„Es könnte schneller gehen…“

Ende November wählt die Union im Revier einen neuen Vorsitzden. Norbert Lammert wird nach 22 Jahren nicht mehr kandidieren. Eine gute Gelegenheit für ein Abschiedsinterview.

Norbert Lammert. Foto: Bundestag

?: Sie treten nach 22 Jahren an der Spitze der CDU Ruhr im November nicht mehr als deren Vorsitzender an. Sind Sie mit Bilanz zufrieden?

Dr. Norbert Lammert: Im Großen und Ganzen ja, und wenn natürlich nicht alle Blütenträume gereift sind, vor allem nicht in der aus meiner Sicht gebotenen Zeit. Es entwickelt sich fast alles in die richtige Richtung, aber fast alles mit einer Verzögerung, die wir uns angesichts der Herausforderungen und des schärfer werdenden Wettbewerbs zwischen den Regionen nicht erlauben können. Ich hätte mir gewünscht, dass manches längst beschlossen wäre, was erst auf dem Weg ist.

?: Meinen Sie die Schaffung eines Ruhrbezirks, der ja innerhalb der schwarz-gelben Koalition in Düsseldorf auf dem Programm steht, aber auch dort nicht nur Freunde hat?

Lammert: Es geht dabei um die Bündelung der Zuständigkeiten zwischen den Kommunen und dem Land, keineswegs nur die Schaffung eines neuen Regierungsbezirks. Es geht dabei um die administrative Neustrukturierung des ganzen Landes. Das geht nur als Bestandteil einer großen Landestrukturreform – das ist Teil des Regierungsprogramms. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Landesregierung an diesem Ziel fest hält. Jürgen Rüttgers ist der erste Ministerpräsident in der Geschichte des Landes, der die Unvermeidlichkeit der Änderung der administrativen Verfassung des Ruhrgebietes und Landes-Nordrhein Westfalen eingesehen und daraus konkrete operative Schlussfolgerungen gezogen hat. Auch wenn ich mir mehr Tempo wünschen würde: An diese Aufgabe hat sich, ob aus der CDU oder der SPD, keiner seiner Vorgänger herangewagt. Dass nicht alle Mitglieder der Koalition an dem Projekt mit gleicher Leidenschaft arbeiten, ändert nichts an meiner Einschätzung.

?: Sollte das Ruhrparlament künftig direkt gewählt werden?

Lammert: Nicht nur im Ruhrgebiet, auch im Rheinland und in Westfalen sollten die Regional-Parlamente direkt von den Bürgern gewählt werden. Allerdings nur dann, wenn Sie auch ernsthafte parlamentarische Kompetenzen haben.

?: Warum kandidieren Sie kein weiteres Mal um den Vorsitz? Ist Ihre Kraft zu Ende?

Lammert: Nein, ich habe das Amt des Vorsitzenden der CDU Ruhr seit über 20 Jahren ausgefüllt. Eine andere große Volkspartei hat in dieser Zeit zehn Bundesvorsitzende kommen und gehen sehen. Ich bin jetzt länger Vorsitzender der CDU Ruhrgebiet als Konrad Adenauer CDU-Chef war. Wir reden also über eine außergewöhnlich lange Zeitspanne. Ich habe schon länger darüber nachgedacht, wann der richtige Zeitpunkt für einen Wechsel gekommen ist. Nach meiner Wahl zum Bundestagspräsidenten habe ich mich noch einmal für zwei Jahre an der Spitze der CDU Ruhr verpflichtet, um Sorge dafür zu tragen, dass der Zug Verwaltungsstrukturreform aus Sicht des Ruhrgebiets auf die richtigen Gleise gehoben wurde und in die richtige Richtung fährt.

?: Nicht wenige, denen das Ruhrgebiet wichtig ist, hätten sich gewünscht, dass Sie noch einmal für zwei Jahre kandidieren, um sicher zu stellen, dass die Verwaltungsstrukturreform auch noch in der nächsten Legislaturperiode auf dem Aufgabenzettel der Landesregierung steht.

Lammert: Es ist zwar schmeichelhaft, entspricht aber nicht den Tatsachen, dass niemand sonst dieses Amt ausfüllen kann. Ich habe mich entschieden, jetzt den Schnitt zu machen, der ohnehin eines Tages fällig ist. Um alle meine Ziele für das Ruhrgebiet zu erreichen, würden ohnehin zwei Jahre nicht reichen – dafür brauchen wir einen langen Atem.

?: Hat es auch was mit Ihrem Amt als Bundestagspräsident zu tun?

Lammert: Natürlich. In den kommenden zwei Jahren werden wir in NRW alle Wahlen haben, die unsere Verfassung kennt. Als Bundestagspräsident muss ich mich in der Auseinandersetzung der Parteien zurückhalten – alles andere verträgt sich mit diesem Amt nicht. Ein Parteivorsitzender hat aber Wahlen als Speerspitze seiner Partei zu bestreiten und muss vor Ort ständig präsent sein. Das kann ich als Bundestagspräsident nicht gewährleisten. Es erfordert aber auch einen Vorsitzenden, der die Partei im Wahlkampf in Auseinandersetzungen führt, die zugespitzt werden müssen. Da sollte ein Parlamentspräsident, der ja einer gewissen Überparteilichkeit verpflichtet ist, sich zurückhalten.

?: Oliver Wittke gilt als ihr designierter Nachfolger…

Lammert: Es gehört zu den schönen Traditionen der CDU Ruhr, dass bei uns Vorsitzende nicht ernannt oder gesalbt, sondern gewählt werden. Auch mein Nachfolger wird gewählt. Ich habe zwar gewissen Vorstellungen, wer das sein sollte, warte aber voller Demut die Entscheidung des Parteitages ab.

?: Sollte sich der Parteitag für Oliver Wittke entscheiden, stellt sich die Frage: Ist er im Kabinett Rüttgers stark genug, die Interessen des Ruhrgebiets zu vertreten?

Lammert: Sollte es so kommen wie Sie und ich aus guten Gründen vermuten, wird die Stellung von Oliver Wittke im Kabinett dadurch gestärkt werden, dass er dann auch Vorsitzender der CDU Ruhr, des größten Bezirks in NRW, ist. Wittke wird im Landtagswahlkampf eine wichtige Rolle spielen und sich noch stärker als bisher für die Verwaltungsstrukturreform einsetzen können, die für das Ruhrgebiet eine Frage von existenzieller Bedeutung ist.

?: Im kommenden Jahr findet auch die Kommunalwahl statt. Wie schätzen Sie die Aussichten der Union ein?

Lammert: Gut.

?: Sie werden ja noch einmal für den Bundestag kandidieren.

Lammert: Ich wurde meinen Parteifreunden im Wahlkreis erneut nominiert und bin zuversichtlich, wieder in den Bundestag gewählt zu werden.

?: Stehen Sie wieder für das Amt des Bundestagspräsidenten zur Verfügung?

Lammert: Um dieses Amt bewirbt man sich nicht, dafür wird man vorgeschlagen – aber unabhängig von meinen Wünschen hängt diese Frage natürlich auch vom Ergebnis der Bundestagswahl ab.

?: Das Amt des Bundestagspräsidenten füllen Sie aber sehr gerne aus.

Lammert: Das ist unbestritten – und viele sagen freundlicherweise: nicht nur gerne, sondern auch gut.

Heiteres Prominenten-Raten

Aus aktuellem Anlass mal ein kleines Ratespielchen: Welcher Prominente hat mit dem folgenden Satz hier sein Expertentum bewiesen? Wer hat sich in Zeiten der Krise mal so richtig festgelegt? Mal ganz eckig und kantig eine vielleicht auch ungewöhnliche evtl. sogar umstrittene Meinung zu einem brisanten, aktuellen Thema vertreten?

Ach was soll’s, hier kommt der Satz:

"Auf den ersten Blick gibt es viele Fragezeichen, aber es lohnt sich, eine Realisierung zu überprüfen"

Na, wer war es:

A) "Der Professor aus Gelsenkirchen"?

B) "Der Autopapst aus Gelsenkirchen"?

C) "Der Hellseher aus Gelsenkirchen"?

D) "Die Kratzbürste aus Gelsenkirchen"?

Viel Spaß beim Raten. Früher wurden die Prominenten zum Raten in einen Sack getan. Wir dürfen das nicht. Leider.

Bürgermeister gegen Landschaftsverband

Eigentlich braucht niemand einen Landschaftsverband – aber dafür ist er ziemlich teuer.

Vor einer Woche haben wir über den Ärger berichtet, den der Landschaftsverband Westfalen Lippe wegen seiner Umlageerhöhung hat. Allein der klamme Kreis Recklinghausen soll künftig über 15 Millionen zusätzlich zahlen. Nun wehren sich die Bürgermeister der zehn Städte des Kreises gegen den Landschaftsverband. In einer heute verabschiedeten einstimmigen Resolution hießt es:

"Die vorliegenden Eckdaten des Haushalts 2009 des LWL lassen erkennen, dass mit der vorgeschlagenen Erhöhung der Landschaftsumlage nicht nur ein Gesamtüberschuss von 35,3 Mio. Euro verbunden wäre, sondern darüber hinaus Sondertilgungen in nicht unbeträchtlicher Höhe. Diese Absichten offenbaren nicht das notwendige Augenmaß und die bei einem umlagefinanzierten Verband eigentlich als selbstver-ständlich vorauszusetzende Rücksichtnahme auf die finanzielle Lage seiner Mitglieder….Wir bitten sowohl den Direktor des Landschaftsverbandes als auch die Mitglieder der Landschaftsverbandsversammlung, alles ihnen Mögliche zu tun, um die finanzielle Notlage der Städte und des Kreises Recklinghausen nicht noch zu verschärfen. Eine Erhöhung des Hebesatzes wäre für uns auf keinen Fall akzeptabel und würde nicht ohne entsprechende juristische Konsequenzen hingenommen."

Für den  Landschaftsverband kommt der Streit zur Unzeit. Die Landesregierung plant die Auflösung der teuren Landschaftverbände und will ihre Aufgaben neu  verteilen – eine Klage der Kommunen gegen eine Umlageerhöhung ist in einer Zeit, in der man Freunde braucht, nicht gerade hilfreich.   

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Es wird kalt…

Der Winter kommt…

"Industrieschnee" in Herten

Ende November eine nicht ganz überraschende Nachricht und wenn man am Freitagnachmittag vom Schnee nicht auf der A40  überrascht wird, kann es sogar ganz schön werden. Aber machen wir uns nichts vor: der Winter überrascht einen grundsätzlich an einem Freitagnachmittag auf der A40. 

Solarworld schockt Opelaner

Ich kenne Frank Asbeck, den Chef der Solarworld AG, seit ein paar Jahren. Ich habe ihn gerade angerufen, als er vor wenigen Minuten aus dem Flugzeug stieg. Ich musste ihn einfach fragen, ob das ernst gemeint war von ihm, General Motors alle deutschen Opel-Standorte abkaufen zu wollen. Asbeck war wegen der Frage echt überrascht. "Natürlich will ich das", sagte er. "Das Angebot ist ernst gemeint."

Opel-Werk in Bochum. Foto: Wikipedia

Was im ersten Moment total verrückt erscheint, ist es auf dem zweiten Bick gar nicht mehr.  Was genau will Asbeck? Zunächst will er dem US-amerikanischen Autohersteller General Motors (GM) ein Angebot zur Übernahme der vier deutschen Opel-Werke und das Entwicklungszentrum in Rüsselsheim machen. Ohne seine deutschen Beteiligungen könne sich der amerikanische Konzern auf sein Kerngeschäft konzentrieren, sagte Asbeck. Dort habe GM schließlich genug Probleme. „Wir haben die Kompetenz Opel in Deutschland weiterzuentwickeln." Seine SolarWorld AG könne Opel direkt Barmittel in Höhe von 250 Mio. Euro und eine Kreditlinie in Höhe von 750 Mio. Euro bereitstellen. Die Prüfung einer dafür notwendigen Bundesbürgschaft sei ihm avisiert worden, sagte Asbeck weiter. Im Gegenzug forderte der Solarmanager die Herauslösung der deutschen Opel-Werke aus dem GM-Konzern und eine Kompensationszahlung von rund 1 Mrd Euro – das entspricht 40.000 Euro je deutschen Arbeitsplatz. Asbeck sagte: „Wenn die Braut eine Mitgift kriegt, können wir das stemmen.“

Nach den Vorstellungen von Asbeck soll Opel zum ersten "grünen" europäischen Autokonzern weiterentwickelt werden. Im Zentrum stehe der Bau von Elektrofahrzeuge wie dem "Volt", der derzeit in Rüsselsheim entwickelt werde. Und hier decken sich tatsächlich Konzernstrategien. Seit Jahren arbeitet Solarworld an der Entwicklung und Erprobung von Elektrofahrzeugen, die mit Solarenergie erfolgreich Rennen bestreiten. Konzernchef Asbeck plant darüber hinaus einen Vertrieb für Elektro-Tankstellen. „In Zukunft soll jeder sein eigenes Auto mit Sonnenstrom betreiben können“, hat Asbeck mir mal gesagt. Das Prinzip ist einfach. Auf jedes Dach eine Solarzelle, die das Auto in der Garage mit Energie füttert. Damit könne auch das Speicherproblem für Sonnenstrom gelöst werden, sagte Asbeck. Wenn überall die Minibatterien rumfahren würden. "Das ist der größte denkbare Energiespeicher überhaupt"

Seine Ideen gehen noch weiter: Die Autos könnten überall ans Netz angeschlossen werden und wieder Energie abgeben. So könne jeder Autobesitzer zum Mikro-Stromhändler im Netz werden.  Und so den energiewettbewerb forcieren. Wie gesagt, dumm sind die Ideen nicht.

Und schließlich hat Solarworld Erfahrungen mit spektakulären Übernahmen. Vor zwei Jahren hatte der Konzern die Solarsparte des Shell-Konzerns mit einer Kompensationszahlung von 100 Mio. Euro übernommen. In der Folge hat Asbeck die Ex-Shell-Sparte an Standorten in den USA modernisiert und im laufenden Jahr in die schwarzen Zahlen geführt. Zuvor hatte Solarworld auch die Sonnenfabrik in Gelsenkirchen für eine Kompensationszahlung übernommen.

Am Aktienmarkt hat der Vorschlag von Solarworld für Verwunderung gesorgt. "Ich halte das nicht für realistisch und ist wahrscheinlich auch nicht politisch gewollt, da stünden einfach zu viele Arbeitsplätze auf dem Spiel", sagte ein Börsianer der Agentur Reuters. Tatsächlich aber nahm der Markt die Nachricht ernst. Die Solarworld Aktie geriet stark unter Druck. Der TecDax-Titel verzeichnete ein Minus von zwischenzeitlich 14,4 Prozent auf 13,98 Euro.

Minus 8 % für Nokia

Nokias Marktanteil in Europa ist um 2 % gesunken. In Deutschland waren es 8 %

Die Schließung des Nokia-Standortes in Bochum kommt der Nokia-Führung teuer zu stehen.  Der Verkauf in Deutschland ist eingebrochen. Wie das Wirtschaftsmagazin Capital meldet, ging der Verkauf von Nokia Handys in Deutschland um satte 8% zurück. Europwaeit waren es an die 2 %. Das lässt sich nicht nur mit den Telefonen von Nokia erklären, erst kürzlich machte sich das Unternehmen mit einem iPhone-Killer lächerlich, sondern mit dem Imageverlust des Herstellers. 2/3 der Deutschen ist Nokia unsympathisch.  Vor der Schließung des Standortes Bochum waren es nur 8 %.  Allein der Verlust der Marktanteile in Deutschland, so Capital, kostet Nokia einen Umsatz von 220 Millionen Euro.      

Dazu passt eine kleine Geschichte, die ich vor ein paar Wochen erlebt habe. Da ich auf der Suche nach einem neuen Handy bin war ich in einem Handyladen in der Bochumer Innenstadt. Mit dabei war ein Freund von mir, der früher bei Nokia gearbeitet hat. Er fragte den Verkäufer wie sich denn Nokia Handys verkaufen würden. "Viele wollen ausdrücklich kein Nokia mehr. Denen ist der Preis und die Leistung egal. Sie kommen rein, sagen was ihr Handy können soll und dass es kein Nokia sein soll." Naja, bei einem Handyladen in der Bochumer Innenstadt hatte mich diese Auskunft nicht verwundert – vielleicht hätte ich nicht damit gerechnet, dass sie so drastisch ausfallen würde. Aber dass das Image von Nokia in ganz Deutschland so zusammengebrochen ist wie Capital berichtet hat mich überrascht – allerdings positiv.

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?Die SPD muss sich mit der Situation abfinden…?

Börje Wichert, Sprecher der Grünen im Ruhrgebiet  fordert von der SPD, sich zu sortieren und endlich konstruktiv mitzuarbeiten anstatt in der Fundamentalopposition zu verharren.

Börje Wichert Foto: Privat

„ Die SPD im Ruhrgebiet hat sich noch nicht mit dem Verlust ihrer Hegemonie abgefunden und mauert, wenn es um den Umgang mit neuen Strukturen in der Region geht“, so Börje Wichert, Vorstandssprecher des Bezirksverbandes Ruhr der Grünen. „Die ständige Kritik an unserem RVR-Planungsdezernten Thomas Rommelspacher, die von vielen Sozialdemokraten geübt wird ist von daher auch nicht fachlich begründet, sondern politisch.“

Dass die CDU Rommelspacher kritisiert, so Wichert, sei ihrer Rolle als Opposition im Ruhrparlament geschuldet, dass die SPD, die  ja im Ruhrparlament mit den Grünen eine Koalition bildet, sich auf Rommelspacher einschießt, hätte nichts mit seiner Person oder mit seiner Arbeit zu tun, sondern mit den Problemen, die die SPD mit den neuen Strukturen hat, die von der Landesregierung beschlossen wurden, und dem RVR ab dem kommenden Jahr die Regionalplanung überträgt. „Die SPD steht in dieser Frage sowohl im Landtag als auch im Ruhrparlament alleine. Alle Parteien sehen in der Bündelung der Planung beim RVR  den besten Weg, um in Fragen wie Verkehr, Gewerbeflächen oder Umwelt die Situation für die Menschen im Ruhrgebiet zu verbessern. Alleine in die SPD stemmt sich dagegen.“

Er sei ein großer Freund der kommunalen Selbstverwaltung, aber die ende nun einmal an den Stadtgrenzen: „Das Ruhrgebiet braucht eine eigene Regionalplanung und eine Diskussionsrunden von Dezernenten, die sich bei Konflikten selbst blockieren.“
Wenn der RVR in Zukunft eine stärkere Rolle spielt, so Wichert, müsse er aber auch stärker demokratisch legitimiert sein: „Wir brauchen schnell eine direkte Wahl des Ruhrparlaments durch die Bürger.“ Er könne ja menschlich verstehen, dass es den Dezernenten einiger Städte schwer fällt, sich daran zu gewöhnen, künftig mit dem RVR und den anderen Kommunen verbindlich zusammen arbeiten zu müssen, aber für die Menschen in der Region sei das der beste Weg. „Klar, für die Stadt Dortmund war es einfach in das beschauliche Arnsberg zu fahren und alles durchzubekommen was man wollte, künftig wird das nur noch in Abstimmung mit der Region gehen.“

Die sei allerdings auch für die Dortmunder Bürger der wichtige Bezugsrahmen: „Die Leute wohnen doch in Dortmund, arbeiten in Bochum und besuchen Freunde im Kreis Recklinghausen. Die Menschen sind doch viel weiter als viele Kommunalpolitiker“, so Wichert. Er sei froh, dass bei der SPD erste Zeichen eines Wandels zu erkennen sind, diese seien aber noch zarte Pflänzchen. „Die SPD muss sich etwas schneller bewegen, die Realitäten anerkennen und endlich beginnen, konstruktiv an der Gestaltung des Ruhrgebiets mitarbeiten. Fundamentalopposition bringt weder den Sozialdemokraten etwas noch dem Ruhrgebiet.“

Opel im November – ein paar Impressionen

Ich war heute in Bochum. Im Opel.Werk, da beim am Tor 4 an der Wittener Straße. Ich muss sagen, ich hab die Krise gespürt, wie eine November-Herbst-Depression, die über die Füße und die Beine den Rücken hochschleicht.

Foto. flickr.com

Ich habe Hans W. getroffen. Der Mann arbeitet seit 30 Jahren bei Opel. Er sitzt in einem kleinen Vertriebsbüro. Er sagt, er will nicht, dass irgendwer seinen richtigen Namen liest. Nur zur Vorsicht. Man weiß ja nicht wer als nächster rausfliegt. Die Leiharbeiter sind ja schon alle weg: entlassen, gefeuert, verjagt.

Hans W. trägt eine Baseballkappe. Und einen Pullover, wie ihn auch die Fischer in schwerer See tragen, mit einem Reißverschluss bis unters Kinn. Draußen regnet es. Auf einem Schild an der Wand steht: „Unsere Arbeit ist geheim.“ Hans W. sagt, es gab schon viele Krisen bei Opel seit er vor 30 Jahren in den Betrieb eingestiegen ist. „Aber es ging immer weiter.“ In der Luft liegt ein Herbstgeruch. Es riecht nach Laub, nach November und mieser Laune.

„Wir können sowieso nichts machen“, sagt Hans W. „Wir müssen das abwettern, wie damals Ende der 80-Jahre. Einfach weiter.“ Damals habe es auch eine Absatzkrise gegeben. Kaum einer wollte noch einen Opel kaufen. Ja und dann: „Dann kam die Wende und die DDR hat unsere Autos gekauft.“ Ich spüre die Haltung mehr, als dass ich sie verstehe. Es hört sich an nach Fatalismus. So nach dem Motto, die Rente ist sicher und wenn nicht, dass weiß ich auch nicht. Strick?

Draußen, am Haupteingang des Opel-Werkes stehen heute immer noch Fernsehkameras. Sie warten auf eine Nachricht. Wie bei Holzmann damals. Als der SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder mit einer Bürgschaft den Baukonzern für einige Wochen vor der Pleite rettete. Immer wieder wabern Gerüchte vorbei: Von Politikern in Berlin, Frankfurt, und Düsseldorf, die bald Opel retten werden. Mit Millionen. Mit Bürgschaften. Mit Konzepten. Die Kameras sehen aus wie Raketenwerfer. Nur wer getroffen wird ist nicht klar. Das Werk oder wer?

Meine Gedanken schweifen im Regen ab zu der anderen Pleite in Bochum. Als vor wenigen Wochen Nokia dichtmachte. Es gibt dieses Bild von Jürgen Rüttgers, dem CDU-Ministerpräsidenten von NRW. Er lässt sich da von einer weinenden Frau küssen. Rüttgers wollte eine ganze Region retten. Und es kam doch nur ein Sozialplan dabei heraus.

Im Regen kommen die Arbeiter zum Schichtwechsel heraus. Sie hetzen über den Platz, weichen den Mikrofonen aus und verschwinden in ihren Autos. Es scheint als wollten sie sich nicht hergeben als neue Holzmann-Kulisse für die Rakentewerfer-Kameras.

Michael Morgenthal kann das verstehen. Der evangelische Pfarrer wohnt in Altenbochum, knapp fünf Minuten zu Fuß vom Opel-Werk entfernt. „Die Opelaner haben sich daran gewöhnt, dass sie eine Krise haben.“ Früher haben in Altenbochum und im Nachbarviertel Laer die meisten Malocher aus dem Opel-Werk gewohnt. Die Häuser sind gedrungen, oft im schweren Ruhrpott-Einheitsgrau. Und doch wird hier und da ein Gebäude frisch gestrichen. Morgenthal sagt: „Bei uns im Viertel merkt man die Krise bei Opel nicht.“ Tatsächlich spricht man beim Bäcker kaum von der Krise – eher vom drohenden Abstieg des VFL Bochum.

Doch dieses oberflächliche Bild trügt. Ich fahre in die Innenstadt. Das Auto-Werk sei die einzige bedeutende Industrie-Ansiedlung in der Region seit dem Ende des Montanzeitalters, flüstern sie im Rathaus der Stadt: „Wenn Opel untergeht, wird es ganz schwer. Noch ein Debakel wie Nokia können wir kaum verkraften.“ Es regnet immer noch. Und der Novemberwind frischt auf. Im Bermudadreick habe sie den Engelbert-Brunnen abgerissen. Die Pennerbänke sind weg. Und die Bäume. Das Pflaster ist aufgerissen. Es sieht aus, als habe jemand die Gasse vergewaltigt. Nackt, ausgezogen, wehrlos.

Unten am Tor 4 will Hans W. bald Schicht machen. Er bittet den Besucher zu gehen. Dann denkt er an die kommende Woche, wenn die Bänder wieder stillstehen sollen. Er flüstert fast unhörbar: „So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Ein Flugblatt liegt herum: Die gefeuerten Leiharbeiter haben eine Selbsthilfegruppe gegründet. Erster Treffpunkt ist am 22. November. Irgendwo in Bochum.