicht für die Meinung ihrer Wähler interessieren, sondern eine wolkige Verantwortung heranziehen, der sie nachkommen müssen. Diese Verantwortung lassen sie sich von ihnen intellektuell überlegenen hochbezahlten Lobbywissenschaftlern erklären und anschliessend drücken ihnen entschieden nervenstärkere Konzern- und Bankvorstände die Pistole auf die Brust: Milliarden jetzt, oder „alles bricht zusammen“. Da kann man sich nicht lange mit Diskussionen mit dem Volk aufhalten.
Es ist dies eine Geschichte des Elends der öffentlichen Verantwortung und Kontrolle. Die politische Klasse ist nicht mit Personen bevölkert, die das ausüben können. Sie wurden systematisch dazu ausgebildet, solchen riskanten Aufgaben auszuweichen. Leistungsstarke Menschen, die mitten im Berufsleben stehen und in der Regel gleichzeitig eine Familie mit Kindern und pflegebedürftigen Eltern managen müssen, wählen zwar mit Riesenmehrheit Rot-rot-grün, haben aber keine Lust und noch weniger Zeit, selbst in der Politik mitzuwirken. Dafür ist ihnen das Niveau in Ortsvereinen und Ratsfraktionen zu niedrig, zeitverschwenderisch und intrigant. Dort sitzt ein Bevölkerungsausschnitt der, freiwillig oder gezwungenermassen, Zeit hat. Alt-68er im Ruhestand, Eltern, deren Kinder aus dem Haus sind, und prekär oder gar nicht Beschäftigte, die auf die kargen Sitzungsgelder angewiesen sind. Das ist die Basis, aus der heutige politische Elite ausgewählt wird. Helmut Kohl und Joschka Fischer sind prominente Beispiele, die Mehrzahl jedoch bildet heute eine gesellschaftliche Negativauslese. Sie sind eine getreue soziale Abbildung der Entwertung demokratischer Willensbildung durch den Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte. Das subjektive Bewusstsein dieser durchaus gutwilligen und engagierten Menschen besteht aus Minderwertigkeitskomplexen, schliesslich ist PolitikerIn einer der niedrigst geachteten Berufe in unserer Gesellschaft, der ängstlichen Wahrnehmung und Witterung von Krisen und Risiken, und dem Versuch, ihnen stets rechtzeitig aus dem Weg zu gehen. Verantwortung wird auf vermeintlich schuldige KonkurrentInnen, gerne solche in der eigenen Partei, abgeschoben . (s. Freitag 06/2007 „Opfer der Verhältnisse“).
Wenn es solche Menschen nun demokratisch in den Aufsichtsrat der Stadtwerke, der Stadtsparkasse oder gar der Landesbank verschlägt, was will man dort von ihnen erwarten? Man sollte meinen, dass sie sich dort um die Förderung des Mittelstandes und der arbeitsplatzintensiven kleinen Unternehmen in ihrer Region kümmern. Oder um ökologische und verbraucherfreundliche Energieerzeugung. Schön wärs. Weisgemacht wird ihnen, dass wir Globalisierung haben. Dass wir im Wettbewerb stehen. Dass wir uns neu aufstellen müssen. Dass wir konkurrenzfähig bleiben müssen. Dass wir dafür mehr Rendite brauchen. Dass wir Bündnisse schliessen müssen mit Großbanken und Energiekonzernen. Sonst werden wir geschluckt und sind tot und haben nichts mehr zu sagen. Wenn es rundherum von Drachen und Schlangen nur so wimmelt, wie soll sich der Politiker im Aufsichtsrat ohne jegliche alternative Expertise dann verhalten? Er verhält sich wie das Kaninchen: nicht bewegen, Augen und Ohren zuhalten, von nichts wissen und sich also nicht den Schlaf rauben lassen, Aufwandsentschädigung nachhause nehmen, solange es noch geht, und wenn was schief geht schnell eine/n Schuldige/n finden.
Wenn dereinst mal die Milliardenkrisen fast aller deutscher Landesbanken untersucht werden, wird man immer wieder auf dieses Muster stossen. Selten wagt es mal ein Mitglied eines Verwaltungsrates nachzufragen oder seriöse Krisenbewältigungsstrategien zu verlangen. Ganz offensichtlich wurde in keinem dieser Gremien jemals eine Diskussion über Risikomanagement, das es in jeder Bank geben muss, geführt. Die Mehrheit in den Aufsichtsgremien pflegt über solches Sitzung-in-die-Länge-Ziehen die Augen zu verdrehen. Es kommt durchaus vor, dass mal ein professionelles Vorstandsmitglied den Teppich hochhebt, um alte Netzwerke und ihre Vorteilsnehmerei zu untersuchen und für die Zukunft auszuschliessen. Schliesslich steht man doch angeblich im Globalisierungswettbewerb und muss die Effizienz des Unternehmens steigern. Doch dann muss derjenige schnellstens zum doppelten Gehalt an eine andere Stelle gelobt werden, ganz so, wie man es mit übereifrigen sizilianischen Staatsanwälten zu machen pflegt, denen man ein besseres Leben in Rom oder Mailand anbietet.
Stellen wir uns nur mal theoretisch eine absolute Mehrheit der Linkspartei vor: Banken und Energiekonzerne sollen vergesellschaftet werden, aber wer soll diese Unternehmen dann führen? Wo soll das Personal herkommen, das so viel gesellschaftliche Verantwortung auch tragen kann? Mit dem heutigen System ist es nicht zu finden. Verwaltungsrat einer Landesbank, noch nicht einmal einer Stadtsparkasse, ist heute kein Nebenjob mehr, für den zwei Stunden Sitzung im Monat und ein wenig Lektüre der Lokalzeitung ausreichen. Parlamentsmitgliedern, die ihre Aufgabe ernst nehmen, fehlt selbst beim besten Willen die Zeit, eine solche Aufgabe qualifiziert wahrzunehmen. Sie nehmen sie trotzdem gerne an, weil es sie in der politischen Rangordnung aufsteigen lässt. Das ist gut für sie selbst, aber nicht für öffentliche Kontrolle. Selbst Oskar Lafontaine hat nach eigener Aussage bei einer Sitzung des KfW-Verwaltungsrates gefehlt, weil er in Bayern wahlkämpfen musste, eine Aufgabe, die ihn kaum überrascht haben kann. Und was sagt es uns, wenn ein Fraktionsvorsitzender in einer westdeutschen Großstadt lieber Chef der Stadtwerke als demokratisch gewählter Oberbürgermeister werden will? Zu Recht erhofft er sich dort mehr Geld und Macht. Die Demokratie ist gegenüber der ökonomischen Macht auf allen Ebenen in Nischen verbannt.
Parlamente sollten die Unternehmens-Vorstände und -KontrolleurInnen – ja, die Frauen nicht vergessen, hier wäre die Quotierung wohl besonders dringlich! – zwar wählen, aber keinesfalls aus ihrer Mitte. Parteipolitische Abhängigkeit senken, dafür mehr berufliche und/oder wissenschaftliche Qualifikation, intellektuelle und materielle Unabhängigkeit, das täte dem öffentlichen Eigentum, wie es Landesbanken, Stadtsparkassen, Energieunternehmen und Rundfunkanstalten darstellen, gut. Von den heutigen Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitspflichten müssten Aufsichtspersonen solcher öffentlicher Unternehmen befreit werden. Angelegenheiten öffentlicher Unternehmen müssen auch öffentlich erörtert werden dürfen. Die Verbindungen zum Volk müssen verbessert werden: Transparenz- und Berichtspflicht gegenüber der Öffentlichkeit, weniger Geheimhaltung, mehr Zugänglichkeit, vielleicht auch die Urwahl einiger Gremienmitglieder. Türen auf, mehr Luft rein! Es ist dringend! Eine Aufwertung von Politik wird nur gelingen, wenn inhaltliche und personelle Entscheidungen einer öffentlichen Willensbildung wieder zugänglich gemacht werden.