Es gibt ein neues Gift in der Ruhr. Es heißt Tosu. Aber anders als beim PFT hat diesmal die Landespolitik reagiert. Ein Meilenstein in der Düsseldorfer Koalition. In einer offenbar kurzen Abstimmung zwischen Staatskanzlei und Bezirksregierung Arnsberg wurde NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg ausgeschaltet. Die Industrie wurde nicht geschont, sondern der Verbraucherschutz in den Vordergrund gestellt. Die Einleitung von Tosu wurde sofort empfindlich eingeschränkt.
Aus internen Quellen der Regierung heißt es, bis zum Schluss habe sich Uhlenbergs Staatssekretär Alexander Schink (CDU) gegen diese Entscheidung gewehrt. Man kann es auch anders formulieren. Uhlenberg wurde die Macht an der Ruhr genommen. Entschieden wird ab jetzt in der Bezirksregierung und in der Staatskanzlei. Wenn das kein Rücktrittsgrund ist, weiß ich es auch nicht.
Uhlenberg selbst kann dazu wenig sagen. Er ist in Finnland auf Bildungsfahrt. Bäume im Wald anschauen. Während in seiner Heimat das Haus brennt. Auch eine Art Verantwortung wahrzunehmen.
Tatsächlich macht der Minister beim aktuellen Chemiefall wieder eine denkbar schlechte Figur. Am Mittwoch, den 9. April, gab er im Umweltausschuss des Landtages zu Protokoll, der Stoff "Tetraoxaspiro[5.5]undecan" (Tosu) sei im Trinkwasser entdeckt worden. Das Umweltministerium habe sich "umgehend" an die Trinkwasserkommission des Bundes gewandt und "um eine toxikologische und trinkwasserhygienische Bewertung dieser Verbindung gebeten". Nebenbei. Uhlenberg machte diese Bekanntmachung, als über seine PFT-Schönfärberei im Landtag diskutiert werden sollte.
Nach meinen Recherchen wird der Stoff Tosu seit mindestens 1996 an der Ruhr nachgewiesen. Es ist nur ein einziger Emittent der Chemikalie bekannt: Die Firma Perstorp in Arnsberg. Es ist nach Darlegung von Fachleuten noch unklar, ob Tosu krebserregend ist. Auf jeden Fall gehört er aber nicht ins Wasser. Und Schon gar nicht ins Trinkwasser.
Der Hochsauerlandkreis hatte zuletzt im Jahr 2001 der Firma Perstorp erlaubt, die Chemikalie in das Abwasser zu kippen. Von hier aus fließt das Tosu in das Arnsberger Klärwerk des Ruhrverbandes.
Dort wird der Stoff allerdings nicht aus dem Wasser gefiltert, sondern weiter in den Trinkwasserfluss Ruhr geleitet. Die Wasserwerke an der Ruhr machten bereits 2001 darauf aufmerksam, dass Tosu auf das Trinkwasser durchschlägt.
Kein bisher gebräuchliches Verfahren sei in der Lage, die Chemikalie aus dem Trinkwasser zu entfernen. Aus diesem Grund plädierten die Wasserwerke im Hochsauerlandkreis dafür, die Einleitung von Tosu zu verbieten. Zur Sicherheit. So neu war die Entdeckung von Minister Uhlenberg also nicht.
Am 24. September 2007 trafen sich im Umweltministerium Vertreter der Wasserwirtschaft mit dem Ruhrverband im Beisein des Umwelt-Staatssekretärs Alexander Schink (CDU). Laut internem Gesprächsvermerk beschloss die Runde, die Trinkwasserkommission des Bundes unter anderem um einen Grenzwert für Tosu zu bitten. Wieder auf Drängen der Wasserwerker.
Im Trinkwasser des Betriebes Echthausen wurden Konzentrationen der Chemikalie in Höhe von 4100 Nannogramm je Liter Trinkwasser gemessen. Die entsprechenden Schreiben verfasste das Uhlenberg-Ministerium im Dezember und Januar
Im Namen der Trinkwasserkommission antwortete das Umweltbundesamt auf die Bitte um Grenzwerte. Für Tosu wurde ein maximaler Wert von 300 Nanogramm je Liter empfohlen. Die Antwort ging am 19. März im Umweltministerium ein und wurde direkt an den Staatssekretär Schink weitergeleitet. Das entsprechende Schreiben liegt mir vor.
Im Ministerium blieb die Warnung jedoch zunächst liegen. Erst zwei Wochen später leitete das Umweltministerium die Warnung an die Wasserwerker weiter. Diese informierten am Montag, 7. April, die Umweltbehörden vor Ort. Vom Ministerium selbst sei vorher kein Warnschreiben eingegangen, versichert die zuständige Bezirksregierung. Die Staatskanzlei wurde "aus verschiedenen Quellen" am 10. April in Kenntnis gesetzt. Intern heißt es, die Bezirksregierung habe die Schaltzentrale von NRW informiert. Nicht das Umweltministerium.
Sieht so die "umgehende" Reaktion aus, wie sie Uhlenberg für sich reklamiert? Ein Ministeriumssprecher sagte, man habe die "unteren Wasserbehörden nicht unterrichtet, weil sie keine Vollzugszuständigkeit haben".
Nach meinen Informationen wollten die Behörden vor Ort sofort hart durchgreifen und das Ablassen von Tosu sofort verbieten. Doch aus dem Umweltministerium kam am 10. April eine andere Parole: Unabhängig von den weit überschrittenen Grenzwerten werde erst einmal ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu klären, wie giftig denn nun das Tosu sei.
Dann werde man sich um "Ausnahmegenehmigungen" kümmern, um Rechtssicherheit zu schaffen. Das Ministerium sagt, seine "Vorgehensweise" sei "durch die Trinkwasserkommission des Bundes bestätigt worden".
Am 11. April begannen nach dieser windelweichen Erklärung aus dem Ministerium hektische Telefonverhandlungen. Die Bezirksregierung wollte handeln. Und die Einleitung verbieten. Es heißt, Umweltstaatssekretär Schink habe bis zum Schluss versucht, die Bezirksregieurng davon abzuhalten, was zu tun.
Erst am Abend des 11. April dann die Entscheidung. Der Chef der Bezirksregierung Helmut Diegel (CDU) setzte sich gegen das Ministerium durch. Er sagte: „Wir machen keine Kompromisse beim Trinkwasser.“ Aus der Staatskanzlei gab es Rückendeckung gegen Uhlenbergs Truppe. Die Einleitung von Tosu wurde verboten.
Jetzt will die Firma Perstorp gegen die Entscheidung klagen. Wie dem auch sei. Die Entscheidung für den Gewässerschutz ist richtig. Und es ist richtig, nicht die Last zur Reinhaltung des Trinkwassers allein auf die Wasserwerker abzuschieben. Auch die Ruhr selbst muss geschont werden. Damit aus einem möglichst reinen Rohwasser das bestmögliche Trinkwasser wird.