Metropole wirr

 

Neueste Spekulationen zum Imageslogan fürs Ruhrgebiet klick und klack. Überraschung: Das Ding soll jetzt untenrum irgendwas mit Ruhr heißen. Und oben steht ein R im Kreis.

  

Unten steht dann also Ruhr und TeamworkCapital bzw. Teamwork bzw. Team minus Work minus Capital oder auch MetropoleWir (für den Hausgebrauch). Oben rechts soll auf jeden Fall auch etwas stehen, und zwar ®, was für Trademark steht, genauer für eine Marke, die "zumindest in einem nationalen Markenverzeichnis erfolgreich registriert wurde". Schreibt Wikipedia. Kurzum: Der neue Slogan fürs Ruhrgebiet heißt also voraussichtlich "Ruhr zumindest in einem nationalen Markenverzeichnis erfolgreich registrierte Gruppenarbeit" beziehungsweise "Ruhr zumindestens in einem nationalen Markenverzeichnis registrierte MetrolpoleWir".  Klasse.

Im Ernst: Dann lieber das bekloppte ruhrn und bitte, bitte nicht mehr weiter verschlimmbessern.     

Schnapsgläser voll Gas und der Filz rund um die AGR

Die Abfallgesellschaft Ruhr (AGR) wehrt sich gegen die Abdeckung ihrer vor zehn Jahren stillgelegten Mülldeponie Rheinberg. Das Vorhaben würde mehrere Millionen Euro kosten, heißt es. Eigentlich müsste das egal sein, weil die Bürger die Sanierung der Kippe schon mit ihren Müllgebühren bezahlt haben. Das findet auch der Landrat des zuständigen Kreis Wesel Ansgar Müller (SPD). Doch die AGR meint, die Abdeckung der Deponie sei jetzt falsch, erst müsse die Kippe ausgasen. Um ihre Aussage zu stützen, hat die AGR ein Gutachten der Universität Duisburg-Essen, Siedlungs- und Abfallwirtschaft vorgelegt.

Doch das Gutachten macht stutzig, denn aus der Kippe entweichen laut Gutachten nur 200 Kubikmeter Gas im Jahr. Das ist umgerechnet nur ein Schnapsglas Pupsgas am Tag auf der Fläche eines großen Badezimmers. Das ist nicht besonders viel. Jede Kuhwiese läßt mehr Pupsgas an die frische Luft. Zudem ist die AGR verdammt klamm, da sie nach eigener Aussage Geld aus den Deponierückstellungen in den Bau des RZR II gesteckt hat und zudem mit dem Baren Forderungen des Brochier-Insolvenzverwalters bedient hat. Die AGR gehört zu 100 Prozent dem Regionalverband Ruhr, einem Zusammenschluss alles Städte im Revier.

Nun kann man auch feststellen, dass der Gutachter des Rheinberger Deponie-Gutachtens, Professor Renatus Widmann, mit dem ehemaligen AGR-Geschäftsführer Michael Vagedes im Beirat der Uni-Duisburg-Essen, Fachbereich Bauingenieurwesen sitzt. Michael Vagedes – das ist der Mann, der die Müllfirma AGR in die Fast-Pleite geritten hat und als damaliger Chef gleich zwei Dienstwagen von der AGR gestellt bekam.

Die Aufgabe des Beirates als "Förderer" definiert die Uni Duisburg -Essen so:

Der Beirat will die Öffentlichkeitsarbeit des Fachbereichs fördern, um im landespolitischen Raum ebenso wie in der Öffentlichkeit von Stadt und Region auf die Leistungsfähigkeit des Fachbereichs Bauwesen an der Universität Essen hinzuweisen. "Es geht", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Beirat und Fachbereich, "nicht zuletzt darum, die Identität des Fachbereichs Bauwesen – mit Studierenden und Lehrenden gleichermaßen – und letztlich der Universität Essen zu stärken und in der Region zu verankern.

Daneben unterrichten die beiden Männer Vagedes und Widmann übrigens immer mal wieder an der Uni im gleichen Fachbereich über Abfallwirtschaft und Umweltrecht. Auch beim Buch "Biologische Abfallverwertung" traten Widmann/Vagedes gemeinsam als Autoren auf. Aber vor allem die Verbindung der beiden über das Fachgebiet "Siedlungswasser- und Abfallwirtschaft" an der Uni Duisburg-Essen ist auffällig. Vagedes und der Leiter des Fachbereiches Widmann unterrichten hier über alles, was stinkt.

Es gibt noch mehr Verbindungen zwischen Widmann und AGR. Zum Beispiel ist Widmann genauso Mitglied des Arbeitskreis für die Nutzbarmachung von Siedlungsabfällen – ANS e.V. wie die AGR GmbH selbst. Und zusammen trat Widmann mit Vertretern der AGR bei einer Veranstaltung des ANS öffentlich auf.

Widmann vertreibt auch einen Vortrag aus dem Jahr 2003 gemeinsam mit Vorträgen eines AGR-Mitarbeiters über die Homepage der Deutschen Gesellschaft für Abfallwirtschaft e.V.

Zum Schluss aber fällt folgender Vorgang auf, in dem Professor Renatus Widmann mit Geld der AGR ein Thema untersuchte, das er jetzt als Gutachter für die AGR-Deponie Rheinberg wieder aufnahm.

Im Jahr 2004 veröffentlichte der Wissenschaftler in der Zeitschrift Essener Unikate einen Aufsatz unter dem Titel "Mehr als Müll". Darin beschreibt Widmann samt seinen Mitautoren Martin Denecke und Christian Felske ein Projekt, in dem "systematisch Grundlagen zur Bemessung von Methanoxidationsschichten" erarbeitet wurden. Die MOX-Schichten sind wichtig "innerhalb der Deponieabdeckschichten".

Die AGR hat dieses Projekt laut Widmann gefördert. Das schreibt der Professor zumindest in seinem Aufsatz auf Seite 103.

In meinen Augen macht das Renatus Widmann befangen.

 

 

Schorsch Kamerun sucht Freiwillige

Im September wird die Produktion Westwärts im Rahmen der Triennale in der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck aufgeführt. Regisseur ist Schorsch Kamerun.

Schorsch Kamerun. Foto: Pudel-Club

Schorsch Kamerun ist Gründungsmitglied der Band Die goldenen Zitronen, die mit Stücken wie "Am Tag als Thomas Anders starb" und "Dein langes Haar" (Zitat: Popper machen Scherze, Punker schlagen Dich – der Grund dafür ist klar: Dein langes Haar!) für Meilensteine der Nachkriegsdichtung gesorgt haben. Mit "King" Rocko Schamoni  betreibt er in Hamburg den Pudel Club. 2004 erlebte ich Kamerun live bei der Eröffnung der Ruhrfestspiele in Recklinghausen und das DGB-Publikum reagierte auf seinen Soloauftritt eher abwartend. Im weltoffenen Gladbeck dagegen ist Kamerun der Erfolg sicher – aber dafür braucht er Hilfe: 100 Freiwillige werden noch für das Projekt Westwärts gesucht. Bewerbungen mit Lichtbild bitte per Mail an: Constanze Albert, c.albert@kulturruhr.com von der Kulturruhr.  Einschränkung: Gesucht werden ausschließlich  Frauen, Männern, Paaren, Singles, Studenten, Hundebesitzern – mit Hund! – Familien, Rentner, Spaziergänger und Radfahrer.

SPD will Wesel im RVR halten

Die SPD-Fraktion des Regionalverbandes Ruhr (RVR) tagte auf Einladung der Weseler Kreistagsfraktion in der vergangenen Woche im Weseler Kreishaus. im Kreis Wesel wird noch immer darüber diskutiert, ob der Kreis, der von den anderen Ruhrgebietsstädten wie kaum ein zweiter unterstützt wird, aus dem  RVR austritt. Jetzt erklärte Martina Schmücl-Glock, die Fraktionsvorsitzender der Genossen im RVR: „Es ist mir sehr wichtig, dass wir mit den politischen Vertretern vor Ort über die Frage der Zugehörigkeit im RVR diskutieren können. Ich hoffe, dass unsere Argumente und die Diskussion die Vorteile für einen Verbleib des Kreises Wesel im RVR deutlich gemacht haben. Einige SPD-Fraktionen in den Städten des Kreises haben sich ja bereits eindeutig für einen Verbleib im RVR ausgesprochen und ich wünsche mir, dass die SPD-Kreistagsfraktion diesem Schritt geschlossen folgt. Auch der Kreis Wesel ist ein starkes Stück Ruhrgebiet!“

Die SPD im Kreis Wesel will erst im September über ihre Position zum Thema Austritt aus dem Ruhrgebiet entscheiden.

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Ruhr hoch n wird Open-Source Kampagne

Der große Kritiksturm ist vorbei. Nun hat die Detailarbeit an der neuen Ruhrgebietskampagne des Initiativkreises Ruhr begonnen.

Als Anfang April nach erste Details der neuen Ruhrgebietskampagne des Initiativkreises Ruhr an die Öffentlichkeit drangen, war die Aufregung groß: Sowohl in den Medien als auch in den Internetforen stieß der von der Düsseldorfer Filiale der Werbeagentur Grey kreierte Slogan „Ruhrn -Teamwwork orkCapital“ auf einhellige Ablehnung. Selbst die Oberbürgermeister des Ruhrgebiets – in Fragen der internationale Präsentation ihrer Städte nicht gerade erfolgsverwöhnt – bemängelten die mangelnde Volkstümlichkeit der Kampagne, die indes vom Initiativkreis Ruhr, dem neben RWE, E.ON und Evonik die Hochkaräter der deutschen Industrie gleich dutzendweise angehören, im Kern als internationale Investorenkampagne geplant war.

An einen Abbruch der Kampagne denkt indes innerhalb der Initiativkreises niemand. Die Gerüchte über ein Ende der Kampagne seien falsch. Die in diesem Kreis versammeltem Unternehmenschefs, unter anderem Müller, Grossmann und Bernotat, seien Steher und keine Zurückweicher, so ein Beobachter des Initiativkreises. „Rückenwind kennen die eigentlich nur vom Segeln.“
 Überarbeitet werden soll die Kampagne allerdings schon:  Aus In einem internen Protokoll der gemeinsamen Sitzung der Kommunikationsverantwortlichen aus den Mitgliedsunternehmen des Initiativkreises Ruhrgebiet vom 9. April 2008 bei RWE in Essen, heißt es: „ Die von Grey vorgestellte Dachmarkenmechanik stieß auf breite Zustimmung. Die Notwendigkeit einer Dachmarkenstruktur für das gesamte Ruhrgebiet wurde von keinem der beteiligten Fachleute in Zweifel gezogen…“ Hauptkritikpunkt der Sitzungsteilnehmer war der Zusatz „hoch n“ im Logonamen „Ruhr“. Hierzu wurden auch mögliche Alternativen diskutiert. Von Grey wurde ausdrücklich betont, dass „hoch n“ eine Platzhalterfunktion habe, die man durch verschiedene Begrifflichkeiten oder Zeichen modifizieren könnte.”
Die Revierwerbung soll nun zu einer Open- Source- Kampagne weiterentwickelt werden. Das kritisierte n – in der Mathematik ein Zeichen für eine unendliche Menge in Potenz – soll künftig nur noch ein Platzhalter sein. „Anstatt n kann dann Kultur verwendet werden, IT oder, für ganz leidensfähige, RWE für Rot Weiß Essen“, so ein Kommunikationsverantwortlicher aus einem der Mitgliedsunternehmen des Initiativkreises.

Bochum Total 2008: Alec Empire, Extrabreit, Emil Bulls…

Festivals, Festivals, Festivals…auch von Bochum Total, dem größten Open Air Festival Europas, gibt es Neuigkeiten. 

Bochum Total 2007. Foto: Nerotunes

Erste Teile des Programms von Bochum Total 2008 stehen fest. Für das Festival, das vom 3. bis zum 6. Juli im Bermudadreieck stattfinden wird, haben zugesagt: Extrabreit, Emil Bulls, Bakkushan, Ghost Of Tom Joad, Panik, Jennifer Rostock, Dúné, Fotos, My Baby Wants to Eat your Pussy, Polarkreis 18, Dirk Darmstädter, Pilot, Ian Annesson, Tapesh, Paula, TikTak (Beatbox aus Polen), Krieger, Schwefelgelb, Van Canto, Alec Empire, Pilot, Atomic, Jo Hartmann, Alpha Boy School, Matthias Rauch, Christian Hirdes und Schröders.

Hardrockende Pandabären

 

Der will nur spielen ..."Jazz, Jazz, Jazz" ließ Helge Schneider einst im sinnigerweise "Jazz" betitelten Film skandieren und Jazz, Jazz, Jazz – ich kann es nicht mehr hören und lesen. Scrollt man diese Seite entlang erschlägt das Moerser Jazzfestival den Ruhrbaron. Deshalb soll das Kontrastprogramm am Pfingstwochenende nicht zu kurz kommen: Im Gelsenkirchener Amphitheater setzte das RockHard-Festival an drei Tagen lautstarke Kontrapunkte zum Gefiedel am Niederrhein. Und, mal ehrlich: Als Ruhrbaron muss man sich die Finger schmutzig machen dürfen, Jazz ist was für feine Damen, für Bayern-Fans, für Kaufhausdetektive.

Drei Tage schmutzige lange Haare, Jeanskutten, Bikerboots, schwarze Hosen, schwarze T-Shirts, schwarze Fingernägel – das war das RockHard-Festival, in dessen Verlauf rund 6000 Metalanhänger in Gelsenkirchen feierten, als seien 50 Jahre ohne Meistertitel ein Klacks. Als sei es ein Signal mussten die in Originalbesetzung reformierten Thrash-Metaller von Testament zum Auftakt am Freitagabend auf ihren begnadeten und in seinem anderen Leben als Kopf eines Jazz-Trios agierenden Gitarristen Alex Skolnick verzichten. Der Gute war irgendwie abhanden gekommen, auf dem Jazzfestival soll er aber nicht gesichtet worden sein. Am Samstag dominierte dann zwischen Emscher und Rhein-Herne-Kanal der 80er Metal (Helstar / Exciter) und die Pandabärenschau von Immortal, die mit ihren weiß-schwarz geschminkten Gesichter im Duisburger Zoo für eine Knut-Mania gesorgt hätten. Am Sonntag ging es schließlich gemäßigter zu und lediglich die Dauerproleten von Napalm Death ließen Jazzatmosphäre aufkommen. Ihre (De-)Kadenzen hätten einem Freejazzer a la Ornette Coleman zur Ehre gereicht. Alle Musiker spielten unterschiedliche Stücke in unterschiedlichen Tonarten – zusammen. Klingt komisch, war aber so. Besser machten es die Skandinavier Volbeat, deren "We love the sun"-Rufe vor allem den Dunkelmetallern übel aufgestoßen sein dürften – wenn diese just in dem Moment aus ihren Särgen geblinzelt hätten. Haben Sie aber nicht und so ging mit lautem Getöse von Iced Earth einmal mehr ein friedliches, ja familiäres Hardrockfestival zu Ende, bei dem erneut galt, dass bei diesem stimmungsvollen Event die Musik prinzipiell egal ist – wenn es kein Jazz ist natürlich. Fotoimpressionen zum Festival gibt es auf hier!

 

 

 

 

 

 

 

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Keiner schreibt mehr über Jazz

Moerser Jazzfestival: Auf dem Kulturpolitischen Forum herrschte weitgehend Einigkeit zwischen den Experten. Das Thema: Keiner redet über Jazz – liegt es an den Medien? Auf dem Podium: Ralf Dombrowski (Spiegel Online), Stefan Hentz (Die Zeit), Wolf Kampmann (Jazz thing), Wolfgang Rauscher (Jazzzeit) und Martin Woltersdorf (Kölner Stadtanzeiger). Die Ruhrbarone dokumentieren die Ergebnisse der Debatte:

  • Es gibt unglaublich viele gute Jazzmusiker. Es gibt auch immer jüngere Jazzmusiker auf hohem Niveau, aber ein überaltertes Jazzpublikum. Der Jazz hat im Verborgenen eine spannende Szene entwickelt, die auf zu wenig Resonanz trifft. Das Problem dabei: Die gesellschaftliche Relevanz ist spätestens seit der Jahrtausendwende verloren gegangen. Es blüht aber ein Nachwuchs, der mit dem Begriff Jazz nicht mehr adäquat abgedeckt ist. Viele Musikrichtungen, die selbst kein Jazz sind, bedienen sich bei Mutter Jazz.
  • Der Jazz erneuert sich so von den musikalischen Rändern her. Vom Hiphop oder den Ethnomusiken kommen neue Impulse in den Jazz. Die Vermittlung der Tradition des Jazz alleine hilft da nicht weiter. Wichtig sind gleichermaßen die Weiterentwicklung des Jazz als auch die Vermittlung seiner Geschichte. Hier sind die Medien gefragt.
  • Die drei bis vier professionellen deutschsprachigen Jazzmagazine, wie zum Beispiel "jazzthetik" führen den Diskurs und kämpfen für die Sache. In der Tagespresse wird der Jazz zunehmend marginalisiert. Jazz ist einfach zu schwierig, nicht populär genug. Der Platz in dem Feuilletons ist zurückgegangen. Immer öfter betreuen dort Klassik- oder Pop-Redakteure die Jazz-Berichterstattung mit. Kurz: Dem Jazz sind die Hörer weggelaufen, den Zeitungen die Leser. Beides bedingt sich.
  • Es gibt keine gesellschaftliche Diskursfreudigkeit bezüglich des Jazz. Der Jazz ist einfach nicht mehr provokant, er führt nicht mehr zu Diskussionen wie zum Beispiel in den Sechziger Jahren, als Freejazz und Black Power in einem Atemzug genannt werden.
  • Musik, auch Jazz, ist zunehmend austauschbar geworden. In der Flut der Musik ragt das Besondere nicht mehr sehr hervor. Und: Improvisation ist nicht mehr ein Monopol des Jazz. Wie weit geht der Jazzbegriff zur Zeit? Ralf Dombrowski redet nicht mehr nur von "Jazz", sondern von "freier improvisierter Musik" oder "ethnischer Musik". Es entstehen Spannungen in der Begegnung verschiedener Musiken und Musiker, die aufeinander treffen. Es wird einen neuen Jazzbegriff geben müssen.
  • Liefert der Jazz überhaupt noch zeitrelevante Themen? Im letzten Jahrhundert war er so wichtig wie Architektur oder Bildende Kunst. Heute versinkt er innerhalb der kulturellen Wahrnehmung in der Bedeutungslosigkeit. Bis in die 90er Jahre war Jazz ein Lebensgefühl, inzwischen hat die Atomisierung der Musikstile sowie die Demokratisierung der Musikproduktion zu einer abnehmenden Signifikanz – Musik, auch Jazz, ist zunehmend austauschbar geworden. In der Flut der Musik
    ragt das Besondere nicht mehr sehr hervor. Und: Improvisation ist nicht mehr ein Monopol des Jazz.
  • Wie weit geht der Jazzbegriff zur Zeit? Ralf Dombrowski redet nicht mehr nur von "Jazz", sondern von "freier improvisierter Musik" oder "ethnischer Musik". Es entstehen Spannungen in der Begegnung verschiedener Musiken und Musiker, die aufeinander treffen. Es wird einen neuen Jazzbegriff geben müssen.

Der Link zum Thema: www.radio-jazz-research.de

Moers 2008 war auch nicht anders: Die Szene lebt

Ein Gast-Kommentar von Stefan Pieper

Ist der Jazz wirklich ein therapiebedürftiger Patient? An diesem sonnigen Ort beim Moers-Festival betreibt ein gewisser Prozentsatz der Festivalbesucher tatsächlich Diskurse – ständig aufs Neue angeregt durch die hier so manigfaltig offerierten Momente von ästhetischer Faszination in den vielen Konzerten und Live-Projekten. Der Jazz als solcher ist dabei zur Minderheiten-Sache geworden – vor allem in seiner historisch strengen Genre-Definition. Entspricht also der vibrierende Kosmos der Moerser Zeltstadt der heutigen kulturellen und gesellschaftichen Realität?

Wo sind die gesellschaftliche Relevanz, der Umsturzgedanke und das visionäre Potenzial geblieben – etwa wenn es norwegische Freejazz-Ensembles oder der legendäre Cecil Taylor freejazzig krachen lassen? Was in den Gründerjahrzehnten verstört, wird heute in unzähligen Nischen und zahllosen ausdifferenzierten Verästelungen gehegt und von einer spezialisierten Minderheit hoch geschätzt. Die Massenmedien stellen die Abschottung gegenüber der Masse zuverlässig sicher.

Musiksendungen, in denen einzelne Autoren bestimmte Künstler präsentierten, werden ins Nachtprogramm abgeschoben und in ihrer Zeitdauer gekürzt.Wenn die Anzeigenredaktion einer Tageszeitung eine halbseitige Anzeige beansprucht, fliegt als erstes das halbe Feuilleton raus. Und dort zuerst alles, was irgendwo zwischen den Stühlen von quotenträchtigerer Pop-Kultur und etabliertem bürgerlichem Kulturbetrieb eingezwängt liegt…

….aber der ist inzwischen wunderbar vielfältig aus den engen Genre-Gleisen ausgebrochen. Die Szene lebt! Musiker, Bands und Projekte befruchten einander, bringen ihren immer größer werdenden Output ans geneigte Hörer-Ohr, ohne noch den Mechanismen der Unterhaltungsindustrie unterworfen zu sein. Hier muss eine engagierte Medienarbeit ansetzen. Bernt Noglik, einer der berufensten Jazz-Autoren im Lande, moderiert dieses Podiumsgespräch.

Er plädiert dafür, dass sich die unterschiedlichen Medienformen zusammenschließen, um sich auf öffentliche rechtliche Kulturaufträge zu besinnen und um den interessierten Musikfans auf ihren Reisen durch den immer weiter wachsenden Dschungel an zeitgenössischen musikalischen Ideenwelten zur Seite zu stehen. Der Rundfunk als Bildungsinstanz: Das klingt – aus Sicht heutiger Sicht der medialen Wirklichkeit – so antiquiert wie etwas utopisch. Aber die Initiativen rund ums Moerser Festival zeigen Wege auf, das Besondere nicht nur ins Rampenlicht zu rücken sondern darüber hinaus auch öffentlich zu machen.

Stefan Pieper ist freier Journalist. Er schreibt
für die Recklinghäuser Zeitung und für die Jazzzeitung