Trickbetrug im Biohof Rüttenscheid

Eine wahre Geschichte, die man fast in die Rubrik „Mythen des Ruhrgebiets“ einordnen möchte. Da ist der kleine schnuckelige Bioladen hinterm Markt in Rüttenscheid, wo sich trotz der Konkurrenz der Bio-Handelsmarken der Discounter noch gut und gesund einkaufen lässt. Vor dem Biohof ist ein Hasenstall, der von den 2 – 6jährigen frequentiert wird, während die Elternteile drinnen ihre Einkäufe erledigen. Man kann auch schön davor einen Kaffee trinken.

Heutzutage muss der Bioladen den gleichen Service wie ein Supermarkt bieten. Dementsprechend gibt es dort auch Mineralwasser. Flasche für Flasche zu kaufen ist mühselig. Daher auch hier der Trend zum Großeinkauf.

Am letzten Samstag holt eine Kundin ihre Wasserkisten im Wert von 100 Euro ab. Besagte Kundin lädt nun ihr Wasser ein und eine freundliche Person, die dort ihren Kaffee trinkt, fragt, ob sie denn beim Verladen helfen möge. Besagter Wasserkäufer nimmt das Angebot an. Im Glauben, dass die helfende Hand eine Mitarbeiterin sei, bezahlt sie gleich dort auf dem Hof, anstelle wie üblich bei der Inhaberin an der Kasse im Laden. Besagte "helfende Hand" macht sich jedoch mit den 100 Euro aus dem Staub.

Ob dieser seltsam nach "Spinne in der Yuccapalme" anhörenden Geschichte mag sich die Inhaberin schon fragen, ob diese Geschichte, die ihr die Wasserkäuferin bei telefonischer Nachfrage, wann sie die Rechnung begleichen möchte, erzählt wirklich wahr ist. Der Chronist kann sie hier nur wiedergeben und sich über das Schlechte im Menschen wundern.

 

Update: Demo gegen Pro NRW Landesparteitag

Am Sonntag, den 14. Juni plant Pro NRW einen Landesparteitag in Gelsenkirchen. Eine Gegendemo findet statt.

Und zwar ab 9.00 Uhr auf dem Marktplatz von Gelsenkirchen-Horst, genau gegenüber dem Ort des Parteitags: Der wird im Schloss-Horst stattfinden. Die Demo geht bis 16.00 Uhr.  Mehr darüber bei Hometown-Glory und bei den Gelsenkirchener Falken. Vom Hometown-Glory-Macher Malte stammt auch die Grafik. Update: Die Stadt war heute auch vor dem Oberverwaltungsgericht Münster mit ihrem Versuch gescheitert, den Parteitag zu untersagen.

Mehr zu diesem Thema:

Verwaltungsgericht entscheidet für Pro NRW

Morrissey


Morrissey, Donnerstag, 11. Juni, 20.00 Uhr, Palladium Köln (ausverkauft, trotzdem ein schönes Video)

Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Ausriss: Arcandor

Arcandor: Konkurrenten wollen fleddern…Spiegel

Arcandor II: Warum es Opel II nicht geben durfte…Welt

Medizin: Homöopathie tötet (via zoom)…HPD

NRW: Rüttgers gegen Neoliberalismus…Der Westen

Stasi: CDU will Stasi-Überprüfung für Landtagskandidaten…Ruhr Nachrichten

Sauerland: Ende der Bleiberegelung…Zoom

Schützen: Schießstände sollen bleiben…Ruhr Nachrichten

Bergkamen: Wasserstadt vom Scheitern bedroht…Hellweg Anzeiger

Oberhausen: Ab 21 Uhr beginnt die Nacht…Der Westen

Erinnerung: Casis erstes Konzert….2.0

 

 

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Kreis Recklinghausen: Aus WAZ wird wäzlein

Nachem die WAZ schon vor einigen Jahren zahlreiche Lokalausgaben im Kreis Recklinghausen eingestellt hat geht es nun an die Kreisredaktion:  Das Personal wird nach  WDR-Angaben drastisch reduziert.

Ein Modell sollte die Vest-Redaktion werden, die an die Stelle  der bereits vor Jahren geschlossenen acht Lokalredaktionen im Kreis Recklinghausen trat. Ein WAZ-Mitarbeiter erklärte uns vor wenigen Monaten das damals vorgestelle Konzept, das nicht aufging: "Die Verlagsleitung hat uns damals erklärt, wie gut die Aufgabe der einzelnen Lokalteile wäre. Das Vest Recklinghausen sei mit Essen zu vergleichen und eine gemeinsame Redaktion würde Sinn machen. Wir haben dadurch nur Leser verloren. In vielen der Städte war die WAZ allerdings immer schwach und kam nie gegen die Blätter von Bauer an."

Daraus zieht das Unternehmen nach einer  Meldung des WDR nun die Konsequenzen: Die WAZ wird ihre Vest-Redaktion von jetzt 29 auf nur noch 10 Redakteure runterfahren. Wie die für ein Einzugsgebiet mit mehreren 100.000 Menschen eine auch nur halbwegs lesenswerte Zeitung machen sollen bleibt ein Geheimnis der Verlagsleitung. Passend zu der Umstrukturierung findet morgen eine Demonstration der WAZ-Mitarbeiter vor der Konzernzentrale in Essen statt. Von der WAZ war heute keine Stellung mehr zu dem Thema zu erhalten.

 

Deutsche Kinderhilfe dubios

Grafik: Ruhrbarone

Die Deutsche Kinderhilfe ist ein Verein, der in den vergangenen Monaten immer öfter aufgefallen ist. Vor allem dann, wenn es um den öffentlichen Kampf PRO Netzsperren von Zensursula ging. Und diese unsägliche Kampagne pro BKA-Listen. Doch wer ist das überhaupt – die "Deutsche Kinderhilfe"? Der Kollege Kristian Frigelj von der Welt hat sich schon im vergangenen Jahr auf die Suche gemacht, und ein Netzwerk von dubiosen Datenhändlern, Adressensammlern, Firmen und Vereinen aufgetan. Das eigentliche Ziel dieses Netzes ist nicht leicht zu verstehen. Man könnte sagen, es geht darum, aus der Sorge um Kinder Geld zu machen. Der Deutsche Spendenrat hat die Deutsche Kinderhilfe schon vor etlichen Monaten wegen mehrerer Vergehen ausgeschlossen – auch wenn die Kinderhilfe sagt, sie sei einem Ausschluss durch freiwilliges Ausscheiden zuvorgekommen.

Einer der sich noch intensiv mit der Deutschen Kinderhilfe beschäftigt hat, ist Markus Kurth. Der 42-Jährige Sozialpolitiker ist Bundestagsabgeordneter der Grünen. Ich hab mit ihm über den Verein gesprochen.

Ruhrbarone: Haben Sie was gegen Kinder?

Markus Kurth: Ganz und gar nicht. Kinder sind etwas ganz tolles. Ätzend ist der Missbrauch von Kindern für PR-Geschichten und Schein-Politik. Keinem der vielen armen Kinder, die es in Deutschland gibt, geht es durch den Aktionismus von Frau von der Leyen oder der Kinderhilfe besser. Dabei könnte man ganz viel machen, um sofort Abhilfe zu schaffen. Eine kostenlose, gesunde Mahlzeit in der Schule für alle Kinder würde direkt wirken.

Warum sehen sie dann die Rolle der "Deutschen Kinderhilfe" kritisch?

Ich halte nichts von Leuten, die viel Wind machen, aber nichts essentiell bewegen. Dabei gibt es doch ganz konkrete Dinge für Kinder, die man tun kann. Alle Experten wissen, dass die Regelsätze für Kinder z.B. viel zu niedrig sind. Sie müssen endlich an die tatsächlichen Bedarfe angepasst werden. Aber das kostet natürlich Geld. Und das darf nach den neokonservativen Ideologen nicht fließen. Stattdessen soll dann lamoyantes Gequatsche über die Schlechtigkeit der Welt die Probleme lösen.

Wo ist Ihnen die "Deutschen Kinderhilfe" bislang aufgefallen?

Mein Blut hat das Konstrukt zum ersten Mal in Wallung gebracht, als der Kinderhilfe-Chef Ehrmann dem nach seinen Bierzelt-Ausfällen in Bedrängnis geratenen JU-Chef Missfelder Schützenhilfe geleistet hat. In dem Zeitungsartikel, in dem Ehrmann zitiert wurde, war eben von der „Deutschen Kinderhilfe“ die Rede. Suggeriert wurde, da würde sich ein Experte äußern. Da wurde ich stutzig. Ich bin seit 2002 im Bundestag und habe mich eingehend mit Kinderarmut beschäftigt. Die Kinderhilfe als kompetente Organisation war mir da nie untergekommen. Da habe ich dann einfach mal ein wenig recherchiert.

Die "Deutschen Kinderhilfe" sagt, sie wäre transparent. Sehen Sie das auch so?

Transparent ist ein Verein, wenn jeder nach Anerkennung der in der Satzung verankerten Ziele Mitglied mit allen Rechten werden kann und die Aktivitäten und die wesentlichen Geldströme in jeder Hinsicht kontrolliert werden können. Daran habe ich bei der Kinderhilfe meine Zweifel. Daran ändern auch bestimmte Testate nichts. Denn schon in der Kommunalpolitik lernt man, dass es darauf ankommt, was genau testiert wird.

Wie beurteilen Sie das Geschäftsmodell der "Deutschen Kinderhilfe"?

Das ist ein Geschäft auf Kosten Dritter. Im Ergebnis bekommen von der Leyen und Konsorten Aufmerksamkeit und Ehrmann ölt seine Maschinerie mit wertvollen Kontakten. Auf der Strecke bleiben die Kinder, denen es wirklich schlecht geht, denn gute Sozialsysteme lassen sich schlecht bebildern. Weil soziale Sicherung zu sperrig ist, muss dann die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger leiden. Es soll eine Sperrungsinfrastruktur im Netz aufgebaut werden, die prinzipiell gegen jede dort zirkulierende Information eingesetzt werden kann aber gerade Kinderpornoseiten nicht verhindert.

Foto: Präventionsrat Hildesheim

Kennen Sie auch das Modell der Notinseln?

„Modell“ ist nett gesagt. Die Idee ist aber basal und kann von jeder einigermaßen intakten Stadtverwaltung auch ohne fremde Hilfe umgesetzt werden. Da kann sich das Jugendamt einfach mal mit den örtlichen Gewerbetreibenden hinsetzen und so etwas aufziehen. Die städtische Pressestelle flankiert das ganze und dann müssen die örtlichen Geschäfte nur noch mitziehen. Dafür muss man nicht viele hundert Euro zahlen. Eine Stadtverwaltung muss so etwas schon selbst hinbekommen.

Sehen Sie dort ähnliche Strukturen wie bei der "Deutschen Kinderhilfe" erwachsen?

Es gibt auffällige Ähnlichkeiten. Es geht um Kinder. Es geht um emotional aufgeladene Themen. Es geht um „Law and Order“ und nicht um Sozialtransfers. Also ideal für Neokonservative. Außerdem kann man sowohl aus den PR-Auftritten als auch den Notinseln Geld saugen. Wenn man so will geht es um verwandte Geschäftsmodelle ohne Schaffung von Mehrwert.

Was halten Sie von den Notinseln?

Ein Aufkleber, der Hilfe in bestimmten Situationen verheißt, ist prinzipiell nichts schlechtes. Noch besser ist, wenn die Hilfe dann auch kommt. Ähnliche Projekte gibt es ja seit Jahren für Opfer rechtsradikaler Gewalt. Ich will das nicht verurteilen. Aber wer Geld mit so etwas verdient, hat meines Erachtens schon ein moralisches Rechtfertigungsproblem.

Wirtschaftsweiser Schmidt: „Auch der Staat hätte die Arcandor-Arbeitsplätze nicht retten können!“

Die Arcandor-Spitze hat einen Insolvenz-Antrag beim das Amtsgericht Essen gesstellt. Die endgültige Entscheidung ist gerade im Konzernvorstand gefallen. Die Besitzer waren wohl nicht bereit, sich stärker an der Rettung des Konzerns zu beteiligen.  Betroffen sind gut 43.000 Mitarbeiter. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hat sich für die 5000 Mitarbeiter von Opel in die Bresche geworfen – bei Arcondor in Essen war von ihm nichts zu sehen. Für Christoph M. Schmidt, dem Präsidenten des RWI-Essen, ein Schritt in die richtige Richtung.

Für Christoph M. Schmidt vom RWI, der sich gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, den  sogenannten Wirtschaftsweisen, erst heute in der FAZ angesichts der Arcandor-Misere gegen einen zweiten Fall Opel ausgesprochen hat, gab es gute Gründe, warum sich der Staat bei Arcandor zurückgehalten hat: "Der Staat kann Unternehmen retten, aber keine Arbeitsplätze. Hätte er Arcandor gerettet, wären Jobs bei Konkurrenten wie Kaufhof, die ja erfolgreich am Markt agieren, gefährdet worden." Der Grund: Im seit Jahrzehnten schrumpfenden Markt der Kaufhäuser hätte das Überleben eines  gescheiterten Markteilnehmers den Wettbewerb verzerrt und die erfolgreichen Unternehmen unter Druck gesetzt. Dass der Arcandor-Vorstand, der sich wohl Aufgrund der Weigerung der Anteilseigner, sich an der Sanierung stärker als bislang zu beteiligen,  sein Sanierungskonzept nicht nachbesserte kommentierte der Wirtschaftsweise knapp: "Die Anteilseigner werden gute Gründe haben, ihr Geld nicht in die Arcandor-Sanierung zu investieren."  

In den Karstadt Filialen wird nach eine Mitteilung des Konzerns der Verkauf erst einmal weiter gehen. Nicht von der Insolvenz der Arcandor AG betroffen sind die börsennotierte Thomas Cook Group, an der Arcandor nur über Aktienbesitz beteiligt ist sowie Spezialversender der Primondo-Gruppe und der TV-Händler HSE 24. Auch die Karstadt Warenhaus GmbH, die Primondo GmbH und die Quelle GmbH haben Insolvenz beantragt.

 

Arcandor (2): Megaphon, megageil?

Arcandor will also Insolvenz anmelden, klack. Dabei hatte der erst seit März amtierende Vorstandsvorsitzende Karl-Gerhard Eick gestern noch einmal forsch getrommelt. Der erfahrene Spitzenmanager, gebürtige Ulmer und FC Bayern Aufsichtsrat erklomm vor der Konzernzentrale eine Haushaltsleiter, heizte seiner Belegschaft per Megaphon ("Wir kämpfen bis zur letzten Minute") kräftig ein, die Untergebenen klatschten, die Essener Sonne schien. Eick zeigte sich hemdsärmlig und trotz der Schwere der Lage (noch?) ganz gut drauf. Oder wie müssen wir DAS!!! verstehen?

Fotoquelle: ruhrbarone/sz

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3 FÜR 7 – Ausgehtipps, immer noch wöchentlich

Jetzt muss das Wetter kommen, denn es geht allerorts nach draußen: Stadt(teil)feste, Festivals und so weiter. Bald gehen die Theater, einige Discos und ein gewisses Kunstinteresse eh in die Sommerpause, also üben wir heute hier schon einmal ein wenig simples, sonniges Gemüt – oder gehen direkt in die Kirche: Shantel, Rü-Fest, Marsen Jules.

Marsen Jules (Foto: erselbst) aka Martin Juhls macht viel von Dortmund aus, ob früher mit dem Cosmotopia, immer mal wieder für das Juicy Beats, gerne auch mal Pressearbeit, aber vor allem im Bereich … nennen wir es jetzt einmal (semi-)elektronische Kammermusik und vergessen diese Schublade gleich wieder. Als Veranstalter lädt er auch gerne mal in eine Kirche, diesmal dient ihm mit der Paulus- eine solche als Spielstätte für ihn selbst, den Trompeter John Dennis Renken, den Pianisten Jan Philip Alam, den Geiger Anwar Alam und für Visuals und Installationen von Nicolai Konstantinovic. Das wird sich zwischen Ambient, Jazz und klassischer Moderne abspielen, heißt es, also nichts für Puristen und keine reine Lehre, sondern eher musikalischer Hörgenuss in kühlem Ambiente.

Eine Runde heißer denkt man sich da schon Stefan Hantel bzw. Shantel und das Bucovina Club Orkestar. Für’s Erleben des Ganzen ist diesmal das zakk zuständig, hoffentlich wird dort auch eher getanzt als gestarrt, und so etwas klappt ja im Rhein/Ruhrgebiet bei Konzerten zum Glück immer dann, wenn mal ganz Europa und nicht nur brutal deutschtümelndes (und brav eingedeutschtes) Westfalen oder Rheinland im Publikum ist. Zu hoffen ist aber natürlich auch, dass die alternativen Sozialarbeiter und die Szenepolizei nicht allzu "Frieden stiftend" intervenieren in Düsseldorfs Vorzeigeobjekt für äh De- und Resozialisierung verhaltensauffälliger Interessantist/innen? Nee, aber egal.

Mehr noch als Kirche und Differenzpolitik trägt gerne mal ein Stadt(teil)fest dazu bei, dass sich alle vertragen. In Essen-Rüttenscheid klappt das selbst unter der Ägide der IGR (Interessensvertretung der dort ansässigen Firmen und Betriebe) so gut, dass wirklich alle möglichen Menschen sich beteiligen oder zumindest auf der Straße von Innenstadt Richtung Grün (und umgekehrt) äh dabei sind: Selbst ernannte Underground-DJs stehen neben der Trachtengruppe, Späthippies mixen Nazis Cocktails, Prekariat guckt Modenschau. Das alles natürlich auf vielen Bühnen, an vielen Ständen entlang und mit Folgen bis mindestens spät in die Nacht. Das Rü-Fest. Naja, warum nicht, ne?

Im Überblick:
Marsen Jules und Gäste spielen am Freitag, 12. Juni ab 21 Uhr in der Dortmunder Pauluskirche.
Shantel und das Bucovina Club Orkestar spielen am Samstag, 13. Juni eher so ab 21.30 Uhr im Düsseldorfer zakk.
Das Rü-Fest ist am Samstag, 13. Juni von mittags bis irgendwann.

Europawahl: Hier die guten Nachrichten

Glaubt man den Mainstream-Medien sind wir bei der Europwahl in einer Flut rechtskonservativer Hegemonie mit zahlreichen rechtsradikalen Merkmalen versunken. Mit der daraus erhofften selbstmitleidigen Larmoyanz auf linker und ökologischer Seite der europäischen Gesellschaft, eine Hoffnung, die leider nicht ganz unrealistisch ist, hofft man dann weiter auf der neoliberalen Welle surfen zu können.

Meine These ist: wenn die europäische Linke darauf reinfällt, ist sie selber schuld. Dass die Wahl vergeigt wurde, liegt nicht an rechter Stärke, sondern der linken Schwäche, keine inhaltliche und strategisch glaubwürdige Alternative aufzubieten. Die Fakten sprechen nicht für rechte Hegemonie. Sie sollen, weil in den meisten Medien absichtsvoll weggelassen, hier gesammelt werden.

1. Deutschland

Tatsache ist, dass die FDP die CDU-Verluste nicht kompensieren kann. Ihre Umfragebäume (16-18%) sind nicht in den Himmel gewachsen. Die Linkspartei hat dagegen schon alle Fehler begangen, weitere sind kaum denkbar; trotzdem erreichte sie 7,5%. Die Grünen stabilisierten das beste Ergebnis ihrer Geschichte (12,1). Die Piratenpartei, deren Existenz bisher reines Szenewissen ist, bekam in allen Großstädten, die diese Bezeichnung verdienen, über 1%.

2. Belgien

Die Ecolo-Liste steigerte sich von 3,7 auf 8,1%, Groen blieb stabil bei 5%, macht 13% links der Sozialisten.

3. Dänemark

Die Volkssozialisten mit linksgrüner Ausrichtung stiegen von 8 auf 14,8%.

4. Finnland

Die Grünen verbesserten sich von 10,4 auf 12,4%.

5. Frankreich

Die Grünen stiegen von 7,4 auf 16,3%. Die desolaten Ex-Kommunisten konnten sich im Bündnis mit anderen Linken von 5,3 auf 6% stabilisieren.

6. Griechenland

Hier konnten sich sogar die korrupten Pasok-Sozialisten von 34 auf 36,7% steigern. Die notorisch sektiererischen und gespaltenen diversen Kommunisten links der Pasok haben in der Summe kaum verloren: 13,1% (vorher 13,7).

7. United Kingdom

Alle schauen auf den Zusammenbruch von Labour, schlimmschlimm, jaja. Die Liberaldemokraten, die im Gegensatz zu Deutschland im UK schon links von Labour zu verorten sind, sind stark geblieben: 13,7% (vorher 14,9), die Grünen haben sich – ohne Parlamentspräsenz im Unterhaus! – von 6,3 auf 8,6% gesteigert.

8. Irland

Labour verbessert sich von 10,6 auf 13,9, Sinn Fein bleibt stabil auf 11,2%.

9. Italien

Die italienische Rechtskoalition ist noch nie über 50% gekommen, sondern profitiert immer vom Wahlsystem und der politischen Zersplitterung einer möglichen linken Alternative. Berlusconis Truppe plus die rassistische Lega Nord landeten diesmal bei 45,5%, weniger als bei der letzten Parlamentswahl. Das "Italien der Werte" von Ex-Staatsanwalt di Pietro und dem Mafiagegner Leoluca Orlando steigerte sich von 2,1 auf 8% – im Gegensatz zu den der SPD vergleichbaren windelweichen Demokraten (von 31,1 auf 26,2) fordern sie eine klare Opposition gegen Berlusconi.

10 Luxemburg

Die Grünen steigen von 15 auf 17,4%.

11. Malta

Die Arbeiterpartei (Labour) steigt von 48,4 auf 55%.

12. Niederlande

Die deutschen Medien konzentrierten sich ausschliesslich auf den Aufstieg der Rechten. Ein WDR-Radiokorrespondentenbericht, der die tatsächliche Amibivalenz des zutreffend beschrieb, wurde penetrant falsch und tendenziös anmoderiert. Hier die andere Seite: die Linksliberalen D 66 stiegen von 4,2 auf 11,3%, Groenlinks stieg von 7,4 auf 8,9%. Die Lafontaine-ähnlichen populistischen Sozialisten blieben bei 7 % und damit sicher unter ihren Erwartungen – macht 27% links der großkoalitionären Sozialdemokraten. Da werden wir in Deutschland noch lange von träumen, oder?

13. Österreich

Von den Ösis gibts leider wirklich nichts Positives zu berichten.

14. Polen

Kaum zu glauben, aber die Demokratische Linksallianz stieg im Woytila-Land von 9,4 auf 12%.

15. Portugal

Ein "Linker Block" stieg von 4,9 auf 10,7%, die altdogmatischen Kommunisten von 9,1 auf 10,7%.

16. Rumänien

Hier ist alles anders, die Sozialdemokraten gewannen 30,8% (nach 23,1).

17. Schweden

Die Piratenpartei errang 7,1% und einen Sitz; bei den jungen Männern wurde sie stärkste Partei. Die Grünen stiegen von 6 auf 10,8%.

18. Spanien

Trotz dramatischer Wirtschaftskrise hat sich die rechte Opposition kaum verbessert: 42,2% (+ 1,0), links der regierenden Sozialisten haben 6,2% gewählt.

19. Tschechien

Die Sozis gewannen von 8,8 auf 22,4%, u.a. zu Lasten der Kommunisten (von 20,3 auf 14,2).

20. Zypern

Die Linkspartei Akel verbesserte sich von 27,9 auf 34,9%, die Sozialisten eroberten weitere 9,9%.

Man kann sich über die Bewertung solcher Zahlen unendlich streiten. Tatsache ist: nicht alles ist ein Bild des Jammers, und vieles davon ist selbstverschuldet und fern jeder Ohnmacht.

Und hier noch die Lesetipps in heutigen Mainstream-Medien 😉

Robert Misik erklärt in der taz das "Monsterminus" der Sozialdemokraten.

Andre Brie, der geschulte Dialektiker kleidet seine fundamentale Lafontainismuskritik in eine Lafontaine-Hommage und publiziert sie im Spiegel.