RWE macht Dampf

Foto: RWEKraftwerk Grevenbroich flickr.com / derhypnosefrosch

Deutschlands zweitgrößter Energiekonzern will sich von der Weltwirtschaftskrise nicht Bange machen lassen. Statt dessen wollen die Essener expandieren und investieren. Milliarden für die Zukunft.

Es geht um bis zu 80 Mrd Euro, die RWE in neue Kraftwerke, Öl- und Gasquellen und den Ausbau des Handels stecken will. RWE-Strategie-Vorstand Leonhard Birnbaum sagte, er sei „wild entschlossen“ die Krise zu nutzen, um die Position des Strom- und Gasanbieters europaweit auszubauen. 

Noch ist die Summe nicht genau aufgeschlüsselt, bestätigte Birnbaum. Aber die Richtung sei klar. Bereits jetzt hat RWE in Deutschland, England und in anderen europäischen Ländern Projekte in einer Größenordnung von 30 Mrd Euro angekündigt. Vor allem in neue Kraftwerke werde derzeit Geld gesteckt. „Diese Investitionen sind nicht umkehrbar“, sagte Birnbaum.

Dazu kämen bereits jetzt beschlossene Expansionbestrebungen im Gas- und Ölgeschäft. Hier will der Konzern über die Rohstofftochter RWE DEA für rund 10 Mrd Euro neue Felder entwickeln. Weitere Großprojekte wie der Ausbau einer konzerneigenen Gastankerflotte oder der Bau der Pipeline Nabucco von Europa nach Zentralasien stehen zudem an.

Darüber hinaus sei RWE weiter an Atomkraftprojekten interessiert. In Großbritannien erwartet der Konzern, dass nach der Übernahme der Atomkraftwerksbetreibers British Energy durch den französische Energiekonzern EdF Standorte oder Anlagen abgeben werden müssten.  Zudem schaue sich der Konzern in England auch staatlich verwaltete Flächen für mögliche AKW-Projekte an. Darüberhnaus will RWE in Rumänien und Bulgarien Kernkraftwerke bauen.

Besondere Chancen durch die Krise sieht der ehemalige McKinsey-Berater Birnbaum vor allem dann, wenn der Konzern bereit ist, selbst Risiken zu übernehmen. Während Wettbewerbern das Geld ausgehe, sei RWE aufgrund seiner Finanzkraft in der Lage, profitable Geschäfte zu machen. Gerade im Bereich der Erneuerbaren Energien und bei der Entwicklung von Gasfeldern würden sich so neue Chancen auftun. Mittelständischen Firmen gerieten etwa beim Bau von Windparks unter Druck. „Wir können ganze Projektpipelinen kaufen“, sagte Birnbaum.

Grundsätzlich sei zu erwarten, dass sich RWE vor allem um den Ausbau des internationalen Geschäfts kümmern werde, sagte Birnbaum. Neben Großbritannien stünden dabei die Benelux-Länder, Osteuropa, der Balkan und die Türkei im Zentrum der Überlegungen. Denkbar sei auch ein mögliches Engagement in Russland. Hier hätten sich viele Investoren übernommen, die nun wieder Kraftwerke verkaufen wollten.

Große Übernahmen schloss der RWE-Manager dabei nicht aus. Gleichzeitig sagte er aber, sie hätten keine Priorität. Oft sei es besser eigene Geschäfte im Ausland zu entwickeln, als einen großen Konzern in einem neuen Land zu übernehmen.

Auf dem deutschen Strommarkt kündigte Birnbaum vor allem eine Zentralisierung des Vertriebs an. Der Wettbewerb zwinge das Unternehmen dazu alle drei bis sechs Monate neue Produkte auf den Markt zu werfen. Dies sei nicht mehr durch eine dezentrale Steuerung zu gewährleisten.

Für die Expansion will RWE nur noch auf zwei Marken setzen. Die Energie soll in Zukunft vor allem über den Discouner eprimo und über die Marke RWE verkauft werden. Daneben sollen nur noch wenige regional eingeführte Marken erhalten bleiben, die allerdings auch zentral gesteuert werden sollen. Die Zweimarken Strategie will RWE laut Birnbaum mit einer entsprechenden Struktur unterfüttern. Demnach sollen zwei zentral geführt Gesellschaften den Stromabsatz in Deutschland koordinieren. Mit den kommunalen Gesellschaftern in den Regionalgesellschaften wie EnviaM werde nun das Gespräch gesucht.

Die ersten Experimente mit der Zentralvermarktung sind nach Auskunft von Birnbaum erfolgreich gewesen. Mit Festpreis-Modell auf drei Jahre habe RWE rund 130.000 Kunden beim Gas und rund 500.000 Kunden beim Strom gewonnen. Gut 75.000 Stromkunden hätten sich darüber hinaus in den vergangenen vier Wochen für den neuen "ProKlima"-Tarif entschieden, der neben Strom aus erneuerbaren Energien einen Anteil von 70 Prozent aus Kernenergie vorsieht.

Auch für die Auslandsexpansion hat RWE eine neue Struktur vorgesehen. So sind bereits jetzt in einigen Staaten RWE-Ländergesellschaften aktiv, die vor Ort das Geschäft mit Strom und Gas leiten. Dazu kommen Aktivitäten der RWE Führungsgesellschaften RWE Power, RWE Energie und RWE Innogy. Damit sich die vielen verschiedenen Vertreter nicht bei der Beschaffung von Genehmigungen auf den Füssen rumtrampeln werde sie von einer eigenen Einheit „Geschäftsentwicklung“ in der RWE Holding gesteuert. Die konkrete Umsetzung der jeweiligen Projekte liege dann aber wieder in den Händen der jeweiligen Tochterfirma.

Wenig Bedeutung misst Birnbaum dem Konzernteil RWE Aqua zu. Das Teilunternehmen für das Wassergeschäft werde in den Bereichen fortgeführt, in denen sich Synergien mit dem Strom- und Gasvertrieb ergeben würden. Etwa bei den Rheinisch-Westfälischen Wasserwerken oder der Berlinwasser Gruppe. Weitere Expansionen nach Asien oder Südamerika werde es aber nicht geben. „Wir sind ja gerade erst aus Thames Water und American Water ausgestiegen“, sagte Birnbaum.

 

Zumwinkel-Jägerin geht

Sie hat ordentlich Schwung in die Jagd auf Steuersünder gemacht; und vor allem mit dem Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel einen prominenten Wirtschaftskapitän ins Visier genommen. Nun schmeißt die Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen den Brocken hin.

Die Mitteilung aus dem Justizministerium NRW kam am Abend und war nur wenige Zeilen lang: Lichtinghagen verlasse den staatsanwaltschaftlichen Dienst zum Jahreswechsel und übernehme eine Aufgabe an einem Amtsgericht in Nordrhein-Westfalen. Was ist passiert? Intern soll es zu Kritik an der Juristin gekommen sein – laut der Nachrichtenagentur dpa wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei der Verteilung von Bußgeldern an gemeinnützige Organisationen.

Ob die Vorwürfe Substanz haben, erscheint unwahrscheinlich. So spricht das Justizministerium von einer "einvernehmlichen Lösung" beim Rückzug der Staatsanwältin. Und. "Die Aufklärung der im Raum stehenden Vorwürfe rechtfertigt keine sofortigen dienstrechtlichen Maßnahmen", heißt es in der Mitteilung. Aufklärung soll eine laufende Prüfung der Generalstaatsanwalt in Hamm und des Justizministerium bringen.

Und was wird nun aus dem Zumwinkel-Fall? Der soll am 22. Januar vor Gericht kommen. Die Anklage wird dann natürlich nicht Lichtinghagen vorgebracht. Eigentlich schade, die Früchte ihrer harten Arbeit kann sie nicht ernten.

WestLB in Haftung

Ein Verkauf mit Tücken: Der Stahlhändler Klöckner & Co gehört schon seit 2005 nicht mehr zur WestLB. Trotzdem muss die Landesbank blechen – Geld, dass sie eigentlich nicht hat. Wird das Geschäft doch von der Finanzkrise belastet.

Klöckner wurde heute von den französischen Kartellbehörden zu einer Geldstrafe über 169 Millionen Euro verurteilt. Die Duisburger haben sich dem Urteil zufolge in den Jahren 1999 bis 2004 an einem Kartell beteiligt; dabei haben sich insgesamt elf Firmen zusammengetan, um die Preise auf dem französischen Stahlhandelsmarkt abzusprechen. So lautet zumindest das Urteil der Kartellhüter.

Klöckner hatte mit einer deutlich geringeren Strafe gerechnet und daher nur 20 Millionen Euro zurückgestellt; weitere 79 Millionen Euro muss der Konzern nun aus eigener Tasche dazulegen. Die verbliebenen 70 Millionen Euro holt sich Klöckner von den Landesbanken WestLB und HSH Nordbank, die im Jahr 2005 die Firma an den Finanzinvestor LGB um den früheren Thyssenchef Dieter Vogel verkauft hatte. Vogel war schlau genug, sich die Risiken aus dem Kartellverfahren in Frankreich absichern zu lassen.

Die Hauptlast dürfte auf die WestLB entfallen und damit letztendlich auf den Steuerzahler. Bleibt die Frage, warum die Bank für die Strafe aufkommen muss. Immerhin sind die Düsseldorfer erst seit 2003 an Klöckner beteiligt. Zuvor war der Konzern im Besitz des Versorgers Eon und dessen Vorläufergesellschaft Viag.

Aus für Sachs und Rösti-Grill

Das Bochumer Bermudadreieck verliert zwei seiner Aushängeschilder: Das Cafe Sachs und der Rösti Grill schließen ihre Pforten.

Das Café Sachs war einmal eine der beliebtesten Szenekneipen im Ruhrgebiet. Das ist lange her. Schon seit Monaten hat das Sachs im Bochumer Bermudadreieck nur noch am Wochenende geöffnet – und auch damit ist Ende des Jahres Schluss.
Da bislang noch kein neuer Pächter gefunden wurde, wird das Anfang der 80er Jahre gegründete Sachs zum 31. Dezember schließen. Dem Sachs wurde, so eine Stimme aus dem Umfeld der Logos Gastronomie GmbH, die das Sachs lange betrieb, zum Verhängnis, dass es nicht gelungen ist,  ein neues Publikum zu erschließen – und auch der Umbau vor ein paar Jahren, mit dem das Sachs vergrößert wurde, sei wohl ein Fehler gewesen. Die Webseite des Sachs ist schon heute abgestellt.

Auch für alle, die Wert auf eine ausgewogene Ernährung legen, wird das Bermudadreieck schon bald an Attraktivität  verlieren: Auch der Rösti-Grill in der Brüderstraße steht vor dem Aus. Hier sind es jedoch familiäre Gründe, die für das Ende angeführt werden.

Werbung

Von Ohrenparks und Parkautobahnen

Die Wahl der Begriffe lässt auf eine gewisse Adlerperspektive schließen, tatsächlich aber geht es um den Blick aus fahrenden Automobilen auf das Ruhrgebiet: Ein neues Großprojekt im Rahmen von Ruhr.2010 wurde vorgestellt. Aber im Grunde geht es schon lange nicht mehr nur um die Kulturhauptstadt, sondern man legt sich planerisch direkt auf 20 Jahre fest. Ein Bericht aus Düsseldorf.

Denn im Ministerium für Bau und Verkehr stellt man die neuen Pläne an einem Dienstag im Dezember erstmalig vor. Es fehlt: der angekündigte Umweltminister Eckhard Uhlenberg. Dafür betont Prof. Dr. Oliver Scheytt zunächst einmal den einmaligen Charakter des Projektes: Zur Umgestaltung der Flächen neben der A42 arbeiten alle Anrainerkommunen von Duisburg bis Castrop-Rauxel mit RVR, den Kulturhaupstädtern und natürlich den Landesministerien zusammen. Insofern ein symbolischer Ort für die gewünschte Strahlkraft des Projektes, aber auch Zeichen für die Akzentverschiebungen, zu denen Kooperationen und Finanzlage die Ruhr.2010 zwingen. Diesmal ist man halt in Düsseldorf zu Gast, demnächst sicher auch bei dem einen oder anderen Konzern.

Zur Sache: Oliver Wittke als Bauminister erklärt die Idee, Sichtschneisen in die Ödlandschaft aus "Straßenbegleitgrün" und Lärmschutzwänden rechts und links der A42 zu reißen und von dort aus Perspektiven auf Park ähnliche Gebiete und natürlich Kultur- und Industrie(denkmal-)Standorte zu eröffnen. "Fahren als Erlebnis" und "eine Autobahn ist mehr als eine Straße" empfiehlt er der anwesenden Presse mundgerecht als Schlagwörter, verweist auf den Werbeeffekt und auch auf Studien die davon ausgehen, dass eben keine Gefahr für die Autofahrer davon ausgeht, keinen Tunnelblick mehr zu haben. Die Maßnahmen seien sogar gut, um etwaigem Sekundenschlaf entgegen zu wirken.

Oliver Scheytt schlägt mittels der Rede vom "erweiterten Kulturbegriff" und der Anknüpfung an die IBA Emscherpark schnell die Brücke zur Einordnung in’s Große und Ganze: Die sogenannte "Parkautobahn" wird verstanden als Ergänzung zum Umbau des Emschersystems, man mache die Umgebung bewusster und selbst an den "Autobahnohren" werde neuer Raum dem Leben und der Kunst erschlossen, der sonst eher leeren Flaschen gehöre. Nun wird dort ein Mäh2-D2 grasen bzw. entgrasen. "Urbane Kulturlandschaft" als neuer Leitbegriff anstelle der Orientierung an reinen Mobilitätsfragen. (Später gibt Oliver Wittke zu, dass dieser Paradigmenwechsel in seinem Ministerium für einiges an frischem Wind gesorgt hat.)

Kulturelle Wahrnehmung soll gefördert werden, und dies im Rahmen eines auf 20 Jahre Laufzeit festgelegten Masterplans, wie Prof. Dr. Karl-Heiz Petzinka erläutert, Projektleiter der Stadt der Möglichkeiten im Rahmen von 2010. Nach Einbeziehung von Landschaftsplanungsbüros und der Erteilung des Zuschlags für die Gestaltung der "Ohren" an GTL in Düsseldorf und für den "Parkblick" an die Planergruppe Oberhausen mit der Foundation 5+ Kassel sollen Wettbewerbe für einzelne Abschnitte der Strecke zwischen Duisburg und Castrop-Rauxel ausgeschrieben werden. Finanziell möglich wird dies durch Umwidmungen von Geldern zur Lärmschutzrenovierung, aus den Kommunen und vom Land, sowie durch das noch nicht in trockenen Tüchern befindliche Ökologieprogramm Emscher-Lippe. Erste Abschnitte in Bottrop sind bereits realisiert, im Januar sollen weitere Schneisen folgen, im Herbst 2009 werden dann die "Ohren", also Autobahnkreuze, renoviert.

Und die Ökologie? Es geht doch mehr um eine (sinnvolle) andere Darstellung der Region gegenüber den oft nur Durchreisenden als um Gesundheit und Nachhaltigkeit? Anscheinend wird mit Blick auf die Finanzierbarkeit auch der Umweltbegriff ähnlich gedehnt wie der der Kultur. Man betont aber, dass Schneisen und "Schaufenster" nur an entscheidenden Stellen eingerichtet würden und die Lärmbelästigung kaum höher werde. Sogenannte "Parktankstellen" würden am Rande der A42 zudem Informationen zu Kulturstätten der Region anbieten und nicht etwa Benzin verkaufen. Ein wenig klang das so, als seien nach den Kulturtöpfen nun die Ökologietöpfe dran, und die zuständigen Sachbearbeiter übten sich in sanftem Zynismus.

Nachtrag: Hier kann man schon ein wenig in die Zukunft linsen: http://www.parkautobahn.de

Chemiepark Marl: Hoffen auf Obama

Auch im Chemiepark Marl  ist die Krise angekommen. Anlagen wurden schon heruntergefahren und wenn sich nicht bald die Lage ändert droht in einigen Betrieben Kurzarbeit.

Das Jahr 2008 war für Infracor sehr erfolgreich. „Die erssehr gutdie Besten in der Geschichte des Unternehmens“, sagt Infracor-Sprecher Volker Hilbt. „Bis Ende September die Produktion bei zahlreichen Unternehmen im Chemiepark einbrach.“ Das vierte Quartal sei sehr schlecht gewesen. Infracor versorgt die Unternehmen im Chemiepark Marl mit Rohstoffen und Energie, stellt den Betrieb des Chemieparks Marl sicher und unterstützt bei Bedarf auf die Logistik der Unternehmen auf dem Gelände der ehemaligen Chemischen Werke Hüls.
Evonik Industries (früher Degussa) hat hier einen Standort mit über 7.000 Mitarbeitern aber auch Lanxess, Linde oder Vestolit sind auf dem Gelände aktiv. Insgesamt über ein Dutzend Unternehmen sorgen dafür, dass über 10.000 Menschen hier einen Arbeitsplatz finden. Die Stadt Marl plant den Chemiepark zu erweitern. Wirtschaftlich hängt das nördliche Ruhrgebiet an ihm.
Bei Infracor denken sie noch nicht an Kurzarbeit. Bei Evonik ist das anders. 

Dieter Peters, Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs Evonik im Chemiepark Marl: „Wir haben unsere Produktion zum Teil um 50 Prozent heruntergefahren.“ Bei den anderen Unternehmen im Chemierpark, das weiß er von Kollegen, sieht die Lage nicht viel besser aus. Im Moment nutzen die Evonik-Mitarbeiter im Chemiepark ihre Arbeitszeitkonten: Mit 300 Stunden kann das Unternehmen so auf Boom- und Krisenzeiten  reagieren. „Wenn es bis Februar nicht besser wird“, erklärt Betriebsrat Peters, „haben sich die Möglichkeiten der Arbeitszeitkonten erschöpft.“ Dann wollen sie noch ein paar Tage mit Fortbildungsmaßnahmen herausholen, aber Peters weiß, dass es ab Mitte Februar kaum noch ohne Kurzarbeit gehen wird, wenn bis dahin die Wirtschaft nicht wieder anspringt. Kurzarbeit, das Bedeutet für die Männer und Frauen in der Tagschicht, dass 90 Prozent ihres Gehaltes weiter gezahlt wird. Für Wechselschichtler sieht das anders aus: Sie können nur mit 60-70 Prozent ihres Gehaltes rechnen. Ihre Zulagen werden nicht angerechnet.
Für Peters ist der 20. Januar ein wichtiges Datum. Dann hält Barack Obama seine erste Rede als Präsident. „Ich hoffe er kündigt ein großes Konjunkturprogramm an und die Bundesregierung folgt ihm, damit endlich die Wirtschaft wieder anspringt.“ 
Wenn nicht, wird es für die Arbeiter und Unternehmen im Chemiepark Marl im Frühjahr ernst.

 

Gericht stützt Zwergfraktionen in den Räten

Das Landesverfassungsgericht hat einer Klage der Ökologisch Demokratischen Partei  (ÖDP) statt gegeben. Nun wird es in den  Räten weiter Mini-Fraktionen und Einzelkämpfer geben.

Die ÖDP hatte dagegen geklagt, dass eine Partei, wenn sie bei der Wahl nur 0,99 Prozent der nötigen Stimmen für einen Ratssitz keinen bekommt, aber bei 1,51 Prozent der für einen zweiten Sitz nötigen Stimmen zwei. Das Landesverfassungsgericht hat der Klage der ÖDP heute Recht gegeben – das Land muss diese im letzten Jahr gemacht Änderung des  Wahlrechts wieder zurücknehmen.

Damit wird eine Entwicklung weiter gehen, die mit dem Ende der Fünf-Prozent-Hürde 1999  begann.  Gegen die Fünf-Prozent-Hürde in den Räten bei den Kommunalwahlen hatten damals die ÖDP und die PDS erfolgreich geklagt. In den Räten finden sich seitdem eine Vielzahl von Einzelkämpfen und Mini-Fraktionen mit nur zwei Mitgliedern. In den Räten von  Bochum, Recklinghausen und  Marl sind sieben Fraktionen und Grüppchen im Rat und in vielen Städten sieht es nicht viel anders aus. Auch die NPD verdankt ihren Sitz in der Bezirksvertretung Wattenscheid dem Wegfall der 5-Prozent-Hürde.

 Was auf den ersten Blick gut klingt – die genauere Abbildung des Bürgerwillens in den Parlamenten – ist im politischen Alltag ein Problem: Die Minis sind kaum in der Lage sich durch die gesamten Vorlagen durchzuarbeiten, oft sind sie nicht in den Ausschüssen vertreten, die ja deutlich kleiner sind. Dort findet allerdings die politische Diskussion statt.

Und noch etwas kommt hinzu: In den Räten wird es immer schwieriger, stabile Mehrheiten zu organisieren.  Die Abstimmung mit wechselnden Mehrheiten klingt nur am grünen Tisch gut. In der Praxis bedeutet sie häufig, dass es Mehreiten für Ausgaben und schöne Projekte gibt, aber niemand für Kürzungen und Streichungen verantwortlich sein will. Ich habe über viele Jahre zersplitterte Räte erlebt und kann Gelsenkirchens OB Frank Baranowski gut verstehen, der neue Sperrklausen fordert. Durch das Urteil des Verfassungsgerichtes sind sie erst einmal in weite Ferne gerückt.

RWE-Mitarbeiter kriegen mehr Geld

Beim RWE ist ein neuer Tarifabschluss zum Greifen nah. Mitten in der Finanzkrise einigte sich bereits am Freitag der RWE-Konzern mit seinen Arbeitnehmern auf eine Lohnerhöhung von vier Prozent ab 1. Januar. Dazu kommt eine Einmalzahlung in Höhe von 1200 Euro an alle 24.000 Mitarbeiter, die unter den Haustarif fallen. Für das darauf folgende Jahr einigten sich die Tarifparteien bereits jetzt auf eine Lohnanpassung in Höhe von 2,2 Prozent. Dazu kommt eine weitere Einmalzahlung in Höhe von 800 Euro. Der Vertrag soll eine Laufzeit von zwei Jahren haben.

Schon Morgen soll die große Tarifkommission dem Verhandlungsergebnis zustimmen. Die Gewerkschaft Verdi wollte das Ergebnis zunächst nicht kommentieren. Auch der Konzern wollte noch nichts sagen.Die Energieversorger EnBW und E.on führen erst wieder Ende 2009 Tarifverhandlungen. Beim Konzern Vattenfall lehnten die Gewerkschaften IG BCE und Verdi ein erstes Angebot als zu gering ab.

Werbung

Plogbar im Konkret

Heute ist wieder alles ganz normal bei der Plogbar

Das größte regelmässige Bloggertreffen des Ruhrgebiets findet um 19.00 Uhr im Café Konkret im Bochumer Bermudadreieck statt. Die letzten beide Male fand die Plogbar im Café Zentral statt – Raucher wurden dort bei Frost vor die Tür getrieben – oder nach einem Besuch des Weihnachtsmarktes. Ebenfalls eine kalte Angelegenheit.  

Ein Blick in den Abgrund des Ruhrgebietes

Ein Nazi hat in Passau einen Polizisten abgestochen. Eine neue Dimension der rechten Gewalt? Fern ab in Bayern? Ich musste an einen Fall in Bochum denken, in dem Männer aus dem rechten Milieu abscheuchliches taten. Mitten im Ruhrgebiet. Ich habe das Verbrechen aus dem Jahr 2002 rekonstruiert.

Wir sehen auf einem Foto ein kahles Zimmer in einem unscheinbaren Bochumer Neubau. Ruhrgebiet. Stil: späte 80er Jahre. Einige Poster hängen an der Wand. Mit Sorgfalt schief aufgehängt. Vor einer unbezogenen Matratze liegen auf einem grauen PVC-Boden zwei Ikea-Flickenteppiche, Modell "Jeksen", Stückpreis: 2,95 Euro. Ein aufgeräumtes Zimmer, nur in der Küche lehnt eine blaue Mülltüte mit zwei Dutzend leeren Bierdosen an der Heizung.

Auf dem Boden ist noch ein dunkler Fleck zu sehen, in der linken hinteren Ecke, zwei Handbreit über dem Teppich "Jeksen". Auf der blanken Matratze, eine Armlänge unter dem Kopfkissen, befinden sich weitere dunkelrote Flecken.

Auf dem zweiten Tatortfoto der Bochumer Kriminalpolizei liegt die Matratze am unteren linken Bildrand. Man sieht jetzt, dass es eine Doppelmatratze ist, über die zwei Decken geworfen sind. Durch die gläserne Balkontür erkennt man das Nachbarhaus, einen schmucklosen Altbau in einem Bochumer Arbeiterviertel. In der Mitte des Fotos stehen ein abgewetztes Sofa und ein Wohnzimmertisch, darunter eine Tüte mit leeren Bierdosen. Auf dem Boden drei weitere Ikea-Teppiche "Jeksen". Zwischen Sofa und Balkontür eine alte Box mit Holzrahmen, darauf ein neuere Aktiv Box.

Die Flecken sind Spuren. Getrocknetes Blut von Andreas M., einem 26-jährigen Arbeitslosen in dieser Wohnung zu Gast war. Andreas M. – korpulent, gut eins-neunzig groß, dunkelhaarig, rund, mit weichem Gesicht – wollte hier ein paar Bier trinken und kiffen. Mieter der Einzimmerwohnung ist Ralph K., ein 27-jähriger arbeitsloser Skinhead.

Nach Angaben des amtlichen Wetterberichts zog am 5. November 2002, einem Dienstag, eine schwache Kaltfront durch das Ruhrgebiet, die Temperatur fiel in der Nacht auf zwei Grad. Andreas M. kam an jenem Abend mit zwei Bekannten in die Wohnung von Ralph K. Insgesamt befanden sich dort sieben Personen. Ralph K. hatte gesagt, dass eine Party steigen solle. Auch Christian J. war anwesend, ein arbeitsloses Ex-Mitglied der NPD, fast zwei Meter groß, mit blanker Glatze und großen Händen, in der Bochumer Obdachlosenszene "der Lange" genannt. Die Freundinnen von Ralph K. und Michael B., zwei Mädchen mit blond gefärbten Strähnen, saßen auf dem Sofa.

Andreas M. lebt in der "Pappschachtel", einem Heim für obdachlose Jugendliche im Osten Bochums. Ab und zu hat Andreas M. dort für die Skinheads Spagetti gekocht, wenn sie irgendwelche Bekannte in der "Pappschachtel" besuchten. Dafür wolle er sich bedanken, sagte Ralph K., als er Andreas M. zu sich nach Hause einlud. Auf dem Boden stand eine Palette Halbliterdosen Bier, auf dem Wohnzimmertisch härterer Stoff; jemand drehte einen Joint.

Die Tatabfolge lässt sich aus Zeugenaussagen, Ermittlungsergebnissen der Bochumer Kriminalpolizei sowie den Geständnissen von Ralph K. und Michael B. rekonstruieren.

Die Musik war laut. Nach ein paar Bier stieß Andreas M. gegen die übereinander gestellten Boxen neben der Balkontür. Sie fielen um. Ralph K. schlug seinem Gast Andreas M. daraufhin ohne Warnung mitten ins Gesicht. Die Nase platzte auf, Blut spritzte auf den Boden.

Die Nachbarn von Ralph K. kannten diesen Lärm. Niemand dachte an etwas Schlimmes. "Der hat nachts immer so laute Krachmusik gehört", sagt ein blonder Mann mit polnischem Akzent aus der Wohnung nebenan. "Ich wollte mich schon beschweren." Pause. "Hab ich zum Glück aber nicht gemacht." Im Flur riecht es nach Reinigungsmitteln und Knoblauch.

Auf dem dritten Tatortfoto sind hinter dem Sofa Schlieren an der weißen Wand zu sehen. Sie ziehen sich in Kopfhöhe um die Ecke und sinken in weitem Bogen bis auf die Fußleiste hinab. Nach den ersten Schlägen zwingt Ralph K. seinen Gast Andreas M. in diese Ecke. Dann schlägt er mit der Faust zu. Immer wieder. Blut spritzt aus den aufplatzenden Augenbrauen, aus der Nase, aus dem Mund auf die Raufasertapete. Andreas M. geht in die Knie. Die Mädchen auf dem Sofa lachen. Die beiden Bekannten von Andreas M. grölen, trinken weiter Bier. Sie werden applaudierende Zeugen der Gewaltorgie.

Ralph K. tritt seinem Opfer in den Bauch. Sein Freund Michael B. gibt die Befehle. "Es muss Blut fließen", soll er verlangt haben. Ohne Grund. Andreas M. bricht zusammen, liegt auf dem Boden. Ralph K. tritt weiter zu. Andreas M. macht sich in die Hosen. Die anderen im Zimmer riechen das. Hektisches Lachen. "Das Schwein", soll Ralph K. gerufen haben. Er sieht jetzt einen Grund weiterzuprügeln. Zwischendurch öffnet sich der Schläger immer wieder ein neues Bier. Andreas M. liegt wimmernd am Boden. Ein neuer Tritt. Pause.

Ralph K. und Michael B. nennen das, was sie taten, eine "Prügelparty". Es war nicht ihre erste: Gemeinsam mit dem ehemaligen NPD-Mitglied Franz S. luden sie flüchtige Bekannte in ihre Wohnungen, um sie dort zu quälen. Ausgestoßene Menschen, Sozialhilfeempfänger und Obdachlose. Sie schlugen ihnen die Schneidezähne aus, zwangen sie, verfaulte Lebensmittel zu schlucken, oder warfen ihnen Schränke auf die Schienbeine. Insgesamt konnte die Kriminalpolizei Bochum sechs "Prügelpartys" ermitteln. "Es ging ums Demütigen", sagt Franz S. später.

Nach einer, vielleicht auch zwei Stunden können Ralph K. und Michael B. den Kotgestank in der Wohnung nicht mehr ertragen. Sie wollen, dass sich ihr Opfer wäscht.

Andreas M. schleppt sich ins Badezimmer, zieht sich aus. Aus seiner Nase tropft Blut. Nachdem er sich gewaschen hat, muss er nackt in das Wohnzimmer zurückkehren und sein Blut von der Wand wischen. Das Blut zieht Schlieren über die Raufasertapete.

Die Augen von Andreas M. sind zugeschwollen, er kann seine johlenden Peiniger kaum erkennen, die auf dem Sofa Bier trinken. Ralph K. und Michael B. drücken ihm eine Wasserflasche in die Hand. Andreas M. muss sich diese Flasche in den After schieben, dann den Flaschenhals ablecken. Danach verlangt Michael B. von Andreas M., sich im Schneidersitz auf einen der Teppiche zu hocken und zu onanieren. Wie ein gefangener, seelisch kaputter Affe im Käfig. Die anderen lachen. Weil Andreas M. nicht sofort ejakulieren kann, schlägt Michael B. ihn ins Gesicht. Andreas M. muss weiter onanieren, Blut läuft über seinen Mund. Die Skinheads schlagen ihr Opfer auf dem Teppich ohnmächtig.

Michael B. schläft mit seiner Freundin auf dem Sofa. Ralph K. legt sich mit seiner Freundin auf die unbezogene Matratze. Die beiden anderen Bekannten von Andreas M. schlafen auf dem PVC-Boden. Der stöhnende Andreas M. wacht zusammengekrümmt hinter dem Sofa auf. Er will gehen. Die Tür ist abgeschlossen.

Am nächsten Morgen kocht Ralph K. in der kleinen Küche auf einer der beiden Herdplatten Kaffee und gibt ihn Andreas M. zu trinken. Dann schmeißt er ihn aus der Wohnung.

———

Nachtrag: Nach einer Woche traut sich Andreas M., bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Die sechs "Prügelpartys" der Skinheads Ralph K., Michael B. und Franz S. wurden 2003 vor dem Landgericht Bochum verhandelt. Ralph K. wurde zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zur sofortigen Einweisung in eine geschlossene psychiatrische Anstalt verurteilt. Franz S. wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nach zwei Jahren kann er in eine geschlossene Trinkerheilanstalt überstellt werden.