Überall in NRW laufen die Warnstreiks im Metall-Gewerbe. Ich war unterwegs, um zu sehen, wie die Lage ist.
Foto: Lynnchen bei Flickr
Die Tour geht in Wuppertal los. Hier scheint die Sonne dem Redner ins Gesicht. Oliver Burkhard ist da. Er steht auf der Ladefläche eines LKW. Um die Schulter trägt er einen roten Schal. 36 Jahre alt ist Burkhard jetzt und Chef der IG-Metall in NRW. „Cash we can“, ruft er in die Menge vor ihm und „Strike we can.“ Hunderte Arbeiter reißen ihre Hände nach oben. Sie tragen rote Handschuhe. Auf denen steht ihre Forderung: „8 Prozent“.
Die IG Metall macht in diesem Jahr ernst. Sie stellt eine der höchsten Lohnforderungen der letzten Jahre. Trotz drohender Rezession und Finanzkrise will die Gewerkschaft mehr Geld in die Taschen der Arbeiter spülen. Bislang bieten die Arbeitgeber bescheidene 2,1 Prozent. Zu wenig, findet Burkhard. Zu wenig, finden auch die über tausend Arbeiter, die in Wuppertal vor einem Werk der Schaeffler-Gruppe demonstrieren. Burkhard greift wieder an. Sollte bis Dienstag kein „vernünftiges“ Angebot der Arbeitgeber vorliegen, „sind der Worte genug gewechselt.“ Burkhard hat seine Rolle gefunden. Er ist der Aufputscher, der Heizmacher. Der Kämpfer. Und damit ist er ein Aufsteiger in der IG-Metall. Er leitet eine der wichtigsten von insgesamt sieben Bezirksstellen. Aus Nordrhein-Westfalen kommt gut ein Viertel aller IG-Metall-Mitglieder. Und er wird den Streikt leiten, wenn es so weit kommt. Wie ich erfahren habe, werden in Wuppertal derzeit Urabstimmungen für den 13. November vorbereitet. und in NRW soll der Schwerpunkt der Kämpfe liegen.
Die Arbeitgeber lassen sich von dem Aufmarsch der Gewerkschaft nicht beeindrucken. Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser sagte vor wenigen Tagen: „Wir werden alles tun, um einen großen Arbeitskampf zu verhindern. Aber wenn er uns aufgezwungen würde, würden wir uns dem nicht entziehen.“
In Wuppertal steht Andreas P. ein wenig Abseits der großen Reden neben einem geparkten Laster. Andreas P. arbeitet für den amerikanischen Autozulieferer Johnson Controls in dessen Wuppertaler Niederlassung. Der 35-Jährige baut die Innenausstattung für Opel beispielsweise. Seit ein paar Wochen wird es eng, sagt Andreas P.. Deswegen will er auch nicht seinen Namen in der Zeitung lesen. Wer weiß schon warum einer gekündigt wird. „Bei uns ist die Produktion um 40 bis 50 Prozent runter“, sagt Andreas P.. Die Leiharbeiter seien von einem auf den anderen Tag rausgeschmissen worden. 70 Mann. Mit Familien. „Jetzt machen sich vor allem die Älteren Sorgen. Früher hatten wir 20 LKW am Tag auf dem Hof. Heute sind es zwei oder drei –in der Woche.“ So eine Art Kurzarbeit gebe es auch schon. Ein paar Tage die Woche steht alles still. „Jetzt erzählen sich alle, aus Amerika soll Geld geschickt werden für einen Sozialplan.“ Den Tarifstreit der Gewerkschaft kann Andreas P. nicht so richtig nachvollziehen. „Bei uns kommt sowieso nicht viel an. Nach der Abrechnung bleibt nicht mal genug, um einmal ordentlich essen zu gehen mit der Frau.“
Aber geht es nicht darum, die Kaufkraft zu stärken? Andreas P. zuckt mit den Schultern. „Das ist ja das schwierige bei den Verhandlungen. Wir brauchen Geld in der Tasche, wir sollen die Binnenwirtschaft ankurbeln. Aber die Firmen müssen auch leben. Am Ende geht es denen so schlecht, dass die aufgeben müssen.“ Und der Streik? Andreas P. denkt nicht lange nach. Klar würde er mitmachen. Wie seine Kollegen auch. „Unter den jüngeren Kollegen ist die Angst nicht groß. Irgendwie muss es ja weitergehen.“
In Wuppertal steht jetzt der Kurt von der örtlichen Gewerkschaft am Mikrofon und brüllt heiser: „Um Conti zu kaufen, war das Geld bei Schaeffler da, aber um uns mehr Lohn zu geben, ist kein Geld da? Das kann doch nicht sein.“ Die Sonne scheint immer noch in das Gesicht der Gewerkschafter. Aber wenn man sich umdreht, sieht man ein duzend Platanen am Rand der Kundgebung. Die Blätter sind schon gelb. Und sie fallen einfach runter.
Auch in Oberhausen wird heute protestiert. Hier stand früher die Gute Hoffnungs Hütte, eines der wichtigsten Stahlwerke Deutschlands. Davon ist nach vielen Jahren Strukturwandel im Ruhrgebiet nicht viel geblieben. Der größte Teil der Fabrik wurde abgerissen. Hier ist jetzt ein Einkaufszentrum.
Nur ganz am Ende, in einer Ecke des alten Fabrikgeländes drängen sich noch ein paar Hallen, in denen Metall im Industriemaßstab verarbeitet wird. 1500 Mann schaffen hier. Dies sind die Turbinenbauer von MAN Turbo und MAN Rand. Die Arbeiter stehen gerade vor den Toren ihrer Fabrik. Sie sind im Warnstreik für mehr Lohn. Ein Gewerkschafter fordert die Männer auf, zu streiken, wenn es die Unternehmen nicht genug Geld geben sollten. Und die Männer klatschen Beifall. „Natürlich würden wir streiken“, sagt Dennis Krischik, 28. „Wenn die bei zwei Prozent bleiben, jederzeit.“ Die Kollegen rund um Krischik nicken und klatschen.
Ein paar Meter weiter steht Peter Wirtz. Der 38 Jährige hat graue Haare an den Schläfen. Er ist groß und schlank. „3,5 Prozent werden wir schaffen, denke ich. Schade. Vor ein paar Wochen hätten wir auch noch die 4 geschafft. Aber dann kam die Krise.“ Wirtz hat keine Angst davor, dass seine Firma wegen der Lohnforderungen untergehen könnte. Warum auch? Die Auftragsbücher sind noch voll. „Wir haben Arbeit genug. Selbst wenn nichts Neues mehr reinkommt, haben wir über ein Jahr zu tun.“ Auch hier scheint noch die Sonne. Ein Gewerkschafter läuft durch die Reihen der Warnstreikenden und verteilt Schokolade der Marke Fedora. „Mehr Zaster für Laster“ – das steht auf der Packung. „Vielleicht haben die Autobauer Probleme, aber wir doch nicht“, sagt Wirtz. Weniger Arbeit heiße hier nur wieder Rückkehr zum Normalzustand. Weniger Überstunden und mal ein freies Wochenende. Nichts, vor dem man Bange sein müsste.
Später am Abend in einer Küche in Klosterhardt, Oberhausen. Hier in der Gegend wohnen die Arbeiter der Metallfabrik MAN. Ein paar Meter die Straße runter ist ein Bäcker. Thomas Laudert sitzt an einen Holztisch. Der Blick läuft frei über einen Garten. Er trinkt ein Glas Wasser. Thomas Laudert ist Vorarbeiter bei MAN Turbo. Er denkt gerade drüber nach, was ihm drei oder vier oder sechs Prozent mehr Lohn eigentlich bringen. „Da hab ich nichts von“, sagt Laudert. „In dem Moment, in dem wir den Abschluss haben, kosten die Brötchen direkt fünf Cent mehr. Das hängt zusammen. Kriegen wir mehr, wollen hier alle mehr. Das Geld wird einfach weniger wert.“ Laudert ist Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. Früher war er Vertrauensmann im Betrieb. Er sagt: „Dieses Jahr müssen wir einfach den Arsch hinhalten. Sonst hat immer der Süden gestreikt, jetzt sind wir dran. Das ist es.“