3 FÜR 7 – Ausgehtipps, immer noch wöchentlich

Oberhausen ist nicht Athen, und in Essener Bunkern gibt es keine Piraten. Sonst müssten ja Exekutivkräfte einschreiten, nicht wahr? Aber dennoch weht an manchen Kulturstätten der Region immer noch ein Windhauch aus nahezu gefährlichen Zeiten. Zeiten in denen nicht jedeR "Ruhr" im Namen führte, um Fördergelder zu bekommen. Zeiten in denen Freiräume jenseits des Establishments geschaffen wurden, um dort eben etwas anderes entstehen zu lassen. 29 Jahre Druckluft, Gerburg Jahnke im Ebertbad, Free Essen Festival im Goethebunker.

Als die Jazz Offensive Essen gegründet wurde, da war eine sonntägliche Reihe im KKC an der Universität schnell etabliert. Und damals schon sprach man von einem Jazzclub, möglichst gefördert natürlich. Nun hört man oft den Zusatz, Oliver Scheytt, Kulturdezernent der Stadt und Top-2010er, sei ja auch Jazz-Fan. Aber gespielt wird einmal im Jahr in den Katakomben im Girardet und bis zum letzten Jahr in der Capribar. Trotz Folkwang und namhafter anderer Künstler einer recht großen Szene also keine echten Anlaufpunkte bis auf einige Versuche gutmeinender Unterstützer. Und zum Free Jazz Event des Jahres muss diesmal sogar der Goethebunker herhalten – ein durchaus legaler aber nicht wirklich komfortabler Ort mal wieder. Am Donnerstag und zum Abschluss der Reihe spielen Peter Eisold, Simon Camatta, Jim Campbell, Paul Hubweber und Annette Maye also quasi im Untergrund. Vielleicht wächst dort besser, was die Stadt offiziell anscheinend nicht recht fördern mag.

Komfortabler wird jetzt das Druckluft, jener Ort also, für den die dort stattfindende Reihe "Anarchists Teapott" wohl die treffendste Beschreibung abgab. Politisch (halbwegs) unabhängig agierende Gruppen, gender politics, Fanzines, rebellische Popmusik und immer wieder aufeinander prallende unterschiedliche Ansätze von engagierten Jungmenschen dürfen demnächst in "größeren und schöneren" Gemäuern vielleicht den Weg gehen, den all die Zeche Carls, Altenbergs, AZs & Co schon fast völlig hinter sich gebracht haben: Über die gewachsene Verantwortung in Richtung Ruin oder Kommerzialisierung. Man wird ja auch bald 30, da ist dem Laden eh kaum mehr zu trauen. Also noch einmal grüßen gehen, bitte: Freitag Beatplantation-Party, Samstag Ska aus Barcelona und eine Art Lesung des Sängers von Muff Potter (siehe Plakat), Montag Punk aus Italien und nächsten Mittwoch Pop von Fotos.

Und Gerburg Jahnke gastiert bei denen, die es "in’s Theater geschafft" haben, im Ebertbad. Ein konsequent und zeitig dem Altenberg das 30-something-Publikum abgegraben habendes Etablissement, das neben dem Stadttheater gar nicht schlecht aussieht. Und doch ganz schön "alternative" Wurzeln hat. Die eine Ex-Missfits-Frau lässt nun also einige Herren der Schöpfung mit ihren Colts spielen, aber sich auch ganz schön zum Pony machen bei "Kalte Colts und heiße Herzen", und das ab Freitag. Ach ja, der derbe Ruhr-Humor! Der ist nicht nur natürlich toootal erhaltenswert, sondern der muss ja auch irgendwo herkommen und will anscheinend mit ständigen Kleinkatastrophen gefüttert sein…

Im Überblick:
Free Essen Festival, Teil 3, am 11. Dezember ab 20 Uhr im Goethebunker.
29 Jahre Druckluft, mehrteilig und permanent diesen Monat.
"Kalte Colts und heiße Herzen" fast immer und um 20 Uhr ab dem 12. Dezember im Ebertbad. Derzeit noch nicht ausverkauft sind die Vorstellungen am 17., 18., 21. (19h), 26., 28. (19h) und 30. Dezember.

Großmann lässt kurz arbeiten

Neben seinem Aufsichtsrat hat RWE-Chef Jürgen Großmann nun auch Ärger an einer anderen Front: Seinem Stahlwerk Georgsmarienhütte geht die Arbeit aus.

Über die Werksferien, die bis Mitte Januar gehen, kann sich die Hütte noch mit flexiblen Arbeitszeiten retten. Doch dann ist Kurzarbeit angesagt, möglicherweise über die erste Hälfte 2009. Dem Unternehmen setzt die Krise auf dem Automobilmarkt zu, die Fahrzeugbauer bestellen weniger Stahl bei dem Unternehmen. Die Nachricht ist zwar in der vergangenen Woche schon regional in Niedersachsen gestreut worden, über die Grenzen des Bundeslandes hinaus fand die Flaute bei Georgsmarienhütte aber keinen Widerhall.

Dabei muss die Nachricht aufschrecken, denn die Lage bei seiner Hütte dürfte Großmann zusätzlich einbinden. Derzeit muss sich der Manager um seine Position an der RWE-Spitze sorgen, glaubt man den Spekulationen im Umfeld des Versorgers. Demnach wollen Teile des Aufsichtsrats die Macht von Großmann beschneiden. Diese kritisieren die Pläne des RWE-Bosses, in osteuropäische Kernkraftwerke zu investieren.

Großmann muss sich also nicht nur um seinen renitenten Aufsichtsrat kümmern, sondern auch um seien eigentliche wirtschaftliche Machtbasis, seine Stahlhütte. Diese hatte der Unternehmer für einen symbolischen Preis gekauft und in den vergangenen Jahren auch dank einer guten Stahlnachfrage zu einem kleinen Schmuckstück aufpoliert. Mit seinen knapp 1400 Mitarbeitern erwartet die Hütte einen Jahresumsatz von rund 700 Millionen Euro.

Das Ende der Brezelzellen

Ein Wochenende mit Keksen, Brezeln und Bratwurst: Theater in Bochum, Weihnachtsmarkt in Hattingen

Am Freitag war ich in den Kammerspielen und habe mir „die Komödie der Irrungen“ angesehen. Das war jetzt keine vollständige Katastrophe, aber ich hätte auch 2 Stunden zu Hause bleiben, meine Beine ausstrecken und Laurel und Hardy auf Youtube gucken können. Alleine die James Last-Platte hätte mir gefehlt, aber man kann ja nicht alles haben. Es ist begrüßenswert, dass der Abschlussjahrgang der Bochumer Schauspielschüler sich in einer Inszenierung in den Kammerspielen präsentieren darf, aber leider werden immer Komödien ausgesucht, die sonst nicht gespielt werden, und das aus guten Grund. Verwechslungsgeschichten können lustig sein, sind aber meistens nur verwirrend, und wenn man mal verstanden hat, wer wer ist, wundert man sich über den hanebüchenen und banalen Plot. Eine Verwechslung, viele Schlägereien, ein Kekse fressender Diener als Running Gag, ein klein wenig Liebe und sehr viel James Last. Hier passt nichts wirklich zusammen, die Schauspieler, die eifrig dabei sind und sicher auch viel Potential haben, wenn man sie richtig führt. Eine Inszenierung, die sich zu sehr auf Standard-Gags verlässt und ein Stück, das zwar von Shakespeare, aber trotzdem jenseits von Gut und Böse ist.

Samstag war ich dann wieder im Theater, diesmal im Theater unter Tage, wo Connecting People – ein Nokia Projekt uraufgeführt wurde. Der Untertitel „Ein Nokia-Projekt“ lässt Schlimmes befürchten, ist nicht alles, was man nicht richtig benennen kann und was weder Fisch noch Fleisch ist ein „Projekt“? Dirk Schneider hat Interviews geführt mit „Gewinnern und Verlierern“ der Standortschließung in Bochum. Der Regisseur Frank Abt hat mit 3 jungen Schauspielern in Kristo Sagors Neuer Heimat-Küche eine tolle, runde, berührende Inszenierung aus diesem Material gemacht.

Hier wird nicht rumgehampelt wie am Freitag in den Kammerspielen, hier werden Geschichten erzählt, hörenswerte Geschichten, von Angestellten in den Brezelzellen, die sich mit ihrer Firma identifiziert haben und von dieser dann im Stich gelassen worden sind, aber auch die Geschichte des Vice President von Nokia, der seine unternehmerischen Überlegungen darlegt. Zwischendurch werden Bochumer Passanten gezeigt, die in der Fußgängerstraße gefragt wurden, ob sie vom Nokia-Aus betroffen sind und ob sie sich jetzt noch ein Nokia-Handy kaufen würden. Fast jeder kennt jemanden, der irgendwie damit zu tun, fast jeder sagt, nein, er würde sich kein Nokia-Handy mehr kaufen, der befragte 16jährige ist dann aber wenigstens so ehrlich hinterher zu schieben, dass er die einfach nicht so gut findet. Das Video von der Taufe der „Glück-auf-Bahn“ zeigt schließlich die Absurdität, welche die Nokia-Schließung teilweise nach sich gezogen hat.

Frank Abt, Dirk Schneider und die drei Schauspieler zeigen, dass Theater toll und wichtig ist, wenn es die richtigen Themen anpackt. Verwechselte Zwillinge in Operettenlandschaften gehören nicht dazu.

Sonntag gab’s keine Premiere, deswegen bin ich schön mit der 308 nach Hattingen gefahren, was von Bochumer Hauptbahnhof immerhin 30 Minuten Theater vom Feinsten sind, und habe mich am Weihnachtsmarkt in der historischen Altstadt erfreut. Der Glühwein wird in Keramik-Stiefeln ausgeschenkt, die Bratwurst hat Bio-Qualität und in den Fachwerkgassen kann man prima verstecken spielen.

Das Fazit: Komödie der Irrungen sein lassen, Connecting People ansehen, zumindest in der Premiere gab es auch Brezeln und Bier für die Zuschauer, und der Weihnachtsmarkt in Hattingen ist zwar wie jeder andere auch, hat aber die schönste Kulisse.

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Land plant Entlastungen für Pleite-Städte

Die Oberhausens, Hagens und Waltrops des Landes dürfen hoffen: Das Land arbeitet an einem Rettungskonzept für Pleite-Städte.

Landtag NRW. Foto: nrw.de

Nach unseren Informationen plant das LAnd NRW einen Rettungsfonds für Pleite-Städte. So soll die Lebensfähigkeit von Kommunen gesichert werden, die unter dem Nothaushaltsrecht des Landes stehen. Auch Städte wie  Hagen, die ihre schlechte Haushaltssituation unter anderem durch Zockergeschäfte mitverursacht haben, könnten so wieder Luft zum Atmen bekommen. Durch das Geld des Landes soll vor allem sichergestellt werden, dass Kommunen den Eigenanteil aufbringen können, den sie benötigen, um Fördergelder zu erhalten. Städte die seriös gehaushaltet haben lernen nun: Sparen lohnt sich nicht.

Merkels Reise ohne Wert

Der Klimaschutz ist eine prima Sache: Um beim Wahlvolk zu punkten, holt man ihn aus dem Schrank und wenn es wirtschaftlich eng wird, dann kommt er da wieder rein. So verfährt auch Angela Merkel.

Medienwirksam ließ sich die Bundeskanzlerin an den Nordpol schippern, um den Eisbergen beim abtauen zuzuschauen. Sie war dann auch gleich ganz schockiert und kündigte an, sich stärker für den Schutz unserer Umwelt einzusetzen. Klimaschutz müsse stärker im Bewusstsein der Bürger verankert werden, lautete die Parole nach der Bootstour im August vergangenen Jahres. Jetzt kippt Merkel das Thema Klimaschutz über Bord, die Wirtschaft geht vor. Der „Bild“-Zeitung sagte die Kanzlerin: „Der EU-Gipfel wird keine Klimaschutz-Beschlüsse fassen, die in Deutschland Arbeitsplätze oder Investitionen gefährden. Dafür werde ich sorgen.“

Zwischen Merkels Nordpolreise und heute hat sich einiges in der Welt verändert. Teile der Wirtschaft wie das Bankenwesen oder die Automobilindustrie sind kollabiert oder stehen mit dem Rücken zur Wand. Der Staat – also wir – machen Milliarden locker, um die Konzerne vor dem Aus zu retten. Rund läuft es weiterhin bei den Unternehmen aus den Bereichen der Erneuerbaren Energien, die Branche weist weiterhin hohe Zuwachsraten aus. Auch dafür schießen wir Bürger eine Menge Geld zu: Subventionen beim Aufbau neuer Werke und durch höhere Strompreise.

Ich bin kein Freund von staatlich regulierter Wirtschaft. Da soll er die Rahmenbedingungen vorgeben und sich sonst raushalten. Aber wenn schon weite Teile der deutschen Industrie am staatlichen Tropf hängt, dann muss man die Chance nutzen, die Wirtschaft auf eine neues Fundament zu stellen. Nie zuvor hatte eine Bundesregierung diese Durchgriffsmöglichkeit wie heute. Doch Merkel nutzt diesen Spielraum nicht. Sie reagiert mit dem alten Reflex, den leider viele Konservative inne haben: Halte am Bewährten fest.

Damit liegt sich leider falsch. Unsere Industrie hat sich nicht bewährt, sie hat versagt. Und damit ist es an der Zeit, neue Wege zu beschreiten. In der Umweltschutztechnik liegt die Zukunft, das ist ein Exportschlager. Windkraftmühlen und Solaranlagen werden von Deutschland aus in alle Welt verkauft. Firmen wie Q-Cells (Solar) und Enercon (Windkraft) spielen weltweit in der ersten Reihe mit. Selbst Konzerne wie Bosch und Siemens haben dies erkannt und investieren massiv in das Geschäft. Natürlich verkauft Siemens auch Kohlekraftwerke, aber die sind deutlich effektiver und damit wirtschaftlicher und weniger umweltschädlich wie Anlagen anderer Hersteller.

Neben dem wirtschaftlichen Aspekt gibt es noch ein weiteres Argument für einen neuen Kurs. Wir haben nur diese ein Welt; und wie es um diese steht, kann man am Nordpol sehen. Wenn man denn richtig hinschaut.

Klink: Nur nicht anecken

Gleich hält RVR-Chef Klink seine Rede vor dem Ruhrparlament: Ihre Überschrift: "Zukunft des RVR"

Visionäres hat ohnehin kaum jemand von Heinz-Dieter Klinks Rede erwartet – und diese eher geringe Erwartungshaltung enttäuscht Klink nicht: Vor allem ist seine Rede, deren Manuskript mir vorliegt, geprägt von Rücksichtnahme auf die Städte. Was ist das Ruhrgebiet?  Klink: "„Metropole Ruhr“ ist in diesem Sinne keine allein administrative Einheit, schon gar keine hierarchische Begriffskategorie einer Überordnung der Region gegenüber den Städten und Kreisen des Ruhrgebiets, es ist auch keine einfache Addition der kommunalen Potentiale, sondern „Metropole Ruhr“ ist eine politische Strategie, die die Qualitäten, Dynamiken und Perspektiven der Kommunen der Region durch Vernetzung und gemeinsame Profilschärfung in einen größeren Bezugsrahmen stellt, der auch externer Aufmerksamkeit sicher sein kann. So verstanden, kann und will Metropole Ruhr ihre Städte nicht ersetzen, sondern gestaltet eine gemeinsame Qualität von Urbanität, ein Mehr gegenüber den Teilen, aber ein Nichts ohne ihre Teile."
Naja, für mich ist das Ruhrgebiet allemal eine hierarchische Begriffskategorie, es steht über den Städten  – wäre es anders, man müsste sich noch nicht einmal die Mühe geben, es zu benennen – und schon gar nicht mit dem immer etwas peinlichen Begriff Metropole, den Klink in seiner Rede ständig verwendet.

Klink eiert, wo er Position beziehen müsste – zum Beispiel beim Thema Nahverkehr, einem der großen Probleme der Region und einer, bei der das Versagen der Städte, die nach belieben kooperieren könnten und es dennoch kaum tun, offensichtlich ist. Klink kritisiert nicht das Versagen der Kommunen und ihrer Nahverkehrsunternehmen – sondern das Land, dass den Kommunen noch immer das Recht, den Nahverkehr zu organisieren überlässt – allerdings auf etwas schwurbelige Art:

"So gibt es z.B. nur für den Teilbereich des Schienenpersonennahverkehrs eine ausgewiesene regionale Kompetenz, die beim VRR liegt. Dies behindert aktuell noch die Entwicklung und Durchsetzung von Gesamtkonzepten für den ÖPNV in der Metropole Ruhr. Die Stadtgrenzen stellen leider immer noch zu oft auch Attraktivitätsgrenzen für den ÖPNV dar. Der Verband ist dennoch gewillt in diesem Bereich, regionale Aktivitäten zu inszenieren. Seine Tochter – die Wirtschaftsförderungsgesellschaft – hat hier bereits Vorarbeiten geleistet."

Die Vorarbeiten waren ein Gutachten, und das Papier seiner eigenen Wirtschaftsförderungsgesellschaft hätte Klink vielleicht einmal lesen sollen – es stellt dem ÖPMV in der Region ein verheerendes Zeugnis aus.

Und dann ist da noch die Planung. Klink wollte sie nie, seine Partei, die SPD, wollte nicht, dass der RVR sie bekommt, und jetzt ist sie da. Gut, dagegen sein kann er jetzt nicht mehr, aber nutzen will er sie auch nicht – am liebsten wäre Klink, man könnte die Schlüsselkompetenz gleich wieder an die Städte weiterreichen – die bei der Erstellung des Regionalen Flächennutzungsplan bekanntlich gepatzt haben:
"Hierzu zählt auch das Instrument des Regionalen Flächennutzungsplans. Die Kooperation der sechs Städte hat zu einer an Intensität kaum vergleichbaren interkommunalen Kooperation geführt, zu einer Einübung regionaler Konsensfindung beigetragen und so einen hohen regionalen Mehrwert erzeugt.
Deshalb habe ich mich bereits im Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Landesplanungsgesetzes dafür eingesetzt, die Kommunalisierung der Regionalplanung künftig gesetzlich stärker zu verankern. Hier sind wir leider nicht durchgedrungen. Ich sehe daher eine vordringliche Aufgabe des Verbandes darin, in den kommenden Wochen und Monaten und insbesondere im Dialog mit dem Land zu erreichen, die kostbare ruhrgebietsspezifische Planungskultur in  die Regionalplanung zu integrieren."

Die Rede ist lang – sehr lang (hier klicken, wer das alles lesen will). Das Wichtigste kennt ihr jetzt ja schon.

Wie die Rede ist? Ich bin positiv überrascht. Kein Wort gegen die Pläne des Landes, einen eigenen Bezirk-Ruhr zu schaffen, (damit hatte ich fest gerechnet) und an einer Stelle fordert er sogar weitere Kompetenzen vom Land ein. Aber Klink nimmt ansonsten zu viel Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Städte und weigert sich, für den RVR eine zentrale Rolle für das Revier einzufordern. Es fehlt jede Idee für das Ruhrgebiet, es ist kein Mut in dieser Rede und kein Wille zur Gestaltung. Für Klink ist es eine gute Rede. Für das Ruhrgebiet ist sie – wie Klink – nicht gut genug.
 

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Unterwegs zu Leiharbeitern – es wird kalt

Foto. flickr.com / Mananis Welt

In der vergangenen Woche war ich bei Leiharbeitern unterwegs. Es war traurig, was ich gesehen habe. Womit Menschen leben müsen, welche Verträge sie unterschreiben sollen und unterschreiben.

Ich fang an Abdelmajid Hadjeri. Der 58-jährige hat eingefallene Wangen, graue Haare und dunkle, traurige Augen. Er scheint einer der Menschen zu sein, die lieber schweigen, als zu reden. Abdelmajid Hadjeri ist gelernter Maschinebautechniker. Als Facharbeiter hat er 35 Jahre in Fabriken gearbeitet. Wegen einer Erkrankung musste er in Frührente. Weil die zu klein ist, muss er sich etwas als Leiharbeiter dazu verdienen. Hadjeri lebt in Wuppertal, in einer kleinen Wohnung mit seiner Frau. In der Lokalzeitung fand er ein Jobangebot bei einer Zeitarbeitsfirma. Er fuhr hin.

Was Hadjeri dann erlebte, ärgerte ihn so stark, dass der Mann anfängt zu sprechen: „Wir prangern Kinderarbeit und Ausbeutung in der dritten Welt an. Doch hier in Deutschland haben wir Hungerlöhne.“

In einer Eidesstattlichen Versicherung, die mir vorliegt, beschuldigt Hadjeri die Firma Gens Personalmanagement in Wuppertal ihm einen Stundenlohn in Höhe von 2,71 Euro Brutto als Fahrer angeboten zu haben. „Ich sollte drei Schichten von Leiharbeitern  zur Arbeit fahren und wieder abholen“, sagt Hadjeri. „Sie sind nicht der erste, der für diesen Lohn arbeitet, haben sie mir gesagt. Sie suchen Arbeit, nicht wir.“ Dann sei ihm noch ein Extraverdienst von 20 Cent Brutto je gefahrenen Kilometer in Aussicht gestellt worden, wenn er für die Arbeit seinen Privatwagen nutzen würde. Hadjeri wiederholt: „20 Cent Brutto“. Die Firma Gens wollte den Fall nicht kommentieren.

Leiharbeit ist in Deutschland seit der Liberalisierung unter dem damaligen Arbeitsminister Wolfgang Clement ein großes Geschäft geworden. Ursprünglich sollten Firmen durch die flexible Arbeit schnell ein paar Hände anheuern und feuern können, je nach Bedarf Die Idee im Sinne der Agende 2010 war es, damit eine Brücke in den Arbeitsmarkt für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose zu bauen. Tatsächlich aber leiden selbst die Stammbelegschaften unter der Mietarbeit.

Seit 2003 ist jede dritte neue Stelle ein Job in der Leiharbeit. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren im Sommer über 720.000 Menschen in der Zeitarbeit aktiv. Dabei werden die Arbeiter nicht direkt in einer Fabrik beschäftigt, sondern bei Personalagenturen, die dann ihre Arbeiter in die Produktion ausleihen.

Jetzt, seit Beginn der Krise werden rasant Zeitarbeiter entlassen. Christian Iwanowski von der IG Metall in Düsseldorf schätzt, dass allein in den vergangenen drei Wochen mehrere zehntausend Leiharbeiter ihren Job verloren haben. „Die Zahl der Beschäftigten ist sicherlich weit unter 700.000 gefallen.“ Besonders die Kollegen in der Automobilbranche seien betroffen. „Wenn eine Leihfirma ihren Auftraggeber verliert, kann sie ihre Arbeiter nur in seltenen Fällen in einem anderen Werk unterbringen. Dann werden die Leute frei gesetzt.“

Man kann das auch anders ausdrücken. Der Bundesverband der Zeitarbeitsfirmen lobt die Leihmalocher als Puffer für eine atmende Fabrik: Wenn die Fremdfirmen im Abschwung aus der Produktion abgezogen würden, könnten schließlich Stammarbeitsplätze gesichert werden.

Manchmal ist das auch völlig OK. Es gibt hochqualifizierte Ingenieure in Leiharbeitsfirmen, die sich über die größere Unabhängigkeit bei ihren Vermietern freuen. Und leicht neue Jobs finden, wenn das nötig wird.

Aber es gibt die Massen der anderen Malocher. Die am unteren Ende der Nahrungskette stehen. In Köln wurden gerade 370 Leiharbeiter auf einen Schlag entlassen. Ford hatte keine Jobs mehr.

In Bochum ist es kalt an diesem Morgen. Novemberkalt und es regnet. Dieter Reinhard kommt aus dem Tor der Firma Johnson Control in Bochum, Haldenstraße. Er dreht sich kurz um und geht zur Bushaltestelle. Das erste was an ihm auffällt, sind seine Hände. Die Finger sind dick, geschwollen, aufgeplatzt. Reinhard arbeitet hier beim Autozulieferer Johnson Control am Band. Er zieht Schaumstoff über Autositze, krempelt die Ränder um. Dabei reiben sich die Handrücken im Stoff. „Irgendwann blutet es. Danach bildet sich Hornhaut. Dann tut es nicht mehr so weh“, sagt Reinhard.

Er will nicht seinen Job verlieren. Deswegen macht er weiter. Jeden Tag. Für 6,53 Euro in der Stunde. Brutto. Reinhard hat jetzt gegen 13:00 Uhr Feierabend. Um drei Uhr in der Frühe ist aufgestanden, um den Bus um vier nicht zu verpassen. Seine Schicht beginnt zwar erst um kurz nach Fünf, aber die Bahn könnte sich verspäten.

Und wenn er zu spät zur Schicht kommt, muss er eine Vertragsstrafe zahlen. So steht es in seinem Arbeitsvertrag, der dieser Zeitung vorliegt, unter Paragraph 13. Selbst wenn er kündigen will, müsse er eine Vertragsstrafe an die Firma Wahl Personal-Service zahlen. So haben es ihm die Disponenten erzählt. Die Leute, die ihn vor Ort einsetzen.

Reinhard kommt deshalb lieber pünktlich. Dann muss er keine Angst haben. In diesem Jahr hat er schon in zwei anderen Fabriken gearbeitet. Wenn die Autozulieferer keine Arbeit mehr haben, muss er sich zu Hause neben das Telefon setzen. Und zweimal am Tag in der Leihfirma anrufen. Auch das wird vertraglich bei Androhung einer Geldstrafe verlangt.

Geld gibt es für die Wartezeit am Telefon nicht. „Wir haben Zeitkonten“, erzählt Reinhard. „Wir arbeiten immer mehr als die vereinbarten 35 Stunden, ohne dass es mehr Geld gibt. Wenn es dann keine Arbeit gibt, müssen wir die Zeit absitzen.“ Freizeitausgleich nennt sich das.

Reinhard hat eine Frau. Er bekommt „wenn alles gut läuft“ 931 Euro netto. Davon wird aber noch die Firmenbusfahrkarte abgezogen. Minus 70 Euro. Und der Pfand für die Stempelkarte. 10 Euro. Jetzt ist Reinhard ruhig, fast wortkarg: „Was soll ich denn machen? Irgendwie bin ich frustriert. Wenn die Arbeit keinen Sinn macht, was kommt dann?“

Die IG Metall bemüht sich um Leiharbeiter. In jedem Bezirk sind Sekretäre angestellt, die versuchen sollen, Kontakt zu den Männer und Frauen am Band herzustellen. Christian Iwanowski aus Düsseldorf ist einer von ihnen. Er sagt, dass die Leiharbeiter oft Angst hätten, mit den Gewerkschaftern offen zu sprechen. Nur mühsam gelinge es, Vertrauen aufzubauen. „Ein Problem ist es, dass die Leiharbeiter nur selten einen eigenen Betriebsrat haben, der sie vertritt.“ Die Menschen seien vereinzelt. Ausgeliefert. Wer sich beschwert, fliegt raus. Einmal aus dem Betrieb entlassen, verlieren sie den Kontakt zu Kollegen und Gewerkschaft. Man kann es so sehen: ein Leiharbeiter ist nur ein Arbeitslose auf Widerruf.

Damit nicht genug. Die meisten Billiglöhner leiden unter der Ausgrenzung durch ihre angeblichen Kollegen. Den Stammbelegschaften nehmen die Männer und Frauen am Band als unerwünschte Konkurrenz wahr. Als Bedrohung der eigenen Arbeit.

Bei Johnson Control beispielsweise gibt es so gut wie keine Angestellten mehr in den unteren Lohngruppen. Dafür sind die Mietmalocher nachgerückt. „Wir sind wie zweite Klasse Menschen“, erzählt Reinhard. Er selbst traut sich kaum weg vom Band. „Eine Zigarettenpause ist so gut wie nicht drin.“ Reinhard hat Angst, dass ihn einer anschwärzt. In seinem Arbeitsvertrag steht unter Paragraph 15, dass ihn fast jeder Vorgesetzte feuern kann. Der Niederlassungsleiter im Betrieb etwa oder der Disponent vor Ort. „Die sagen uns immer, dass es genug Leute gibt, die unseren Job wollen. Ich fühle mich, wie der letzte Dreck.“

In Wuppertal hat sich Abdelmajid Hadjeri nicht mit dem Niedriglohn von 2,71 Euro abgefunden. „Ich bin nach dem Personalgespräch direkt zur Gewerkschaft gegangen“, sagt er. Die hat dann eine Anzeige gegen Gens Personalmanagement gestellt. Der Vorwurf: „Lohnwucher“ nach Paragraph 291 Strafgesetzbuch.

Eigentlich darf es Minilöhne nicht geben. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sieht die gleiche Behandlung von Leiharbeitern und Stammbelegschaft vor. Doch in der Praxis kann diese Gleichbehandlung durch einen nach unten nicht begrenzten Tarifvertrag abgelöst werden. Die meisten Firmen haben sich deshalb einem Tarifvertrag angeschlossen, den die Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit mit dem Arbeitgeberverband Mittelständische Personaldienstleister geschlossen hat. Da werden Löhne von weniger als acht Euro zugelassen, während die Stammbelegschaften gut das Doppelte für die gleiche Arbeit kriegen.

Niedrigarbeiter Reinhard glaubt nicht an einen Schutz aus dem Tarifvertrag. Er erlebt die niedrigen Löhne. Und als er einmal Fieber hatte, wollte er sich pflichtgemäß bei seiner Firma abmelden. Dort sagte man ihm: „Glauben Sie, der Job wartet auf Sie?“

Es ist Abend geworden. Reinhard sitzt nach einem Fußballspiel in einer Kneipe. Ein Sieg wird gefeiert. Der Leiharbeiter trinkt ein Wasser. Dann verabschiedet er sich leise. Er geht, wenn bevor die anderen ihr zweites Bier bestellen.

Ex-WAZ-Chef Uwe Knüpfer: „Der Fisch stinkt vom Kopf“

Uwe Knüpfer, von 2000-2005 Chefredakteur der WAZ, zum Stellenabbau bei der WAZ-Gruppe und den Perspektiven von Regionalzeitungen. Mit er der WAZ als Tageszeitung ist er aufgewchsen.

Uwe Knüpfer Foto: Privat

Ruhrbarone: Die WAZ hat am Freitag das Aus für 260 Redakteure  verkündet. Wäre so etwas in Ihrer Zeit denkbar gewesen?
Uwe Knüpfer: Nein, die WAZ war damals eine erfolgreiche Zeitung, die in
einem erfolgreichen Verlag erschien. Außerdem verstand sich die WAZ immer als „entschieden sozial“, und Anneliese Brost achtete in der Tradition ihres verstorbenen Mannes, des WAZ-Gründers Erich Brost, darauf, dass mit den Mitarbeitern menschlich umgegangen wurde.

Ruhrbarone: Aber die WAZ-Gruppe macht im Ruhrgebiet Verluste.
Knüpfer: Es werden von der Geschäftsführung Zahlen genannt, die nicht überprüfbar sind. Aber man darf nicht vergessen: NRZ, WR und WP wären seit Jahrzehnten defizitär, wenn sie nicht  in der WAZ Gruppe aufgegangen wären. Aufwändige  Lokalausgaben im ländlichen Raum und in Konkurrenzgebieten erhält  man nicht aus betriebswirtschaftlichen Gründen, sie wurden aufrecht erhalten, weil man darin einen publizistischen Auftrag sah.

Ruhrbarone: Künftig sollen die Mantelteile von WAZ, NRZ und WR von einem gemeinsamen Newsdesk erstellt werden und in keiner Stadt es soll mehr zwei Lokalteile geben.
Knüpfer: Dass die WAZ Mediengruppe in Strukturen der 1970er Jahre erstarrt war und sich daraus befreien muss, weiß jeder, der sich über das Zeitungs-Angebot im Ruhrgebiet ärgert. Aus  einer Ansammlung zechenfixierter  Industriedörfer ist hier eine komplexe Riesenstadt geworden. Wenn das Publikum sich rasant ändert, das publizistische Angebot aber kaum, entsteht ein wachsendes Problem. Nur sollte man, wenn man ein hergebrachtes Porzellangeschäft renoviert, tunlichst nicht damit beginnen, sämtliches Porzellan im Laden zu zerdeppern. Newsdesk ist ein Modebegriff. Dahinter steht die Idee, Zeitung so zu produzieren wie Brötchen: Da ist ein Teig, und aus dem knetet man nach Bedarf Semmeln oder Baguettes. So funktionieren Zeitungen aber nicht. Zeitungen sind lebendige Organismen, sie sind wie Bäume, sie wachsen langsam und brauchen Wurzeln.

Zeitungen werden geprägt von den Menschen, die sie machen: den Redakteuren, den freien Mitarbeitern und auch den Boten. Mit diesen Menschen werden Zeitungen identifiziert. Wer glaubt, beliebige  Zeitungen mit wechselnden Mitarbeitern von einem Newsdesk aus machen zu können, hat nicht verstanden, wie Zeitungen funktionieren.

Ruhrbarone: Mit 209 Stellen fallen die Personalkürzungen im
Lokalbereich besonders drastisch aus.
Knüpfer: Die Lokalteile sind die Stärke der Zeitungen der WAZ-Gruppe. Die Geschäftsgrundlage von NRZ, WAZ, WR und WP ist die Verankerung in den Städten und Stadtteilen. Geben die Titel diese Verankerung auf, gefährden sie ihre Existenz. Das konnte man ja gut im Vest Recklinghausen sehen, wo die
WAZ die Schließung der Lokalredaktionen offenbar mit heftigen Auflagenverlusten bezahlt hat.

Ruhrbarone: Wie werden die Leser reagieren?

Knüpfer:: Treue Leser lassen sich viel gefallen. Der wichtigste Grund für die Kündigung eines Abonnements ist die unpünktliche Lieferung. Die Toleranz ist sehr groß, wenn sich die Leser ernst genommen fühlen. Leser leben mit den Zeitungen, sie reden nicht umsonst von „ihrer Zeitung“. Das ist eine ganz andere Bindung als die zu einem Schuhgeschäft oder einem Friseur – und viele kennen ihren Zusteller persönlich, kennen gerade in den kleineren Städten Mitarbeiter der Zeitung und verbinden Menschen und Gesichter mit ihr.
In dem Maße, in dem diese persönlichen Beziehungen zwischen den Menschen und den Mitarbeitern abbrechen, bricht auch die Beziehung zur Zeitung ab und es fällt dem Leser leichter, das Abo zu kündigen.

Ruhrbarone: Regionalzeitungen verlieren überall an Auflage. Wie sollten sie sich positionieren, um zukunftsfähig zu sein?

Knüpfer: Ihr Kerngeschäft pflegen: soliden Journalismus und Kundenpflege. Guter Journalismus wird immer gebraucht, das wird sich herumsprechen, wenn der Blog-Hype sich gelegt haben wird. Und Menschen wollen immer wissen, was um sie herum geschieht.  Also: Lokales und Regionales hat Zukunft.

Verleger und Journalisten müssen akzeptieren, dass Zeitungen  nicht mehr eine solche Rolle  spielen und so profitabel sind wie in den 1950er bis 1980er Jahren. Das Rubrikengeschäft findet im Internet statt. Aber: Die Auflage der WAZ ist schon zu meiner Zeit und der meines Vorgängers gesunken; schon allein, weil die Bevölkerungszahl im Ruhrgebiet sinkt. Damit muss man umgehen können. Die offenbare Verschärfung der krisenhaften Entwicklung bei der WAZ-Gruppe ist die Folge katastrophaler personeller, organisatorischer und publizistischer Fehlentscheidungen der Verlagsleitung – nicht der Redakteure, Fotografen und Freien oder gar der Boten, die dafür jetzt bluten sollen. Jeder Markthändler weiß: Der Fisch stinkt vom Kopf.