Montage: Weserkraftwerk in Betrieb. Links die Turbinen
Ich schreibe hier über gutes und über schlechtes. Über eine Abwägung und eine Entscheidung. Möge jeder selbst beurteilen, was für ihn das wichtigste ist.
Die Luft ist in diesen Tagen an der Bremer Weser diesig. Man kann kaum die Baustelle bei Flusskilometer 362 sehen. Neben ein paar Spundwänden steht ein Bagger. Die Arbeit ruht offensichtlich. Erst im Frühling soll es weitergehen, wenn das Wetter wieder freundlich wird, heißt es.
Die Baustelle ist etwas besonders. Hier errichten Planer von Greenpeace unter dem Schutz des Staates Bremen gemeinsam mit Partnern aus der Ökobranche und den kommunalen Stadtwerken das größte Wasserkraftwerk im Land. Die Anlage ist mehr als nur ein Energielieferant. Wie ein Leuchtturm soll von hier aus ein Signal ausgehen: das rot-grüne Projekt lebt noch. Denn im Land Bremen regiert die letzte Koalition von SPD und Grünen in der Bundesrepublik.
Besonders der Bremer Umweltsenator Reinhard Loske (Grüne) freut sich über das Bauwerk: „Für uns hat das Weserkraftwerk eine herausragende Bedeutung.“ Eines Tages soll jeder zehnte Bremer Haushalt saubere Energie aus dem Fluss beziehen. Ein Sprecher der ausführenden Greenpeace-Tochter Planet Energy lobt zudem, dass die Stadtwerke Bremen den Ökostrom in einem besonderen Ökotarif vermarkten wollen. „Das ist ein Vorbild für andere Projekte.“
Doch auf den zweiten Blick hat der Leuchturm ein rissiges Fundament. Die Weser ist ein Strom. Ihre Quellen und Zuflüsse führen Wasser vom Harz, von Bayern und Hessen aus, quer durch die Republik bis in die Nordsee. Das Weserkraftwerk soll an einem Wehr aus dem Jahr 1993 erbaut werden. Damit die Turbinen laufen können, müssen hier die Stauklappen geschlossen bleiben. Was auf den ersten Blick unbedenklich erscheint, erweist sich als ökologisches Problem. Mit dem geschlossenen Wehr wird der Zugang zum Meer versperrt. Kein Fisch kann hier frei passieren.
Dabei sind gerade bedrohte Arten wie Lachs, Aal oder Meerforelle auf den freien Zugang zum offenen Wasser angewiesen. Kommen sie nicht durch, können sie sich nicht fortpflanzen. Der Lebenskreislauf wird unterbrochen, das Ökosystem Weser verarmt.
Die Planer der Greenpeace-Firma Planet Energy haben das Problem erkannt. Gemeinsam mit der Firma Tandem wollen sie ein neues Schutzsystem im Weserkraftwerk installieren. Fische, die vom Meer in den Fluss aufsteigen, sollen über eine so genannte Fischtreppe das Wehr passieren. Arten, die in die See abwandern, sollen über moderne Rechen, Röhren und Abflussrinnen einen Weg an den Turbinen im Kraftwerk vorbei finden. Ein Sprecher von Planet Energy sagt: „Ich glaube, dass dieses Kraftwerk einen beispielhaften Fischschutz für ganz Europa hat.“ Soweit die Theorie.
Doch manche Forscher glauben nicht daran, dass die Pläne von Greenpeace aufgehen. Besonders der Aal ist in ihren Augen gefährdet. Beate Adam vom Institut für angewandte Ökologie gilt als eine der wenigen Experten weltweit, die sich mit dem Verhalten der Spezies auskennt. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit dem rätselhaften Fisch.
Alle Aale der Welt stammen aus der atlantischen Tiefsee in der Nähe der Bahamas-Inseln. Hier liegt bei 30 Grad nördlicher Breite und 60 bis 75 Grad westlicher Länge die Sargossasee. Das Gebiet am Rande des Golfstroms ist größer als Mitteleuropa. Das Wasser ist ruhig, fast bewegungslos. Es liegt da wie das Auge eines riesigen Wirbels. Hier paaren sich die Aale irgendwo in mehreren hundert Metern Tiefe. Niemanden ist es bisher gelungen aufzuklären, wie das geschieht, wie die Fischeier sich entwickeln, wie die Larven schlüpfen. Forscherin Adam sagt: „Wir wissen nur, dass die schon etwas größeren Aale, die so genannten Glasaale im Alter von etwa drei Jahren mit dem Golfstrom an die europäischen Küsten kommen.“ Hier wandern die Jungtiere Flüsse und Bäche hinauf, um sich im Süßwasser weiterzuentwickeln. Nach etwa zwölf Jahren spüren sie plötzlich und unerklärbar einen Trieb, erklärt Adam. Als so genannte Blankaale lassen sie sich flussabwärts ins Meer treiben, um in der Tiefe zurück in die Sargossasee zu schwimmen.
An einem Rechen verendete abwandernde Aale aus nur einer Nacht. Foto: Adam
Jahrtausende funktionierte dieser Kreislauf ungestört. Aale galten als Brottiere der Fischer. Aber das ist vorbei. Seit ein paar Jahren schwinden die Bestände dramatisch. Die europäischen Küsten erreicht nur noch ein Prozent der Glasaale, die hier vor dreißig Jahren ankamen. Aufgrund des Schwunds steigt der Preis für Jungtiere. Vor zehn Jahren kostete jedes Kilo Glasaale fünfzig Mark. Heute liegt der Preis bei 800 Euro – wenn man welche bekommt.
Im Herbst 2007 erkannte die Europäische Union das Problem. Der Aal ist vom Aussterben bedroht. In einer eigenen EU-Richtlinie wurden alle Tiere unter Schutz gestellt. Besonders der Lebensraum der Fische soll gesichert werden, damit die Aale ungestört in die europäischen Flüsse auf- und absteigen können.
Nach Ansicht von Adam wird das Kraftwerk in Bremen dafür sorgen, dass kaum noch ein Aal aus dem Harz, Hessen oder Bayern zurück ins Meer findet. Der Kreislauf des Lebens wird in den Turbinen unterbrochen. Im wörtlichen Sinne. Adam: „Die Rückgrate der Fische werden zerbrochen, Körperteile zerfetzt oder lebensbedrohlich beschädigt. Das Bremer Kraftwerk verstopft den Flaschenhals zwischen Wesersystem und Meer.“
Die Planer der Anlage sehen das nicht so. Sie verweisen auf neuartige Rechen, die vor den Turbinen sitzen. Mit einer Spannweite von „nur“ 25 Millimetern werde verhindert, dass die Aale in die Kraftanlage schwimmen könnten, sagt der Projektleiter Dietrich Heck. Die Fische würden in einen Ablaufrinne und in ein Bypasssystem umgeleitet. „Unser Anspruch und der von Greenpeace ist es, ein Konzept aufzustellen, das Maßstäbe im Fischschutz setzt.“
Forscherin Adam sagt, männliche Aale seien viel kleiner als weibliche Aale. Laborversuche hätten gezeigt, dass nur eine Spannweite von 15 Millimetern die männlichen Fische davon abhält, sich durch die Rechen zu zwängen. „Die Fische versuchen verzweifelt weiterzukommen.“
Planer Heck hält das nicht für einen Beweis. In Adams Laborversuch hätten die Fische keine Chance gehabt, durch einen Abfluss zu verschwinden, wie er im Wasserkraftwerk geplant ist. Zudem sei das in Bremen eingesetzte Verfahren einzigartig in der Welt.
Forscherin Adam sagt, die Bremer Ideen seien einzigartig, weil sie keiner wegen ihrer Unsinnigkeit umsetzen würde. „Abwandernde Aale lassen sich treiben, schon bei geringer Strömung haben sie nicht mehr die Kraft sich neue Wege zu suchen.“
Fischereiverbände entlang der Weser haben gegen das Projekt geklagt. In den Planungsbeschlüssen finden sich seltsame Passagen. So wurden Forschungsberichte nachweislich falsch zitiert. Nur ein Beispiel: So heißt es, Versuche von Adam hätten gezeigt, dass Aale Rechen mit einer Spannweite von 20 Millimetern nicht durchschwimmen würden. Die Forscherin bezeichnet das als Quatsch. Sie habe im Gegenteil in ihrer Forschungsarbeit geschrieben: „Ein deutlich größerer Teil der Aale jedoch zwängte sich Schwanz oder auch Kopf voran zwischen den Rechenstäben hindurch.“
Ein Aal zwängt sich durch einen Rechen mit einer Spannweite von 20 Millimetern Foto: Adam
Erst Anfang der Woche konnte der Niedersächsische Sportfischerverband einen Teilerfolg gegen das Kraftwerk erringen. Seine Klage wurde vom Oberverwaltungsgericht Bremen angenommen. Das Ziel des Verbandes ist es, die Europäische Aalschutz-Richtlinie durchzusetzen. Und damit neue Investitionen in den Fischschutz möglich zu machen.
Doch das würde neue Millionen kosten, die niemand bezahlen will. Schon jetzt ist das 40 Mio Investment an der Grenze des Möglichen. Die Bauarbeiten des vor acht Jahren initiierten Projektes haben sich mehrfach verzögert. Die Planer streiten sich mit dem Bauunternehmer um Zahlungen. Greenpeace kommt seit Monaten nicht damit voran, Anteile an dem Kraftwerk im Wert von 20 Mio Euro über einen Ökovertrieb an interessierte Bürger zu verkaufen. Neue Probleme will keiner in Bremen. Mehr Schutz für die Fische? „Das kostet Geld“, sagt Planer Heck: „Es gilt einen Kompromiss zu finden zwischen dem was wirtschaftlich machbar ist und dem Schutz der Fische dient.“
Wenn man mit den Fischern in Bremen spricht, spürt man Resignation. Zu dicht ist das Gewebe von rot-grün und den Öko-Investoren im kleinsten Bundesland. Der Präsident des Niedersächsischen Sportfischerverbandes, Peter Rössing, setzt kaum noch Hoffnung in die Unabhängigkeit der Justiz. „Das Kraftwerk ist politisch gewollt.“ Die Richter seien im Stadtstadt abhängig vom Senat. „Wir müssen bis zum Bundesverwaltungsgericht kommen, damit wir den politischen Druck loswerden“,
Heike German vom Bremer Fischereiverband ist ähnlich verhalten. Es sei zwar richtig, die alternativen Energien zu fördern, aber es müsse auch für den Erhalt der heimischen Tierwelt gesorgt werden. „Das hält sich hier nicht die Waage. Greenpeace sagt: Rettet die Wale, aber sie schützen nicht unsere Fische.“