Die Benzinpreise in Deutschland steigen. Und im Ruhrgebiet wird die Erinnerung wach. Gab es da nicht mal eine Kohleöl-Anlage? So ein Ding, mit dem man aus den Steinen Sprit machen konnte? Ja, so ein Ding gab es, sagt Christof Beike vom letzten deutschen Kohlekonzern RAG. Jedoch: „Unsere letzte Anlage in Bottrop wurde Ende der neunziger Jahre verschrottet, weil es hieß, das Verfahren lohnt sich erst, wenn der Benzinpreis bei 2,30 liegt.“ Tja, diese Schwelle ist mittlerweile weit überschritten. Lohnt es sich jetzt also wieder Benzinfabriken auf Basis von Anthrazit zu bauen?
Heute könnte die Technik den Zorn der Autofahrer vor hohen Benzinpreisen dämpfen – hoffen die deutschen Kohlefreunde. Sei es mit heimischer Kohle, oder mit Importsteinen.
Doch das Thema steht nicht auf der wirtschaftlichen Agenda der deutschen Industrie. Die einzigen Großanlagen stehen in Südafrika, den USA, der Mongolei und China. In Deutschland sind keine geplant. Der einstige Technologieträger Deutschen Montan-Technologie GmbH (DMT) in Essen hat sich nach Auskunft einer Sprecherin vor Jahren von allen Projekten getrennt. Und Christof Beike beklagt: „Das Know How ist verschwunden. Es gibt hier keinen mehr, der sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt.“
In anderen Ländern werden die Pläne allerdings weiterverfolgt. In Südafrika lies das Apartheidregime unter dem Druck des Embargos zwischen 1955 und 1983 drei Anlagen bauen. In den USA stehen zwei Fabriken, die im industriellen Maßstab produzieren. Dazu kommt ein Werk in China, das in wenigen Wochen die Produktion aufnehmen soll. In der Mongolei wird eine Anlage zur Produktion von jährlich rund 900.000 Tonnen Benzin, Diesel und Kerosin errichtet.
Der Grund für die Expansion im Ausland ist einfach zu finden: In diesen Ländern gibt es reichlich Kohle zu relativ günstigen Preisen. Gleichzeitig ist die Versorgung über lange Zeiträume gesichert.
Allen voran der südafrikanische Konzern Sasol treibt die Technik voran. Mit dem chinesischen Konzern Shenhua Energy unterzeichnete das Unternehmen im vergangenen Jahr einen Vertrag zum Bau von zwei weiteren Anlagen im Wert von 5 Mrd. Dollar. Auch in Südafrika plant das Unternehmen neue Anlagen. In Japan treibt das Energieministerium entsprechende Projekte voran.
In Deutschland erlebte die Technik ihren letzten Höhepunkt während des Ölpreisschocks in den Siebziger Jahre. Im Rahmen eines „Programms Energieforschung“ gingen sieben Pilotanlagen zur Kohleveredelung in Betrieb gingen. Ab 1980 wurden zudem 14 großtechnische Anlagen mit einem Gesamtverbrauch von 22 Mio. Tonnen Stein- und Braunkohle pro Jahr geplant. Doch die fallenden Ölpreise machten Mitte der 1980er Jahre diese Planungen zunichte. Die Pilotanlagen wurden nach und nach abgeschaltet. Die letzte stand in Bottrop.
RAG-Fachmann Beike beklagt sich: Seitdem die Bottroper Fabrik verschrottet worden sei, habe niemand mehr auf die Kohle gesetzt, deswegen sei auch die Technologie vernachlässigt worden. Selbst an den Unis werde nicht mehr ernsthaft geforscht. „Wenn der Bergbau verschwindet, verschwindet die Technik und dann das Know How.“
Einer der letzten Technologie-Träger in Deutschland ist die Firma URACA in Bad Urbach. Hier im Herzen der Schwäbischen Alb werden Hochdruckpumpen entwickelt, die Kohlemehl in die Verflüssigungsanlagen pressen können. URACA liefert vor allem nach China. In Deutschland sind nach eigenen Angaben keine Projekte geplant.
Tatsächlich scheint der Wissens-Verlust tragisch zu sein. Beide heute noch gebräuchlichen Verfahren wurden von deutschen Ingenieuren entwickelt. Bei der so genannten Fischer-Tropsch-Synthese wird mit Hilfe von Wasserdampf aus glühender Kohle ein Gas erzeugt, dass anschließend über Katalysatoren zu flüssigen Kohlenwasserstoffen gerinnt. Auf Basis dieses Verfahrens erzeugt der Sasol Konzern in Südafrika rund 9 Mio Tonnen Ölprodukte, unter anderem Benzin.
Bei dem Bergius-Verfahren wird gemahlene Kohle unter Hochdruck bei Temperaturen von 500 Grad Celsius verflüssigt. Nach diesem Muster arbeiten die neuen Fabriken in China und in der Mongolei. Der Forscher mit dem Namen Bergius bekam für seine Kohle-Öl-Erfindung übrigens damals einen Nobelpreis.
Der Leiter der Abteilung für Kokerei-Technik bei der Deutschen Montan-Technologie, Manfred Kaiser, ist traurig, dass die Kohle-Öl-Fabriken nicht in Deutschland weiter entwickelt werden. „Man hat hier aus dem Kleinen nie das ganz Große gemacht.“ Seine Versuchsanlage in Essen mit einem Ausstoß von 250 Kilogramm Öl am Tag wurde vor vier Jahren demontiert und nach China verkauft.
In Fernost entsteht nun mit Hilfe der DMT-Forschung eine Anlage mit einer Kapazität von 5 Mio. Tonnen Benzin oder wahlweise Kerosin. Die Investitionssumme liegt nach Angaben des chinesischen Konzerns Shenhua bei rund 2,45 Mrd. Euro. Aber wichtiger noch: aufgrund der billigen Kohlepreise in China kann die Anlage selbst bei einem Rohölpreis von knapp 20 Dollar je Barrel noch wirtschaftlich arbeiten.
Eigentlich könnten diese Zahlen in Deutschland eine Euphorie erzeugen. Doch der Regionalchef des südafrikanischen Marktführers Sasol, Hans Ratajczak, dämpft die Erwartungen. „In Deutschland wird sich die Kohleverflüssigung auf lange Zeit nicht rechnen.“ Der Sasol-Chef erklärt, die Kohleschmelzen würden nur in weit entlegenen Gegenden aufgestellt, in deren direkten Umgebung sehr große Mengen billiger, energiearmer Kohle zu finden seien. „Diese Kohle hat oft einen Aschegehalt von 30 Prozent und mehr.“ Es lohne es sich nicht, diese energiearme Kohle zu transportieren. Allerdings kann es am Rand der Welt günstig sein, aus 50 Mio Tonne billig geförderter Kohle rund 10 Mio Tonnen Öl zu machen. „Die Standorte sind immer da, wo die Kohle ist“, sagt Ratajczak.
Es mache wirtschaftlich keinen Sinn, große Mengen Kohle teuer nach Deutschland zu importieren und diese dann in geringe Mengen Benzin umzuwandeln.
Klar? Das heißt nichts anderes als: In Deutschland wird es auf absehbare Zeit keine neuen Kohle-Öl-Anlagen geben. Entweder wird hochwertige Kohle importiert, die verbrannt wird, oder es wird Öl importiert. Der einzige Ausweg wäre, die heimische Kohle wird saubillig. Und kann ohne Subventionen Hektoliterweise Öl fabrizieren. Die Chancen dazu kann sich jeder selbst ausrechnen.