Essen Hauptbahnhof: ?Ladenflächen statt Aufenthaltsqualität?


Im Herbst beginnt der Umbau des Essener Hauptbahnhofes. In Essen ist man mit den Plänen der Bahn nicht zufrieden.

Hauptbahnhof Essen. Foto: Flickr/Florian_K

In den letzten 50 Jahren hat sich ja vieles geändert: Es gibt jetzt Buntfernsehen, Menschen flogen auf den Mond (um dann festzustellen dass es dort auch nicht viel spannender ist als in Oer-Erkenschwick), der Computer hat sich irgendwie als Technik durchgesetzt, fast alle Wohnungen haben ein Badezimmer und VW stellte die Produktion des Käfers ein.
Doch auch in dieser von Hektik und Veränderung geprägten Welt gibt es Inseln der Ruhe, in denen man das Gefühl hat, die Zeit sei stehen geblieben. Der Essener Hauptbahnhof ist einer dieser Orte. OK, man hat den traditionellen Besatz an Alkoholikern dem Zeitgeist folgend durch ein paar Junkies ergänzt und in ein paar der Ladenlokale wurde mal geputzt , aber ansonsten versprüht der Haltepunkt gegenüber dem Haus der Technik noch den Charme der 60er Jahre. Würde einem Willy Brandt, bekleidet mit einem Batikhemd, auf dem Bahnsteig entgegenkommen – man wäre nicht verwundert.
Natürlich war man in Essen nie glücklich mit dem Bahnhof und drängte seit Jahrzehnten darauf, dieses Schmuckstück zeitgemäß umzubauen. Seit Jahrzehnten wurden in Essen Pläne diskutiert, aus denen dann Projekte hervorgingen die dann die Bahn vorgelegt bekam. Die bedankte sich und warf die Pläne wohl zumeist in den Reißwolf, denn eines geschah immer: Nichts. Das änderte sich erst als Essen zum Bannerträger der Kulturhauptstadt wurde. Wenn 2010 die Blicke der Welt auf Essen richten würden, da war man sich in der Stadt sicher, dürften sie nicht einen vergammelten Hauptbahnhof sehen. Evonik-Chef Müller nahm sich der Sache höchstpersönlich an. Als Aufsichtsratsmitglied der Bahn macht er Druck auf deren Chef, Hartmut Mehdorn. Und siehe da: Es kam Bewegung in die Umbaupläne – im September beginnen die Arbeiten: 60 Millionen Euro stehen zur Verfügung. Von denen zahlt das Land NRW die Hälfte, die Bahn 16 Millionen und die Stadt Essen 14 Millionen. Mit gut zwei Millionen wird sich auch die Essener Verkehrs AG (EVAG) am Umbau beteiligen.
Doch als Mitte Juli Stadt, Bahn, die Architekten und der Arbeitskreis Essen 2010 zusammen kam, um über die Pläne zu diskutieren, wollte keine Rechte Freude aufkommen. Aus einem mir vorliegenden Protokoll zu dem Treffen am 17. Juli geht hervor, dass die Essener der Runde offensichtlich tief enttäuscht von den Plänen der Bahn sind: „Ingesamt stellen die Vertreter von Essen 2010 fest, dass die Planung der Bahn zur Bahnhofsanierung primär geleitet ist von der Sicherung, ja sogar der Mehrung der Verkaufsflächen unter Zurückstellung der Ansprüche an die Aufenthaltsqualität für den Bahnkunden.“ Auch sei offensichtlich, dass architektonische Qualität nicht das Leistprinzip der Planungen.
Was plant die Bahn nun am Essener Hauptbahnhof?
–    Die Front der Ladenlokale soll Begradigt werden  
–    Im Bereich des ehemaligen Gepäckabfertigung soll einen neue (O-Ton Bahn: „gigantische“  Verkaufsfläche von 1.500m2 entstehen.
–    Es soll eine neue Verkaufsfläche auf zwei Ebenen entstehen. Dafür soll der Ausgang von der oberen Etage zur Innenstadt geschlossen werden
–    Es gibt vier neue Aufzüge zu den Bahnsteigen geben.
–    Die Bahnsteigüberdachung soll überarbeitet werden. Pfiffig: Die Glasschürzen, die Kunden bislang vor Schrägregen schützten werden entfernt.
–    Das Vordach am Nordausgang wird ein paar Lichtöffnungen bekommen.

In Essen ist man mit den Plänen unzufrieden – vor allem weil die Bahn sich vor allem darauf konzentriert, neue – für sie als Vermieter lukrative – Verkaufsflächen zu schaffen, deren Bau sie sich von Land und Stadt finanzieren lässt.

Der große Umbau des Essener Hauptbahnhofes – er ist kaum mehr als ein Rohrkrepierer. Schade, dass dieser Umbau auf HartzIV-Niveau  wohl die Vorlage für den Umbau weiterer Bahnhöfe in der Region ist, denn auch in Dortmund will man den Hauptbahnhof liften. Für Essen ist klar: „mit dem schmalen Budget, das für den Essener Bahnhof bereitgestellt wurde, ist eine angemessene Sanierung sehr schwierig.“
Die Bahn ist übrigens nicht immer so knauserig: Für die Renovierung des Dresdner Hauptbahnhofes, der gerade einmal 1/3 der Fahrgäste Essens zu verkraften hat, werden 230 Millionen ausgegeben. Auch eine Kleinigkeit, verglichen mit dem was der Umbau des Bahnhofes in Stuttgart kosten wird: Dort rechnen Kritiker mit 6,8 Milliarden Euro.

RVR-Chef Klink: Und er bewegt sich doch…

Im Kreis Wesel diskutieren sie über den Ausstieg aus dem Regionalverband Ruhr – nun meldet sich der RVR-Chef zu Wort.

Heinz-Dieter Klink. Foto: RVR

Einen schienen die Auflösungstendenzen indes nicht sonderlich zu interessieren: Heinz-Dieter Klink, der Chef des RVR hielt sich aus den ganzen Diskussionen um den RVR – Austritt weitgehend raus – und auch der Verband hielt sich politisch zurück. Intern hatte Klink die Parole ausgegeben, dass die Austrittsdiskussionen interne Probleme der Verbandsmitglieder wären, aus denen sich der RVR raushalten solle. Erst wenn es um die konkrete Frage des Austritts ginge, solle sich der RVR äußern. Die ausgebene Verteidigungslinie: Ein Austritt aus dem RVR kommt den Städten und Kreise teurer zu stehen als die Mitgliedschaft. Kein Argument, das von Selbstbewußtsein strotzt. Doch nun hat Klink es sich wohl anders überlegt. In einem Schreiben vom 30. Juni, das Klink an die "Hauptverwaltungsbeamtinnen,
Hauptverwaltungsbeamten und Fraktionsvorsitzenden der Städte und des Kreises im Kreis Wesel" schickte, schreibt Klink: "bei der im Kreis Wesel anstehenden Entscheidung über den Verbleib im Regionalverband Ruhr geht es um eine wichtige Zukunftsfrage für das Ruhrgebiet und damit auch für Ihre Stadt. Viele gute – ich meine sogar zwingende – Gründe wie das bisher gemeinsam Erreichte sprechen dafür, am kommunalen Verbund im Ruhrgebiet festzuhalten und ihn künftig noch enger zu gestalten. So soll die beigefügte Auswahl von 10 prägnanten Argumenten nicht bloß werben, sondern überzeugen, wo vielleicht noch Unsicherheit über die Bereitschaft zur aktiven Rolle der eigenen Kommune in der Metropole Ruhr besteht. Ich bitte Sie daher, die genannten Gründe für eine weitere Mitgliedschaft im RVR bei Ihren politischen Beratungen zu berücksichtigen."

Die zehn Gründe, warum es für die Kreise und  Städte besser ist, im RVR zu bleiben als auzutreten sind laut Klink:

1. Der RVR bildet mit seiner landesgesetzlichen Grundlage die einzige demokratisch legitimierte und damit verlässliche regionale
Klammer des Ruhrgebiets. Er war und ist auch für andere Regionen in Deutschland das Vorbild, eine Regionalorganisation auf der Basis eines eigenen Gesetzes zu errichten (z.B. Regionalverband Stuttgart). Keine selbst organisierte themenbezogene kommunale Kooperation kann diese Qualität ersetzen.
2. Der RVR bietet das einzige Forum für alle Städte und Kreise im Ruhrgebiet; nur sein räumlicher und inhaltlicher Zuständigkeitsbereich
definiert die Metropole Ruhr. Ohne Zugehörigkeit zum RVR keine Zugehörigkeit zur Metropole Ruhr.
3. Nur der RVR sichert auf der Basis politischer Abstimmungsprozesse in der Verbandsversammlung als „Ruhr-Parlament“ ein gleichberechtigtes Nebeneinander der Kommunen, sorgt für einen fairen Interessenausgleich innerhalb der Region und trägt damit entscheidend zu einer gleichmäßigen Entwicklung des Ruhrgebiets bei. Die Tatsache, dass sich mit „Essen für das Ruhrgebiet“ die gesamte
Metropole Ruhr erfolgreich um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2010“ beworben hat – und ihn auch nur als Gesamtheit gewinnen
konnte -, ist der Fähigkeit des Verbandes zur Herstellung des regionalen Konsenses zu verdanken.
4. Der RVR organisiert in seinen Gremien als einziger den kommunalen Konsens über die Metropole Ruhr und ist so besser als alle anderen in der Lage, regionale Entwicklungsstrategien und Projekte anzustoßen, zu erarbeiten und umzusetzen. So widmet sich der RVR regionalen Handlungsbedarfen mit seinem Instrument der Masterplanung, aktuell etwa zu Themen wie „Saubere Luft“, „Kultur“ und „Sport“.
5. Der RVR verleiht der Metropole Ruhr mit markanten städte- und landschaftsbaulichen Verbundprojekten eigener Art ein unverwechselbares
Gesicht. Beispielsweise mit der Route der Industriekultur, dem Emscher Landschaftspark und der Kette der Haldenereignisse schafft der
Verband eindrucksvolle, über die Grenzen der einzelnen Städte hinausgreifende Verortungen der Metropole Ruhr, die aufgrund ihrer
Polyzentralität durch punktuelle Wahrzeichen alleine nicht in ihrem viele Kommunen umfassenden Charakter repräsentiert werden
kann.
6. Der RVR akquiriert durch die Initiierung und Profilierung regionaler Projekte Fördermittel des Landes, des Bundes und der EU, die für den Aufbau der Metropole Ruhr unverzichtbar sind. Alleine in den Jahren 2004 bis 2007 hat der RVR Fördermittel in einer Größenordnung von rund 50 Millionen Euro für die Region gesichert.
7. Der RVR verschafft seinen Mitgliedern national wie international eine Wahrnehmung, die kein Mitglied alleine erzielen kann. Im Rahmen seiner regionalen Öffentlichkeitsarbeit, operativ an vielen Stellen unterstützt durch eigens gegründete RVR-Gesellschaften wie z.B. die Ruhr Tourismus Gesellschaft und die Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr GmbH, stellt der RVR z.B. durch sein Internet-Kulturportal KIR (einzige regionalweite Veranstaltungsübersicht) und auf Messen wie der ITB, der Expo Real und der Mipim die Leistungen der Metropole Ruhr und ihrer Kommunen dar.
8. Der RVR kann Aufgaben durch Synergien deutlich günstiger erledigen als jedes Mitglied alleine. Beispiele hierfür liefert der Verband mit seinem Geodatenverbund im Stadtplanwerk Ruhr, dem Rad- und Wanderwegebau und der Freiraumpflege.
9. Der RVR kann durch seine zahlreichen Spezialisten und eng eingebunden in eine Vielzahl von Netzwerken mit externen
Partnern auch komplexe Projekte flexibel und nachhaltig realisieren. Ohne sein spezifisches regionales Know-how sind Metropolenprojekte
wie der Emscher Landschaftspark, die großräumigen Freizeitangebote wie Revierparks, Erholungswälder und dazugehörige
Infrastrukturen sowie Events wie die Ruhrolympiade und Extraschicht nicht machbar.
10. Der RVR hat 88 Jahre Erfahrung im Regionalmanagement. Dieser Vorsprung gegenüber allen anderen deutschen Regionen
bildet die verlässliche Basis und Voraussetzung, dass die Zukunftssicherung als Metropole Ruhr gelingt. Never change a winning team.

Gut, dass Klink in diesem Schreiben auf die Stärken des RVR hinweist: Es gibt ein (wenn auch schwaches) Parlament. Besser als nichts – man könnte es ja stärken. Klink hat Recht: Viele Projekte, wie die Route der Industriekultur und die Kulturhauptstadt 2010 hätten die Städte ohne den RVR nie hinbekommen. Auch ob es eine gemeinsame Wirtschaftsförderung je gegeben hätte, wenn die Städte sie hätten gemeinsam gründen und finanzieren müssen, ist eher unwahrscheinlich – auf viel mehr als warme Worte konnten sich die Städte untereinander bislang nur selten einigen. Auch gemeinsame Messeauftritte hätte es kaum gegeben. Dass das Internetportal KIR von etlichen privaten Internetseiten lässig getoppt wird – geschenkt. Zu kleinkrämerisch bin selbst ich nicht.
Aber die Kritik der Grünen im RVR an dem Papier von Klink ist nachvollziehbar. Deren Fraktionsspitzen Sabine von der Beck und Martin Tönnes kritisieren in einem Schreiben an Klink vom 8. Juli, dass Klinks Papier nicht nur ein Alleingang war – was  wohl Klinks gutes Recht  ist, sondern auch, dass er kaum auf die besondere Situation im Kreis Wesel eingeht. Weder auf die Stärken des RVR, der sich in den vergangenen Jahren besonders im Kreis Wesel engagiert hat (Üfter Mark, Bislicher Insel, Freizeitzentrum Xanten) noch die spezifischen Probleme des Kreises mit dem RVR werden benannt: " (Es) fehlt eine Auseinandersetzung mit dem Thema AGR, die im Kreis Wesel mit der Verantwortung für die Deponienachsorge in den öffentlichen Diskussionen eine durchaus zentrale Rolle spielt. Hierbei wird ja auch gezielt mit den Ängsten der Bürgerinnen und Bürger gespielt, dem Sachargumente durch entsprechende Investitionsplanungen und andere Aktivitäten öffentlich entgegen zu stellen sind.

Auch wollen die Grünen Zukunft darfür sorgen, dass es deutlicher wird, dass die Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr GmbH, die Revierparks oder auch der Ruhrtriennale Veranstalter Kultur Ruhr GmbH ganz oder zum großen Teil Tochtergesellschaften des RVR sind.

Die Grünen fordern von Klink auch mehr Eigenintiative und Ideen – daran herrscht im Verband ein großer Mangel: Ein Nachfolgeprojekt für die Kulturhauptstadt 2010? Niente. Schade nur, dass auch die Grünen im RVR einen Dienstleister der Städte sehen. Das könnten Agenturen besser erledigen als ein Verband. Der RVR müßte Taktgeber sein, Ideenschmieder und laut zu vernehmender Interessensvertreter der Region. Doch bis der RVR das (wieder) wird, ist es wohl noch ein weiter Weg.

Beck will von Rüttgers Aufklärung über WDR-Filz

Erstaunlicherweise bekommt der WDR-Filz (wie von den Ruhrbaronen hier beschrieben: klack) im früher als "Rotfunk" beschimpften Sender rund um den WDR-Rundfunkratsvorsitzenden Reinhard Grätz (SPD) und den Chef des WDR-Verwaltungsrats Ludwig Jörder nun ausgerechnet Druck aus einem Bundesland unter SPD-Herrschaft. Nämlich aus Rheinland-Pfalz, dem Heimatland von SPD-Chef Kurt Beck. von Marvin Oppong

Der Chef von Becks Staatskanzlei Martin Stadelmaier sagte:

"Frau Intendantin Piel ist gefordert, Klarheit über die Beteiligung der beiden Gremienmitglieder an WDR Unternehmen zu schaffen. Es liegt im Interesse der Effektivität der Binnenkontrolle des Öffentlich-Rechtlichen, wenn Aufsichtsfunktionen und Geschäftstätigkeit sich nicht in einer Hand vereinen", so Stadelmaier.

“Die CDU/CSU in den Ländern ist gefordert, endlich ihren Widerstand gegen eine Inkompatibilitätsregelung aufzugeben“. Die SPD-geführten Länder fordern seit langem im Rundfunkstaatsvertrag eine Regelung aufzunehmen, die sicherstellt, dass Gremienmitglieder in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht zugleich Geschäftsleitungsfunktionen in Eigen- oder Beteiligungsunternehmen wahrnehmen oder Anteile an ihnen halten."

Ich recherchiere weiter über den Filz beim WDR: Wenn einer was hat, ich bin unter Marvin.Oppong@ruhrbarone.de zu erreichen.

Loveparade, Laufparade – Verkehrschaos am Samstag

Besucherrekord bei der Loveparade in Dortmund – wunderbar, aber sicher wäre es noch ’ne Million mehr Besucher geworden, wenn der öffentliche Nahverkehr funktioniert hätte.

Am Samstag Nachmittag hieß es am Essener Hauptbahnhof über die Lautsprecher: "Ein Zugverkehr in Richtung Bochum und Dortmund ist zur Zeit aufgrund von unbefugten Personen im Gleisbereich nicht möglich. Wir halten Sie auf dem Laufenden." Gleise quollen über vor traurigen Ravern, Züge fielen aus, die Polizei verhinderte das Betreten der Bahnsteige, und das mehrere Stunden lang. Allerorts entnervte Fahrgäste. Ein denkwürdiger Tag der Immobilität. Zu Fuß wärs vielleicht noch gegangen. Laufen anstatt Abzappeln…

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Rekordparade im Ruhrgebiet

"Pott schlägt Hauptstadt: Die Loveparade 2008 in Dortmund hat mit 1,6 Millionen Ravern einen Besucherrekord aufgestellt – und die letzten Spektakel in Berlin bei weitem übertroffen" schreibt SPON – und dabei war das Wetter gestern wirklich mies.

Loveparade. Foto: Stadt Dortmund

Es ist das alte Problem der Kulturkritik, dass sich eigentlich kaum jemand für ihre Diskurse interessiert – so auch bei der Loveparade. Ob die (dämlichen) Reden von Dr. Motte wichtig waren, Techno noch einen wichtigen Beitrag zur Popkultur liefert oder die 1989 in Berlin gestartete Loveparade ihre  Autentizithät verloren, seitdem sie vom Betreiber einer Fitnessstudiokette gemanagt wird, fanden zumindest die 1,6 Millionen, die gestern in Dortmund für einen neuen Besucherrekord sorgten und vor allem ihren Spaß haben wollten, nicht ganz so spannend. Die Loveparade ist Karneval im Sommer und das ist OK. Wem es nicht gefällt, der muß ja nicht hingehen und hat täglich zahlreiche Gelegenheiten, seinen elaborierten Geschmack unter Beweis zu stellen. Im nächsten Jahr kommt die Loveparade nach Bochum – mal schauen ob ich sie mir dann anschaue, denn eigentlich mag ich keine Bässe – ein Problem, bei einer Technoparty, aber einen Teil des gestrigen Lineups hätte ich mir ganz gerne angeschaut: Moby und Underworld – vielleicht sind sie ja nächstes Jahr auch dabei. Übrigens: Eine schöne Fotostrecke gibt es  auf der Internetseite der Stadt Dortmund.     

Update: Schicht im Schacht

Heute Abend lohnt es sich, um 20.15 Uhr einen Blick ins Fernsehprogramm zu werfen: Der neue Schminanski läuft im Ersten.

Schimanski (Foto: Wikipedia)

In den 80ern probten wir mit unserer Band, deren Namen nicht erwähnt werden muß, weil ihn schon damals niemand kannte, jeden Sonntag in einem Bunker in Gladbeck-Brauck. Der Termin war heilig, nicht zur Probe zu erscheinen ein Sakrileg. Es sei denn, die ARD zeigte einen Schimanski-Tatort – das ging natürlich vor. Da schwiegen selbst die Stromgitarren. Der neue Schimanski heißt "Schicht im Schacht" und die Kritiken in der Süddeutschen, der Welt und der Rundschau sind gut, die taz hat auch noch ein paar lustige Anmerkungen veröffentlicht, wie es auch der Stern tat.

Für das Ruhrgebiet war Schimanski in den 80er Jahren, die erste Folge "Duisburg Ruhrort" wurde am 28. Juni 1981 ausgestrahlt,   eine außerordentlich wichtige Figur: Die von dem Berliner Schauspieler Götz George verkörperte Figur des Duisburger Hauptkommissars Horts Schimanski wurde vor allem für die damaligen Kids zu einem Symbol des Ruhrgebiets. Schimanski war kein alter Bergmann, wie der von Jürgen von Manger dargestellte Tegtmeier, sondern ein unkonventioneller Ermittler im Stil amerikanischer Action Serien. Mit Schimi konnte man sich indentifizieren. Das Ruhrgebiet wurde als Dschungel dargestellt. Eine Gegend mir rauem Charme, nicht von klassischer Schönheit, aber dafür einzigartig. Das Ruhrgebiet war etwas besonderes geworden.  Bei der Beurteilung der Schimanski Tatorte ging ein Riß durch die Bevölkerung. Während die einen die Tatort-Folgen mit Götzt George liebten, stieß er in den traditionell orientierten Kreisen der Bevölkerung auf Ablehnung. Zu realistisch war das dort gezeigte Bild des Ruhrgebiets als  Region im Niedergang, als das man sich damit identifizieren wollte.
Doch den Aufstieg Schimanskis zu einer Ikone des Ruhrgebiets konnte auch dieser Widerstand nicht verhindern.
Auch heute noch wird über Schimanski genörgelt. Die gute, alte WAZ bemängelt, dass der neuen Schimanski nicht in ausreichendem Maße die Fortschritte des Strukturwandels würdigt, die erfolgreichen Neuansiedlungen preist und ohnehin ein nostalgisches Ruhrgebietsbild transportiert. Am Besten, so der Autor, Schim sollte in Rente gehen. Ach, es ist wie immer.

Update: War ein richtig guter Krimi. Dramatisch, klar, ein wenig Ruhrgebietskitsch (Aber das darf bei einem Schimanski sein) und eine wirklich gut erzählte Geschichte. Auch die Musik hat mir gut gefallen – und so etwas fällt mir bei einem Fernsehfilm nur selten auf. Kein Grund für Schimi in Rente zu gehen – nur mir fehlt immer noch Thanner.

Die alten Männer vom WDR

Die ganze Nummer ging vor zwei Jahren los, als ich angefangen habe über den WDR zu recherchieren. Ich wollte wissen, wer im Rundfunkrat sitzt. Wer hat da das sagen und warum? Zwei Namen fielen mir nach kurzer Zeit auf. Zunächst der Vorsitzende des WDR-Rundfunkrates, Reinhard Grätz, und dann noch der Chef des WDR-Verwaltungsrats Ludwig Jörder. Zwei Männer, längst über das beste Alter hinaus und doch kontrollieren sie den mächtigsten öffentlichen Sender in Deutschland. Wie können sich zwei Fastrentner an der Spitze des öffentlich-rechtlichen WDR halten? Ich wurde misstrauisch und ging der Sache nach. Nach langen Recherchen fand ich heraus, dass die Gremienchefs an der lukrativen Werbetochter des Senders beteiligt sind – als „Treuhänder“. Interessenkonflikte sind leicht möglich. von Marvin Oppong

In den vergangenen Jahren haben die Öffentlich-rechtlichen Sender immer wieder versucht, ihren staatlichen Charakter zu betonen, wenn es um die Einziehung von GEZ-Gebühren ging oder um staatliche Unterstützung. Wenn es allerdings um ihr Geld geht, haben der WDR und andere öffentlich-rechtliche Sender immer wieder Aktivitäten auf neue Tochterfirmen übertragen. So sind viele privatrechtlich organisierte Firmen entstanden – auch die WDR Mediagroup GmbH in Köln.

Die Gesellschaft soll Werbung im öffentlichen Auftrag möglichst teuer verkaufen und tritt als Finanzier von Programmen auf. So koproduzierten die Kölner den Film „Ein Sommermärchen“ über die Fußball-WM 2006.

Da der WDR der größte Sender in der ARD ist, kommt auch der Kölner Tochter (früher: Westdeutsche Rundfunkwerbung) große Bedeutung zu. Nun habe ich herausgefunden, dass die WDR Mediagroup noch aus einem anderen Grund etwas ganz Besonderes ist: Die Anteile der Gesellschaft gehören nicht nur dem WDR, sondern auch dem Rundfunkratsvorsitzenden Reinhard Grätz und dem Verwaltungsratschef Ludwig Jörder.

Die beiden Chefkontrolleure des Senders als Teilhaber bei einem wichtigen Ableger? Ungewöhnlich – normalerweise halten die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre Beteiligungen völlig in eigener Hand.

Und doch zeigen Dokumente, dass Veteran Grätz seit 1986 und Jurist Jörder sei 1999 Beteiligungen an der WDR-Werbetochter halten – heute in der Höhe von jeweils 677.000 Euro, also von jeweils etwas mehr als zehn Prozent am Gesamtkapital. Der WDR selbst besitzt Anteile im Wert von 5.146.000 Euro.

Auch langjährige Experten haben von den Beteiligungen nichts mitbekommen. Im Internet wiederum weist der WDR seine Mediagroup als 100-prozentige Tochter aus. Einen Hinweis auf die Gesellschafter Grätz und Jörder gibt es nicht.

Nach Ansicht des WDR ist das auch nicht nötig. Der Sender erklärt auf Anfrage, die beiden Gremienchefs würden ihre Beteiligungen an der Mediagroup im Namen des WDR ohne Gewinnbeteiligung ausüben – „ausschließlich unter Effizienzgesichtspunkten“.

In ihrer Antwort verweisen Grätz und Jörder auf ihren mit dem WDR geschlossenen Treuhandvertrag, der nicht einsehbar sei. Sie seien, so das westdeutsche Duo, „nicht als Privatpersonen, sondern satzungsgemäß qua Amt als Gremienvorsitzende treuhänderisch beteiligt“.

Treuhänder? Das erinnert an Camouflage-Aktionen in den Bestzeiten des einstigen Medienmoguls Leo Kirch, der die Fülle seines Besitzes damit ein wenig verdeckte. Jetzt heißt es im Fall WDR, die Treuhänderschaft der Gremienchefs solle der besseren Kontrolle der WDR Mediagroup dienen.

Bessere Kontrolle? Hat nicht bereits der WDR als Mehrheitseigner die volle Kontrolle? Und: Können die Oberaufseher Grätz und Jörder nicht jederzeit alle Papiere anfordern?

Im WDR ist Grätz seit 1985 eine graue Eminenz. Der langjährige SPD-Landtagsabgeordnete war in Zeiten sozialdemokratischer Landesregierungen von politischer Wichtigkeit. Als Chef des WDR-Rundfunkrats ist er zuständig für Beschlüsse über den Jahresabschluss des WDR und die Genehmigung des Geschäftsberichts; ebenso ist er mit Beschlüssen über Erwerb und Veräußerung von Beteiligungen betraut.

Kontrolleur Jörder wiederum ist in der Hauptsache Geschäftsführer der Dortmunder Westfalenhallen. Dort organisierte der WDR-Radiosender 1Live öfter Großevents und Konzerte. In diesem Jahr wird 1Live in der Westfalenhalle mehrere Konzerte präsentieren, zum Beispiel mit den Toten Hosen. Tickets können über die 1Live-Hotline bestellt werden; die Anrufe landen im Callcenter der WDR Mediagroup Dialog GmbH.

So kommt an Rhein und Ruhr eins zum anderen. Als Jörder vor einigen Jahren die Plakette „Eiserner Reinoldus“ von der Stadt Dortmund erhielt, war es dem WDR eine Pressemitteilung wert.

Die wenig effiziente Kontrolle von ARD und ZDF ist andererseits immer wieder ein Thema gewesen. Auch die EU-Kommission fordert Besserung. Sind da Beteiligungen der wichtigsten Kontrolleure der richtige Weg?

Als 2002 wegen der Euro-Umstellung das Stammkapital der WDR Mediagroup erhöht wurde, mussten Grätz und sein Partner Jörder je 37.885,15 Euro zuschießen. Dabei wurde unter Punkt 3 zur WDR Mediagroup festgelegt: „Die neuen Geschäftsanteile nehmen am Gewinn der Gesellschaft vom 1. Januar 2002 an teil.“

Das zusätzliche Geld mussten Grätz und Jörder nicht bar zahlen, sondern sie wurden ausweislich der Handelsregisterunterlagen mit einem Darlehen der beiden WDR-Funktionäre an die WDR Mediagroup verrechnet. Die Gesellschafter brächten „ihren Anspruch auf Rückzahlung der gewährten Darlehen“ ein, heißt es da. Darlehen? Ein Kredit der beiden Aufseher? Wie kam es dazu?

Tatsache ist, dass die beiden Gremienchefs an einer florierenden Firma beteiligt sind. Allein 2006 setzte die WDR Mediagroup fast 100 Millionen Euro um. Im Rahmen eines Gewinnabführungsvertrages führte sie 16.642.789,10 Euro an den WDR ab.

Darüber hinaus weist der Konzernabschluss der WDR Mediagroup zum 31. Dezember 2006 einen Betrag von 40.091,62 Euro als Gewinn aus, der „anderen Gesellschaftern“ zustehe. Davon gehe nichts an Grätz und Jörder, erklärt der WDR, die beiden würden nicht am Gewinn der WDR Mediagroup beteiligt.

„Die Tätigkeit als Gesellschafter ist in vollem Umfang unentgeltlich“, erläutern die beiden Gremienchefs. Die Aufsichtsratsvergütung der WDR Mediagroup in Höhe von monatlich 300 Euro nimmt sich im Vergleich genauso winzig aus wie das Tagegeld von 15 Euro, das jedes WDR-Gremienmitglied bei Sitzungen kassiert.

Eine ganz andere Frage ist, ob der Doppeljob der beiden WDR-Mächtigen nicht Interessenkonflikte hervorruft. Als Rundfunkratschef muss Grätz die Interessen der Allgemeinheit vertreten, als Gesellschafter einer kommerziellen Firmentochter ist er den Normen der Kaufleute verpflichtet.

Grätz und Jörder beruhigen. Sie sehen keinen Konflikt – und können in ihren Doppelfunktionen als Gremienvorsitzende und Gesellschafter keinen Verstoß gegen Vorschriften erkennen: „Im Gegenteil, die treuhänderische Gesellschafterfunktion dient der vertieften Kontrolle der Tochtergesellschaft.“ Zur Frage, ob er im Rundfunkrat an Entscheidungen mitwirkt, die die WDR Mediagroup betreffen, nahm Grätz keine Stellung.

Die beiden betonen im Übrigen „ausdrücklich“, dass mit ihrer Rolle bei der WDR Mediagroup keine finanziellen Vorteile verbunden seien. „Dies“, versichern sie, „ist nicht der Fall“.

Biodiesel geht Bach runter.

Ich war vor einiger Zeit in Marl. Da gibt es eine Biodiesel-Fabrik. Mitten im Chemiepark. Samt Verladestation. Ein schönes Ding, dass neben dem Kohlekraftwerk ausieht, wie der Aufbruch in die Zukunft. Nun, das wird jetzt schwer. Die Biodiesel-Branche steckt in einer tiefen Krise verdammt tief drin.

Foto: Biodiesel Van von London Permaculture auf flickr.com

Als ich vor kurzem mit Rupert Schmid gesprochen habe aus Ochsenfurth in Bayern, konnte ich merken, wie schwer es ist, für die neuen Unternehmer die Niederlagen zu ertragen. Bis vor wenigen Wochen produzierte die Campa AG von Schmid bei Würzburg Biodiesel. Dann kündigten die Banken einen 82-Millionen-Euro-Kredit. Und das war das Ende. Vorstandschef Schmid versteht die Welt nicht mehr. "Vor einem Jahr, da waren wir die Helden, die Pioniere. Und jetzt sind wir für den Hunger in der Welt verantwortlich? Das ist doch alles Quatsch!"

Dabei fing alles so gut an. Im Vertrauen auf politische Versprechen, den Biodiesel als alternativen Treibstoff in Europa zu fördern, investieren seit mehr als zehn Jahren Tausende Menschen in Deutschland Geld in neue Fabriken. Vor allem im Osten des Landes wuchsen seit den Neunzigerjahren Biodiesel-Fabriken aus dem Boden. Die Wachstumsperspektiven waren blendend. 2005 erreichten Biokraftstoffe bereits einen Anteil am deutschen Spritverbrauch von 3,75 Prozent. Ein Jahr darauf legte die große Koalition fest, bis 2015 eine Quote von acht Prozent zu erreichen. Und schließlich verordnete die Europäische Union beim großen Klimagipfel im März 2007 für das Jahr 2020 eine Quote von zehn Prozent Biosprit im europaweiten Treibstoffverbrauch. Es entstand ein Milliardenmarkt, an dem sich jeder beteiligen konnte, der Risiken übernahm. In Marl wurde mitten zwischen die alten Chemiebunker der grundstein für eine neue Branche gelegt.

Auch Campa-Chef Schmid wollte seinen Anteil am Ökoglück. 1,82 Meter groß, mit kräftigem Gesicht und Dreitagebart, gleicht er dem Urtyp des niederbayrischen Unternehmers. 50 Jahre alt, drei erwachsene Kinder, seit 26 Jahren verheiratet.

Vor zehn Jahren überredete Schmid die Landwirte aus der Region um Ochsenfurt, die Chance zu nutzen. Gemeinsam gründeten sie die Campa AG, um aus eigenem Raps Biodiesel zu pressen. Schnell stieg der Umsatz, bis auf 216 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Mehr als 2000 Bauern waren es am Ende, die mit ihm zusammen investierten, sagt Campa-Chef Schmid.

Es sei vor allem darum gegangen, etwas Sinnvolles mit den Feldern zu machen, die von der EU stillgelegt worden waren. Es hieß ja, dass auf ihnen keine Lebensmittel angebaut werden dürfen, sagt Schmid. "Bis zur Ernte im vergangenen Jahr durfte der Raps von den EU-Feldern nur in den Biodiesel gehen. Das ist der Raps, den wir jetzt verarbeiten." Zuletzt produzierte die Campa AG rund 150.000 Tonnen Biodiesel im Jahr. Den neuen Unternehmern kam das relativ einfache technische Verfahren entgegen. Denn es sind keine Raffinerien nötig, um Ökosprit herzustellen. Der Treibstoff wird in Kleinanlagen aus gepresstem Rapsöl gewonnen. Das Öl wird mit verschiedenen Zusatzstoffen vermengt, unter hohem Druck gefiltert und gepresst. Das ist alles. Jeder, der zehn Millionen Euro aufbringt, kann sich seine eigene Fabrik bauen. In Ostdeutschland gab es vor einem Jahr sogar noch bis zu 50 Prozent der Investitionen als staatlichen Zuschuss.

Dabei ist Biodiesel schon seit Jahren umstritten. Gleich zu Beginn des Booms warnte das Umweltbundesamt vor dem Massenanbau von Raps. Die Monokulturen bedrohten die Artenvielfalt, hieß es. Später wurde kritisiert, dass die Bauern Stilllegungsprämien für Ackerflächen kassierten und gleichzeitig am Rapsöl verdienten. Zuletzt hieß es, die Spritausbeute je Hektar Boden sei zu gering. Lange konnte die Kritik den Aufbau der Biodiesel-Branche nicht anfechten. In Deutschland starteten gleich drei Firmen mit einer Biodiesel-Idee an die Börse. Erst vor wenigen Wochen eröffnete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im sächsischen Freiberg eine Anlage der Firma Choren für den Biodiesel der 2. Generation. Die neue Fabrik soll je Hektar Anbaufläche noch einmal die vierfache Menge Ökobrennstoff liefern, wie aus herkömmlichen Anlagen kommt. Dazu muss allerdings eine Raffinerie gebaut werden. Keine einfache Technik, die auch der Mittelstand oder Bauern bezahlen könnte. In Freiberg beteiligt sich der Ölmulti Shell am Projekt.

Weltweit sollten die Menschen an der deutschen "Technologieführerschaft" teilhaben, fand Bundeskanzlerin Merkel. So versprach sie im Herbst 2006 der chilenischen Staatschefin Michelle Bachelet Hilfe beim Aufbau einer eigenen Biosprit-Industrie.

Doch gerade, als die Hoffnung richtig blühte, kam der Dämpfer. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) kassierte einen Großteil der Steuerprivilegien für Rapssprit. Bis 2006 war das Brennöl für Automobile steuerfrei. Ganze LKW-Flotten tankten den billigen Biodiesel. Als im vergangenen Jahr neun Cent Steuern je Liter gezahlt werden mussten, bracht der Absatz ein. In diesem Jahr kamen noch einmal sechs Cent Steuer obendrauf. Die Folgen sind fatal: Es gibt so gut wie keinen Absatz mehr für reinen Biodiesel an den Tankstellen. Allein über die Beimischung von Öko-Öl in normalen Diesel läuft das Geschäft noch einigermaßen. Ingesamt schätzen Branchenexperten können in diesem Jahr 2. MioTonnen Ökosprit abgesetzt werden – bei Produktionskapazitäten von 5,4 Mio. Tonnen.

"Wir fühlen uns alle verarscht", sagt Schmid. Er denkt an Gespräche mit den örtlichen Bundestagsabgeordneten aus Ochsenfurt. An Treffen mit Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU). An Versuche, Steinbrück oder Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) zu erweichen. "Das ist ein Hase-und-Igel-Spiel. Wir wurden von einem zum anderen geschickt." Seehofer habe gesagt, er könne nichts machen. Steinbrück habe gemeint, die Steuern gingen vor. Und Glos? "Der sagte, das sei alles schwierig. Der Glos hat die Hosen voll."

Die ersten Biodiesel-Firmen mussten im vergangenen Herbst aufgeben. Campa traf es im Juni. Schmid kann sich gut an den Todesstoß erinnern. "Mit jeder negativen Meldung über Biodiesel wurden die Banken nervöser", sagt Schmid. Gleichzeitig wurde die Branche wirtschaftlich immer weiter unter Druck gesetzt. Neben den Steuern sorgte die Konkurrenz aus dem USA für miese Umsätze. "Die Amerikaner verschiffen in diesem Jahr eine Million Tonnen Biodiesel nach Europa. Das ist hoch subventioniert." Ein Farmer aus Texas bekommt 25 Cent je Liter Ökosprit. "Das ist so krank, kränker geht es nicht." Selbst die hohen Ölpreise könnten den Biodieselmachern in Deutschland nichts mehr nutzen, sagt Schmid. "Wenn die Preise anziehen, zieht der Preis für Raps an.“ Ein Effekt der Weltmärkte. Öl aus Raps wird weltweit als Dieselersatz genutzt. Wenn wegen steigender Rohölpreise die Nachfrage nach dem Ersatzstoff Raps steigt, gehen die Preise hoch. Auch in Deutschland wollen die Bauern dann mehr Geld für ihre Feldfrüchte. Selbst wenn sie die Biodiesel-Anlage von Campa-Chef Schmid beliefern. „Wir hängen am Ölpreis“, sagt Schmid.

Als dann auch noch Greenpeace eine Kampagne lostrat und gemeinsam mit der Weltbank und der OECD den Biodiesel für den Hunger in der Welt verantwortlich machten, war es um die Branche geschehen. Erst vor wenigen Tagen reduzierte die EU ihre Biospritziele. Nur noch fünf statt zehn Prozent soll in Zukunft der Anteil der Ökotreibstoffe am gesamten Spritverbrauch Europas ausmachen. Ein Sprecher des Verbandes der Deutschen Biokraftstoffindustrie sagt: "Wir rechnen mit weiteren Pleiten."

Dabei ist es für Unternehmer wie Campa-Chef Schmid schwer nachzuvollziehen, warum Biodiesel aus Niederbayern für den Hunger in der dritten Welt verantwortlich sein soll.

Antworten findet man tatsächlich nicht leicht. Zunächst verwechseln viele Biodiesel mit Bioethanol. Anders als Biodiesel wird Ethanol aus Weizen, Mais oder Zuckerrohr gemacht und in normales Benzin gekippt. Dieser Sprit wird vor allem in den USA und Brasilien produziert und steht oft in direkter Flächenkonkurrenz zu Nahrungsmitteläckern.

Aber auch beim normalen Biodiesel kommt es zur Nahrungsmittelverdrängung. Allerdings nicht durch Bayrischen Bauern. Das Konstrukt ist hier komplizierter. Biodiesel wie bei Campa in Ochsenfurt wird aus Raps gemacht, der in Bayern wächst. In Asien wird Biodiesel aus Palmöl gemacht. Erst durch den Übersee-Handel kreuzen sich die Wege des deutschen Ökosprits und des Palmendiesel aus Indonesien. Denn der fertige Treibstoff wird da verbrannt, wo die Nachfrage nach Ökodiesel am größten ist. Und das ist hier in Europa. Dafür sorgen die politischen Ziele der Bundesregierung und der EU. Aus diesem Grund wird Palmendiesel nach Bayern gefahren und verdrängt hier den Rapssprit der örtlichen Bauern.

Leider denkt der Agrarkonzern aus Asien im Zweifel nicht an den Hunger der Menschen. Er macht aus Brot-Äckern Palmöl-Plantagen.

Es gilt das Prinzip des freien Welthandels. An Zölle oder einen anderen Schutz für die heimische Industrie wird nicht gefeilt. So gehen gleichzeitig die deutschen Biodiesel-Bauern ein und hungern die Menschen in Borneo. "Das ist doch schizophren", sagt Campa-Chef Schmidt. Und schüttelt den Kopf. "Wir werden einfach politisch verarscht."

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Huhu – wo seid ihr?

Ja ja, im Ruhrgebiet kann man sich noch aussuchen wo man wohnt. Und wie. Aber wieso wohnen nicht alle meine Freunde in meiner Nachbarschaft? Ist doch schön hier.

Auch nett: Kreuzviertel in Dortmund. Foto: Ruhrbarone

Als meine Eltern – genauer meine Mutter und ihr damaliger Lebensabschnittsgefährte – Ende der 70er Jahre eine Wohnung in Frankfurt suchten, ging es um die Größe: Drei Zimmer sollten es sein, davon sich den Stadtteil aussuchen zu können, wagten sie selbst als Doppelverdiener nicht zu träumen. Ein paar damals ganz üble Quartiere wie Bonames, Nordweststadt oder das Gutleutviertel waren tabu, aber ansonsten wurde in der ganzen Stadt gesucht. Am Ende zogen wir nach Bornheim – Glück gehabt.
Als ich 1996 nach Bochum zog nahm ich eine Wohnung in der Nähe vom Marabo. Erst später erfuhr ich, dass ich nun im Ehrenfeld wohnte und dass etwas Tolles ist. OK, das Bermudadreieck war nicht weit entfernt und einen Supermarkt gab es auch um die Ecke. Außerdem war es ruhig.
Als meine Freundin und ich im vergangenem Sommer in Bochum begannen nach einer Wohnung zu suchen, gingen wir deutlich wählerischer vor: Ehrenfeld, Altenbochum oder am Stadtpark waren die drei Viertel, in die wir wollten. Auf Angebote aus Riemke oder Dahlhausen reagierten wir noch nicht einmal und am Ende landeten wir am Stadtpark – zu einer Miete, für die man in guten Lagen Frankfurts eine Doppelgarage nutzen kann, bekamen wir eine renovierte vier Zimmer Altbauwohnung. Bingo.
Eigentlich müssten die meisten die wir so kennen in den drei oben genannten Stadtteilen wohnen. Oder im Kreuzviertel in Dortmund, in Essen-Rüttenscheid, im Dellviertel in Duisburg. Kleine Zusammenballungen müssten entstehen, Quartiere, in denen man sich schon morgens beim Bäcker trifft und sich gegenseitig Salz ausleiht. Dörfer in der Stadt. In anderen Städten ist das so und auch, wenn es teuer ist: Vielen ist eine kleine, miese Wohnung in Köln Lindenthal lieber als eine Gehöft in der Eifel. Im Ruhrgebiet ist das anders. Mein Freundes- und Bekanntenkreis, der nicht in Bochum wohnt (Da wohnen sie fast alle in den drei Vierteln, in die es auch Irene und mich zog)  verteilt sich über: Gladbeck-Ost, Gladbeck-Mitte, Dortmund-Barop, Gelsenkirchen Horst und Buer, Bottrop, Bottrop-Kirchhellen, Duisburg-Rheinhausen, Herten, Recklinghausen-Süd und Herne (Herne und Wanne!). So wird das nie was mit der Metropole – wir knubbeln uns nicht genug! Nur warum nicht? Ist dieses ungewöhnliche Siedlungsverhalten, bei dem die Mieten kaum eine Rolle spielen können, ein Beleg für die Metropole neuen Typs, von der auch hier immer mal wieder geschrieben wird, oder kommt da noch was?

Venite ad Dispargum, studiosi!*


Duisburg will Studenten der Uni Duisburg-Essen, die ihren Hauptwohnsitz nach Duisburg verlegen, die Studiengebühren erstatten. Eigentlich eine gute Idee – aber nur eigentlich.

Jürgen Dressler. Foto: Stadt Duisburg

Jürgen Dressler gehört unter den hunderten von Dezernenten des Ruhrgebiets zu den Beachtenswertesten. Er ist eine eigenwilliger Geist, was ihn schon einmal von den meisten seiner Kollegen und Kolleginnen wohltuend unterscheidet und kommt auch immer mal wieder mit einer ausgefallenen Idee um die Ecke. So forderte er im vergangenem Jahr die Gründung einer eigenen Ruhrgebietspartei und griff die Vertreter aller Fraktionen im Duisburger Rat an – Dressler provoziert gerne, macht aber einen guten Job: Seit 1995 ist er Stadtentwicklungsdezernent. In dieser Zeit ist der Innenhafen groß geworden und hat Duisburg als Standort erst wieder attraktiv gemacht. Den Masterplan für die Innenstadt ließ man von Star-Architekt Norman Foster entwickeln und sorgte auch so für Aufmerksamkeit. Das Duisburg heute nicht mehr  die rote Laterne im Ruhrgebiet inne hat und in der Arbeitslosenstatistik hinter Gelsenkirchen und Dortmund liegt, ist sicher zum Teil der Verdienst einer guten Stadtentwicklungsarbeit, für die auch der Name Dressler steht.
Und nun hat Dressler wieder eine neue Idee. Gemeinsam mit Thomas Lambertz, dem Personalchef der Duisburger Stadtverwaltung, will er Studenten nach Duisburg locken: Wer dem Ruf folgt und in Duisburg seiner Erstwohnsitz anmeldet, soll bei der Stadtverwaltung pro Semester ein 60stündiges Praktikum absolvieren und dafür die Studiengebühren von 500 Euro, die pro Semester an der Uni Duisburg-Essen fällig werden, erstattet bekommen. „Wir stehen in einem Wettbewerb mit vielen anderen Kommunen im Land, die den Verbleib oder Zuzug qualifizierter Fachkräfte fördern, die sonst sogar ins Ausland abwandern" – so Dressler in einer Presseerklärung der Stadt.
In Essen ist man über den Alleingang Duisburgs nicht erfreut und fragt sich, wie eine Stadt, die unter Haushaltssicherung steht und notorisch Pleite ist, so eine Ansiedlungspolitik überhaupt finanzieren  will. Nun, wahrscheinlich gar nicht: Der Vorschlag hat das Potential vom Regierungspräsidenten in Düsseldorf, der über den Duisburger Haushalt wacht, gleich wieder kassiert zu werden. Und dann stellt sich noch die Frage, wieso die klammen Ruhrgebietsstädte sich gegenseitig die attraktiven Bürger abspenstig machen sollten. Duisburg hat wahrlich andere Sorgen als Studenten zum Umzug von Oberhausen nach Duisburg zu bewegen, denn wie alle Hochschulen des Reviers ist Duisburg-Essen vor allem eine Pendler-Uni.
Die Idee ist also Unsinn.
Und die Idee ist richtig, wenn man sie etwas größer denkt und das Dresslersche Provokationspotential mit einrechnet. Denn das Problem Duisburgs ist das gleiche wie das des Ruhrgebiets: Der Bevölkerungsmix stimmt nicht. Das Ruhrgebiet ist überaltert, zieht zu wenig jungen Mensche von außerhalb an und auch das Qualifizierungsniveau dürfte etwas höher sein.  Dafür gibt es die verschiedensten Grüne:
–    Die bald vielleicht wieder kehrende Pendlerpauschale macht es möglich, billig in der Pampa zu bauen, aber im Ruhrgebiet zu arbeiten. Sie subventioniert den Wegzug aus den Ballungsräumen und die Zersiedelung des Umlandes.
–    Es fehlen attraktive Jobs.
–    Das Image des Ruhrgebiets ist immer noch schlecht. Wer hier wohnt mag es, aber wer hier nicht wohnt, glaubt immer noch, dass hier die Briketts durch die Luft fliegen.
Dresslers Grundgedanke ist gut: Stadt sich damit abzufinden, dass es nun einmal so ist, wie es ist, will er die Bevölkerungsstruktur seiner Stadt ändern. Bingo – der Ansatz ist richtig und sollte die Grundlage für eine regionale Bevölkerungspolitik sein: Wir müssen uns überlegen, wen wir hier haben wollen und um diese Menschen werben. Warum nicht Studenten, die ins Ruhrgebiet ziehen eine preiswerte Wohnung garantieren? Es stehen genug leer. Warum nicht mehr attraktive Baugrundstücke ausweisen, damit weniger junge Familien ins Umland ziehen? Warum werben wir nicht im Ausland um Studenten? Warum nicht eine zielgruppengenaue Werbung um potentielle Zuzügler entwickeln?
Die Städte im Ruhrgebiet sollten sich nicht schon wieder gegenseitig Konkurrent machen und das wenige Geld dass sie haben verbrennen, sondern sich gemeinsam überlegen, wie sie national und international besser auftreten können.
Wenn Dressler mit seinem Vorschlag eine solche Diskussion anstoßen wird, wäre viel gewonnen.

* Dank an Weltkind für Korrektur