Rettet den Blätterwald (3) – Heute: StadtRevue

In dieser Reihe wird beständig die Sinnhaftigkeit von Printpublikationen hinterfragt. Erste Opfer waren Rolling Stone und SFT. Und auch diesmal geht es wieder dahin, wo es weh tut. Nein, nicht nur nach Köln, sondern auch zu einem Stadtmagazin. Der Autor stand kurz vor einem Besuch in der Stadt und erinnerte sich an die Karnevalstradition, empfand also den Zeitpunkt für das Thema als gekommen. Es könnte jede andere Stadt sein, aber es trifft halt Köln – diese Art Magazin natürlich.

Dom, adrette junge Frau. "Ist Zukunft planbar?". Karneval. Fußball. Und noch zwei Herzensthemen auf dem Titel: Ein schließendes Bad und ein Museum im Umbau. Die erste Anzeige innen dann für die Philharmonie. War das nicht mal ein alternatives Stadtmagazin? Wieso dann all die offiziösen Themen? Und wie als Gegengewicht direkt ein Editorial, das "ganz Persönliches" von Redakteuren erzählt und dies mit dem Titelthema in Verbindung bringt. Fehlende Distanz? Berufsbedingte Überidentifikation? Marketingkniff? Man wird sehen. Rein ins Blatt.

Nach den Leserbriefen erst einmal weitere "Geburts- und Todesmeldungen". Club eröffnet, Zentrum schließt, Rheinuferstraßebäume in Gefahr, Schweinepest in Rösrath. Weitere Themen im Ticker: Nazis, Fußball, Drogen, Migranten, Arbeitsagentur, eine autofreie Siedlung, ein Anwohnerbeirat. Einzelne Stadtteile und Initiativen werden umarmt. Das ist natürlich für ein Monatsmagazin nett, wirkt aber irgendwie etwas pflichtbewusst und nur bedingt aktuell.

Es geht so weiter, sorry. Der Deutzer Hafen, Schüler beim Nachwuchsjournalistenwettbewerb. Nochmal Fußball und ein Gastkommentar des Geschäftsführers des Flüchtlingsrates, der seine Unschuld am Misslingen der Umsetzung eines Papiers zur Integration beteuern darf. Schwierig. Weiteres unter "Kommunal" – welch Rubrikenname! – ist dann Graffiti- und sonstige Jugendpolitik, bevor nach einer Seite Gastrotipps plötzlich die Redaktion in Karnevalskostümen dasteht. Daneben natürlich total alternative Tipps zur Sause. Und im Anschluss ein Bericht über ein Buch plus CD über Straßenmusiker von Mitte des 20. Jahrhunderts. Abtrünnige von Stockhausen haben das mal gemacht und resümieren im Schlussatz: "Dieses Kölsch ist mittlerweile historisch." Dann eine Fotostrecke über das sterbende Bad! Und die Titelstory zur Stadtplanung darüber wie die Nationalsozialisten die "drei Reiche" in der Stadt baulich repräsentiert wissen wollten, nach dem 2. Weltkrieg denn aber unkoordiniert Wiederaufbau betrieben worden sei und die neuesten Planungen irgendwie auch nur Schwammiges erwarten lassen. Durchaus lesenswert, aber inmitten von soviel Identifikationshuberei auch verstörend, denn nur sechs Seiten nach einem Foto von Hitler kommt dann eines von Clickclickdecker. Man ist nahtlos bei "Musik". Und findet auch gleich eine Beilage zur Reihe "Neue Musik Köln". Hängt ja auch alles bestimmt irgendwie zusammen.

Und im Kulturteil ist natürlich alles ordentlich, gute Themen und Kritiken, allerdings natürlich alles im Bewusstsein der Tatsache, dass es eher um stilsichere Alternativ-Unterhaltung geht. Anzeigen von Live-Clubs und sogar für CDs – die ersten nach einer Beilage für ausgerechnet einen Kurpark. Zielgruppe scheint tatsächlich 17 bis 70 zu sein. Man muss halt alles repräsentieren, Themen besetzen, etc. Kennt man ja. Wozu eigentlich nochmal? Hm.

Die Filmkritiken sortieren recht sezierend historisch ein, der Theaterteil bringt Porträts, Berichte und Kritik, "Kunst" ebenso, und bei "Literatur" geht es spätestens recht viel um Bücher, die wohl mit Bekannten oder Verlagspartnern zu tun haben – aber all das auf recht hohem Niveau. Da ist wirklich kaum zu meckern bevor der Kalender beginnt, die Kleinanzeigen kommen, dann Kolumne und Fotowitz (statt Comic) und schließlich Anzeigen des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg und von Rheinenergie. Und da gibt es denn auch keinerlei Glaubwürdigkeitsprobleme, ist ja alles irgendwie kölsch. Und man mag nach Lektüre einfach die Filme nicht sehen, die Musik nicht hören, die Orte nicht besuchen und erst recht nicht mit einzelnen Stadtteilinitiativen in Berührung kommen. Weil das alles so fürchterich Alternativ-Boulevard ist. StadtRevue halt. Dass einem schummerig wird. Und das ist gar nicht mal Schwarz-Grün. Eher so eine abblätternde Kinderfarbenschicht von einem im Grunde grau-braunen Haus irgendwo in Deutz. Aber es könnte natürlich überall (in Deutschland) sein. Nur: Köln ist so entsetzlich offensichtlich.

Wikipedia-Hoax beschädigt Web-Enzyklopädie

Foto: Bildblog

Ein Spaßmacher hat im Wikipedia-Beitrag zu den vielen Namen des neuen Wirtschaftsminister Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg einen frei erfundenen hinzugefügt: Wilhelm. Damit hat er den Wahrheitsgehalt von Wikipedia verfälscht. Und nennt das einen Scherz. Später freut er sich, dass sein Hoax in der Bild und in anderen Zeitungen abgedruckt wird. Dann kommen ihm Zweifel und am Ende dann beklagt er sich anonym in Bildblog, dass die Reporter einfach Wikipedia vertrauen würden.

Zugegeben, der Scherz war anfangs nicht gerade originell. Innerhalb weniger Stunden bekam er aber eine höchst interessante Eigendynamik, die mich an den Recherche-Methoden vieler Journalisten erheblich zweifeln ließ.

Ich frage mich, ob der Anonymus nicht viel mehr ganz einfach aus einem Aufmerksamkeitsdefizit heraus die Glaubwürdigkeit von Wikipedia erheblich beschädigt. Denn wenn er nach seinem Beschiss die Recherche-Methoden der Journalisten angreift, die Wikipedia vertraut haben, greift er gleichzeitig alle anderen Wikipedia-Nutzer an, denn auch diese trauen der Enzyklopädie.

Die einzige Konsequenz aus seinem Angriff ist es für alle, Wikipedia nicht mehr zu vertrauen, weil immer wieder Witzbolde dabei sein können, die Basisfakten fälschen.

Für seinen Angriff auf Wikipedia hat sich der Anonymus viel Mühe gemacht. Er den Lesern der Enzyklopädie eine getarnte Falschinformation untergejubelt. Dann hat er schnell die Prüfmechanismen von Wikipedia umgangen. Um schließlich die Leser zu beschimpfen, die seinem Betrug geglaubt haben. Und das alles nur, um einen Scherz zu machen, spich, sich selbst zu unterhalten.

Ich will das mal vergleichen: Ein Falschgeld-Macher, verteilt Falschgeld und zeigt dann mit dem Finger auf den Markthändler, der sein Falschgeld angenommen hat, um sich über ihn lustig zu machen. Hihi, sie mal der Doofmann, der nimmt Falschgeld an. Dann merkt, er, dass sein Witz doof ist, und als Ersatz behauptet er, man dürfe allem Geld nicht vertrauen, da es viele Markthändler gebe, die Falschgeld annehmen würden.

Die richtige Konsequenz aus seinem Handeln wäre es, den Falschgeld-Macher und Wikipedia-Beschädiger aus Wikipedia auszusperren. In meinen Augen ist die Idee einer Web-Enzyklopädie wichtig. Diese Idee ist es wert ernstgenommen zu werden. Dummwitzler sollten hier keine Chance bekommen.

UPDATE 1: HURRA – FDP verspricht: Jagdsteuer wird abgeschafft

Foto: Holger Ellerbrock im Landtag

Die regierende FPD in Nordrhein-Westfalen hat eine bahnbrechende Steuererleichterung geschafft. Der Aufschwung kommt. Wirtschaftskrise überstanden. Nix mit Klientelpolitik – ein Sieg für alle. Und trotz dieser Errungenschaft mosert jetzt der Landkreistag NRW. Die FPD würde die Jagdbesitzende Klasse zu Ungunsten der Restgesellschaft schonen. Aber lest selbst die gestrige Pressemitteilung der FPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, die mich gerade erreichte und die Stellungnahme des Landkreistages:

 

Die FDP-Landtagsfraktion hat in ihrer heutigen Sitzung die Absicht zur Abschaffung der Jagdsteuer bekräftigt. "Die Jagdsteuer wird noch in diesem Jahr abgeschafft", erklärt der umweltpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Holger Ellerbrock. "Wir werden schon in den nächsten Wochen eine gemeinsame Initiative mit der CDU auf den Weg bringen."

Der FDP-Umweltexperte betont, dass die Leistungen der Jägerschaft für die Allgemeinheit die landesweit nur noch geringen Einnahmen aus der Steuer bei Weitem überstiegen. Die FDP-Fraktion will allerdings sicherstellen, dass sich die Landkreise mit einem mehrjährigen Abschmelzungsmodell auf das Ende der Steuer einstellen können. "Zudem sollen die Leistungen der Jäger zur Entlastung der Kreise fest verabredet werden", erklärt Ellerbrock.

Der Landkreistag NRW moppert gegen den Vorstoß der auf-gar-keinen-Fall-Klientel-Partei FDP. Auf die Spitze getrieben sagt der Landkreistag: Damit Jäger billiger Rehe abknallen können, müssen nachher Kindergärten geschlossen werden. Das ist natürlich überzogen – aber nicht völlig aus der Luft gegriffen. Lest selbst:

 

Der Landkreistag Nordrhein-Westfalen hat auf aktuelle Medienberichte reagiert, wonach die Landesregierung noch im Laufe dieser Legislaturperiode zwar die Jagdsteuer abschaffen, die daraus resultierenden Millionenverluste der Kreise aber offenbar nicht ausgleichen will. „Sicherlich ist die Jagdsteuer eine so genannte Bagatellsteuer, weil sie landesweit gerade einmal vergleichsweise bescheidene neun Millionen Euro in die Kassen der Kommunen spült. Dennoch sind insbesondere Flä-chenkreise mit großen Waldgebieten auf die derzeit bis zu 800.000 Euro im Jahr angewiesen“, bekräftigte Dr. Martin Klein, Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Nordrhein-Westfalen (LKT NRW), heute in Düsseldorf. „Es kann nicht sein, dass das Land die Frage der Kompensation faktisch offen lässt. Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten können es sich die Kreise buchstäblich nicht leisten, auf das Geld zu verzichten.“

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Guru Landrat Jochen Welt aus Recklinghausen?

Jochen Welt (SPD) kandidiert im Kreis Recklinghausen nicht mehr zum Landrat – legt aber auf den letzten Metern noch einen amtlichen Skandal hin.

Denn im Moment ermittelt die Staatsanwaltschaft Bochum gegen Landrat Jochen Welt. Der soll, so schreibt die Recklinghäuser Zeitung, die Kosten einer Heilpraktikerausbildung über den Kreis abgerechnet haben. Vor einem Jahr sagte mir Welt, dass er noch einmal etwas Neues machen wolle und deshalb nicht mehr als Landrat antreten werde. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass ein strammer Sozialdemokrat auf seine alten Tage noch zum Esoteriker mutiert und sich diesen Unfug dann auch noch illegal finanzieren lässt. Wenn es stimmt, fände ich es schade, denn ich mochte Welt. Zu der Affäre passt eine mit einem Mahatma Gandhi Zitat versehene Pressemitteilung, in der die SPD etwas schwurbelig erklärt "In der Presse wird über ein laufendes Verfahren berichtet. In einem solchen Verfahren gibt es keine Vorverurteilungen, aber auch keine Freifahrtscheine. Jeder trägt für sein Handeln selbst die Verantwortung." Naja, das sind Binsenweisheiten..

Sollten sich die Vorwürfe gegen Welt bestätigen, stehen die Chancen für den CDU-Kandidaten um das Landratsamt, Josef-Hovenjürgen (MdL) gut, bei der kommenden Kommunalwahl Welts Nachfolger zu werden.

Ruhrpilot

 Nachrichten aus dem Ruhrgebiet

 Gaza-Demos: "anti-Germans are otherwise known as friends of Israel and the US"…Jerusalem   Post

 Verkehr: Hier steht es am längsten…Stern

 Web 2.0: Mordprozess in Essen…Spiegel

 Autos: Dortmund setzt auf Strom…Der Westen

 Esoterik: Betrug für Unsinn…Der Westen

 U-Turm: Auerbachs-Keller…Ruhr Nachrichten

 DJV: Gewerkschaft warnt vor Monopolen…Medienmoral NRW

 Arbeit: Angst in der Oper…Ruhr Nachrichten

dpa – Bye, Bye Hamburg

Die Nachrichtenagentur dpa zieht es nach Berlin. Der Hauptsitz Hamburg soll zwar nicht aufgegeben werden, aber Teile der Redaktion sollen in die Hauptstadt umgesiedelt werden.

Schon seit längerem macht in der rund 800 Leute umfassenden Belegschaft das Gerücht eines bevorstehenden Umzugs die Runde. Heute ließ Chefredakteur Wilm Herlyn die Katze endlich aus dem Sack. Chefredaktion und Geschäftsführung seien für den Umzug nach Berlin, sagte er heute vor versammelter Mannschaft in Hamburg. Der Dienstleister IDS wurde mit der Prüfung entsprechender Überlegungen beauftragt. Ein Komplettumzug ist dem Vernehmen nach nicht geplant.

Ziel der Verlagerung von Stellen nach Berlin dürfte auch sein, das Gewicht von Deutschlands größter Nachrichtenagentur in Politik und Wirtschaft zu stärken. Hauptgrund dürften aber erhoffte Einsparungen sein, zu deren Höhe Herlyn bei der Versammlung keine Angaben machte.

Das Medienunternehmen hat in den Krisen der vergangenen Jahre kräftig Federn lassen müssen. Zeitungs-Kunden mussten Rabatte eingeräumt werden, nach der Rheinischen Post bestellte zuletzt die WAZ-Gruppe den Dienst ab. Der Einnahmeausfall beträgt alleine bei der WAZ drei Millionen Euro.

In Berlin ist dpa mit einem Landesbüro für die Hauptstadt und Brandenburg sowie einer Parlamentsredaktion vertreten. Zudem hat die Rundfunktochter Rufa ihren Sitz in der Stadt.

Update: Herlyn hat die Planungen inzwischen in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung bestätigt.

 

Entschleunigung in Amerika. Ein gutes Buch

Foto: Robert Jacobi im Monument Valley

Ich habe vor ein paar Tagen ein Buch gelesen. Amerika der Länge nach von Robert Jacobi. Das Buch ist gut, verdammt gut.

Ich kenne Robert ein paar Jahre lang. Wir waren zusammen in Amerika. In New York, in diesem September 2001, als die Jets in das World Trade Center krachten. Robert hat für die Süddeutsche geschrieben, ich für die taz.

Seine Serie über die Terror-Anschläge damals hat Robert mit einer Geschichte angefangen, die besonders war. Und zwar war Robert gerade in Chicago als die Türme fielen. Er musste dann schnell nach Manhattan – seine Redaktion hat ihn losgeschickt. Aber nichts ging. Alle Flüge in den Staaten waren gecancelt, vielleicht erinnert sich noch einer dran. Robert nahm sich einen Wagen und fuhr los. Durch die Prärie, die Appalachen immer weiter noch Osten zur Küste.

Robert schrieb über die Fahrt eine ausgezeichnete Story. Seine Reportage spiegelte die hastige Veränderung der Welt durch zwei Verbrechen in der Reise eines Autofahrers. Cool. Und außergewöhnlich in einer Zeit in der die meisten Blätter nur den anstehenden Krieg herbeikreischten.

Robert hat mit dieser Autogeschichte ein Thema gefunden. Reisen und denken.

Dieses Thema hat Robert in seinem Buch Amerika der Länge nach wieder aufgegriffen. Und verfeinert.

Das Buch ist eine Entschleunigung. Mich hat es rausgerissen aus der täglichen Hast. Es hat mir Ruhe gegeben in der Betrachtung einfacher Sachen und der Konzentration auf Details. Was ist wirklich wichtig?

Robert gibt keine Antworten. Er beschreibt einfach, wie er seine Karriere für ein Jahr unterbricht und abhaut, die Panamericana von Alaska runter nach Feuerland. Wie er sich ein Auto kauft, wie er sich mit einer Reisebegeleitung streitet oder sich irgendwie spontan verliebt in Mexiko oder so.

Die Geschichte kommt an zwei Bücher ran, die ich früher mal gelesen habe. Einmal an Walden von Henry David Thoreau. Das ist der Typ, der sich in Concord, in Massachusetts, eine Hütte in den Wald geknallt hat, um dort ein gutes Jahr lang über die Notwendigkeit der Ökonomie der Nägel zu philosophieren – unter anderem. Es ging um die Befreiung durch Beschränkung und so.

Thoreau ist ein Klassiker. Sowas wie Diogenes in der Tonne. Irres Buch. Später hat sich der Walden-Autor über Steuerzahlungen aufgeregt – er sollte für sein Jahr in der Waldhütte ein paar Dollar zahlen. Thoreau sah das nicht ein und ging in den Knast. Dort schrieb er seinen zweiten Klassiker: Von der Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat.

Das Buch sollten alle Bakunin-Terror-Anarchisten lesen. Es schließt den friedlichen Widerstand gegen Unterdrückung auf. Nichts ist’s mit Bomben für die Freiheit.

Wie dem auch sei, jedenfalls nimmt Robert in seinem Buch den Leser mit auf eine Reise in eine moderne Form von Walden. Auf Trekking-Touren und in eine Auto-Wohnung. Auch hier beschränkt er sich auf das wesentliche.

Dann aber finde ich, Amerika der Länge nach gleicht auch irgendwie dem Buch Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten von Robert M. Pirsig aus dem Jahr 1974. Damals ging es um eine Bike-Tour quer durch die Staaten und die Frage nach den ewigen Werten. Wie Thoreau konzentrierte sich Pirsig auf die Details im Leben, um darin das große Ganze zu verstehen. Hier eine Waldhütte, da ein Moped.

Diese Wertschätzung des Kleinen kann den Blick auf das Wesentliche öffnen.

Nicht der Job ist das entscheidende, nicht die Karriere, nicht der Streit, nicht die Hektik, nicht der Staat. Es geht um Familie, um Seele und so Sachen.

Man muss die Muße finden, sich dieser Dinge bewusst zu werden. Dazu muss man sich entschleunigen. Dazu muss man bremsen. Man muss Zeit finden nachzudenken.

Und dabei helfen diese Bücher, genauso wie Roberts Buch über die Reise Amerika der Länge nach runter.

Dabei ist Roberts Buch gleichzeitig unmodern und modern.

Unmodern, weil es um eine Reise geht.

Reisereportagen werden tausendfach geschrieben – überall. Oder mit Dia-Vorträgen in VHS-Kursen erzählt- was noch schlimmer ist. Eigentlich darf man nichts Neues erwarten. Allein die Fahrt über die Straße der Amerikas von Alaska bis Feuerland wurde gefühlt zweiduzendfach beschrieben und verfilmt.

Doch Robert druckt nicht alte Stanzen ab. Er schafft was neues und modernes.

Wahrscheinlich liegt es daran, dass er gut schreiben kann.

Aber da ist noch etwas anderes wichtig. Robert wird persönlich, wird vertraut, schreckt nicht vor peinlichen Szenen zurück, bringt sich ein, auch wenn es weh tut. Er stellt das Leben dar.

Damit betreibt er so eine Art modernen Gonzo-Krams. Er zieht sich nicht raus aus dem Geschehen, sondern stellt das Erleben in den Mittelpunkt.

Das gefällt mir ausgesprochen gut.

 

Warum? Ich denke, Robert gibt damit ein spannendes Vorbild ab im modernen Journalismus. Gonzo wird wieder modern – man nennt es heute wohl den neuen Blog-Stil. Ich weiß nicht. Ich entdecke jeden Tag Gonzo-Reportagen im Netz. Es ist als könne man die Wieder-Erstehung einer fast vergessenen journalistischen Form erleben.

So wie Gonzo aus dem New Journalism hervorgegangen ist, so entsteht heute aus der Gonzo-Nummer eine neue Web-Form.

Je mehr die Nachricht selbst an Wert verliert, umso wichtiger wird es, den Menschen in der Geschichte zu erleben. Die persönliche Ebene zu spüren, und dabei wahrhaftig zu bleiben. 

Das ist gut. Aus dieser neuen alten Form des Schreibens erwächst wieder gute Literatur.

Roberts Buch erscheint bald in zweiter Auflage.

Hier ein Link zum Autor und so. Wo man das Buch bestellen kann.

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Brauser: Kein Grund für Liebesparadenkummer

Erst sagte Bochum ab – dann warnte die Duisburger Polizei vor der Loveparade 2010.

Bevor noch weitere Berufs-Bedenkenträger das Wort ergreifen, versucht Hanns-Ludwig Brauser von der Ruhrgebiets-Wirtschaftsförderung die Wogen zu glätten: "In Abstimmung mit Essen, Dortmund, Bochum, Duisburg und Gelsenkirchen informieren wir über den aktuellen Sachstand der Beratungen zur Loveparade 2010 / 2011: Die Spekulationen der letzten Tage über mögliche Austragungsorte entbehren jeder Grundlage. Für 2010 ist als Austragungsort Duisburg vorgesehen, für 2011 Gelsenkirchen. Dies entspricht der Verabredung der Region mit dem Veranstalter der Loveparade in 2007. Im März 2009 beginnen die Gespräche mit den genannten Kommunen und dem Veranstalter zur Vorbereitung der Loveparade 2010." Gelsenkirchen und Duisburg wollen wohl, wie man hört, die Loveparade durchziehen und sich nicht, wie Bochum, mit einer Absage bundesweit blamieren.

3 für 7 – 3 Kulturtipps für die nächsten 7 Tage

Es nutzt nichts darum herum zu reden: Das Wetter ist mies, und im Veranstaltungsbereich muss schon in gewisse Nischen geschaut werden, um Mitte Februar Erbauliches zu finden – das gute Theaterprogramm wurde ja bereits in der letzten Woche hier dargestellt. Und nun der positive Aspekt: Bei den kleineren und/oder persönlicheren Veranstaltungen fühlt man sich zwar nie so medial wichtig wie bei spektakulären Großevents, dafür ist es aber oft leichter, einen persönlichen Bezug zu den Künstlern und Werken herzustellen. Drei Frauen: Clare Strand, Fantani Touré, Pia Bohr.

Interessante Fotoausstellungen für ein breiteres Publikum – das ist sicherlich eine Kunst für sich. Und wurden in dieser Reihe bereits jene von z.B. Jim Rakete und David Lynch vorgestellt, so ist es diesmal das Konzept das im Mittelpunkt steht. Denn Clare Strand fotografiert die gehängten Werke im Museum Folkwang gar nicht mal alle selbst, sie benutzt auch gefundene Fotos. Im Zusammenspiel entstehen so thematisch dichte Reihen, einmal Bezug nehmend auf "Household Words" von Charles Dickens, ein anderes Mal wird die Perspektive eines Eugene Ionesco eingenommen, um sich dem Thema "New Towns" derart zu widmen, dass eine für die Betrachter nachvollziehbare Kriminalgeschichte entsteht – immer begleitet von kurzen Texten und paranormale Phänomene nie ausgeschlossen. Ein weiterer guter Ansatz im neuen Folkwang-Kanon. Da wird doch der Fuchs… (siehe Foto von Clare Strand).

Und auch das Theater an der Ruhr wagt etwas mit der Reihe "Klanglandschaft Mali" und hat die hierzulande gar nicht mal so bekannte, aber wunderbare Sängerin Fantani Touré eingeladen. Natürlich eine besondere Empfehlung für Anhänger des sogenannten Afrobeat, inklusive feiner Percussion, smarter Rhythmik und Harmoniegesängen. Die Tochter eines malinesischen Stammeskönigs setzt sich daheim für Frauenrechte ein und besucht anlässlich dieses Konzerte zum ersten Mal überhaupt Deutschland.

Beschäftigungen von Menschen, die ansonsten anderweitig im Rampenlicht stehen? Nur ein kurzer Weg zu Pia Bohr, selbst Sangeskünstlerin sowohl solo als auch wieder mit Philip Boa. Sie erarbeitet beständig Holzskulpturen, die meist Frauenkörper, aber auch Fabelwesen zeigen. Ihr Material ist ein spezielles Olivenholz, manchmal aber auch Birne, Ulme, Goldregen oder Mantelholz. Formen und Maserungen ergeben einander, alles bleibt rund und fließend. Schöne, anmutige Arbeiten, denen man den pfleglichen Umgang mit den Hölzern anmerkt. Und das auch noch auf der Essener Margarethenhöhe!

Im Überblick:
"Clare Strand – Fotografien und Video" bereits seit dem 7. Februar im Essener Museum Folkwang.
Fantani Touré samt Quartett am Freitag, den 13. Februar, ab 20 Uhr im Mülheimer Theater an der Ruhr.
Die Vernissage zu "Kraft und Anmut" von Pia Bohr am Sonntag, den 15. Februar, um 16.30 Uhr in Mintrops Stadt Hotel Margarethenhöhe.