Thomas Godoj in seiner Heimatstadt Recklinghausen am Dienstag. Fotos: Mengedoht
Hm… Also, äh, wie soll ich das jetzt sagen? Ich habe gar nichts gegen Thomas Godoj, den "Suderwicher Jungen" aus dem Kreis Recklinghausen. Als "kölscher Junge", der ich bin, wär das auch bestimmt unfair.
Nee, was mich ein wenig wurmt, ist, wie hier der Unterschichten-Sender RTL gepusht wird unter dem Deckmantel des Lokalpatriotismus. Recklinghausens Bürgermeister Wolfgang Pantförder, eines wahren Volkstribuns jetzt erst recht würdig, hat an alle Recklinghäuser appelliert, für Godoj bei RTL zu "voten" (ein schönes neudeutsches Wort für "wählen", das in diesem Fall auch "bezahlen" beinhaltet, nämlich 50 Cent pro Anruf, soweit ich weiß?).
Okay, die Castings haben wir hier auch schon ein paarmal geschaut – und gelacht wie selten im Leben, was sich da so tummelt… Zum Kringeln! Nicht selten musste man dabei allerdings den Zwergen (unseren Kindern) klarmachen, dass so einiges, was Diddäh da so von sich gibt, unter jeder Gürtellinie ist – und dass das SO nicht geht!
Ja, ist ein zweischneidiges Schwert, einerseits sagt man sich natürlich, wer sich nicht entblödet, sich vor aller DSDS-Welt derart zum Affen zu machen, hat es nicht besser verdient (stimmt ja dann auch), andererseits gibt es auch den ein oder anderen Casting-Teilnehmer, der schlicht geistig minderbemittelt ist und vor sich selbst (und besonders vor Diddäh) geschützt gehört hätte – auch von einem Unterschichten-Sender wie RTL.
Naja, vom Rest der Show habe ich jedenfalls noch nie mehr als einige Sekunden beim (eh seltenen) Zappen gesehen, Ehrenwort! Muss ich auch nicht. Brauch ich echt nicht. Diesmal haben mich jedoch allerhand Kollegen davon überzeugt, dass der Godoj was können muss. Naja, warum auch nicht? Ich hab ja gar nix gegen ihn, im Gegenteil, er wirkt tatsächlich freundlich, gesund schüchtern und auf dem Boden geblieben, wenn man ihn erlebt. Einfach wie "der nette Junge von nebenan". Ist er wohl auch irgendwie, noch zumindest (hoffentlich schafft er es, das auch zu bleiben).
Thomas Godoj.
Warum allerdings Tausende sprichwörtlich ausflippen bloß wegen eines Menschen, der singen kann, werde ich nie begreifen. Habt Ihr schonmal erlebt, dass auch nur einer (!) rumspringt und Euren Namen schreit, weil Ihr ihm bei den Hausaufgaben geholfen habt, weil Ihr sein Auto repariert, ein brauchbares Porträtfoto geschossen oder was richtig leckeres gekocht habt? Weil Ihr demjenigen richtig einfühlsam und ehrlich gesagt habt, dass Ihr ihn liebt oder eine geile Nacht hattet, ein gutes Abi hingelegt oder eine Aufgabe in Eurem Job gut hinbekommen habt?
Es gibt einige Menschen, die ich respektiere, sogar "gut" finde, zum Beispiel Robert de Niro, Sean Connery oder Dustin Hoffman, Tim Burton, George Lucas oder Peter Jackson, Madonna, Stephen Hawking, Hoimar von Ditfurth, Heiner Geißler, Die Ärzte oder sogar Michael Schumacher, gleichwohl würde ich doch keinen davon "verehren"! Ich hätte Interesse, solche Menschen kennenzulernen (von Ditfurth hätte ich gerne kennengelernt) und auch durchaus Respekt vor ihren Leistungen, aber ich käme doch nie auf den Gedanken, jemanden zu verehren (!), nur weil er er selbst ist. Oder zu kreischen! Nee!
Sind doch auch alles nur Menschen. Man kann vor der Leistung – ob bei einem Schauspieler, Wissenschaftler, Politiker oder Rennfahrer – gesunden Respekt haben und sie anerkennen, aber wie kann man jemanden wegen seiner Leistung "verehren"? Wie gesagt, ich werde es nie begreifen.
Noch weniger werde ich verstehen, was auch meine Zunft meist für einen "Hype" um solche "Typen" geriert. Godoj in Recklinghausen – ein Alptraum, aus der Sicht eines jeden normal denkenden Medienvertreters. Nichts dagegen, dass 5.000 oder 6.000 Menschen zu einem kurzen Gastspiel des neuen "Superstars" in seiner Heimat strömen (erwartet wurden von manchen 100 bis 200, von manch anderen sogar 1.000 bis 2.000), es sei ihm gegönnt. Aber wieso flippen Redakteure, Fotografen und Rathausangestellte mit aus? Als ob der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu Besuch wäre – und der hätte natürlich, als Mensch, der er nunmal ebenso ist wie wir alle anderen (!) auch nicht so einen Auflauf verdient!
Ich bin froh, dass ich ohne Verletzungen und ohne Verlust an meiner Ausrüstung aus diesem Gedränge wieder herausgekommen bin! Dieses Gefühl habe ich bei keinem anderen Termin je gehabt, gleich ob ich mich mit Segelflieger, Paragliding-Schirm oder Hubschrauber für die Arbeit in die Lüfte erhob, Leichensuche der Kripo im Baggersee zusehen musste, im Rennporsche mit über 300 PS die "Grüne Hölle" auf dem Beifahrersitz durcheilte, Bundeskanzler Schröder und Präsident Johannes Rau begleitete oder die berühmten Kaninchen oder Brieftauben des Züchtervereins ablichten musste.
Ich habe auch auf vielen Konzerten fotografiert, darunter die Bläck Fööss, Brings, Wise Guys und Jürgen Zeltinger (die kölsche Fraktion halt), Peter Maffay, Guildo Horn, Imagination, Michael Mann, Hot Chocolate, The Supremes, The Temptations, Spider Murphy Gang, Sweet, Slade, T-Rex, und die Hollies, Subway to Sally, Schandmaul oder Jürgen Drews und sogar Pink Floyd, aber so einen Hype… das habe ich selten oder eigentlich gar nicht erlebt!
Thomas und Wolfgang (es wurde direkt zum Duzen übergegangen).
Ich habe am Dienstag Abend, nach dem Online-Stellen etlicher Bilder für meinen Hauptauftraggeber, noch zwei Artikel über Thomas Godoj gelesen, die mir gut gefielen: bei der "Leipziger Internet Zeitung" und, hm, wie ich jetzt erst sehe nochmal bei der "Leipziger Internet Zeitung". Sie reflektieren (meine Meinung *g*), was sie von DSDS an sich halten, und machen dennoch glaubhaft darauf aufmerksam, dass der Suderwicher ein echtes Talent zu sein scheint. Nachdem wir uns (in der Familie) das in einem der Artikel bei Clipfish verlinkte Video (mit ganz erträglicher Tonqualität) angesehen haben, geben wir sogar zu: Der Junge HAT Stimme und KANN auch noch singen!
Demnach kann man Godoj nur wünschen, dass er NICHT zum Superstar wird und für unbestimmte Zeit in Diddähs Fänge gerät, sondern kurz vorher ausscheidet und dann vielleicht eine echte Chance erhält. Dann wäre DSDS sogar mal für etwas gut gewesen – außer zur Volksbelustigung durch "Typen" wie… wie, äh, wie hieß die komische Heulsuse noch? Ach ja, Daniel Küblböck!?!
Ich bin kein echter Ruhrpötter und habe – wohl auch, weil ich aus dem Alter raus bin – Godoj und seine Bands vor DSDS nie gehört, aber er hat mit diesen Bands (Wink und Tonk) wohl reihenweise Musikpreise eingeheimst. Was fehlte, war der große Durchbruch. DEN gönne ich ihm jetzt gerne – was ich nicht in Ordnung finde, sind Millionen von Anrufen, von denen jeder 50 Cent bringt – oder vor allem, dass sogar Bürgermeister dazu aufrufen, diese Anrufe zu tätigen (die Ruhrbarone berichteten)!
Dazu aufrufen, den "Jung" aus der Nachbarschaft zu unterstützen, ja, das wäre nachvollziehbar – und gehört auch tatsächlich bis zu einem gewissen Rahmen zu den Aufgaben eines Bürgermeisters (oder auch Landrats, Landtags- oder Bundestagsabgeordneten; die bisher alle erstaunlich still blieben). Aber offen dazu aufzurufen (Anstiftung), für Thomas Godoj anzurufen und somit – mancher "votet" ja 10- oder 20-mal – Millionen in die Kassen eines privaten Fernsehsenders zu spülen, das kann und darf doch wohl nicht sein!
DAS ist, bei allem Lokalpatriotismus, KEINE Aufgabe eines gewählten Volksvertreters! Oder?