Der Job des Parteivorsitzenden der SPD ist unsicherer als der eines Fußballtrainers. Mit Kurt Beck wird nun der zehnte innerhalb von 20 Jahren zurückgetreten. Sein Nachfolger ist sein Vor-Vorgänger Franz Müntefering. Bis der von einem Parteitag gewählt wird, wird Steinmeier die SPD führen.
"Das ist die Sozialdemokratie – langweilig wird sie nie" kann man in Anlehnung an Blumfeld dichten, denn auch heute bestimmt die SPD die Schlagzeilen. Zum einen wurde heute Franz Steinmeier zum Kanzlerkandidaten gekürt. Nun wird klar: Kurt Beck tritt als Parteivorsitzender zurück und sein Nachfolger wird Franz Müntefering. Bis es soweot ist, wird Steinmeier als SPD-Chef fungieren. Es ist das letzte Aufgebot, dass die SPD da in den kommenden Wahlkampf schickt. Wahlkampf? Ich glaube der ist den Sozialdemokraten mittlerweile egal. Für die SPD geht es ums Überleben.
Denn mit Steinmeier schicken sie einen in den Kampf gegen Merkel, der noch nie einen Wahlkampf geführt, verschweige denn gewonnen hat. Und mit Müntefering kehrt jemand mit einer hohen persönlichen Autorität innerhalb der SPD zurück an die Spitze. Beide Personalien haben meiner Einschätzung nach nur eine Aufgabe: Disziplinierung. Beck war ein Mann der Mitte, der die Flügel zusammen halten sollte und die Schlagkraft der Partei in der Auseinandersetzung mit der Linkspartei stärken sollte. Er hat es nicht geschafft. Die Linkspartei wächst unaufhörlich und wird langsam aber sicher zur Gefahr für die SPD. Steinmeier und Müntefering sollen nun die SPD klar von der Linkspartei abgrenzen und den Nahles-Flügel klein halten – die einzige Chance, welche die SPD noch hat. Je mehr die SPD auf die Programmatik der Linkspartei eingeht, die nach kaum mehr als hemmungs- und verantwortungsloser Populismus ist, um so mehr gibt sie sich selbst auf. Gelingt es Müntefering und Steinmeier den Laden zusammen zu halten und die selbstbewusste Auseinandersetzung mit der Linkspartei zu führen, wird die SPD noch immer nicht den nächsten Kanzler stellen, aber sie wird zumindest die Chance wahren, als Partei in wahrnehmbarer Stärke zu überleben. Um nichts anderes geht es mehr.
Denn die Frage die über allem steht ist: Für was braucht man noch die SPD?
Sie ist inhaltlich ein Gemischtwarenladen. Industriefreundlich und über die Betriebsräte eng mit den großen Konzernen verbunden, gleichzeitig an der Basis zum Teil von linken Sprücheklopfern dominiert. Sie will ökologisch sein wie die Grünen, hält aber gleichzeitig an den klassischen sozialdemokratischen Aufstiegsversprechen fest, dass immer einen materialistischen Hintergrund haben muss – es ist das Versprechen nach einer höheren Beteiligung am Wohlstand. Die Grünen können sich ihre postmaterialistische Politik erlauben, weil ihre Klientel wohlhabend ist. Die SPD kann es nicht. Jeder Facharbeiter mit zwei Kindern, der wegen einer von der SPD mitverantworteten Feinstaubverordnung sein Auto stehen lassen muss und sich keinen neuen Wagen erlauben kann, ist für die SPD eine verlorene Stimme – zu dem Thema Ökologie und Sozialdemokratie sei auf diesen hervorragenden Artikel in der ZEIT verwiesen.
Wer es krachig links mag, wählt indes die Linkspartei. Deren Programm ist zwar nicht der Rede wert, aber man darf sich schon in der Wahlkabine als Rebell führen. Viele Linke, die über Jahrzehnte hinweg die SPD mit der Faust in der Tasche als das kleinere Übel gewählt haben, haben dort eine neue Heimat gefunden. Die SPD kann die Linke zwar nachahmen, würde dabei aber ihre Identität verlieren: Sie ist die Partei derjenigen, die Aufsteigen wollen. Nicht die des Subproletariats, das auf Versorgung setzt.
Die eher konservativen Facharbeiter und die „Neue Mitte“ können sich auch in der FDP und der CDU wieder finden. Sie würden einen Linksschwenk ohnehin nicht mitmachen.
Wer braucht noch die SPD? Wozu ist die notwendig? „Sie ist die Partei des vernünftigen Mittelwegs“ erklärte mir mal eine Bekannte, die mit 16 Genossin wurde. Das scheint in Zukunft als Erfolgsgrundlage nicht mehr auszureichen. Für den vernünftigen Mittelweg steht auch die CDU: Sie hat Arbeitnehmer- und Arbeitgeber in ihren Reihen. Will sie erfolgreich sein, muss sie immer beide Gruppen bedienen. Nach Merkels Pleite 2005 wird das nächste CDU-Wahlprogramm diese Erkenntnis umsetzen. Für die SPD wird es sehr eng…
Dokumentation:
Persönliche Erklärung von Kurt Beck
Ich habe heute meinen Rücktritt vom Vorsitz der SPD erklärt.
In der vergangenen Nacht ist der Plan von mir und Frank-Walter Steinmeier, mit dessen Nominierung zum Kanzlerkandidaten der SPD durchzustarten und gemeinsam für einen Erfolg bei der Bundestagswahl 2009 zu sorgen, durchkreuzt worden.
Nachdem ich vor gut zwei Wochen Frank-Walter Steinmeier gebeten habe, die Spitzenkandidatur zu übernehmen, haben wir in einer Reihe von Gesprächen sorgfältig und vertrauensvoll die Vorbereitungen getroffen. Teil dieses Konzeptes der Geschlossenheit war auch die Einbeziehung des ehemaligen Parteivorsitzenden Franz Müntefering. Durch die Sonder-Tagung der EU-Außenminister in Brüssel am 1. September 2008 verschob sich die geplante Bekanntgabe der Entscheidung auf den heutigen Tag.
Aufgrund gezielter Falschinformationen haben die Medien einen völlig anderen Ablauf meiner Entscheidung dargestellt. Das war und ist darauf angelegt, dem Vorsitzenden keinen Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu belassen. Vor diesem Hintergrund sehe ich keine Möglichkeit mehr, das Amt des Parteivorsitzenden mit der notwendigen Autorität auszuüben.
Ich habe dieses Amt übernommen, um meiner Partei zu helfen. Weil das nicht mehr möglich scheint, habe ich diese Konsequenz gezogen.
Ich hoffe, dass die SPD nun geschlossen und erfolgreich in den laufenden und kommenden Wahlkämpfen auftreten kann und wünsche meinen Nachfolgern viel Glück.