Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU und auf dem Foto links) verließ sich bei seinen Beschuldigungen gegen einen Ex-Mitarbeiter auf die dürftigen Aussagen einer Mitarbeiterin
Diese Geschichte fängt mit einem Fax an. Das Schreiben von Josef Horriar ging am 8. September beim Landeskriminalamt – Dezernat 15 Korruption – ein. Mit nur zwei Sätzen beantragt der Rechtsanwalt im Namen seiner Schwester Dorothea Delpino Einsicht in die Ermittlungsakten zum Fall Friedrich. „Aufgrund erheblicher Verletzung der Interessen meiner Mandantin in obigem Verfahren ist mein Tätigwerden erforderlich. Ich beantrage deshalb, mir in obiger Sache hinsichtlich der laufenden Bände 1-10 Akteneinsicht zu gewähren.“
Nur wenige Stunden später antwortet ein Beamter des Landeskriminalamtes (LKA) mit einem Satz: „Sehr geehrter Herr Horriar, in der Anlage übersende ich Ihnen wunschgemäß in Absprache mit OStA Meyer eine CD mit 10 pdf-Dateien, die die Bd 1-10 der Hauptakte in digitalisierter Form beinhalten.“
Dies ist ungewöhnlich.
Denn normalerweise hätte die Bitte von Horriar keine Aussicht auf Erfolg haben dürfen. Delpino dient im Korruptionsverfahren gegen Harald Friedrich als Hauptbelastungszeugin. Vor allem auf Basis ihrer Vorwürfe wurden gleich mehrere Anzeigen gegen Friedrich gestellt. Und noch etwas ist seltsam: Bis zur Delpino-Anfrage behandelte der ermittelnde Oberstaatsanwalt Ralf Meyer die Akteneinsicht restriktiv. Den Beschuldigten wurden reihenweise ähnliche Bitten abgeschlagen. Und dann muss man sich noch fragen, warum der Delpino-Anwalt seine Bitte um Akteneinsicht an das LKA stellt und nicht an den Oberstaatsanwalt Meyer direkt.
Nach Ansicht von Matthias Jahn, Strafrechtsprofessor an der Uni Erlangen und Richter am Oberlandesgericht Nürnberg, ist es nicht üblich, die kompletten Akten eines Verfahrens an Belastungszeugen auszuhändigen. Normalerweise würden allenfalls wenige Blätter, etwa zu der eigenen Aussage, weitergereicht. Jahn: „Die Beteiligten bewegen sich auf sehr dünnem Eis.“
Die beiden oben genannten Schreiben könnten zum Sprengstoff werden, der aus den Korruptionsermittlungen gegen den Ex-Abteilungsleiter im NRW-Umweltministerium Harald Friedrich endgültig einen Justizskandal macht.
Lange galt Dorothea Delpino als Vertraute von Umwelt-Staatssekretär Alexander Schink, wie Schriftstücke aus dem Ministerium nahe legen. Schink selbst ist die rechte und linke Hand von Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU). Delpino wurde sogar im Laufe des Verfahrens im Uhlenberg-Amt in eine höhere Gehaltsklasse befördert. Nur auf Basis der besonders schweren Delpino-Vorwürfe konnte Oberstaatsanwalt Meyer einen der größten Lauschangriffe in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen lostreten.
Alle Konten der beteiligten Firmen und Privatpersonen wurden geöffnet – bis hin zu den Sparbüchern von Kindern. Über 2500 Gespräche schnitt das Landeskriminalamt mit. Dazu kamen über 2000 mitgeschrieben Emails. An Autos von Wissenschaftler wurden Peilsender installiert. Scheinbar nichts war vor den Spähern des LKA sicher.
Ein Gespräch des Landtagsabgeordneten Johannes Remmel über die politische Dimension der Vorwürfe gelangte sogar in die Akten – etliche andere aufgezeichnete Remmel-Gespräche wurden später gelöscht, als die Übergriffe bekannt wurden. Duzende Telefonate mit Journalisten wurden mitgeschnitten, genauso wie mindestens eine Email einer Bundestagsabgeordneten.
Bei der Lektüre dieser LKA-Akten bekamen die Ermittler einen tiefen Einblick in die intimsten Räume der zu unrecht beschuldigten Menschen.
Nur ein Beispiel: die Konten nahezu aller Firmen, Stiftungen und Vereine, an denen Professor Max Dohmann beteiligt ist, wurden geöffnet und analysiert. Wie sich später herausstellte, hat Dohmann mit dieser Affäre nichts zu tun. Trotzdem wurde sein Ruf angegriffen. Und seine Konten offengelegt.
Und dann gab Oberstaatsanwalt Meyer diese intimen Informationen aus Dohmanns Leben zusammen mit den intimen Details über die anderen Belauschten an den Rechtsanwalt und Bruder der Hauptbelastungszeugin Delpino heraus.
Damit bekam die Mitarbeiterin im Umweltministerium Zugriff auf alle Dokumente, die im Verfahren beschlagnahmt wurden.
Seltsam erscheint der Fall vor allem deshalb, weil mehreren Beschuldigten wenige Tage zuvor die vollständige Akteneinsicht verweigert wurde, wie aus den Unterlagen hervorgeht. Am 1. September schreibt Oberstaatsanwalt Meyer beispielsweise lapidar an den Rechtsanwalt eines Verfolgten: „Eine weiterreichende Akteneinsicht kann z. Zt. nicht gewährt werden, da die Gefahr der Gefährdung des Untersuchungszwecks besteht.“
Im Gegensatz zu der Frau, die sie angreift, durften die Angeschuldigten nicht alles sehen.
Ich versuche das mal mit meinen Worten zu verdeutlichen. Ich gehe hin und beschuldige meinen Nachbarn, ein korrupter Sack zu sein. Dann hört das LKA meinen Nachbarn und alle dessen Freunde und Bekannte ab. Auch den Bäcker, bei dem mein Nachbar einkauft und die Scheiderin, einfach alle, die meinen Nachbarn schon mal gesehen haben, oder die einen gesehen haben, der meinen Nachbarn schon mal gesehen hat. Damit nicht genug. Die Fahnder schauen nach, was mein Nachbar verdient, was dessen Freunde verdienen, und ob der Bäcker eine Nichte hat, die ein Sparbuch hat, auf dem sie Kommuniongeld hat.
Dann gibt das LKA alles das an mich weiter. Auf einer CD-Rom. Weil ja meine Interessen verletzt wurden, wie mein Bruder und Rechtsanwalt schreibt. Warum und wieso meine Interessen verletzt wurden – das brauch ich ja nicht sagen, oder schreiben oder offenlegen. Ich behaupte das einfach mal so. Oder besser gesagt mein Bruder.
Was denken Sie jetzt? Und was denken Sie, wenn sich herausstellt, dass alle meine Vorwürfe nur heiße Luft waren?
Bei Delpino war das nämlich so. Die Korruptions-Beschuldigungen aus dem Mund von Delpino gegen Friedrich und ein Dutzend mitangeklagte Wissenschaftler und Unternehmer haben sich inzwischen in Luft aufgelöst. Oberstaatsanwalt Meyer hat sie genauso fallen gelassen, wie die Vorwürfe auf banden- und gewerbsmäßigen Betrug.
Es gibt mehr auffälliges: Zum Beispiel erhielt Delpino auch die Akten zum PFT-Skandal per CD, die in der Privatwohnung von Harald Friedrich beschlagnahmt worden sind.
Wie aus Unterlagen hervorgeht, die mir vorliegen, sind fast alle diese PFT-Papiere aus den Ermittlungsakten in das Umweltministerium von Uhlenberg gewandert. Ob dies auch über Delpino geschah, ist ungewiss.
Oberstaatsanwalt Meyer wollte nicht sagen, warum er der Belastungszeugin die Unterlagen ausgehändigt hat.
Kommen wir zurück zu den Ermittlungen gegen Friedrich, die unter anderem von Delpino durch falsche Beschuldigungen angestoßen wurden.
Nach meinen Informationen klammert sich der Oberstaatsanwalt mittlerweile nur noch an einen letzten nebensächlichen Vorwurf, wie an einen Rettungsring. Und zwar behauptet Meyer, Friedrich habe möglicherweise eine so genannte fremdnützige Untreue begangen. Das bedeutet: ohne eigenen Vorteil habe Friedrich zugelassen, dass sich andere aus dem Töpfen des Umweltministeriums bereichern. Im Kern geht es um das Projekt „Mapro“. Hier sollen Wissenschaftler Aufträge erhalten haben, die zweckwidrig aus der Abwasserabgabe finanziert worden seien. „Mapro“ sollte die Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie begleiten.
Oberstaatsanwalt Meyer glaubt, die Aufträge seien mit Wissen von Friedrich auf über 400.000 Euro aufgepumpt worden, ohne dass es entsprechende Gegenleistungen gegeben habe. Um den Beweis der „Luftbuchungen“ zu führen, hat das LKA das Projekt „Mapro“ mit einem neuen Projekt zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie verglichen. Das neue Projekt wurde nach dem Rauschmiss von Friedrich im Umweltministerium beauftragt und ist wesentlich billiger.
Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit, denn im Projekt „Mapro“ wurde erheblich mehr getan, um die EU-Wasserrahmenrichtlinie voranzutreiben, als im neuen Uhlenberg-Projekt. Letzteres zeichne sich vor allem durch „Mangelwirtschaft“ aus, berichten mehrere beteiligte Wissenschaftler. Inhaltlich seien die Vorhaben jedenfalls keineswegs zu vergleichen.
Damit nicht genug. Um eine Verurteilung zu erreichen, müsste Oberstaatsanwalt Meyer den "Vorsatz" beweisen, dass Friedrich wissentlich Geld veruntreuen wollte. Dies sei aber nahezu unmöglich, wird aus der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf kolportiert. Zumal Friedrich als Abteilungsleiter im Umweltministerium die Aufgabe gehabt hätte, die Projekte voranzutreiben und gleichzeitig die Auftragnehmer bei „Mapro“ darauf hingewiesen habe, sie sollten ihre Anträge an die Richtlinien zur Abwasserabgabe anpassen, wie es in den Ermittlungsakten heißt. „Wenn Friedrich einen Ferrari geschenkt bekommen hätte, dann wäre es einfach, ihm etwas zu beweisen. Aber das gab es nicht.“
Oberstaatsanwalt Meyer wollte nichts zu den Vorwürfen sagen. Vielleicht wird er Anklage erheben. Vielleicht auch nicht. Ich rechne mit allem.
Ich habe Friedrich zu den Vorwürfen befragen wollen. Über seinen Rechtsanwalt läßt er ausrichten, er sei sich keiner Schuld bewusst. Vor Gericht könne er seine Unschuld beweisen.