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Der Wirbel um Zumwinkel-Ermittlerin Margrit Lichtinghagen ist schwer zu verstehen. Wer hat Recht? Wer lügt? Wer verbreitet Märchen? Es kursiert ein Dossier, zusammengestellt von der eigenen Behörde. Als Anklage gegen die renommierte Staatsanwältin. Es heißt, sie habe versucht, ihren Chef in den Griff zu kriegen. Oder dieser habe probiert, seine Untergebene kaputt zu mobben. All das ist schwer zu verstehen. Nur soviel ist sicher: Das System der Strafgeld-Verteilung in NRW ist so wie jetzt weder haltbar, noch sauber. Das System führt die Ermittler in den Ruch der Korrumpierbarkeit. Egal ob Chef oder Untergebene. Und das beschädigt das Ansehen der Justiz.
Die ernste Lage versucht die Justizministerin mit Humor zu entschärfen. Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) muss eine Kanonade lästiger Fragen im Landtag aushalten und Auskunft geben zu den Zuständen in der Staatsanwaltschaft Bochum sowie dem spektakulären Rückzug der Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen.
Die Opposition geht rasch ins Detail. Der SPD-Abgeordnete Markus Töns fragt sie nun, wie es denn sein könne, dass die Landesregierung sich nicht in Vergabe von Bußgeldern eingemischt habe, und dennoch Namen des Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers und weiterer Landespolitiker in einem entsprechenden Vermerk Lichtinghagens auftauchen. "Wie kommen dann die Namen der Politiker dahin?", beharrt Töns. Die Justizministerin antwortet ungerührt: "Wahrscheinlich, weil sie jemand dahin geschrieben hat." Im Plenum wird lauthals gelacht.
Die Justizministerin trug in der Fragestunde des Landtags am vergangenen Donnerstag ein bemerkenswert dickes Fell zur Schau. Die 58-jährige Juristin benahm sich so, als könne ihr die Justizaffäre in der Bochumer Staatsanwaltschaft nichts anhaben – oder als habe sie ohnehin nichts mehr zu verlieren.
Es war eine Frage der Zeit, bis das Drama der Bochumer Staatsanwaltschaft um ihren Amtsleiter Bernd Schulte und die bekannte Staatsanwältin Lichtinghagen auch der Justizministerin eine führende Rolle zuteilen würde. Immerhin hatte ihr Haus am vorvergangenen Freitag eine vorläufige Schutzerklärung für Lichtinghagen abgegeben und immerhin angekündigt, die 54-jährige Ermittlerin mitsamt des Liechtenstein-Verfahrens der Staatsanwaltschaft Köln zuzuschlagen, wenn sämtliche Vorwürfe ausgeräumt seien. Doch stattdessen wird Staatsanwältin Lichtinghagen zum Jahreswechsel Amtsrichterin und Behördenleiter Schulte ist selbst mit Prüfungen konfrontiert.
Zum Ende einer turbulenten Woche haben viele Personen bei dieser Schlammschlacht Spritzer abbekommen. Das Ansehen der Justiz hat gelitten und eine Institution hat schweren Schaden genommen, denn die Schwerpunktabteilung 35 zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und Korruption galt jahrelang als bundesweites Vorbild für Ermittler. Die Abteilung hatte spektakuläre Verfahren gegen prominente Steuersünder vorbereitet und eingeleitet. Als vorläufige Krönung ihres Erfolges galt der "Liechtenstein"-Komplex, als ein Angestellter der LGT-Bank in Liechtenstein den Bochumer Ermittler Daten mit Angaben zu mehreren hundert Steuersündern überließ, die Schwarzgeld in Stiftungen angelegt hatten. Als am 14. Februar dieses Jahres die Steuerfahnder in der Kölner Villa bei Ex-Postchef Klaus Zumwinkel auftauchten, wurde Staatsanwältin Lichtinghagen mit einem Schlag berühmt. Die resolute Dame mit der Vorliebe für Seidentücher verkörperte nunmehr eine ganze Abteilung. Auf sie wurde medial die Arbeiter eines Ermittlungsstabes, dem auch Kollegen aus Köln zugewiesen wurden, reduziert.
Doch offenbar hat der größte Ermittlungserfolg die persönliche Feindschaft und den Neid noch vertieft. Aber wie kann es sein, dass offenbar ein jahrelang vorherrschendes Mobbing-Klima, das nun beklagt wird, nicht viel früher von Vorgesetzten bemerkt und bereinigt wurde? "Wir haben vor einigen Wochen zum ersten Mal davon gehört, dass es Probleme in der Zusammenarbeit geben könnte", erklärte Justizministerin Müller-Piepenkötter im Landtag. Man habe den zuständigen Generalstaatsanwalt in Hamm, Manfred Proyer, aufgefordert, die Probleme aufzuklären.
Die Konsequenzen freilich waren desaströs: Amtschef Schulte wollte Staatsanwältin Lichtinghagen aus der Schwerpunktabteilung und vom "Liechtenstein"-Verfahren abziehen. Dies soll mit Proyer so abgestimmt gewesen sein. Es gab nicht nur Vorwürfe der "Hinterhältigkeit". Ausgerechnet die bisher für Staatsanwälte und Richter weitgehend freihändige Vergabe von Bußgeldern an gemeinnützige Organisationen wurde skandalisiert. In einem 64-seitigen Dossier der Amtsleitung wurde Lichtinghagen vorgeworfen, in den vergangenen Jahren gemeinnützige Organisationen ihrer Heimatstadt Hattingen sowie die Privatuniversität in Witten/Herdecke mit Zuwendungen in Millionenhöhe bedacht zu haben.
"Für Staatsanwälte und für Richter ist es bereits problematisch, wenn auch nur der böse Anschein der Parteilichkeit bei der Ausübung des Amtes entstehen könnte", sagte die Justizministerin im Landtag und wurde noch konkreter: "Nach meiner derzeitigen Einschätzung ist dieser böse Anschein durch die Zuweisung von Geldauflagen an die Universität Witten-Herdecke durch Frau Lichtinghagen nicht von der Hand zu weisen."
Allerdings ist bemerkenswert, dass Lichtinghagen etwa in einem Gespräch mit dem Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) die Privatuniversität von sich aus angesprochen hatte. "Sie verband dies mit dem Hinweis, dass ihre Tochter dort studiere und sie eine Entscheidung zugunsten der Universität mit Vorgesetzen abstimmen wolle", sagte die Justizministerin. Hat sie sich korrekt genug verhalten oder hat das Gespür der Korruptionsermittlerin versagt?
Die Justizministerin sprach allerdings nicht darüber, dass Lichtinghagens bevorzuge Vergabe an bekannte oder heimische Organisationen in der nordrhein-westfälischen Justiz seit langem üblich ist.
Darüber könnte ihr Erzfeind, der Bochumer Amtsleiter Schulte, wohl einiges erzählen. Der Oberstaatsanwalt soll ebenfalls dafür gesorgt haben, dass Strafgelder an befreundete Organisationen verteilt wurden. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm ermittelt ergebnisoffen, wie es heißt. Sollte Schulte ein sogenanntes Aufsichtsversagen nachgewiesen werden, könnte dies zu einer Strafversetzung führen. Nach meinen Informationen hat sich Schulte in auffälliger Weise bei Lichtinghagen für den Rotary Club Lüdenscheid eingesetzt. Schulte soll diesem einen Kontakt mit Staatsanwältin Lichtinghagen vermittelt haben. Die Rotarier wollten auf dem kurzen Dienstweg Mittel für den Wiederaufbau einer Rokoko-Kirche in Thüringen besorgen. Das Pikante dabei: Schulte ist Mitglied der Lüdenscheider Rotarier. Ein Sprecher der Bochumer Staatsanwaltschaft bestätigt den Freundschaftsdienst: "Es trifft zu, dass der Behördenleiter einen Bittsteller an die Dezernentin verwiesen hat, ohne auf die Entscheidung selbst in irgendeiner Weise Einfluss zu nehmen."
Ein Rechtsverstoß liegt wahrscheinlich nicht vor. Freilich könnte man in diesem Fall auch ein Geschmäckle insinuieren.
Von den Rotariern war nämlich früher schon einmal die Rede und zwar in einem erheblich brisanteren Korruptionsfall, in dem gegen den Landrat des Märkischen Kreises, Aloys Steppuhn (CDU), ermittelt wurde. Ein mit dem Verfahren vertrauter Staatsanwalt berichtet, der Amtschef habe sich regelmäßig detailliert über die Ermittlungen unterrichten lassen. Dabei könnte es eine Verbindung von Schulte zu Steppuhn gegeben haben: über die Rotarier. Der damalige CDU-Fraktionschef aus dem Märkischen Kreis und Steppuhn-Vertraute, Manfred Rahmede, gehört dem Rotary-Club Lüdenscheid-Mark an. Schulte wiederum ist Rotarier in Lüdenscheid. Darüber hinaus spielten Schulte und Rahmede zusammen in einem Tennisclub. Die Ermittlungen gegen Steppuhn versandeten. Aber reicht dies für den schwerwiegenden Verdacht aus, es wurde in Korruptionsermittlungen eingegriffen? "So eine enge Verbindung ist ungewöhnlich. Eigentlich hätte Schulte den Fall an eine andere Behörde geben müssen, da er befangen war", meint ein Ermittler.
Offenbar muss sich Schulte nun gegenüber Generalstaatsanwalt Manfred Proyer in Hamm für die Rokoko-Connection rechtfertigen. Doch dies sorgt intern für Unruhe. Immerhin gilt Schulte als guter Bekannter des Generalstaatsanwaltes. Proyer war Amtvorgänger von Schulte in der Bochumer Behörde und soll demnach die Zustände dort selbst mit verursacht haben. "Da kann man auch den Frosch fragen, ob der seinen Sumpf austrocknen möchte", beklagt sich ein Staatsanwalt aus Bochum.
Trotz der Justizaffäre in Bochum soll der Prozess gegen ehemaligen Postchef Zumwinkel wie vorgesehen am 22. Januar nächstens Jahres beginnen – ohne Lichtinghagen.