Foto: Lincoln Birthplace National Historic Site
Heute ist ein bedenkenswerter Tag. Vor 200 Jahren wurde Abraham Lincoln geboren. Der 16. Präsident der USA. Die meisten sehen in ihm nur den Sklavenbefreier, der die USA in einem blutigen Bürgerkrieg geführt hat. Und die Südstaaten zwang in der Union zu bleiben. Tatsächlich aber ist Lincoln wegen einer anderen Nummer in meinen Augen wichtiger. Er hat es geschafft, aus einfachsten Bedingungen aufzusteigen in das höchste Amt seines Landes. Er hat den amerikanischen Traum nicht nur vorgelebt, sondern sich auch bemüht, die rechtlichen und ökonomischen Vorraussetzungen zu schaffen, dass auch andere diesen Traum leben können. Er war ein freier Mann und half anderen, frei zu werden.
Das spannendste Lincoln Memorial steht nicht in Washington. Diese Ikone eines sitzenden, gütigen, strengen, alten Mannes mit geneigtem Marmorkopf, die der billigste Drehbuchautor in mittelmäßige Plots einbaut.
Das spannendste Lincoln Memorial steht im westlichen Kentucky, irgendwo auf einer Hügelkuppe, ungefähr da, wo Lincoln geboren wurde. In der Nähe vom Kaff Hodgenville.
Genau hier steht die Nachbildung der Hütte, in der Lincoln geboren wurde, am 12. Februar 1809. Die Hütte ist nichts mehr als ein nackter Raum, zugig, aus Holz und Dreck mit gestampften Lehmboden. Kaum fünf Schritte lang und vier Schritte breit. Ein Loch, halb so groß wie eine normale Küche. Im Kentucky-Memorial wird die Lincoln-Hütte von einem klassizistischen Palast eingefasst und überragt. Das soll die Chance zum Aufstieg symbolisieren.
Aus dem Schlamm hat Ab es nach oben geschafft, mit Mühe, mit Ehrgeiz, und mit viel Arbeit.
Ich will jetzt nicht über Lincolns Rolle als Sklavenbefreier reden. Das macht jeder heute. Ich will über seine Botschaft als Wirtschaftslenker sprechen.
Wie gesagt, Lincoln stammte aus beschissenen Verhältnissen. Er lebte mitten im Wald. Sein Vater war ein mittelmäßig erfolgreicher Farmer. Später zog die Familie nach Indiana in ein neues Loch, das die Amerikaner Log Cabin nennen. Seine Mutter, sein Bruder und seine Schwester sind, nun ja, in der Hütte verreckt. Sein Vater ist abgehauen. Ab hat sich durchgeschlagen. Im Wald. Alleine mit seiner zweiten Schwester und einem Cousin. Da war Lincoln 10 Jahre alt, seine Schwester 12.
Später kam der Vater zurück mit einer neuen Frau. Lincoln schaffte es, lesen zu lernen. Er fand einen Job und konnte Schritt für Schritt aufsteigen. Soweit so gut.
Bei seinem Aufstieg verstand Lincoln ein paar Dinge:
1. Bildung ist das wichtigste.
2. Jeder muss die gleichen Chancen im Leben bekommen, egal aus welcher Schicht oder Rasse er stammt.
3. Das Leben in einer Holzhütte ist Scheiße, da gibt es nichts Romantisches dran.
4. Und der Staat muss eingreifen, um die Chancengleichheit herzustellen.
Das versteht jeder Bergmann, jeder Stahlarbeiter, jeder Fuzzi in jeder Fabrik.
Einer der wichtigsten wirtschaftspolitischen Sätze von Lincoln war in meinen Augen dieser:
Ich glaube nicht an ein Gesetz, das einem Mann verbietet, reich zu werden. Das würde mehr Schaden anrichten als Gutes tun. Wir werden keinen Krieg gegen das Kapital anzetteln, aber wir wünschen uns, dass der ärmste Mann die gleichen Chancen bekommt reich zu werden – wie jeder andere auch.“
Das ist so was wie die Kodifizierung des amerikanischen Traums.
Die gleichen Chancen auf alles.
Revolutionär. Mit seinen Ansichten war Abraham Lincoln eine Art Sozialdemokrat im wichtigsten Amt seines Landes. Um 1860. Da haben bei uns Fürsten Arbeiter erschossen.
Das tolle an der Nummer ist heute noch: oft genug gelingt es einem Ami, diesen Traum zu verwirklichen. So oft jedenfalls, dass andere an den Traum glauben können.
Gut. Spannend ist auch, dass Lincoln nicht nur geschwatzt hat, er hat auch gehandelt. Er hat staatliche Banken gefördert, in Illinois zuerst, er hat Mikrokredite an kleine Leute vergeben und große Kredite für dicke Projekte. Er hat den Ausbau von Kanälen vorangetrieben, von Straßen und schließlich von Eisenbahnen – mit staatlichem Geld. Er hat dafür gesorgt, dass Universitäten und Schulen gegründet werden konnten.
Mit staatlichem Geld, um jedem eine Chancen zu geben, an der Bildung und am Markt teilzuhaben.
Lincoln sagte: Der normale Lauf der Dinge sei, dass ein armer Mann zunächst für einen anderen arbeitet und Lohn verdient. Davon legt er was zurück, für eigene Werkzeuge oder für Land. Dann wird er selbstständig und arbeitet für sich selbst. Schließlich kann er einen anderen armen Mann anstellen und ihm die Chance geben, Geld für eigene Werkzeuge oder Land zu verdienen. Schritt für Schritt ans Licht.
Auch während großer Finanzkrisen in den USA hat Lincoln staatliches Geld rausgehauen. Er hat gleichzeitig die Einkommenssteuer eingeführt und sonstige Belastungen für die vermögende Bürger.
Er hat gesagt, wenn eine große Dampfmaschine steht, und der Treibarm am toten Punkt ist, kostet es unheimlich viel Kraft den Kolben wieder anzuschieben. Aber dann geht es. Los. Der Kolben schlägt immer schneller auf den Treibarm und die Maschine erwacht zum Leben.
Er hat die Bauern im Süden gezwungen, ihre Sklaven freizulassen. Und den Grundstein für die Industrialisierung der USA gelegt.
Klar wurde er angegriffen. Ihm wurde vorgehalten, die Sklaven im Süden würden sich von den Arbeitern im Norden nur durch ihre Hautfarbe unterscheiden.
Lincoln hat geantwortet:
Freie Arbeit wird von Hoffnung inspiriert. Nackte Sklaverei kennt keine Hoffnung.
Jeder kann aufsteigen. Es gibt keine festgefügten Klassen.
Lincoln war auch Realist in seiner Zeit. Er sagte, Schwarze würden kaum in absehbarer Zeit in der sozialen Hierarchie mit den herrschenden Weißen gleich ziehen. Aber er sagte auch.
Ein schwarzer Mann ist mir und jedem lebenden Mann im Recht gleich, das eigene Brot zu essen, das er mit seiner eigenen Hände Arbeit verdient – ohne davon irgendwem etwas abgeben zu müssen.
Ich denke, auch daran sollten wir heute denken – in Zeiten der Krise. Es ging Lincoln nicht nur um Sklavenbefreiung. Das wäre zu bequem. Denn die Sklaven in Amerika und Europa sind heute frei.
Es geht um gleiche Chancen für alle – überall. Und diese Botschaft Lincolns müssen auch wir hören. Immer noch.
Im Ruhrgebiet. In Bottrop-Ebel, Duisburg-Marxloh, Gelsenkirchen und Herten und Dortmund und überall sonst.