Faruk Sen hat in einem Artikel die Lage der Türken mit der der Juden verglichen.
Faruk Sen ist Direktor des Zentrums für Türkeistudien und hat, wie schon gestern die FAZ meldete, in einem Artikel in der türkischen Zeitung Referans die Lage der Türken im heutigen Europa mit der der Juden verglichen. Der Artikel bezog sich auf den aufkommenden Judenfeindlichkeit in der Türkei. Sen wörtlich: "Fünfmillionenzweihunderttausend Türken leben in Europa, das durch große Grausamkeiten diesen Kontinent judenfrei zu bekommen versuchte. Sie wurden die neuen Juden Europas. Obwohl unsere Menschen, die seit 47 Jahren in Mittel- und Westeuropa beheimatet sind, 125.000 Unternehmer mit einem Gesamtumsatz von 45 Milliarden Euro hervorgebracht haben, werden sie – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlichen Erscheinungsformen – wie die Juden diskriminiert und ausgeschlossen.“
Gestern, kurz nach Erscheinen des FAZ-Artikel im Internet, ruderte Sen in einer Pressemitteilung zurück: "Absicht des von mir verfassten Artikels war, ein Zeichen gegen Antisemitismus in der Türkei zu setzen. Ausgangspunkt war ein Medienkampagne gegen den jüdischen Unternehmer IÅŸak Alaton in der Türkei, der sich seit längerem dort mit antisemitischen Auswüchsen konfrontiert sieht. Im Artikel habe ich auch einen Vergleich zwischen der Verfolgung der Juden während der Nazizeit und der heutigen Situation der Türkeistämmigen in Europa gezogen, der in der Undifferenziertheit, wie er in meinem Artikel erscheint, unzulässig ist. Obwohl nach meiner Überzeugung Türkeistämmige in Europa von beträchtlicher gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen sind, verbietet sich der Vergleich mit der Verfolgung der Juden."
Mitterweile hat sich auch der Vorstand der Zentrums für Türkeistudien von den Aussagen Sens distanziert: "Ich schätze Faruk Åžen, aber jetzt hat er krass überzogen“, bewertete Fritz Schaumann, Vorsitzender des Vorstands des Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sens Vergleich von Türken als den neuen Juden Europas in einer Erklärung. Diese und ähnliche Äußerungen von Sen seien, so Schaumann weiter, geeignet, den guten Ruf des Zentrums und seine Integrationsarbeit nachhaltig zu schädigen. „Zweifellos ist das Zusammenleben von Türken und Deutschen noch nicht problemfrei, zweifellos sind auch weiterhin beidseitig intensive Anstrengungen erforderlich. Gerade in der Analyse solcher Probleme und der Entwicklung möglicher Lösungen liegt aber nach meinem Verständnis die Aufgabe des Zentrums für Türkeistudien." Am Donnerstag wird sich der Vorstand mit Sen zusammen setzen und über Konsequenzen beraten.
Ich kenne Faruk Sen sehr lange. Wir duzen uns und ich mag ihn. Als ich den FAZ-Artikel gelesen habe, konnte ich mir nicht erklären, wie er so einen Unfug schreiben konnte. Der Vergleich ist historisch unverantwortlich. Natürlich werden Türken in Deutschland dikriminiert – aber das Ausmaß der Diskriminierung ist nicht mit dem der Juden vergleichbar, die zu Millionen ermordet wurden. Der Vergleich ist unverantwortbar, denn er negiert die Fortschritte der Integration, für die gerade Faruk Sen selbst ein gutes Beispiel ist und er rückt die europäischen Mehrheitsgesellschaften in die Nähe der Nazis. Bei allen Mängeln: Diesen Vorwurf muß sich keine europäische Demokratie gefallen lassen. Und er bestärkt zudem die Türken in ihrer Rolle als Opfer, aus der sie selbst nicht herauskommen können. Das ist Unsinn – ich mag den Opferkult in unserer Gesellschaft ohnehin nicht, den Sen hier predigt (und der eine sehr deutsche Sicht auf die Dinge ist. Faruk Sen ist nun einmal auch ein Protagonist des Betroffenheitskultes) denn wir alle sind, was Diskriminierung betrifft, fast immer Opfer und Täter zugleich: Als Türken, Frauen, Steuerzahler, vom Neid verfolgte Reiche, als Arme, als Alte und Junge, als Punks und verhöhnte Freude des deutschen Schlagers…die Liste lässt sich beliebig Fortsetzen und jeder nimmt sich als Opfer selbst ernst, die Probleme sind auch real – nur mit den Verbrechen gegen die Juden hat das alles nichts zu tun. Das war eine gänzlich andere Dimension, die sich dem heutigen Opferkult entzieht. Es gibt einen Unterschied zwischen Problemen und Völkermord und er darf nicht verwischt werden.
Ich weiß von Faruk Sen aber auch, dass die Anschläge von Solingen und Mölln einen tiefen Einschnitt für ihn darstellten. Er – und viele Türken mit ihm – hätten sich damals ein deutliches Zeichen der Bundesregierung gegen die Anschläge gewünscht. Kohl, so der Vorwurf, sei damals nicht nach Solingen gekommen. OK, aber es gab Demonstrationen und Lichterketten im ganzen Land gegen die Nazis. In den Progromnächten der Nazis stand kaum jemand auf.
Upgrate: In der WELT ist der Text von Faruk Sen veröffentlich: Klick