Grafik: Robert Amsterdam / Pancho
Manchmal frage ich mich ob die Russen überhaupt ahnen, wie sehr sie sich mit dem Gasstreit mit der Ukraine ins Knie geschossen haben. Das Land gilt heute als unzuverlässig, als Diktatur und gieriger Gasbüttel. Mein Gott.
Vergangene Woche war ich bei E.on Ruhrgas. Dort sagten die Chefs, dass sie überlegen würden, Gazprom zu verklagen, um die Zahlungsausfälle ersetzt zu bekommen. Außerdem würden sie in Zukunft eher auf Flüssiggasimporte setzen, als auf Pipelinengas aus dem Osten. Und überhaupt, es sei schon klar, dass das Image der Russen als verlässlicher Partner gelitten habe.
Hallo? E.on Ruhrgas war bis vor wenigen Woche der beste Partner der Russen in Westeuropa. Jetzt die Abkehr.
Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass E.on Ruhrgas das Gas aus dem sibirischen Feld direkt am Bohrloch an Gazprom verkaufen muss. Ein eigenes grenzüberschreitendes Geschäft? Njet!
Dabei hatte E.on Ruhrgas monatelang um die Beteiligung gerungen und schließlich sogar seinen Anteil an Gazprom selber teilweise aufgegeben, nur um das Feld in Sibirien zu ergattern.
Ohne den Gasstreit wäre E.on Ruhrgas sicher immer noch auf Seiten der Russen.
Aber so richtig sichtbar wurde der offene Bruch zu Russland erst in Ungarn.
Ich war Anfang der Woche in Budapest. Im Parlament. Ein Saal aus Gold und Stuck und Kandelaber. Satte Holzbänke, grüne Filztische, Filzteppich und Säbeltragende Paradesoldaten vor der verbogenen Stephanskrone.
Hier saßen die Delegationen aus rund einem duzend Staaten. Drängten sich auf den Bänken, drängte sich in den Fluren. Sprachen verschiedenen Sprachen und hatten von den USA, Aserbajdschan, Ungarn über Österreich bis Ägypten doch nur ein Ziel: Einen Weg für das Gas an Russland vorbei aus Asien zu schaffen. Und mittendrin die EU.
Diese Konferenz war das direkte Ergebnis russischer Gaspolitik in der Ukraine.
Niemand will frieren, weil die beiden großen Brudervölker der Slawen sich wieder mitten im Winter zanken. Das sagten hier alle.
In Budapest – in dieser spannenden und wunderschönen Stadt aus Jugendstilhäusern, Vergangenheit und Zukunft wurde der Bau der Gaspipeline Nabucco von Zentralasien nach Europa besprochen. Eine Energieleitung, die helfen soll, die Abhängigkeit von Russland zu mildern, ohne die Partnerschaft zu beenden.
Wegen der Gaskrise soll der Bau der Leitung beschleunigt werden – das ist der feste Wille der Europäischen Union, das sagte der Vorsitzende des Europäischen Rates, Tschechiens Ministerpräsident Mirek Topolanek. Sowohl die Finanzierung als auch die Planungen müssten so schnell wie möglich abgeschlossen werden. Und dabei bezog sich der Erste Vertreter Europas konkret auf die gerade überstandene Gaskrise. Topolanek sagte: „Die Krise kann jederzeit wieder ausbrechen und beim nächsten Mall kann es schlimmer werden.“
Seiner Ansicht nach kann die Pipeline Nabucco Entlastung schaffen. Sie würde Europa unabhängig von Russland Zugang zu Gaslagern am Kaspischen Meer verschaffe.
Die Baukosten der 3300 Kilometer langen Leitung werden auf 7,9 Mrd Euro geschätzt. An dem Projekt sind Unternehmen aus sechs Ländern beteiligt. Auf deutscher Seite ist der Energiekonzern RWE engagiert.
"Die Gaskrise hat die strategische Bedeutung dieses Projektes für Europa deutlich gemacht“, sagte Topolanek weiter. „Die Freiheit der Union ist eine Illusion, wenn es nicht gelingt, die Energieunabhängigkeit zu bewahren.“
Der EU-Ratsvorsitzende griff Russland nicht direkt an. Er sagte aber, Gazprom gefährde die „Freiheit des Marktes“, wenn der Konzern die Zugänge zu Gaslagerstätten blockiere.
Unterstützung bekam der EU-Ratschef von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. „Die Gaskrise hat unsere Verletzlichkeit gezeigt.“ Deshalb müsse Europa jede erreichbare Quelle aufschließen. Er hoffe, dass schon 2015 über Nabucco Gas nach Europa fließen werde, sagte Barroso.
Die Finanzierung des Projektes scheint weitgehend gesichert. So versprach der Präsident der Europäischen Investitionsbank, Philippe Maystadt, öffentlich bis zu 25 Prozent der Investitionskosten zu übernehmen. Weiter sei es möglich, Garantien für Kredite auszustellen, wenn Investoren dies wünschten. Selbst eine Vorfinanzierung der Projektkosten aus europäischen Fördertöpfen in Höhe von 200 bis 300 Mio Euro scheint möglich.
Auch die Zulieferungen zur Nabucco-Pipeline scheinen zunächst gesichert. So versprach Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew, die anfänglich benötigte Menge Gas alleine bereitzustellen. Im Gegenzug erwartet Alijew eine politische Annäherung an die EU. „Wir wollen eine Partnerschaft auf allen Ebenen“, sagte Alijew. Zu Sowjetzeiten sei sein Land nur als Rohstofflager ausgebeutet worden.
Alijew bekommt bei seiner Orientierung nach Westen Rückendeckung von den USA. Ein Stellvertreter von US-Aussenministerin Hillary Clinton sagte: "Wir unterstützen das Projekt auf allen Ebenen." Es sei notwendig, die Energieversorgung der freien Staaten und der Verbündeten der USA zu sichern. Dann fühlten sich auch die USA sicherer, selbst wenn sie niemals einen Kubikmeter Gas aus der Pipeline beziehen würden.
Die Betreiber des Projektes suchen neben der Vereinbarung mit Aserbaidschan mittelfristig Lieferbeziehungen mit dem Irak, Kasachstan und Turkmenistan, um die Vollkapazitäten der Nabucco in Höhe von 31 Mrd Kubikmeter jährlich zu erreichen.
Selbst an Gasabkommen mit dem Iran wird schon gedacht.
Es fehlt nur noch ein Transitabkommen mit der Türkei. Bislang wollten die Türken 15 Prozent der Nabucco-Kapazitäten selber nutzen. Nach intensiven Verhandlungen in Brüssel zeigte sich die Türkei jetzt allerdings bereit, auf diese Forderung zugunsten eines Kompromisses zu verzichten. Das Land sei auch in der Lage, einen Teil der Bezüge über eigene Leitungen abzuwickeln, hieß es. Auch der Export über diese Leitungen sei möglich, etwa wenn es darum gehe den Bau der Nabucco-Linie zu beschleunigen.
Bis zum 7. Mai sollen nun die betroffenen Staaten die erforderlichen Genehmigungen für das Nabucco-Projekt erteilen. Der Bau könnte dann noch in diesem Jahr beginnen. Der für das Projekt verantwortliche RWE-Manager, Stefan Judisch, sagte: „Wir haben keinen Zweifel daran, dass Nabucco kommen wird.“
Die Nabucco-Pipeline ist sicher das spannendste Energieprojekt Europas derzeit. Und es war toll an der Konferenz in Budapest dabei zu sein und mitzuerleben, wie sich Europa in einem Projekt einigt.
Und es war klar zu sehen, dass sich Gazprom und Russland ins Abseits manövriert haben. Da helfen keine Werbemillionen für Schalke.
Ich hoffe nur, wir kriegen die Russen irgendwann wieder raus aus dieser Ecke, in die sie sich selbst gestellt haben.
Genauso hoffe ich, Russland wird eines Tages wieder frei.