Brausers Besserverdiener brauchen mehr Geld

Als Hanns-Ludwig Brauser (SPD) im Regionalverband Ruhr zum Chef der Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH (wmr) gewählt werden sollte, waren die Grünen dagegen, die CDU, die FDP, die Linken von der PDS. Eigentlich alle waren dagegen – nur die SPD nicht, und auch nur deswegen nicht, weil ihr oberster Chef Gerhard Langemeyer (Dortmunder OB, auch SPD und hier schon öfter erwähnt) aus irgendeinem Grund lieber an H-L Brauser festhielt, als an der Koalition mit den Grünen. Jetzt hat Brauser bewiesen, warum die Kritik damals an ihm berechtigt war. Wieder laufen dem Funktionär die Personalkosten aus dem Ruder.

Hanns-Ludwig Brauser vor komischen Bild. Copyright: privat

Bereits bei seiner Berufung ins RVR-Amt befürchtete die Opposition nämlich, die Probleme Brausers aus seiner Arbeit als Geschäftsführer der landeseigenen Projekt Ruhr GmbH (PR) könnten sich wiederholen. Unter seiner PR-Ägide waren nämlich Aufträge nicht ordentlich ausgeschrieben worden und es wurde Geld verschleudert. Der Landesrechungshof ermittelte und ein Untersuchungsausschuss tagte. Brauser stand im Zentrum eines der peinlichsten Skandale, der schließlich auch zum Ende der SPD-Ära in NRW beitrug.

Nur dank des Verhandlungsgeschicks von OB Langemeyer schlucken die Grünen am Ende die Kröte Brauser. Dafür hielt dann auch im Gegenzug die rot-grüne Koalition im Regionalverband (RVR).

Vergangenheit bis dahin. Nun wirkt also der alte SPD-Fahrensmann Brauser zum Segen und zum Wohle des gesamten Ruhrgebietes als Geschäftsführer der wmr.

Wieder werden Millionen an Euro aus öffentlichen Fördertöpfen verblasen. Eine so genannte Evaluation, mit der die Ergebnisse dieses Geldschleuderns überprüft werden könnte, hat Brauser gemeinsam mit Kollegen im RVR lange hinter den Kulissen energisch bekämpft.

Dabei gibt es schon wieder Nerviges zu berichten. Im August wollte Brauser für seine Gesellschaft neben den Fördermitteln vom RVR 128.000 Euro auf die Tasche haben. Er sagte, dieses Geld sei halt nicht förderfähig, werde aber für die Arbeit gebraucht.

Nun stellte sich am vergangenen Jahresende heraus: Brauser braucht schon wieder einen Nachschlag, "weil die damalige Berechnung der nicht förderfähigen Kosten nicht auskömmlich war". Jetzt könnte ich beckmesserisch sagen, das war für mich kein Wunder: dieses Szenario zeichnete sich nach dem Brauser-Verhalten bei der Projekt Ruhr GmbH ab.

Noch schöner wird es im Detail. Und zwar sind Brausers Zahlen wie schon bei der Projekt Ruhr vor allem bei den Personalkosten aus dem Ruder gelaufen.

OK, es geht insgesamt nur um einen zusätzlichen Mehrbedarf von 75.000 Euro. Aber verdammt, auch das ist Geld der Bürger und gehört nicht einfach verballert.

Zum Beispiel sind Mehrkosten entstanden, weil Brauser in der wmr nicht den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TV-ÖD) anwendet, wie er im RVR gilt, sondern den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).

Konkret heißt das: Ein Kerl der Gehaltsgruppe 15 Entwicklungsstufe 3 bekommt ins Brausers Schuppen 4015 Euro ohne Zuschläge. Im RVR bekäme der gleiche Kerl wegen des schlechteren Tarifvertrages 3900 Euro.

Weil das Land diese Besserstellung der Brauserianer in einer Tochterfirma des RVR nicht einsieht, bekommt der Wirtschaftsförderer für die Mehrlöhne keine Förderkohle aus den Landestöpfen. Und deshalb muss nach der herrschenden Brauserlogik nun der RVR die Lohndifferenz zahlen. Alles klar?

Die Angestellten bei der Mutter kriegen weniger, dafür soll die Mutter der Tochter mehr Taschengeld geben, weil die Tochter ihre Leute besser stellen will.

Ist das eine Neid-Debatte? Nein, ich finde nicht. Auch wenn es im Verhältnis nur um wenig Geld geht, ist die Überbezahlung doch ein Symbol. Und dieses Zeichen spricht folgendes: Die RVR-Leute sind Nieten, die ruhig weniger Kohle kriegen können. In der wmr dagegen wird tolle Arbeit geleistet, die besser bezahlt werden muss.

Diese Ungleichbehandlung kann einen Beobachter aufregen, weil die bessere Arbeit in der wmr rundweg zweifelhaft ist. Aber auch die Beschäftigten des RVR dürfen sich ärgern. Ihre Leistung wird von ihrer eigenen Führung minderbewertet.

Aber wo tut diese Ungleichbehandlung eigentlich dem RVR weh?

Zunächst wird natürlich Geld der Steuerzahler unnötig verpulvert. Aber ich glaube, darüber regen sich nur so Leute wie ich auf, die noch nie in eine Vereinskasse gegriffen haben, dies nie tun werden und Typen verabscheuen, die das tun.

Im RVR wird der Etat der Route der Industriekultur belastet, weil "hier die geplanten Mittel für das Besucherzentrum nicht komplett im laufenden Haushalt verwendet werden." Auf den Punkt gebracht heißt das: Die Besserverdiener aus der wmr belasten den ohnehin schmalen RVR-Kulturetat. Super!!

Interessant ist dabei nebenbei, dass aus dem gleichen Topf der Route der Industriekultur auch das Rechtsgutachten von Taylor Wessing bezahlt wird, indem die Frage geklärt werden soll, wer eigentlich die Millionen-Schäden bezahlen muss, die Stümper in der Abfallentsorgungsgesellschaft Ruhrgebiet (AGR) angerichtet haben. Wieder über 125.000 Euro weg aus dem Kulturtopf.

Damit Schluss der Geschichte? Nein, natürlich nicht. Wie in jeder Serie gibt es einen so genannten Cliffhanger. Eine Szene, die den Beobachter auch weiter fesseln soll.

So kündigt Brausers wmr in einer Vorlage für die Dezembersitzung des RVR-Parlamentes schon mal vorsorglich an, dass, um Liquiditätsengpässe zu vermeiden, neue Vorschüsse auf den 2008er Haushalt unter Umständen gezogen werden müssten.

Dabei geht es um Brausers eigenes – übrigens verdammt üppiges – Salär.

Dieses sei nämlich noch nicht bis Anfang Dezember, wie versprochen, von der Staatskanzlei erstattet worden. Ach ja, schuld sind ja immer die anderen.

So steht es geschrieben. Hugh.

P.S. Die 10.000 Euro, die der Aufsichtsrat der wmr wegfrisst, sind übrigens auch nicht förderfähig und werden vom RVR berappt.

P.P.S. Nocheinmal 15.000 Euro "für Rechtsberatungen" hat Brauser in seiner Aufstellung für die Kostenberechnung einfach in der Addition vergessen. Es handele sich um einen "Rechenfehler", heißt es. Wer bei kleinen Beträgen irrt, macht kleine Fehler, wer bei großen Beträgen irrt, baut Riesenscheiße und wird befördert.

 

Spardosen: Neues aus Vogelheim

Das Spardosen-Terzett ist eine verdammt gute Kombo aus Essen. Wir freuen uns, dass die Kollegen uns ein paar Songs gegeben haben, die wir hier präsentieren. Man kann die Lieder bei iTunes kaufen oder mitsamt der CD auf der Seite der Spardosen bestellen: klack

 

Auf Startplatz Nummer 1: Bis die Flut kommt

 

Auf Startplatz Nummer 2: Mia hams da Franz

 

Auf Startplatz Nummer 3 das beliebte: Ruhr hoch n

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Eine Vorahnung aus der Virenhölle

Meine Herren, ich war komplett weg. Ein paar Tage mit dem Norovirus auf Du und Du. Alle – die ganze Familie. Jetzt kann ich mir verdammt ausmalen, wie die nächste Epedimie wird, sollte sie mal ausbrechen, Vogelgrippemäßig mein ich. Einer nach dem anderen am Kotzen, am Sche…. die ganze Zeit, mitten in der Nacht Betten wechseln, Kinder duschen, nicht schlafen, umfallen, aufwachen, keine Zeit, Essen zu kaufen, zu kochen, Nachbarn krank. Einer nach dem anderen. Als gebe es kein Morgen. Oma krank, Opa krank. Onkel krank. Beim Norovirus ist der Spuk nach ein paar Tagen vorbei, meistens. Man kann sich wieder anstecken. Dann geht es wieder los, nach ein paar Tagen. Ich bin heute zum ersten Mal seit Langem wieder am Schreiben. Mein Urlaub ist komplett kaputt. Am Ende, Feierabend.

Wenn die Vogelgrippe kommt, wird die Krankheit länger dauern und härter sein. Menschen werden sterben. Das Revier wird apokalyptisch zusammenbrechen. Der Norovirus ist die Ahnung dessen, was kommt. Wie ein Herbstwind im Vergleich zum Winterorkan.

Ich habe heute jedenfalls für mich und meine Leute Tamiflu besorgt. Genügend für den großen Ausbruch. Ich hoffe das Zeug macht nicht wahnsinnig. Aber ich hab wenigstens was, was ich einschmeißen kann, um der Hölle zu entgehen.

 

Umweltzone-Ruhr kommt?

Die drei Regierungspräsidien, die das Ruhrgebiet steuern, haben einen Vorschlag zu einer Umweltzone vorgelegt. Das hat der RVR schon vor einem Jahr gemacht, aber dass das Thema so lange liegen geblieben ist, gilt einigen wohl erneut als Beweis, wie toll es ist, dass eine Region mit über 5 Millionen Einwohnern sich nicht selbst regiert, sondern sich in den Händen von einem Provinzkaff und zwei Karnevalshochburgen befindet – oder waren es zwei Provinzkäffer und eine Karnevalshochburg? Nun sind Wetten erlaubt, wer wohl als Erster gegen das Vorhaben protestiert, und es zu Fall bringt. Es gelingt sicherlich, dafür zu sorgen, dass das Ruhrgebiet die letzte Region mit einer Umweltzone in Deutschland wird.

Jetzt auch Grüne für Bootcamps

Die Diskussion um den Umgang mit jugendlichen Gewalttätern zieht immer weitere Kreise. Jetzt sind auch die Grünen für die Errichtung von sogenannten Bootcamps für junge Schläger. Ein erstes Lager soll in der Nähe des Silbersees in Haltern entstehen. In das Projekt sollen die jahrzehntelangen Erfahrungen mit einem anderen Jugendlager einfließen, das jährlich in Moers stattfindet und sich nach außen hin als Jazzfestival tarnt.

 

Ende des Bergbaus 2: Mythos Bergmann

Es muss so Ende der 90er Jahre gewesen sein, als ich für das MARABO eine Geschichte über Jugendliche schrieb, die eine Ausbildung bei der DSK begonnen hatten. Dass der Bergbau seinem Ende entgegen ging, war damals längst klar, und dass er für Jugendliche keine langfristige Perspektive bieten würde, sowieso.

Also rief ich bei der Pressestelle der DSK an und bat um die Vermittlung eines Gespräches mit mehreren Auszubildenden.
„An wen hatten Sie denn so gedacht?“, fragte der Kollege von der Pressestelle, und ich erklärte, dass ich gerne mit vier bis fünf Azubis aus verschiedenen Berufsfeldern reden wollte.
Der Mann von der Pressestelle war erleichtert. „Wissen Sie, die meisten Ihrer Kollegen wollen nicht einfach Azubis sprechen, sondern am liebsten welche, die aus Familien kommen, die schon in der fünften Generation unter Tage sind.“ Und die gebe es nun einmal nicht so oft.
Das konnte ich mir ebenso gut vorstellen, wie es mit schwer fiel, an die großen Pütt-Dynastien mit ihrer Liebe zum Bergbau zu glauben. Denn ich stamme selbst aus einer Bergarbeiterfamilie, und alle meine Vorfahren wollten immer nur eins: Raus aus der Zeche.
Mein Urgroßvater mütterlicherseits kam nach Ende des Ersten Weltkriegs aus Wuppertal ins Ruhrgebiet, weil es für ihn als Färber keinen Job mehr gab. Er fuhr einmal unter Tage und schwor sich dann, dass weder er noch seine Söhne jemals dort unten arbeiten sollten. Er selbst hat es geschafft und schaffte auf einer Zeche in Lünen im Maschinenhaus. Seine Söhne machten alle eine Lehre außerhalb des Bergbaus, mussten aber dann doch runter: Es gab keine anderen Jobs für sie. Mein Großvater war mit 13 das erste Mal unter Tage und hatte auch schnell die Schnauze voll. Er versuchte sich als Fuhrmann und später als Lastwagenfahrer. Nach dem Krieg, dem zweiten, gab es auch  für ihn nur noch eine Jobmöglichkeit: Hauer.
Viele meiner Freunde, ich bin Jahrgang 64, hatten Väter im Bergbau. Jeder von ihnen nahm die erste Gelegenheit wahr, einen anderen Job zu ergreifen. Den viel zitierten Bergmannsadel mag es in Einzelfällen gegeben haben, aber er war immer eine Ausnahme. Bitte nur einmal kurz nachgedacht: Wer kriecht freiwillig auf allen Vieren bei über 30 Grad und Explosionsgefahr durch niedrige Stollen mit dem Wissen, dass ein Kilometer Erdreich nur darauf wartet, auf ihn hinunterzukrachen? Eben – Bergmann wurde man aus Mangel an Alternativen, aus Angst vor dem Elend und nicht aus Spaß oder Hingabe an einen Mythos.
Übrigens: Von den jugendlichen Azubis, die ich interviewte, wollten alle bis auf einen nach der Ausbildung das Fachabi machen und dann studieren. Nur einer von ihnen schwärmte vom Beruf des Bergmanns: Ein Junge, dessen Eltern erst zwei Jahre zuvor von Köln nach Dorsten gezogen waren. Bergmann war sein Traumberuf von Kindheit an – er hatte keinen Opa, der ihm die Flausen aus dem Kopf treiben konnte.

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Teil 2: ?Über Kooperationen und Aufgabenteilung nachdenken?

Teil 2 des Interview mit Frank Baranowski  – Hier geht zu Teil 1

?: Aber  unter der SPD geführten Landesregierung  unterschied sich  die Schuldenpolitik  zwischen den Regierungspräsidien auch.

Baranowski: Das ist mir schon klar. Aber die Landesregierung bestimmt die Politik, eine Bezirksregierung ist in diesem Zusammenhang die der Regierung nachgeordnete Behörde. Politik wird bei der Landesregierung gemacht. Und da stellt sich auch die Frage, welchen Ermessensspielraum man einer Stadt einräumt.

?: Oberhausen hat doch eine Wette auf die Zukunft gemacht: Schulden wurden aufgenommen, es wurde investiert und am Ende ging die Rechnung nicht auf.

Baranowski: Machen wir uns nichts vor: Es ist absehbar, wann die nächsten Städte in die Pleite laufen. Oberhausen ist doch kein Sonderfall. Der Kreis Recklinghausen klagt doch nicht umsonst gegen das Gemeindefinanzierungsgesetz. Wir brauchen eine bessere Finanzausstattung der Kommunen, sonst kommen wir alle in vergleichbare Situationen wie Oberhausen.

?: Vielleicht ist es ja auch ein Fehler, dass es im Ruhrgebiet so viele eigene Städte mit all ihren Verwaltungen und Kostenapparaten gibt. Viele Städte schrumpfen und haben doch gar keine Chance mehr, allein zu überleben. Warum legen wir, wenn es schon nicht zu einer Ruhrstadt kommt, nicht ein paar Städte oder zumindest Institutionen zusammen?

Baranowski: Ich bin sehr dafür, über Kooperationen und Aufgabenteilung nachzudenken. Dazu gehört aber mehr als Politiker und Bürgermeister, dazu gehört ein gesellschaftlicher Konsens. Was würde denn passieren, wenn wir nur im Kulturbereich die Aufgaben der Städte untereinander verteilen würden? Die einen machen ein tolles Konzerthaus, andere Museen, ein Dritter konzentriert sich auf Theater. Ich könnte Ihnen jetzt schon sagen, wer alles aufschreien würde und wie die veröffentlichte Meinung dazu wäre. Alle lokalen Medien würde laut aufschreien und sagen: „Das ist der kulturelle Ausverkauf !“ – und auf anderen Handlungsfeldern wäre es doch nicht anders.
Solange das aber so ist und es nicht als eine Bereicherung des gesamten Ruhrgebiets gesehen wird, wird es auch keine Zusammenlegungen und keinen Verzicht geben. Wir sollten mehr über Aufteilung sprechen, aber dazu gehört, dass nicht derjenige, der den ersten Schritt in dieser Richtung macht, an den Pranger gestellt wird – und das wird so kommen. Nehmen sie das Beispiel DFB-Fußballmuseum. Da stehen Dortmund und Gelsenkirchen im Wettbewerb miteinander – wissen Sie, was passiert, wenn sich eine Stadt freiwillig zurückzieht?

?: Ich möchte es mir in diesem Fall noch nicht einmal ausmalen. Was aber wäre denn, wenn nicht Dortmund oder Gelsenkirchen, sondern das Ruhrgebiet sagen würde: Wir wollen das Fußballmuseum, das sind unsere Standorte und jetzt wähle aus, DFB?

Baranowski: So ein Verfahren fände ich gut, aber das ist nicht in allen gesellschaftlichen Gruppen akzeptiert, dass, wenn das Ruhrgebiet der Gewinner ist, die eigene Stadt ruhig auch mal auf etwas verzichten kann. Ich  merke das tagtäglich. Wenn ein Unternehmen die eine Stadt verlässt und sich in der Nachbarschaft niederlässt, wird das doch sofort als Verlust für die eigene Stadt wahrgenommen. Auch wenn man erklärt, dass die Firma ja dem Ruhrgebiet erhalten bleibt und die Bürger der eigenen Stadt keinen Job verloren haben. Vor allem diejenigen, die sich in Sonntagsreden für das Ruhrgebiet stark machen, fallen da schnell auf eine lokale Sichtweise zurück, und das, obwohl längst klar ist: Gelsenkirchen profitiert von Ansiedlungserfolgen in Marl, Bochum von Erfolgen in Essen und Herne von Erfolgen in Gelsenkirchen. Genauso sind die Probleme einer Stadt die Probleme aller Städte. Doch wenn es zum Schwur kommt, wird noch immer in sehr engen kommunalen Grenzen gedacht.

?: Wird sich das nicht abschleifen?

Baranowski: Ich glaube, das wird ein längerer Prozess werden.

?: Den man beschleunigen könnte?

Baranowski:
Dabei sind wir doch auf einem guten Weg und haben an Fahrt aufgenommen. Schauen sie sich die Kooperationen im Bereich der Unternehmensansiedlungen an. Mittlerweile kooperieren wir mit anderen Städten, wenn wir keinen Platz für eine Unternehmensansiedlung haben und teilen uns dann die Gewerbesteuer.

?: Bei dieser Entwicklung sollen Sie der entscheidende Motor gewesen sein.

Baranowski:
Das ist doch egal – Hauptsache, es funktioniert jetzt und das tut es. Immer mehr Städte haben sich dieser Initiative von Essen und Gelsenkirchen angeschlossen. Für mich ist der Erfolg des Gewerbeflächenpools ein Beispiel für die Richtung, in die wir gehen müssen. Die Städte fangen an, zusammenzuarbeiten und schließen Verträge miteinander ab. Das ist besser, als wenn man darauf wartet, dass etwas von oben nach unten geschieht.

?: Die Erfahrung lehrt etwas anderes. Beispiel Nahverkehr: Die Städte hätten hier immer kooperieren können und haben es nicht getan. Das Ergebnis ist ein teurer und schlechter Nahverkehr im Ruhrgebiet. Unter der einsamen Entscheidung der Vestischen, die Straßenbahnen abzuschaffen, leiden heute noch ganze Städte. Aus einer regionalen Sicht hätte man einen solchen Unsinn vielleicht nie gemacht, und Städte wie Gladbeck, Bottrop, Recklinghausen oder Herten wären heute ans U-Bahn-Netz  angeschlossen.

Baranowski:
Natürlich sind in der Vergangenheit auch aus meiner Sicht falsche Entscheidungen getroffen worden. Die U-Bahn in Gelsenkirchen hätte ich in Richtung Essen ausgebaut und nicht in Richtung Norden. Aber es ist müßig, sich darüber heute noch zu beklagen. Wir müssen daran arbeiten, dass die Probleme im Nahverkehr künftig gelöst werden.

?: Durch eine gemeinsame Nahverkehrsgesellschaft?

Baranowski: Perspektivisch ja, aber das wird ein langer Weg und wir müssen die Menschen, die heute in den Nahverkehrsunternehmen arbeiten, mitnehmen. Ein erster Schritt wird eine viel engere Zusammenarbeit sein, als es heute der Fall ist. Und wieder gilt: Wir brauchen Akzeptanz. Denn klar ist doch auch, ein solcher Weg wird Arbeitsplätze kosten. Angefangen bei der Putzfrau bis hin zu den Vorständen. Ich weiß nicht, ob wir uns das in der gegenwärtigen Situation leisten können.  So etwas kann man nicht von oben befehlen, das muss wachsen – aber es gibt keine Alternative zu dieser Entwicklung. Allein der Kostendruck wird dafür sorgen, dass die Städte sich langfristig die heutige Nahverkehrsstruktur nicht mehr leisten können.
Wir müssen lernen, auf  das Ruhrgebiet als Ganzes zu  schauen. Und das nicht nur in Fragen der Infrastruktur, sondern auch bei der Bildung oder den sozialen Verwerfungen im Ruhrgebiet –  aber das sehen die Bürgermeister der anderen Städte auch so.

?: Können das die OBs denn leisten und brauchen wir nicht eine Institution, die eine regionale Sicht hat, damit nicht alles von den Kompromissen der OBs abhängig ist?

Baranowski: Ja, es muss eine solche Einrichtung geben – aber wenn, dann mit einer zweiten Kammer, in der die Städte vertreten sind. Es wäre fatal, wenn es auf der einen Seite Entscheidungen gäbe, die Finanzfolgen für die Städte hätten, ohne dass die Kommunen ein Mitspracherecht hätten.

?: Ist das nicht das Schicksal der Städte und weder auf Landes- noch auf  Bundesebene anders?

Baranowski: Das ist ja auch ein Fehler. Alle staatlichen Ebenen entscheiden auf Kosten der Kommunen, die aber als einzige Ebene gezwungen sind, zu konsolidieren. Das kann nicht gut gehen. Wenn Bund und Land uns ständig neue Aufgaben geben, müssen sie auch für eine vernünftige Finanzierung sorgen. Uns immer mehr Aufgaben zu übertragen, uns kein Geld zu geben  und uns gleichzeitig zum Sparen zu zwingen, nimmt uns alle Handlungsmöglichkeiten.

?: Und auf regionaler Ebene wollen sie dann Mitspracherecht?

Baranowski: Ich will es auf allen Ebenen, aber wenn wir jetzt im Ruhrgebiet etwas Neues schaffen, können wir doch gleich die alten Fehler vermeiden. Ich glaube, ein Ruhrparlament und eine Kammer für die Städte würde zu einer deutlich höheren Akzeptanz führen – wobei ich für einen ehrenamtlichen Rat an Stelle eines professionellen Parlamentes wäre. Wichtig ist auch, dass keine Region dominiert. Es gibt die Sorge in der Emscher/Lippe-Region, von den Städten im Zentrum dominiert zu werden.

?: Aber dann müssten konsequenterweise auch die Bürgermeister der kreisabhängigen Städte in einer solchen kommunalen Kammer vertreten sein, denn der RVR wird Planungshoheit bekommen und im Bereich der Planung sind ja die Landräte außen vor.

Baranowski: Man  muss sehen, wie so eine Kammer konkret aussehen wird. Nur gemeinsam mit den Kommunen und einer Instanz, die das ganze Ruhrgebiet im Blick hat, können wir die Zukunftsfragen der Region lösen.

?: Hängt die Beantwortung vieler Zukunftsfragen im Ruhrgebiet nicht vom demographischen Wandel ab? Immerhin gehören wir zu den wenigen Stadtregionen auf der Welt, die schrumpfen.

Baranowski: Ja, aber es gibt auch Rückzüge aus dem Münsterland, denn ab einem gewissen Alter merken die Menschen, dass sie dort nicht so gut leben können. Die Wege zum Arzt oder zum Einkaufen sind weit, man braucht vielleicht sogar zwei Autos. Wir müssen uns bemühen, hier eine Infrastruktur bereitzuhalten, die es ermöglicht, sich wohnortnah zu versorgen – auch mit attraktiven kulturellen Angeboten. Unser Blick auf die Bedürfnisse der Senioren ist mir im Übrigen viel zu undifferenziert: Alle ab 60 packen wir ein einen großen Topf – wohingegen wir bei Jugendlichen aus gutem Grund sehr genau differenzieren. Angebote für 60jährige müssen anders sein als für über 90jährige. Die Lebensphase „Alter“ ist sehr lang geworden und hat in jedem Teil ihre ganz eigenen Chancen und Probleme. Darauf müssen wir Antworten entwickeln.

?: Müssen wir uns nicht auch noch mehr Mühe geben, junge Familien im Ruhrgebiet zu halten?

Baranowski: Da haben alle Ruhrgebietsstädte viel Zeit verloren. Wir haben in Gelsenkirchen angefangen, Bauland für junge Familien bereit zu stellen, würden uns aber eine größere Nachfrage wünschen. Für mich steht aber fest: Der langfristige Trend der steigenden Energiepreise wird die Positionen der Städte gegenüber dem ländlichen Raum im Wettbewerb um junge Familien stärken – aber wir müssen für jungen Familien noch bessere Angebote schaffen.

?: In Gelsenkirchen ist das einer der Schwerpunkte Ihrer Politik.

Baranowski: Ja, wir besuchen Familien gleich nach der Geburt eine Kindes, stellen Betreuungs- und Unterstützungsmöglichkeiten vor, bemühen uns auch nach Möglichkeiten,  Kindergarten-Gebühren niedrig zu halten, die Ganztagsangebote auszubauen und geben Schulkindern Bibliotheksgutscheine, um sie so ans Lesen heranzuführen. Wir haben auch das Jugend- und das Schulverwaltungsamt zusammengelegt. Sich intensiv um die Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen zu kümmern, ist für mich die Grundlage jeder sozialen Politik. Wir müssen darauf achten, dass vor allem Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien den Anschluss nicht verlieren und dass ihre Chancen gewahrt bleiben. Nur gut ausgebildete Kinder und Jugendliche haben später auch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt – und gut ausgebildete Menschen machen eine Stadt nicht nur zu einer sozialen Stadt, sondern auch zu einer, die attraktiv für Investoren ist.

?: Der Arbeitsmarkt hat sich in Gelsenkirchen in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt. Sie konnten sogar, was die Arbeitslosigkeit, betrifft, zeitweise Dortmund hinter sich lassen.

Baranowski: Dass der Arbeitsmarkt sich bei uns gut entwickelt hat, freut uns. Das Ranking mit Dortmund ist nicht entscheidend. Alle Städte im Ruhrgebiet haben eine zu hohe Arbeitslosigkeit und einen viel weiteren Weg vor als hinter sich. Was nutzen solche Rankings einem Arbeitslosen in Dortmund oder Gelsenkirchen? Nichts. Werfen Sie lieber einen Blick auf die Gesamtlage im Ruhrgebiet.

?: Wenn  ich auf das gesamte Ruhrgebiet schaue, sehe ich, dass sich Gelsenkirchen gut entwickelt hat. Was haben Sie getan?

Baranowski: Wir arbeiten sehr eng mit der Arbeitsagentur zusammen. Wenn ein Unternehmen sich für Gelsenkirchen interessiert, tun wir alles dafür, um die möglichen Mitarbeiter passgenau zu qualifizieren. Und natürlich haben wir auch vom Aufschwung der vergangenen Jahre profitiert. Kommt es zur Krise, wie sie von Vielen erwartet wird, werden wir allerdings genau so wie alle in Deutschland schwere Rückschläge erleben – ich mache mir da keine Illusionen.

?: Warum hat Gelsenkirchen trotz der Erfolge der vergangenen Jahre noch immer ein schlechtes Image?

Baranowski: Es ist sehr schwer, etwas an diesem Image zu ändern. Ich habe mal zu Beginn meiner Amtszeit Journalisten von führenden Medien eingeladen, sich Gelsenkirchen näher anzuschauen. Wir sind mit dem Bus durch die Stadt gefahren und haben ihnen gezeigt, welches unsere Herausforderungen sind und wo wir uns auf einem guten Weg befinden. Das kam gut an – aber nach ein paar Monaten war kaum einer der Journalisten noch auf seinem alten Platz. Die Aktion ist also leider verpufft. Ich glaube, es wird noch sehr lange dauern, bis wir das Negativimage abgelegt haben. Solche Bilder wie „Verblühende Landschaften West“ sind leider sehr stabil.

 

Im Pulverdampf

Nach dem Industrieschnee kam Böllersmog.

Bochumer Sylversternacht mit Sichtweiten unter zehn Metern. Schwefelgeruch in der Luft, nasse Haare, gute Laune. Wir sahen einen Mann vor einem Auto herlaufen. Als wir ihn vor dem Gefährt warnten, sagte er "meine Freundin" und lotste sie auf die Autobahnauffahrt.

Und welches Wetter machen wir uns als nächstes:

Chemiehagel, RWE-Gewitter, Windradorkan?

Wünsche nur das Beste für 08!