Ohrenparks aus den Spielbaukästen der Planer

Foto: Ruhr1010

Die Verbindung von Park als Ort und Autobahn als Weg ist eine amerikanische Erfindung. Für Europäer, die sich wahrnehmungsmäßig  eher am städtischen Flaneur oder am durch die Landschaft streifenden Wanderer orientieren, war das von Anfang an ein Graus. Erst recht seit dem sie sich am Ende des letzten Jahrhunderts  vor allem in der deutschen Ausprägung auch als weltweiter Vorreiter in Sachen Ökologie verstanden. 

Jetzt ist der „Parkway“, der eben nicht 1:1 mit Parkweg übersetzt werden kann, sondern die grüne Abwandlung des Highways ist, auch in Deutschland angekommen. Und zwar da, wo er zumindest vom Denkansatz auch hingehört: nach Ruhr. Er heißt hier auch korrekt Parkautobahn, ist ein Projekt der Kulturhauptstadt und ich halte es – zumindest  in der bislang vorgelegten Fassung   (siehe Klick  und  Klick ) – für mehr als fragwürdig. Aber der Reihe nach.

Die Anrainerstädte des Emscherschnellwegs, kürzer A 42, haben  sich zusammengetan um aus diesem „Highway fourtytwo“ mit ca. 80.000 Fahrzeugen pro Tag eine „Panoramastraße“ zu machen. Kennt  man eher aus dem Teutoburger Wald, aber wie gesagt, der Reihe nach.  Die Begründung, ich zitiere: „Die A42 bietet die einzigartige Möglichkeit die Industrielandschaft des Ruhrgebietes in ihrer Gesamtheit und Vielfalt wahrzunehmen.“  Aha, wer hätte das gedacht.

Aber muss man nicht, zumindest als Fahrer, auf einer so stark befahrenen Straße  zur eigenen Sicherheit die Augen strikt nach vorn und nicht dauernd zur Seite richten? Irgendwie ja, aber so ein bisschen nach rechts und links spinksen? Mach man doch, oder? Und da sieht man jetzt nicht sonderlich viel von der Vielfalt. Obwohl das Ding zu einem Drittel der Strecke sogar in Dammlage (schönes planerdeutsch)  verläuft, kein ernst zu nehmendes Panorama weit und breit.

 Aber wo eine Wille zum Blick da  auch ein Weg zum Wahrnehmungsobjekt: Alles was dazwischen liegt muss verschwinden. Da aber keiner bereit ist ganze Häuserblocks  abzureißen bezieht sich das natürlich nur auf das Grün. Vor allem natürlich auf Bäume. Die, vor allem wenn sie schön groß sind, versperren – wenn auch nur im Sommer – erheblich die Sicht. Vor allem an den Stellen wo es ohne sie was zu sehen gäbe. Der  „grüne Korridor“ entlang der A 42 kriegt deswegen an genau diesen Stellen eine als Landschaftsgestaltung verkaufte Kahlscherung, was dem Bund für Naturschutz natürlich nicht gefällt. Aber die wurden vorsichtshalber erst gar nicht am Projekt beteiligt.

 Dafür aber Landschaftsarchitekten und Künstler, was ja grundsätzlich nicht falsch ist. Das Problem ist nur, wenn die Jungs und Mädels mal ihre Spielbaukästen auspacken, gibt’s kein Halten mehr. Nicht zuletzt auch wegen der lockenden Umsetzungsaufträge. Als denen auffiel, dass die vielen Lärmschutzwände nicht so einfach entfernt werden können, hatten sie eine auch für Laien im ersten Moment nachvollziehbare Idee:  Gucklöcher rein.

 Schon mal mit 100 Stundekilometer an einem solchen „Landschaftsfenster“  vorbeigefahren? Ich garantiere ihnen, selbst wenn sie versuchen durchzuschauen, sie können sich schon nach 5 Sekunden an nichts mehr erinnern.  Also lieber gleich ganz transparent, oder? Und natürlich dahinter auch alles Grün weg, sonst ist es wirklich Quatsch. Aber das wird teuer.

Und dann fliegen die Vögel gegen das Glas und dann muss man da was draufkleben.  Und sauber machen muss man durchsichtige Stoffe  ja auch regelmäßig. Für den Durchblick. Das kostet jetzt erst recht und immer wieder.  O.k. dann davon nicht ganz so viel. Dafür dann Graffiti  auf (undurchsichtigen) Mauern. Wahnsinns Idee! Und brandneu!  

Aber was macht man, wenn man das alles gemacht hat und trotzdem nichts Bedeutendes zu sehen ist bzw. was sich zu sehen lohnt zu weit weg ist? Ganz einfach: Parkplatz mit Aussichtsturm. Klingt natürlich zu simpel. Also: Parktankstelle. Weil, da gibt es auch Infomaterial zur Umgebung und ein Fahrrad zum ausleihen, um näher an das ranzukommen, was man jetzt immer noch nicht genau genug sieht.

 Als Verkehrskonzept nennt man das Mixed Use. Keine schlechte Idee als solche. Aber warum dann nicht gleich mit dem Auto näher an den Emscher-Landschaftspark und an den dort schon vorhandenen Ausleihstellen ein Fahrrad mieten? Aber wahrscheinlich glauben die Planer wirklich, das jemand, der auf der Durchreise ist, einfach mal ganz spontan an der Autobahn ein Bike nimmt, um durch eine Gegend zu radeln, bei der er ohne Navigator nicht wieder zu seinem Auto zurückfindet.

Oder sie glauben es  doch nicht so ganz und haben deswegen die „Ohrenparks“ erfunden. Die heißen so, weil die Betonschlingen eines Autobahnkreuzes bei der Sicht aus – sagen wir 1000 Meter Höhe –  wirklich wie Ohren ausschauen. Ansonsten sind Autobahnkreuze natürlich Orte an denen man außer Autogeräusche rein gar nichts hören kann. Was sich natürlich  ändert, wenn alle Autos mit Elektroantrieb ausgestattet sind. Bis da ist es allerdings noch weit hin. Und da sie ab 100 Km pro Stunde aufwärts aus gutem Grunde ihre Fahrzeugfenster geschlossen halten, wird das für sie als Fahrenden auch nicht viel ändern.

 Deswegen sind die Ohrenparks auch nur zum Sehen erfunden worden. Allerdings  nur für die motorisierten Vorbeifahrer, denn zu Fuß oder mit dem Rad kommt da kein normaler Mensch hin respektive so nahe dran. Es sei denn er ist lebensmüde. Was übrigens für die Natur, weil pure Wildnis, zu einem Schutz- und Rückzugsraum geführt hat. Klar, dass auch diese Gestaltungsmaßnahme dem BUND nicht gefällt.

Aber auch der motorisiert fahrende Erdenbewohner, der in den Industrieländern mittlerweile die Mehrheit dieser Spezies ausmacht, hat ein Recht auf Abwechslung. Also nicht verwunderlich, das die Amerikaner die Erfinder der Parkautobahn sind. Und, kein Scherz: Mobilität und Wahrnehmung könne sehr wohl einander wohlgesonnene Verwandte sein. Aber nicht so! Ein paar zusätzliche und genügend große Sichtschneisen an den richtigen Stellen würden genügen! Und ein bisschen Kunst zur größeren Lesbarkeit der Ausfahrten ist nicht grundsätzlich abzulehnen. Alles andere ist äußerst fragwürdig.
Aber bilden sie sich doch selbst ein Urteil  und vor allem: stimmen sie ab. Können sie bei  Klick

Entscheidung über Opel-Aus in sechs Wochen

Foto: Flickr / The Learned Monkey & the Lazy King

Heute Nacht hat der Opel-Oberchef, der Konzernvorsitzende der Opel-Mutter General Motors, Rick Wagoner gesprochen. Das Gute zuerst: er hat nicht gesagt, dass die deutschen Opel-Werke sofort dicht gemacht werden.

Er sagte, man arbeite mit der "deutschen Regierung" an einer Lösung. Selbst von einer "Partnerschaft" mit dem Bund "und/oder" anderen europäischen Regierungen ist die Rede – was auch immer das heißt. Ein Ergebnis erwartet Wagoner bis Ende März.

Jetzt das Schlechte. Wagoner sagte weiter, er brauche insgesamt rund 30 Mrd US-Dollar von der amerikanischen Regierung, um seinen Laden zu retten. In diesem Umfeld spielen die paar hundert Millionen, die in Deutschland auf dem Spiel stehen kaum noch eine Rolle.

Sollte General Motors in den Staaten Pleite gehen, rechnet GM laut einer eigenen Untersuchung mit einem Einbruch der Verkaufszahlen in Deutschland. Einen Opel würden dann nur noch ein Drittel der potentiellen Käufer erwerben, die im November über einen Kauf nachgedacht haben. So steht es in der Studie aus dem vergangenen Herbst. Vieleicht ist die Untersuchung politisch motiviert, um Druck auf die Regierungen auszuüben, um an Staatsknete zu kommen – vielleicht auch nicht. Jedenfalls erschwert die Studie eine positive Fortführungsprognose im Fall der Insolvenz. Anders ausgedrückt: GM denkt, bei einer Pleite bricht die Nachfrage zusammen, ohne Nachfrage kein Absatz, ohne Absatz kein Verkauf der Insolvenzmasse an einen neuen Investor, ohne Verkauf keine Arbeitsplätze. Klar?

Es geht um große Einschnitte. Wagoner will weltweit 47.000 Arbeitsplätze bis Jahresende kürzen, davon 30.000 in den USA. Fünf GM-Werke sollen in den Staaten geschlossen werden. Die Zahl der US-Marken in Amerika soll  von acht auf vier reduziert werden. Nach der Sanierung sollen nur noch Chevrolet, Buick, Cadillac und GMC übrig bleiben. Der Hummer soll verkauft, die Marke Saturn bis Ende 2011 eingestellt werden.

Der Rest der Sanierung trifft Europa. Wagoner sagte, er stehe bereits mit den europäischen Betriebsräten in Kontakt, um ein Sparpaket von 1,2 Mrd US-Dollar so schnell wir möglich umzusetzen. Das trifft auf jeden Fall Opel in Deutschland.

Der GM-Chef sagte weiter: Er wolle im Rahmen des Sparpaketes verschiedene Fabriken schließen oder abstoßen. Besonders in Gegenden mit hohen Kosten.

Zudem sei er mit der Deutschen Regierung im Gespräch, um Geld für das operative Geschäft zu bekommen und um etwas für die Bilanzkosmetik zu tun – anders ausgedrückt, er geht davon aus, dass es Subventionen gibt. Als Kredite oder Bürgschaften oder Zuschüsse.

Dann sagte Wagoner – wie oben erwähnt – bis zum 31. März solle mit den Regierungen in Europa ein Abkommen gefunden wird, dass die Liquiditätsfrage der Übersee-Fabriken klärt. Ich bring diese Aussage mal im O-Ton: "The company expects to resolve solvency issues for its European operations prior to Mar. 31, 2009." Hört sich an wie eine Drohung, oder?

Der Nordrhein-Westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) spricht an diesem Mittwoch mit der GM-Spitze über Hilfen für die Opel-Werke. In der großen Koalition wachsen derweil Vorbehalte gegen Rettungszusagen für den deutschen Autobauer.

Ruhrpilot

Foto: Flickr.com

Das funktionierende Navigationssystem

WAZ: 330 sollen gehen…FAZ

INA: Deutsche Medien lassen Themen aus…Ruhr Nachrichten

Literaturpreis: Preisträger gesucht…Der Westen

ITB: Partnerland Ruhrgebiet…Spiegel

Elend: Milliardäre werden immer ärmer…Welt

Bahn: Kündigung an Mehdorn…Patje

Entwicklung: Die Macht der Geografen…draußen blog

Hochzeit: Traurig aber wahr.. Sackgänger

Olympia: Russlands Sotschi muss mit weniger auskommen… Jens Weinreich

Internet-Zensur: Das Protokoll vom Stopp-Server…netzpolitik.org

Mehr Kurzarbeit bei Thyssen

Der Stahlkonzern ThyssenKrupp schickt weitere Mitarbeiter auf Kurzarbeit. Nach Stahl und Edelstahl trifft es nun den Dienstleistungsbereich. Wie ich hörte, sollen es mehrere Tausend sein.

Wie das Unternehmen bestätigte, wurde mit dem Gesamtbetriebsrat von ThyssenKrupp Services eine entsprechende Rahmenvereinbarung getroffen. Die Umsetzung soll in den kommenden Wochen erfolgen. Die Thyssen-Sparte beschäftigte 45.000 Menschen weltweit, rund die Hälfte arbeitet in Deutschland.

Anders als bei den Bereichen Stahl und Edelstahl geht Services gleich in die Vollen. Die Kurzarbeit solle bis Mitte kommenden Jahres gelten, hieß es im Konzern. Der gesetzliche Rahmen wird damit komplett ausgeschöpft. Im ersten Quartal hatte Services einen Umsatzrückgang von vier Prozent verbucht; fü den weiteren Jahresverlauf rechnet der Vorstand mit einer gedämpften Entwicklung.

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3 für 7 – Verrücktes für tolle Tage

Das Wetter: Schlecht. Die Aussichten: Karneval. Kontrastprogramm: Wenig. Da helfen nur diese merkwürdigen Veranstaltungen, die so ein bisschen Tribut an die bescheuerteste Woche des Jahres zollen, aber im Grunde auch für sich besuchbar sind. Drei Männer: Jürgen Kuttner, Eduardo de Filippo, Reiner Calmund.

Jürgen Kuttner. Radio Fritz. Ostausgabe der TAZ. Hat Ästhetik, Kulturtheorie und Philosophie studiert. War IM. Beendete viele Sendungen mit "Gute Nacht" von Schubert. Vater von Sarah Kuttner. Erklärt gerne Funktionsweisen von Medien und Filmen im Rahmen von "Videoschnipselvorträgen". Hat einige gute Interviews gemacht. Erklärt die Welt mal wieder am nächsten Samstag in Mülheim.

Eduardo de Filippo. Neapolitaner. War mit einer Schauspielerin verheiratet, seine erste eigene Rolle war die eines weinenden Elefanten. Dann Dramatiker und Regisseur mit Hang zur bitteren Komik. Sein Stück "Verrückt" (Foto: Knut Maron) dreht sich denn auch um eine Theatertruppe, die zwischen Bühne und Weltbühne nur bedingt unterscheiden mag. In einer weiteren Hauptrolle: Eine Maschine. Regie beim Gastspiel des Theater an der Ruhr im Theater Duisburg: Roberto Ciulli.

Reiner Calmund. Bekannt geworden als Fußballmanager. Dann der Versuch, aus dem eigenen Abnehmen Profit zu schlagen. Durchaus Skandal gebeutelt. Ende letzten Jahres erschien seine Biografie "fußballbekloppt". Damit tingelt er nun durch ausgewählte Veranstaltungsorte wie die neue shopping mall in Essen und bietet an, seine Unterschrift hier oder da drunter zu setzen – nicht zwingend unter Verträge.

Im Überblick:
"Jürgen Kuttner erklärt die Welt" am Samstag, 21. Februar, um 20 Uhr im Mülheimer Ringlokschuppen.
"Verrückt" von Eduardo de Filippo auch am Samstag, 21. Februar, um 19.30 Uhr im Theater Duisburg.
Signierstunde mit Reiner Calmund am Samstag, 21. Februar, schon um 13 Uhr im Essener Shopping-Center Limbecker Platz.

Web Fractures: Fettervogel, Muzak, Santogold

Blicke ins Netz

Fettervogel.de eine freie Seite fürs Handy-Tuning. Ja eigentlich nicht mehr unsere Zielgruppe. Oder doch? Hier soll man mit herkömmlichen MP3 oder aus Videostreams bei Youtube Klingeltöne für iPhone basteln können. Bei meinem ersten Test habe ich abbrechen müssen und jetzt dauert es auch schon zu lange. Selber probieren oder doch besser die Finger von lassen wg. Zeitloch? Mach einfach Klck 

Muzak, was`n das? Kennen wir spätestens seit dem genialen Film Decoder von Klaus Maeck mit FM Einheit, William S. Burroughs, Genesis P. Orridge und Christiane F aus den 80ern. FM Einheit, der ehemalige Schlagwerker der Einstürzenden Neubauten demonstriert hier wie man subversive Musik machen kann, die Besucher von Schnellrestaurants – keine Name jetzt – zum K***en bringt. Das war 1984 Fiktion. Heute wir sind es gewohnt überall mit Muzak beschallt zu werden: Fahrstühle, Kaufhäuser und ganz böse in Hotelrestaurants zum Frühstück. Das hat jetzt eventuell ein Ende, denn der Marktführer hat Konkurs angemeldet. Mehr beim Klck

Aus Everybody`s Darlin` und dem Newscomer der Jahres 2008 Santogold wird Santigold. Wieso? Steht unterm Klck

Bloomberg: Opel in Bochum auf der Kippe

Der US-Autobauer General Motors (GM) will nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg den Standort in Bochum schließen. Dies sei Teil der Überlegungen, um Finanzhilfen von der US-Regierung zu erhalten, berichtet die Agentur heute.

Vorgeschlagen werde zudem der Verkauf der Opelfabrik in Eisenach. GM ist infolge der Finanzkrise in Schwierigkeiten geraten und erhofft sich Hilfen vom Staat. Um an die Finanzmittel der Regierung zu kommen, muss der Konzern weitreichende Zugeständnisse machen. Geschlossen werde soll auch die Autofabrik in Antwerpen.

Hier der Link zu der vollen Harttop-Story: klack

Interessant ist auch: Bloomberg hat auch das folgende WAZ-Stück ausgewertet für seinen Bericht, in dem es um die Beteiligung des Staates an dem Bochumer Opelwerk geht: klick

Junge Union in NRW greift FDP-Minister Pinktwart und Wolf an

Foto: CDU Oer-Erkenschwick / Volmering steht rechts

Nach Meinung der jungen Konservativen müssen die FDP-Minister Andreas Pinkwart und Ingo Wolf dafür sorgen, dass die Studiengebühren ordentlich eingesetzt und nicht verplempert werden. Zudem soll Wolf ausländische Straftäter nach ihrem Herkunftsland statistisch erfassen und auch ansonsten härter durchgreifen. Dies sagte bei "aller Zufriedenheit mit der schwarz-gelben Landesregierung" der JU-Landeschef Sven Volmering.

Zitat:

Pinkwart muss endlich seine Hausaufgaben bei der Verwendung der Studienbeiträge machen. Die CDU hat bereits auf ihrem letzten Parteitag auf Antrag der Jungen Union das Wissenschaftsministerium aufgefordert, die Zweckbindung der Studienbeiträge zur Verbesserung von Forschung und Lehre stärker zu überprüfen und zur Not auch durchzusetzen. An einigen Universitäten in NRW kommt es jedoch immer noch vor, dass Studenten 500 Euro Studienbeiträge zahlen, um dann zu erleben, dass, wie im DFB-Pokal, die Teilnahme an Pflichtseminaren ausgelost wird. Dieser Zustand ist unzumutbar und es ist ernsthaft zu prüfen, ob in solchen Fällen den Studenten nicht ein Teil ihrer Beiträge zurückgezahlt werden muss.

Der FDP-Innenminister ist der erste Wolf in der Geschichte dieses Landes, der ständig zum Jagen getragen werden muss und viele Reformbestrebungen blockiert, sei es bei der Frage der Videoüberwachung, sei es bei der Frage der Wiedereinführung einer Sperrklausel bei Kommunalwahlen oder der Einstellung von mehr Polizeianwärtern.

Ein neuer Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Weigerung von Wolf in der Kriminalitätsstatistik das Herkunftsland von Tatverdächtigen zu erfassen. Wenn sowohl das schwarz-gelb regierte Bayern als auch das rot-rot-regierte Berlin dieses Instrument einsetzen, um Kriminalitätsursachen empirisch besser erfassen und beurteilen zu können, gibt es keinen überzeugenden Grund, warum dies auch in NRW nicht möglich sein kann.

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Uwe Tellkamp, Bestseller-Autor und Gewinner des Deutschen Buchpreises über die DDR, den Finanzkapitalismus, das Schreiben und sein nächstes Buch

Foto: privat

Was macht man an einem ganz normalen Mittwochabend im demokratisch-freiheitlichen, aber furchtbar langweiligen Bochum? Man besucht die Lesung von Uwe Tellkamp im Thürmer-Saal und lässt sich vom Autor persönlich aus seinem Buch „Der Turm“ vorlesen. In diesem fast 1000 Seiten langen Epos erzählt Tellkamp davon, wie es ist, in einem unfreien, totalitären Staat zu leben. Am Beispiel des Bildungsbürgertums seiner Heimatstadt schildert der gebürtige Dresdner die letzten sieben Jahre der zerfallenden Republik. Mit diesem Roman ist Tellkamp ein beeindruckendes Panorama der untergehenden DDR gelungen. Vor der Lesung gibt der Autor mir ein Interview. Er möchte vorab jedoch noch etwas trinken, ist sich aber unsicher, ob das im Künstlerappartement befindliche Mineralwasser für ihn gedacht ist. Schließlich schenkt er sich doch ein und sagt: „Ist auch nur fremdes Gut.“

Ruhrbarone ?: Herr Tellkamp, bei Schopenhauer heißt es über den Beruf des Arztes: „Der Arzt sieht den Menschen in seiner ganzen Schwäche“. Nun sind Sie sowohl Arzt als auch Schriftsteller. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Berufen?

Uwe Tellkamp !: Was mir gemeinsam zu sein scheint bei Ärzten, die auch Schriftsteller waren – sei es Benn, Döblin oder Bulgakow und Tschechow -, ist der relativ nüchterne, in gewissem Sinne klinische Blick. Das heißt: Der Arzt kennt den Körper – in seiner Schwäche, im Altwerden und gleichzeitig weiß er um die Schwierigkeit der Diskretion. Als Arzt sieht man den Patienten nackt, verletzbar und muss immer wieder eine Balance finden zwischen dieser Körperlichkeit, dieser Nacktheit und der Diskretion, die dazugehört und mich als Arzt begleitet. Das ist ein sehr schwieriger Zustand, der mir zu denken gegeben hat. Ein ähnlicher Zustand ist auch beim Schreiben da. Meine Figuren sind in einem gewissen Sinne nackt, während ich als Autor bekleidet bin. Mir geht es immer wieder darum, Diskretion gegenüber Figuren zu bewahren und ihnen nicht zu nahe zu treten. Das ist eine Gemeinsamkeit, die ich sehe. Eine zweite Gemeinsamkeit ist die Ähnlichkeit zwischen Diagnose und Diagnoseverfahren, Annäherung, Vortasten und meiner Art zu schreiben.

?: Als Sie noch als Arzt praktizierten, sagten Sie, dass Sie wegen des Zeitmangels teilweise auf Treppen oder im Keller geschrieben haben. Nun haben Sie sich dazu entschlossen, als Arzt zu pausieren, um mehr Zeit fürs Schreiben zu haben. Ging diese Rechnung auf, können Sie die gewonnene Zeit sinnvoll nutzen?

!: Die Rechnung ging auf, als ich arm und unbekannt war. Aber da gab es dann andere Schwierigkeiten. Jetzt lerne ich die Kehrseiten des Glücks kennen und die Beschneidung von Zeit, zu dem zum Beispiel Interviews gehören. (Lacht) Im Gegensatz zu früher habe ich Wahlfreiheit. Ich bin in der glücklichen Lage, nicht alle Lesungen machen zu müssen. Ich versuche schon, das gehört dazu, meinen Teil zu leisten, könnte aber, das ist der Unterschied, die Reißleine ziehen und mich hinsetzen.

?: Bei Wolfgang Koeppen heißt es: „Wer schreibt, der bleibt.“ Er bestimmte das Schreiben als Auflehnen gegen die Endlichkeit. Andere Schriftsteller sagen, das Schreiben gründe in einem Zustand innerer Notwendigkeit. Was lässt Sie zur Feder greifen?

!: Das weiß ich nicht. Das ist ein Drang, der unbegründbar ist und über den ich mir auch keine näheren Gedanken mache. Da gibt es die hübsche Anekdote von der Spinne, die den Tausendfüßler fragt wie er gehe. In dem Moment, wo er sich darüber bewusst wird, verheddert er sich. Vorher hat er es unbewusst gemacht.

?: Sie haben in Ihrem Buch „Der Turm“ über den privaten Rückzugsraum des Bildungsbürgertums im totalitären Staat DDR geschrieben. Sie sagten, die zentrale Frage Ihres Buches sei, wie sich der Mensch gegenüber einer feindlichen Umwelt verhält. Was glauben Sie, von welchen Menschen wird „Der Turm“ in der Bundesrepublik 2009 bewohnt?

!: Das, was damals die „Türmer“, diese Bildungsbürger erlebt haben in ihrer Nische gegenüber dem Sozialismus, scheinen heute Leute zu sehen in ihrer Nische gegenüber den Strudeln von Finanzkapitalismus und grassierender Wirtschaftskrise. Das scheint eine Parallele zu sein, die da greift. Ich glaube, das Buch wird von Menschen gelesen, denen diese Form der Bildung, klassischer Bildung immer noch etwas bedeutet. Das Buch hat enormen Erfolg und der ist nicht allein erklärbar aus 20 Jahre Mauerfall oder Marketing. Auch wenn das Marketing greift, es funktioniert nur bis zu einer gewissen Grenze. Das, was der Verlag und ich mit diesem Buch erleben, ist eine Sache, die weit darüber hinausgeht. Das Buch muss auch Dinge treffen, die anderswo zu finden sind.

?: Sie waren bei der NVA Panzerkommandant und haben im Oktober 1989 – Sie waren 21 Jahre alt – den Befehl verweigert, gegen eine oppositionelle Bewegung vorzugehen. Daraufhin wurden Sie zwei Wochen in Haft genommen. Können Sie etwas zu den genauen Umständen sagen?

!: Das Ganze hing zusammen mit der Ausreisebedingung über Prag, wo die deutsche Botschaft besetzt wurde. Als Genscher an den Balkon trat und sagte, sie können ausreisen, wurden die Züge von dort über Dresden in die Bundesrepublik geleitet. Honecker hatte sich ausbedungen, dass diese Züge noch mal über DDR-Gebiet fahren, was ein schwerer Fehler war. Anfang Oktober eskalierte das Ganze, denn in der Stadt gab es natürlich Gerüchte, dass diese Züge kommen. Es herrschte Visums-Pflicht, man konnte nicht mehr in die Tschechoslowakei oder nach Polen fahren. Es grassierte dann der Witz: Wir können im Grunde nur noch mit den Füßen voran aus dem Land. Jeder hatte Angst, was wird und wohin das Ganze treibt. Sehr, sehr viele Menschen sind dann raus zum Bahnhof und haben versucht, sich an die Züge ranzuhängen, um rauszukommen und zu flüchten. Das ist die Vorgeschichte. Die Kaserne, in der ich war, hatte dann am 5. Oktober den Einsatzbefehl, gegen die aus dieser Anarchie hervorgegangene Gruppe 20, eine Oppositionsbewegung, vorzugehen.

?: War die Erfahrung dieses Aktes staatlicher Repression eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Sie knapp 20 Jahre später sozusagen die Krankengeschichte der DDR geschrieben haben?

!: Ich habe diese Erfahrung gemacht und kenne daher das Gegenstück nicht. Ob ich ohne diese Erfahrung geschrieben hätte, weiß ich also nicht. Es hat aber sicherlich eine Rolle gespielt. Wir redeten im Vorgespräch über Thomas Bernhard. Auch das ist ein Autor, der aus der Verletzung heraus geschrieben hat. Die schwere Lungenkrankheit war eine Triebkraft für ihn. Das Österreichische, diese versteinerten Verhältnisse waren immer eine Triebkraft für ihn. Diese Triebkraft habe ich auch.

?: Thomas Bernhards Todestag jährt sich in diesem Monat zum 20. Mal. Kürzlich erschien von ihm posthum das Buch „Meine Preise“. Ihm waren Preisverleihungen ein Gräuel. Sie erhalten in diesem Jahr den mit 15.000 Euro dotierten Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Was für ein Verhältnis haben Sie zu Preisverleihungen?

!: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Die Frage ist zu privat. Das Buch „Meine Preise “von Bernhard habe ich übrigens gelesen. Man merkt zwar den Ad-hoc-Charakter, aber es ist ein sehr gutes Buch. Ein typischer Bernhard. Seinen Roman „Beton“ mag ich sehr gerne, weil er dort das menschlich Mühevolle in den Blick nimmt. Dort schreibt er über eine Frau, die es einfach sehr schwer hat, ihr Leben zu fristen und hinzukriegen. Deshalb mag ich dieses Buch. Ihr Roman „Der Turm“ endet mit einem Doppelpunkt. Planen Sie eine Fortsetzung des Romans? Ja. Ich habe grobe Vorstellungen vom Handlungsort und von den Figuren, die noch aus „Der Turm“ sind. Aber ich will nicht ins Einzelne gehen. Das ist noch zu zart und kostbar. Und woran arbeiten Sie gerade? Ich arbeite zurzeit an zwei Sachen. Eins ist fertig und heißt „Reise zur blauen Stadt“. Das Buch muss noch überarbeitet und korrigiert werden, bevor es dann im Herbst erscheint. Das andere ist ein Prosa-Buch über meinen kleinen Sohn.

Informationen zum Autor: 2008 war ein gutes Jahr für Uwe Tellkamp. Im Oktober erhielt er für seinen Roman „Der Turm“ den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis. Sein Roman über den Untergang der DDR verkaufte sich bisher mehr als 250.000 Mal. Tellkamp wurde 1968 geboren, veröffentlicht im Suhrkamp-Verlag und lebt zurzeit in Freiburg.