Henryk M. Broder Lizenz: GNU Free Documentation License, Version 1.2 Foto: Sven Teschke
Henryk M. Broder legt im zweiten Teil seines Interviews mit den Ruhrbaronen nach. Er spricht über den steigenden Judenhass in Europa, die Angst der Europäer vor Auseinandersetzungen und das schlechte Gewissen hierzulande. Vor allem der Papst kriegt sein Fett weg. "Ein absoluter Skandal" sei die Aufnahme bekennender Holocaust-Leugner in die Kirche. Den ersten Teil des Interviews gibt es hier zu lesen: klack
Ruhrbarone: Herr Broder, ich habe gelesen, Sie bekommen regelmäßig Hass-Briefe…
Gar nicht so viele. Extrem wenige. Deswegen stelle ich diese dann auch sofort online.
Dennoch polarisieren Sie mit Ihren Urteilen. Wie gehen Sie damit um, auf so viel Widerstand zu stoßen? Es gibt beispielsweise mehrere Internetseiten, die sich ausschließlich damit beschäftigen, Ihre Argumente zu widerlegen und Sie zu beschimpfen. Wie geht man damit um?
Ich weiß, es gibt mehrere solcher Seiten. Ich kann den Leuten nichts verbieten. Diese Leute haben wahrscheinlich nichts zu ficken. Sie haben keine Haustiere, haben keine Blumentöpfe, die sie gießen müssen, haben keine Angehörigen und auch keinen Dackel, den sie Gassi führen können. Die haben nicht einmal Brieftauben, aber sitzen da und beschäftigen sich den ganzen Tag mit mir. Klägliche Existenzen!
Die FAZ schrieb kürzlich über Sie, Broder habe nie Recht, aber auch nie ganz Unrecht…
Das kann schon sein. Ich finde, ich habe Recht.
Was sagen Sie zu Stefan Niggemeier (Niggemeier ist ein Kritiker Broders. Er schreibt regelmäßig für die Faz Fernsehkritiken).
Wenn wir zurzeit von Lassalle lebten, würde ich mich mit ihm duellieren. Sie haben nichts verpasst, wenn Sie ihn nicht kennen: Erbsenzähler und Sesselpupser. Niggemeier liebt die Bild-Zeitung und liest sie täglich und braucht dafür einen Vorwand, weshalb er einen kritischen Bild-Blog macht. Es gibt Leute, die lieben Pornographie und können sich ihrem Gegenstand der Begierde nur über den Mantel der Empörung nähern.
Bekommen sie auch Zustimmungsbriefe?
Ja, sehr viele. Von zehn Briefen, die ich bekomme, sind sieben zustimmend, einer ist gemein und zwei sind eher ausgewogen.
Als Ralph Giordano sich als Kölner Bürger gegen den Bau einer Moschee aussprach, erhielt er – ohne es zu wollen – auch von rechten Gruppen Unterstützung. Ist Ihnen das im Zusammenhang Ihrer Kritik am Islam auch schon einmal widerfahren?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe aber auch eine andere Position als Giordano. Ich sehe im Bau von Moscheen und Minaretten kein Problem. Diese Leute sind hier und haben dasselbe Recht wie jeder andere. Ich habe andere Fragen. Es wurde diese Woche eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass Türken die am schlechtesten integrierte Gruppe sind.
Warum schaffen es Iraner und polnische Juden sich hier zu integrieren und Türken nicht? Ich frage mich schon, warum sie permanent Moscheen bauen und nicht Nachhilfestunden für Jugendliche geben, die Probleme in der Schule haben und nicht klar kommen. Das ist mein Punkt der Kritik, nicht die Höhe der Minarette. Das Problem der Türken und der Moslems überhaupt ist meiner Ansicht nach, dass sie immer zwischen zwei Polen gelebt haben. Der eine Pol ist die Überzeugung von der eigenen Überlegenheit durch den Glauben, was natürlich völliger Unsinn ist, auch wenn fast jede Religion glaubt, dass sie besser ist als andere. Der zweite Pol ist die permanente Erfahrung der eigenen Unterlegenheit in der Gesellschaft. Aus diesem Konflikt kommen sie nicht heraus. Mein Freund Leon de Winter sagt auch: „Natürlich bin ich das auserwählte Volk. Ich bin was Besseres. Aber: Ich muss trotzdem arbeiten.“ Sie können also ruhig glauben, dass sie auserwählt sind. Allein auserwählt sein bringt noch nichts auf den Teller. Und noch was: Der Unterscheid zwischen muslimischen Männern und Frauen ist unglaublich. Eine Gesellschaft, die damit beschäftigt ist, die andere Hälfte zu unterdrücken, kann nichts werden.
Haben Sie Angst, wenn Sie an Theo van Gogh und die Entschlossenheit einiger Moslems denken?
Nein, ich habe keine Angst. Ich bin Fatalist. Meine Mutter hat Ausschwitz überlebt, mir kann nichts mehr passieren.
Was war damals für Sie der Grund nach Israel zu ziehen, hatten Sie Deutschland und alles was damit zusammenhängt über?
Offiziell, dass ich von den deutschen Linken die Schnauze voll hatte, die damals genau damit anfingen, womit wir es heute zu tun haben. Mit einem modernen, aufgeklärten antizionistischen Antisemitismus. Aber wenn ich mir das tatsächlich überlege, war das deshalb, weil ich weit weg von meiner Mutter wollte. Das ist mir aber erst später klar geworden. Wie bei so vielen meiner Generation konnten wir die Familienmotive nicht in den Vordergrund stellen, also mussten wir politische Motive vorschieben.
Mit welchem Gefühl reisen Sie heute nach Israel?
Ich fahre sehr gerne hin. Es ist ein tolles Land. Ich bin jetzt 62 Jahre alt und würde dort noch gerne Frieden erleben. Damit die Leiden der Palästinenser aufhören und damit sich in Israel die kreativen Ideen entfalten können, die jetzt schon aufblühen. Wenn Frieden erreicht werden sollte, würde das Land wahrscheinlich vor Kreativität und Einfallsreichtum platzen.
Wie erklären Sie sich den Prozess Ihrer Entfremdung von der deutschen Linken?
Außer bei Oscar Lafontaine ist das, glaube ich, ein völlig natürlicher Prozess, dass jemand der links ist, im Laufe des Reiferwerdens irgendwann nicht mehr links ist. Bei mir aber trifft das nicht zu. Ich bin noch immer links, nur die Linke hat sich katastrophal gewandelt. Sie ist chauvinistisch, nationalistisch, kleinlich geworden. Sie hat eigentlich alles verraten, wofür sie früher gestanden hat. Es ist eine Linke, die sich mit ihrer Geschichte genauso schwer tut wie die gesamte Gesellschaft und die dann irgendwann den Antisemitismus als kleinste gemeinsame verbindliche nationale Frage entdeckt hat. Schauen Sie sich nur an, was für Debatten es heute innerhalb der Linkspartei gibt. Man könnte meinen, Treitschke ist wieder auferstanden und erklärt die Judenfrage zur zentralen Frage des deutschen Bewusstseins. Aber der entscheidende Auslöser war die Entführung der Air France Maschine nach Entebbe, Uganda und die Selektion jüdischer Passagiere. Danach haben sämtliche linken Gruppen in der Bundesrepublik nicht die Entführung bedauert, sondern die israelische Befreiungsaktion. Da haben sich unsere Wege getrennt.
Wie hat man Sie damals in der Linken aufgenommen, war das ein Familienersatz für Sie?
Ja, eine erweiterte Familie. Außerdem war meine erste Freundin Trotzkistin. Aber es ist mir Schlimmeres erspart gewesen.
Wie waren die Reaktionen auf die Arte-Sendung „Durch die Nacht mit…“, in der Sie mit Bild-Chefredakteur Kai Diekmann einen Abend verbringen und sich erstaunlich gut verstehen?
Ich habe sehr nette Briefe bekommen, habe die Sendung aber selber nicht gesehen, da ich in Israel war. Erstaunlicherweise wirkte Herr Dieckmann auf mich nicht unsympathisch. Dieckmann ist auch sympathisch. Ich war selbst überrascht, er ist Etagen besser als sein Ruf. Er ist ein richtig netter Mann.
Macht es das nicht umso schlimmer, dass ein reflektierter und differenzierter Mann wie Dieckmann bewusst eine solch würdelose und teilweise menschenverachtende Form von Journalismus betreibt?
Dieckmann glaubt aber, er macht guten Journalismus. Ich finde, die Bild-Zeitung ist eine unheimlich schlechte Zeitung. Nicht weil es eine Boulevard-Zeitung ist, sondern weil sie so ist wie sie ist.
Das Judentum ist im Werk ihres Freundes Leon de Winter ein zentrales Thema. Die Protagonisten hadern mit ihrer jüdischen Identität. Sie stellen sich die Frage, ob die jüdische Religion und die damit verbundenen Regeln ein überkommenes Relikt jahrtausend alter Zeiten ist. Wie würden Sie ihr Verhältnis zum Judentum beschreiben?
Ich denke darüber gar nicht nach.
Kein Hadern?
Das normale Hadern, ja! Jeder vernünftige Jude rennt dem Judentum davon. Nur die Konvertiten laufen dem Judentum zu. Das ist vollkommen normal. Meine Frau ist katholisch und läuft dem Katholizismus davon. Wir wissen aber beide, dass wir nicht davonlaufen können. Aus dieser Küche kommen wir und das bleibt an uns kleben. Aber das ist kein Hadern. Wenn die mich in Ruhe lassen, lasse ich die in Ruhe. Alles andere ergibt sich. Wissen Sie, das Judentum ist eine Mischung aus gutem Essen und schlechten Manieren. Ich kann mich damit gut arrangieren.
Wenn Sie sich Ihre Religionszugehörigkeit im nächsten Leben aussuchen könnten, für welche würden Sie sich entscheiden?
Im nächsten Leben möchte ich gerne Frau sein, einfach um zu gucken, wie das ist, wenn man immer unten liegen muss. Ich glaube übrigens tatsächlich an Reinkarnation, auch wenn ich völlig ungläubig bin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in einem vorigen Leben auf der Mayflower nach Amerika gesegelt bin. Immer, wenn ich nach Neuengland fahre, nach Boston, bin ich dermaßen unruhig. Ich muss schon mal da gewesen sein.
Die platonische Anamnesislehre.
Genau: Wiedererinnerung.
In Ihren Büchern gehen Sie des Öfteren auch auf Ihre Kindheit ein. Sie sind Kind von Eltern, die den Holocaust überlebten. Für viele Kinder der zweiten Generation war das mit Schwierigkeiten verbunden. Wie war das bei Ihnen?
Ich habe völlig meschuggene Eltern gehabt, die es mir sehr schwer gemacht haben. Aber ich kannte beispielsweise Kinder von Nazi-Eltern, die haben es noch schwerer gehabt, die habe ich noch getröstet. Dennoch habe ich schwere Macken davongetragen, wie jeder, der aus diesem Milieu kommt. Die schwerste Macke ist die, wenn zum Beispiel Mischu Friedman hingeht und sagt, er habe eine glückliche Kindheit gehabt. Das Kind von Holocaust-Überlebenden, das eine glückliche Kindheit gehabt hätte, muss noch geboren werden. Mir war immer klar, dass ich eine beschissene Kindheit gehabt habe und deshalb kann ich diesen Umstand heute gelassen hinnehmen. Ich muss meine Eltern nicht idealisieren. Sie waren schon ziemlich schrecklich.
Warum haben sie sich zur Bahai-Religion bekannt, laut Sandra Maischberger sind Sie konvertiert. Entspricht das der Wahrheit?
Nein! Es ist aber so, dass ich mich seit langem für die Bahai interessiere und auch gute Freunde unter den Bahai habe. Die Väter von zwei befreundeten Bahais wurden von den Mullahs totgeschlagen. Ich finde, die Art wie die Welt sich mit diesem Problem nicht beschäftigt ungeheuerlich. Wenn Sie Iraner kennen, werden Sie wissen, dass es feine, gebildete, kluge und weit von Gewalt entfernte Leute sind. Weder sprengen sie sich in die Luft noch sprengen sie andere in die Luft, weshalb es der Welt scheißegal ist, was mit den Bahais passiert. Ich bin es leid: Meine Mutter muss nicht mehr aus Ausschwitz befreit werden, aber vielleicht müsste man sich heute um die Bahais kümmern, die heute in der Tat so verfolgt werden wie die Juden in Deutschland bis 1939. Dass es keine systematische Massenermordung gibt, ist mir egal. Es reicht schon, wenn dutzende von Leuten verhaftet, gefoltert und getötet werden. Aus diesem Grund habe ich mich mit den Bahai solidarisiert, übergetreten bin ich aber nicht.
Von Maischberger wurden Sie aber als Bahai vorgestellt.
Das fand ich auch in Ordnung. Es hat immerhin ein paar Leute auf das Schicksal der Bahai aufmerksam gemacht. Ich sympathisiere auch wirklich mit den Bahais, das ist nicht nur Mimikry. Wenn es irgendwo eine humane, anständige, liberale und progressive Religion der Intelligenz gibt, dann sind es die Bahai. Mir geht es darum, dass sich die Leute bewusst werden, was heute im Iran mit den Bahai passiert. Wenn die Bahai ein Promille der Aufmerksamkeit bekämen, die die Palästinenser bekommen, dann wäre den Bahai schon viel geholfen.
Der neue Präsident der Vereinigten Staaten Obama versicherte der muslimischen Welt, die USA werde dieser Respekt entgegenbringen und die Hand ausstrecken, sofern diese ihre Faust löst. Halten Sie Obamas Schritt, mit dem Iran Gespräche aufzunehmen für richtig?
Ja. Wenn es gut geht, geht’s gut. Wenn es schlecht geht, dann hat er freie Hände, was zu unternehmen.
Man läuft manchmal Gefahr, Sie auf Ihre humoristische Seite zu reduzieren. Bereuen Sie es manchmal, dass Sie Journalist geworden sind und nicht den akademischen Weg mit Promotion und Habilitation wie Prof. Micha Brumlik eingeschlagen haben. Glauben Sie, auf diesem Wege würde man Ihnen mehr Gehör schenken und Sie ernster nehmen?
Wenn ich den Weg von Brumlik eingeschlagen hätte, wäre ich genauso ein langweiliger Akademiker geworden wie er einer ist. Dessen Sätze man viermal lesen muss, um sich hinterher zu fragen: „Wie hat er es nicht gemeint?“ Nein, das war für mich nie die Alternative und über einen Mangel an Aufmerksamkeit kann ich mich nicht beklagen. Jeder an seinem Platz.
Ein zentrales Merkmal des jüdischen Witzes ist, das erfahrene Leid humoristisch zu verarbeiten. Unter Juden beispielsweise heißt es, dass ein Antisemit sei, wer Juden noch mehr hasst als es normal ist. Aber im Ernst: Wo beginnt für Sie Antisemitismus?
Der Antisemitismus beginnt für mich dort, wo Leute Juden Sachen übel nehmen, die sie anderen nicht übel nehmen. Wenn ich beispielsweise höre: „Jüdischer Spekulant“, dann ist das Antisemitismus. Es spricht nichts dagegen, über den Spekulanten herzufallen, aber ich habe noch nie „katholischer Spekulant“ gelesen. Wenn Sie sich darüber aufregen, was die Juden in Gaza veranstalten, und darüber kann man sich aufregen, aber nicht mal wissen, was in Darfur oder Kongo passiert – das ist Antisemitismus.
Woher kommt diese Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung. Warum werden die Morde im Iran, Kongo und Darfur weitestgehend ignoriert?
Ich glaube, dass ganz Europa, nicht nur Deutschland, eine Rechnung mit den Juden offen hat. Der Holocaust war ein deutsches Projekt, das aber europäisiert wurde. Es gab von Estland, Lettland, Litauen bis Italien und Frankreich Kollaborationen. Es gab wenige Ausnahmen: Die Bulgaren haben ihre Juden gerettet, die Dänen haben ihre Juden gerettet. Ansonsten haben die Europäer kräftig mitgemacht. Ich glaube, dass es ein subtiles, unterbewusstes Bedürfnis der Europäer gibt, diese Rechnung über den Umweg, beispielsweise über Ahmadinedschad, zu Ende zu bringen. Wenn es einen zweiten Holocaust in Palästina geben würde, würde der vorausgegangene im Nebel der Geschichte verschwinden, sodass die Europäer von ihrem Schuldgefühl, das sie haben, entlastet werden. Die Europäer würden die Situation sogar nutzen, um Decken und Milchpulver an die Überlebenden zu schicken. Sie könnten sich also wieder mal als gute Menschen profilieren. Je mieser sich die Israelis, die Juden benehmen umso besser fühlen sich die Europäer, weil sie von ihrer Schuld entlastet werden. Das optimale Schuldentlastungsding wäre, das sage ich als Agnostiker, Gott behüte, das Ende Israels. Das würde die Europäer vollkommen von ihrem Holocaust-Komplex befreien. Das ist so, als würde jemand den man betrogen hat, sich selber als Betrüger herausstellen. Dann hat man kein schlechtes Gewissen mehr.
Kürzlich hat der Papst ein Dekret erlassen, in dem die Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen eingestellten Priesterbruderschaft Pius X. zurückgenommen wird. Einer der Bischöfe, Richard Williamson, leugnet notorisch die Existenz von Gaskammern. Er sprach von höchstens 30.000 Toten. Daraufhin brach das israelische Oberrabinat alle Kontakte mit dem heiligen Stuhl bis auf weiteres ab. Wie haben Sie diese Entscheidung aufgenommen?
Das ist unglaublich. Ein absoluter Skandal. Ich hoffe, es ist eine Panne.
Trotz Unfehlbarkeit?
Selbstverständlich fehlbar. Die jungfräuliche Empfängnis möchte ich erleben und den unfehlbaren Papst. Nein, das hätte nicht passieren dürfen. Die Kirche generell steht nämlich, so denke ich, schon woanders. Es ist unsäglich und unmöglich. Dafür gibt es keine Erklärung. Er muss wissen, was da los ist und seine Kundschaft kennen. Er kann nicht einfach einen so extremen Antisemiten inkommunizieren, nachdem er exkommuniziert wurde. Er könnte einen seiner Ministranten zum Sündenbock erklären, stattdessen wird jetzt noch verdruckster versucht, die Sache zu erklären. (Pause) Extrem hässlich.
Zum ersten Teil des Interviews. klack