Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung übersieht das Ruhrgebiet

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Foto: Ruhrbarone

Berlin, Frankfurt, Düsseldorf, Leipzig, Köln, Hamburg, Stuttgart, Mannheim, München und Nürnberg hat Roland Berger im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung  untersucht.  Fragestellung: Welche Stadt ist für die Kreative Klasse in Deutschland die attraktivste? Roland Berger bezog sich dabei nicht auf den etwas biederen Ansatz Nordrhein-Westfalens, den Fokus vor allem auf die Kulturwirtschaft zu richten, sondern auf die Ideen von Richard Florida. Florida rechnet neben kulturell Kreativen auch die wirtschaftlich Kreativen (vor allem Unternehmensgründer) und die technologisch Kreativen (Ingenieure, Programmierer etc.) zur kreativen Klasse. Untersucht wurden Kriterien wie urbane Attraktivität, Toleranz und die Dichte Hochqualifizierter in einer Stadt. Sieger waren München, Hamburg und Stuttgart. Am miesesten schnitt Leipzig ab – keine große Überraschung: Wer will sich schon von den von regelmäßiger Erwerbsarbeit entwöhnten Kahlköpfen durch die Straßen jagen lassen?

Nicht in die Auswahl der überprüften Städte kam das Ruhrgebiet – weder einzelne Städte noch die Region als Ganzes hatte man auf dem Schirm, und auch im Internet, wo man seine Stadt nachträglich beschreiben kann, taucht nur Dortmund auf – mit einem Foto. Für mich ein schöner Beleg dafür, dass wir bundesweit nicht wahrgenommen werden – was zum Teil an dem im Ruhrgebiet ausgeprägten Hang zur Mittelmäßigkeit liegt – lieber vier Konzerthäuser statt einem richtig guten – aber auch daran, dass wir nicht auf hier entwickelte Projekte setzen, sondern auf Importe wie die Loveparade. Warum wurde auf der ITB mit der Loveparade geworben, aber nicht auch mit Bochum Total, dem größten Festival in Deutschland? Übrigens eine Bitte an die Leser der Ruhbarone – wenn auch nicht ohne Risiko: Bitte setzt doch Texte, Fotos etc. auf die FAZ Seite. Wenn es die Politik schon nicht schafft, dem Ruhrgebiet Wahrnehmung zu verschaffen (und es auch bei den angeblich so starken Städten nicht klappt) müssen wir  das eben selber tun. Ich habe einen Text zum Ruhrgebiet geschickt. Es wäre schön, wenn er nicht der einzige wäre, denn die Frankfurter bekommen. Hier der Link: http://ranking.faz.net/staedte/upload.php

Der Preis ist heiß

Foto: Flickr/ doergn

 

Heute Abend ist es wieder soweit: zum vierten Mal werden in der Bochumer Jahrhunderthalle die Steiger Awards verliehen. Steiger Awards? Was ist das? Ein Orden für verdiente Bergleute? Nein, der „Preis, entstanden aus Privatinitiative und dem Wunsch der kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Förderung der Rhein-Ruhr-Region, wird alljährlich an Persönlichkeiten verliehen, die sich besonders in den Bereichen Toleranz, Charity, Musik, Film, Medien, Sport, Umwelt und das Zusammenwachsen der europäischen Staatengemeinschaften verdient gemacht haben.“ Also ein Preis für ALLES, Mufuprix, Multifunktionspreis. Es fehlt lediglich die Kategorie Kochen, in heutigen Tagen ein gehöriger Lapsus, da jeder kocht, dies am liebsten vor der Kamera und die Fernsehnation hingerissen zuschaut.

Der potthässliche Staubfänger, der von Design her an schwiegermütterliche Weihnachtsgeschenke angelehnt ist, wird in einer Gala-Veranstaltung verliehen. Gala-Veranstaltung bedeutet, dass es eine Moderatorin gibt, Andrea Ballschuh, welche 1991 das Gymnasium Alexander von Humboldt mit dem Abitur abgeschlossen hat und seitdem eine steile Karriere hingelegt hat: „Mein Zittau hat 3 Ecken“, „Ein Tag rund um den Verzicht“ und „quickie – das schnelle Quiz“ stellen die Highlights ihres (MDR)-Fernsehschaffens dar. Damit Fräulein Ballschuh sich nicht einen Wolf moderiert oder die Gala-Veranstaltung nicht zum Quickie verkommt, engagierte Chef Sascha Hellen unter anderem das Ensemble des Musicals Mamma Mia als Show-Einlage. Abba ist gut, Musical ist gut, nur schade, dass es im Ruhrgebiet kein Fernsehballett gibt, das hätte sich bestimmt auch prima bei dieser Veranstaltung gemacht.

Für nur € 175,00 inklusive der sehr kruden Mischung bestehend aus einem Drei-Gänge-Menü (man muss ja was im Magen haben, wenn man 13 Preisträger samt Laudatoren durchstehen soll), Begrüßungscocktail (Club Las Piranjas?), Galabuch (Abi-Zeitung vom Gymnasium Alexander von Humboldt? Starschnitte der Preisträger, die man sich mit güldenem Edding unterschreiben lassen kann) und aller Gebühren (Gebühren? Vergnügungssteuer? Zwangsspende für die „Charity“?). Immerhin haben alle Preisträger ihr persönliches Kommen zugesagt, da gibt man doch gerne mal € 175,00 inkl. aller Gebühren aus, um Persönlichkeiten wie: Edmund Stoiber (Kategorie Europa), Hape Kerkeling (Kategorie Entertainment) Jens Lehmann und Egidius Braun (Kategorie Sport) und Udo Jürgens (Kategorie Musik) zu sehen. Der Untergang des Abendlandes manifestiert sich in den Kategorien Charity und Nachwuchs: Claudia Cardinale sowie Jimi Blue und Wilson Gonzalez Ochsenknecht. Zweimal Idole ihrer Zeit, hier Hauptdarstellerin von Spiel mir das Lied von Tod, dort die hauptamtlichen Söhne von Uwe Ochsenknecht und Darsteller der wilden Kerle. Jimi Blue sagte in einem Interview mit dem SZ-Magazin, dass er mit der Schule aufgehört habe: „ich habe zwar noch einen Privatlehrer, wegen der Bildung, aber sonst ist Schule einfach nichts für mich.“ Na dann. Wenn Jimi Blue nur ein Fitzelchen Bildung aus den Gesprächen mit den Preisträgern oder Laudatoren mitnimmt, hat sich der Abend ja wenigstens für einen gelohnt.

Update: Ruhr hoch n – Team-Work-Capital

Grey-Homepage. Bild: Ruhrbarone

Gestern startete auf blog.50hz.de eine Diskussion über die verschiedenen Slogans der Städte zur Kulturhauptstadt. In einem der Kommentare stand dann ein Slogan, den ich erst für eine Verballhornung der anderen Sprüchlein hielt. Wer würde sich  schon "Ruhr hoch n Team-Work-Capital" als Slogan für das Ruhrgebiet einfallen lassen? Die Werbeagentur Grey. Im Auftrag des Initiativkreises Ruhrgebiet.

Nachdem der erste Schock vorbei ist: So schlimm finde ich den Slogan nicht. (Obwohl der erste Schock  schwer war). Hauptstadt der Teamarbeit – das spielt auf die wesentliche Stärke der Region an: Die Menschen und ihre Offenheit. Capital klingt schön arrogant. Das mag ich.

Update: Auf Djure Meinens blog.50hz.de gibt es eine Zusammenfassung der Reaktionen auf den Slogan. Offiziell wird er Slogan bei einer Pressekonferenz vorgestellt, die für die übernächste Woche geplant ist.

PFT – Das Problem des Umweltministers – Fortsetzung 3

Umweltminister Uhlenberg. Foto: umwelt.nrw.de

Das Gift, um das es hier geht, heißt PFT. Perflourierte Tenside. Man braucht es für Wasser abweisende Beschichtungen, etwa für Goretex-Jacken. PFT reichert sich im Menschen an, vor allem im Blut. Vermutlich ist der Stoff krebserregend.

In Nordrhein-Westfalen fließt das Gift täglich in den Fluss Ruhr. Seit Jahren. Ununterbrochen. Niemand weiß, wie lange schon. In der einen Woche sind es 11 Kilo. In der nächsten nur 2,5 Kilo. Das Gift ist da. Das beweisen Daten, die mir vorliegen.

390 Nanogramm. Zum Vergleich: im Trinkwasser gelten mehr als 300 Nanogramm je Liter als gesundheitlich bedenklich. Die Kinder leiden schon lange an einer schweren Krankheit, heißt es in einer Untersuchung. Deswegen hätten sie viel klares Wasser trinken müssen. Und wegen des vielen Wasser wären ihre PFT-Werte heute so miserabel. Woher sollten die Eltern auch wissen, dass aus dem Hahn Gift fließt? Was mit den Kindern jetzt passiert, ist ungewiss. Genauso ungewiss wie das Schicksal der anderen Menschen, deren PFT-Werte im Blut deutlich erhöht sind. Etliche werden medizinisch beobachtet, wie Mäuse in einem Feldversuch. Hunderttausende wissen wahrscheinlich nicht einmal, dass sie Gift im Blut haben.?260 Nanogramm PFT je Liter Blut gemessen. Ein anderes Kind hatte einen PFT-Wert von 226?Mehr als vier Millionen Menschen trinken Wasser aus dem Uferfiltrat der Ruhr. Die Ruhr ist damit einer der wichtigsten Trinkwasserflüsse der Republik. Im Blut eines Kindes in der Stadt Arnsberg an der Ruhr wurde eine Konzentration von 396

Als der PFT-Skandal vor fast zwei Jahren bekannt wurde, reagierten die Behörden zunächst schnell. Im „Kaufland“ im Arnsberger Stadtteil Bruchhausen haben sie portioniertes Trinkwasser an die Bevölkerung verteilt. Dann bauten die Wasserwerke an der Ruhr Aktivkohlefilter in ihre Anlagen ein. Die Giftkonzentrationen im Trinkwasser sanken auf ein unbedenkliches Maß. Die Lage beruhigte sich. Es wurde still.

Und in dieser Stille an der Ruhr wurden die Aktivkohlefilter in vielen Wasserwerken wieder abgestellt. Der Betrieb der provisorischen Anlagen war offenbar zu teuer. Was dann passierte, war absehbar. Die PFT-Werte im Trinkwasser stiegen an. Das Gift kehrte zurück in die Wassergläser. Als ich das für die „Welt am Sonntag“ enthüllte, ordnete der zuständige NRW-Umweltminister Eckehard Uhlenberg (CDU) an, die Filter sofort wieder einzuschalten. Kurze Zeit später veröffentlichten die Wasserwerke einen Beschluss, ihre Anlagen für 140 Millionen Euro PFT-fest nachzurüsten. Die Lage schien sich wieder zu beruhigen.

Doch eine Frage blieb weiter unbeantwortet. Wo kommt das Gift überhaupt her? Schnell machte Umweltminister Uhlenberg eine kriminelle Firma verantwortlich. Staatsanwaltliche Ermittlungen enthüllten, dass Geschäftmacher als Biodünger getarnte Klärschlämme an Bauern verteilt hatten. Die Schlämme waren PFT-verseucht. Das Umweltministerium fand ein Feld im Sauerland-Ort Brilon Scharfenberg, das besonders verschmutzt war. Für eine Million Euro wurde der Acker mit einer Drainage versehen. In Pressemeldungen aus dem Hause Uhlenberg heißt es seither, die wichtigste Quelle der PFT-Verschmutzung sei damit verstopft. Der Minister selbst sagte vor dem Düsseldorfer Landtag weiter: „Es gibt heute kein spezifisches PFT-Problem in der Ruhr.“

Doch das stimmt nicht. Aus Unterlagen, die mir vorliegen, geht hervor, dass aus dem Acker in Brilon vor der Sanierung durchschnittlich rund 22 Gramm PFT am Tag in die Ruhr geflossen sind. Nach der Sanierung waren es sieben Gramm. Mit dieser geringen Menge können nicht die hohen PFT-Frachten in der Ruhr erklärt werden, die auch ein Jahr nach der Sanierung des Ackers festgestellt werden. In der Ruhr liegt der Wert durchschnittlich bei 600 Gramm am Tag. Es scheint, als erfülle die Fläche in Scharfenberg fast nur die Rolle eines Sündenbocks. Das Umweltministerium erklärte dazu, das Gift sei aus dem Acker weiter in die Möhnetalsperre an einem Zufluss der Ruhr gesickert, und von hier aus weiter in den Fluss. Dabei habe sich die Talsperre wie ein gigantischer Puffer mit dem Gift aufgeladen, das nun nach und nach wieder abgegeben werde.

Doch diese Theorie hat einen Schwachpunkt. Messungen beweisen, dass aus der Talsperre rund 200 Gramm PFT am Tag in die Ruhr fließen. Das aber kann nicht mit einem täglichen Zufluss von 22 oder sieben Gramm erklärt werden. Offensichtlich muss es noch andere PFT-Quellen geben.

Die Wahrheit ist schwer zu finden. Sie liegt versteckt und bewacht in Behördenschränken. Erst nach einer Auskunftsklage vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg bekam ich Messdaten aus den Klärwerken an der Ruhr. Aus diesem Material kann rekonstruiert werden, dass ausgerechnet die kommunalen Klärwerke im Schnitt 210 Gramm PFT täglich in den Fluss pumpen, aus dem Millionen Menschen ihr Trinkwasser beziehen. Das entspricht etwa 30 Prozent der PFT-Verseuchung. Wenn man dazu die Möhnetalsperre mit ihren unbekannten PFT-Quellen nimmt, kann man gut 70 Prozent der täglichen PFT-Last identifizieren. Für weitere Verschmutzungen müssen verseuchte Äcker und Böden entlang der Ruhr die Ursache sein.

Wie aus vorliegenden Unterlagen hervorgeht, konnte die PFT-Last in der Ruhr seit Dezember 2006 nicht nennenswert reduziert werden. Als ich das für die "Welt am Sonntag" und die Ruhrbarone enthüllte, griff mich Minister Uhlenberg vor wenigen Wochen scharf an. Er behauptete, anders als berichtet, seien die PFT-Emissionen aus den Klärwerken an der Ruhr um fast 30 Prozent reduziert worden. Um diesen Erfolg vorweisen zu können, rechnete der Minister PFT-Daten aus Klärwerken zusammen, bei denen sich in den letzten Monaten die Lage gebessert hatte. Dabei lies der CDU-Mann allerdings Daten aus den Klärwerken unter den Tisch fallen, in denen sich die Lage verschlechtert hatte. Auch bestritt er, dass die gemessenen PFT-Werte im Ruhrwasser gefährlich sind.

Der Landeskorrespondent des WDR, Stefan Lauscher, berichtete über die Widersprüche in der Sendung "Westblick". „Die Sache mit den unterschiedlichen Zahlen (…) hat Uhlenberg im Landtag übrigens nicht aufgeklärt. Sein Pressesprecher sagte mir: Eine ganz komplizierte Geschichte, verstehen nur die Fachleute, deswegen haben wir es nicht getan. Ich glaube, es wäre besser gewesen, er wäre darauf eingegangen.“

Auch Toxikologen beurteilen die Lage ganz anders als der Minister: „Man kann die Werte im Wasser nicht schön rechnen. Das Rohwasser muss verbessert werden, “ sagt Hermann Kruse von der Universität Kiel. Das Ziel müsse es sein, „die Quellen der Verunreinigungen zu verstopfen“. Der Giftforscher Hermann Dieter vom Umweltbundesamt beurteilt die Lage ähnlich. Rein aufs Trinkwasser bezogen, würden zwar die PFT in der Ruhr tatsächlich „kein Problem“ mehr darstellen, sagt Dieter. Doch bei den Frachten in der Ruhr gehe es um etwas völlig anderes. „Wenn man sich vergegenwärtigt, dass diese Stoffe jahrzehntelang in der Umwelt bleiben, sich anreichern und kommenden Generationen gefährlich werden können, ist die jetzige Emission in die Ruhr jenseits aller Panikmache sehr relevant.“

Der Wissenschaftler gilt als einer der renommiertesten PFT-Fachleute in Deutschland. Dieter zieht Parallelen zu früheren Skandalen mit Dioxin, DDT oder Pestiziden. „Es wurden nicht ausreichend Lehren aus der Vergangenheit gezogen. Jetzt ist uns wieder ein Stoff durch die Lappen gegangen." Der Wissenschaftler meint, es wäre wichtiger gewesen, die wirklichen Ursachen für die PFT-Verschmutzung zu finden, „doch ging diese sachlich begründbare Forderung im politischen Hin und Her der letzten Wochen und Monate offenbar verloren.“ Es sei eben einfacher, die Folgen einer kriminellen Handlung zu heilen, als ein System zu verändern, aus dem alle Nutzen ziehen.

Dabei gibt es eine Lösung: Um das Wasser der Ruhr zu reinigen, müssten die Klärwerke an der Ruhr gezwungen werden, ihre Anlagen zu verbessern. Die Kläranlagen gehören alle dem Ruhrverband, der selbst wieder von etlichen Kommunen in NRW und von wichtigen Industriebetrieben beherrscht wird. In seinen Gremien sitzen Lokalpolitiker aus CDU und SPD. Der Ruhrverband hat Schulden in Höhe von rund einer Milliarde Euro. Die notwendigen Investitionen in die Anlagen schätzen Experten auf bis zu 500 Millionen Euro. Dieses Geld könnte wahrscheinlich nur aufgebracht werden, wenn die Gebühren angehoben werden.

Das PFT fließt weiter aus den Kläranlagen in die Ruhr. Auch morgen. Wir wissen nicht wie viele Kilo. Wir wissen nur: das Gift ist da und es bleibt.

Werbung

Warum steht der Ruhrbezirk auf der Kippe?

Fünf Regierungsbezirke hat das Land Nordrhein-Westfalen und dazu zwei Landschaftsverbände. Die Besonderheit im Ruhrgebiet: Es ist aufgeteilt in drei unterschiedliche Regierungsbezirke (Düsseldorf, Münster und Arnsberg) und die beiden Landschaftsverbände Westfalen-Lippe (LWL) und Rheinland (LRL). Keine einzige dieser Behörden hat ihren Sitz im Revier. Entstanden sind diese Strukturen, lange bevor es das Ruhrgebiet in seiner heutigen Form gab: Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege, als der König von Preußen, Freiherr von Stein, seine Provinzen neu ordnen ließ.

Als  Bürger hat man unmittelbar nie mit den Bezirksregierungen zu tun – die  Auswirkungen dieser regionalen Parallelverwaltung bekommt man jedoch zu spüren. Auf DerWesten gab es in dieser Woche einen sehr schönen Artikel zu dem Thema und eine neue Wortschöpfung: Ruhrdistan, um die Absurditäten dieser Struktur klar zu machen.

Die Landesregierung war 2005 angetreten, diese Strukturen zu verändern: Drei Bezirke in NRW, je einen für das Ruhrgebiet, Westfalen und das Rheinland. Dass sich Union und FDP auf diese Agenda eingelassen hatten, war vor allem einem Mann zu verdanken: Norbert Lammert, nicht gerade ein enger Freund von Ministerpräsident Rüttgers, hatte diesen Punkt sowohl in das Wahlprogramm der CDU als auch in den Koalitionvertrag gedrückt. Vorher hatte schon Rot-Grün – vor allem auf Bestreben der Grünen – einen ähnlichen Plan ins Auge gefasst: Im Düsseldorfer Signal war eine Dreiteilung des Landes verabredet worden. Nach dem Ende der Koalition von SPD und Grünen wollten die Sozialdemokraten davon allerdings nichts mehr wissen, obwohl auch Sozialdemokraten wie Generalsekretär Mike Groschek diesen Kurs unterstützten.

Die Dreiteilung  NRWs kennt zwei Gewinner: den Steuerzahler, denn die Verwaltungsdichte in NRW ist teuer, und das Ruhrgebiet, das von einer regional abgestimmten Politik profitieren würde. Und es hat  einen mächtigen Verlierer: Westfalen. Während das Rheinland mit Düsseldorf und Köln zwei Bezirkshauptstädte hat, verfügt Westfalen gleich über drei: Münster, Detmold und Arnsberg.

Während im Rheinland eine Debatte darüber läuft, ob es nicht sinnvoll wäre, einen gemeinsamen Bezirk zu haben und enger zusammen zu arbeiten, setzt die Westfalen-Lobbby (hier und hier und hier)auf den Erhalt der Strukturen. Zahlreiche  Vereine und Verbände, Lokalpolitiker und die Kammern wurden in Stellung gebracht,  die drei westfälischen Bezirke zu erhalten.  Gleichzeitig hält  sich der seit der Kommunalwahl 2004 wieder von Rot-Grün dominierte RVR aus der Diskussion raus – die SPD verhindert, dass der Verband Rüttgers an seine Wahlversprechen erinnert und sie offensiv einfordert.

Das Verhalten vieler Lokalpolitiker hat seine Gründe: Viele von ihnen haben Mandate in den Parlamenten der Landschaftsverbände und Regierungsbezirke. Dort haben auch Parteifreunde Unterschlupf als Fraktionsgeschäftsführer etc. gefunden. All das steht für sie auf dem Spiel und niemand lässt sich gerne etwas wegnehmen. Aber auch die Bürger in Arnsberg und Detmold sorgen sich zu Recht um die Bedeutung ihrer Städte. Ohne den Sitz von Bezirksregierungen wären sie einfach unwichtige Kleinstädte. Im Augenblick sind sie eigentlich unwichtige Kleinstädte mit einer Bezirksregierung – auf Kosten der Steuerzahler und des Ruhrgebiets.

Ein Problem ist aber auch, dass es aus dem Ruhrgebiet zu wenig Stimmen gibt, die einen Ruhrbezirk fordern. Das Revier hat bislang, im Gegensatz zu Westfalen, kaum schlagkräftige Strukturen entwickelt, die im Augenblick die jetzt so wichtige Lobbyarbeit leisten könnten – auch hier wirkt sich die Teilung negativ aus.

Man kann davon ausgehen, dass die Landesregierung bei der Frage des Ruhrbezirkes sich auch an den Druckverhältnissen orientiert: Schweigt das Ruhrgebiet und protestiert Westfalen, gibt es für die Politik durch einen Ruhrbezirk in Westfalen viel zu verlieren und im Revier wenig zu gewinnen – dann wird ein solcher Bezirk erst einmal nicht kommen. Fordert das Ruhrgebiet mit seinen über fünf Millionen Menschen  von der Landesregierung die Einhaltung der Wahlversprechen, wird Rüttgers sie umsetzen. Gegen das Revier kann man NRW nicht dauerhaft regieren. Es liegt also auch an uns, ob ein Ruhrbezirk bald kommt. Vielleicht kann ja Dortmund Sitz der Bezirksregierung werden – das Recht dazu hat Dortmund als größte Stadt des Reviers. 

Aber auch wenn es jetzt nicht klappt, wird die Diskussion bei der nächsten Finanzkrise der öffentlichen Hand wieder auf den Tisch kommen – nur dann schnell und planlos: Denn NRW ist überregiert, die Verwaltungen der Landschaftsverbände und Bezirksregierungen sind zu groß. Sie sind die geboren Ziele für sparwillige Politiker. Sie können mit Lobbyarbeit ihr Ende wie die Bergleute verzögern – aufhalten werden sie es nicht.

Lerne Schießen ? treffe Freunde

Foto: Bludau

Kennen Sie noch den alten Witz: Treffen sich zwei Jäger. Fertig! Eine ähnlich witzige Mitgliederwerbung betreibt derzeit die Schießgruppe Dorsten-Rhade von 1955: „Lerne Schießen treffe Freunde“, heißt es da schön missverständlich auf einem Zettel im Schaukasten der Schießgruppe. Ob sich die Urheber des Spruches der Doppeldeutigkeit bewusst sind oder es bereits erste Erfolgsmeldungen Opfer zu beklagen gibt, ist uns noch nicht bekannt…  😉

Kandidatenk(r)ampf bei den Genossen

Hertens Kämmerer Cay Süberkrüb. Foto: Mengedoht

 

Die SPD im Kreis Recklinghausen hat es derzeit nicht leicht: Nachdem ihr Landrat Jochen Welt erklärt hat, er wolle nicht nochmal antreten, macht die CDU Schlagzeilen mit möglichen Kandidaten – derzeit wird MdL Josef Hovenjürgen aus Haltern umworben. Bei den Genossen findet sich derweil kein passender Nachfolger für das „Ende von Welt“. Jetzt hat auch Recklinghausens SPD-MdL Andreas Becker abgesagt, dafür wurde Klaus Schild aus Oer-Erkenschwick aus dem Hut gezaubert.

Während der im Kreis gut bekannte Hovenjürgen jüngst auch aus dem Gladbecker CDU-Stadtverband Unterstützung erfährt, die sich nach Marl und Dorsten ebenfalls für eine Kandidatur Hovenjürgens als erster Bürger des Vests ausspricht, ist der SPD mit Andreas Becker ein weiterer potentieller Nachfolger abhanden gekommmen. Die Aufgabe, Landrat für den Kreis Recklinghausen zu sein, sei eine interessante Tätigkeit und große Herausforderung, meint Becker und fühlt sich geehrt von dem Vorschlag.

Doch: „Nach sorgfältiger und intensiver Abwägung aller Argumente Für und Wider sowie der mir wichtigen Ratschläge von in- und außerhalb der Partei komme ich zu dem Ergebnis, dass meine politische Heimat die Stadt Recklinghausen ist und mein politisches Tätigkeitsfeld der Landtag von NRW. Deshalb stehe ich für eine Kandidatur für das Amt des Landrats für den Kreis Recklinghausen nicht zur Verfügung.

Damit nicht genug: Neben Hertens Kämmerer Cay Süberkrüb will jetzt plötzlich auch Klaus Schild kandidieren, der Vorsitzende der Oer-Erkenschwicker SPD-Fraktion. Das gab Unmut im SPD-Präsidium, als der erfahrene Kommunalpolitiker aus der Stimbergstadt erst kurz vor Ablauf der parteiinternen Bewerbungsfrist gemeldet wurde – vom SPD-Vorstand, nicht etwa vom Erkenschwicker Stadtverband.

„Die Kandidaten werden ja nicht ins Blau hinein vorgeschlagen, wir haben uns ernsthaft damit auseinandergesetzt“, glättet Michael Groß die Wogen – der Marler wurde diese Woche nahezu einstimmig von allen Stadtverbänden im Wahlkreis als neuer Bundestagskandidat der Genossen nominiert.

„Es gibt unterschiedliche Wünsche in der Partei nach viel Erfahrung in der Kommunalpolitik oder Verwaltungserfahrung, das drückt sich in denKandidaten aus“, meint Groß. Die Diskussion empfindet er als „anregend und spannend“. Die Ortsverbände zu beteiligen, sei eine gute demokratische Wahl. Dort sollen die beiden Kandidaten sich in den kommenden Wochen vorstellen und am 8. Mai beim Kreisparteitag eine Entscheidung fallen.

„Schild bringt einige Qualitäten mit, ich kenne ihn aus dem Wahlkampf mit Andreas Krebs“, lobt der Marler, stellvertretender Vorsitzender der Kreis-SPD. Dass beide Kandidaten beim Bürger im Kreis recht unbekannt sind, ficht ihn nicht an: „Die Erfahrungen zeigen ja, dass es durchaus möglich ist, so eine Wahl zu gewinnen, siehe Uta Heinrich in Marl.“ Die Unbekanntheit müsse man eben im Wahlkampf wettmachen, da „müssen wir alle zusammenarbeiten und am großen roten Tau ziehen“.

Groß: „Unmut kann es geben, das gehört dazu, aber hinterher war immer unsere Stärke, dass alle dahinter stehen, wenn man sich für eine Perosn entschieden hat.“

Klaus Schild, der 57-jährige Finanzbeamte aus Oer-Erkenschwick, führt seit 2002 die Sozialdemokraten im Rat der Stimbergstadt. Cay Süberkrüb (53), geboren in Kiel und aufgewachsen im westfälischen Bielefeld, ist seit 1982 Leiter des Rechtsamtes in Herten und seit 2004 Kämmerer der bitterarmen Stadt.

Ob das wirklich reicht, um gegen Hovenjürgen anzukommen? Auch wenn manche den Halterner als „Provinzpolitiker“ bezeichnen – bekannt ist er den Bürgern im Vest durch seine Tätigkeit in Düsseldorf allemal.

Update: Papke: Ruhrbezirk ist nicht vom Tisch!

Gerhard Papke, FDP

"Wir können keine Neuordnung der Regierungsbezirke gegen den Willen aller Landesteile machen. So eine Aufgabe kann man nur in gemeinsamer Abstimmung bewältigen", erklärt FDP-Fraktionschef Papke. "Bislang hat das Ruhrgebiet selbst aber einen solchen Bezirk nicht gefordert. Im Gegenteil: Die Oberbürgermeister stellen sich gegen diese Pläne." Wenn das Revier einen eigenen Regierungsbezirk will, so Papke, würde die Landesregierung diesen Wunsch berücksichtigen müssen. Papke: "Der Ruhrbezirk ist nicht vom Tisch." Der FDP-Fraktionschef sieht eine solche Entwicklung allerdings am Ende eines Diskussionsprozesses: "Das Ruhrgebiet muß enger zusammen arbeiten und braucht eine starke Klammer. Das kann ein eigener Regierungsbezirk sein, das kann ein starker RVR sein, das können aber auch neue Modelle sein." So habe die Landesregierung für Aachen und sein Umland genau die Kooperationsmöglichkeiten geschaffen, die sich die Region gewünscht hat.

In DerWesten äussern sich Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Landesbauminister Oliver Wittke (CDU) optimistisch was die weitere Entwicklung des Reviers hin zu einem Ruhrbezirk angeht. Lammert: „Der Zug ist aus dem Bahnhof und darf nun nicht an jeder Laterne eine Besinnungspause einlegen.”

Werbung

Grüne: Ruhrgebiet erstickt an der preußischen Bürokratie aus dem letzten Jahrhundert.

Als erste Partei im Ruhrgebiet haben die Grünen auf die Erklärung von FDP-Fraktionsvorsitzenden Papke reagiert, die fünf bisherigen Regierungsbezirke zu erhalten und nicht ihre Zahl, wie von der Landesregierung versprochen, auf drei, davon einen für das Ruhrgebiet, zu reduzieren. Martin Tönnes, Fraktionssprecher der Grünen im Regionalverband Ruhr (RVR): "Die Mauern der Grenzen der Bezirksregierungen mitten durch das Ruhrgebiet werden auf Dauer festgeschrieben. Die Fremdbestimmung aus Arnsberg, Düsseldorf und Münster bleibt erhalten. Ruhrdistan geht anstelle einer Befreiung weiter." Die Grünen halten an ihrer Position, eine einheitliche Regionalverwaltung für das Ruhrgebiet zu fordern, fest. Tönnies: „Sechs Städte im Ruhrgebiet stellen derzeit einen gemeinsamen Flächennutzungsplan auf. Für die anschließende Genehmigung sind dann drei Bezirksregierungen auf der Landesseite zuständig. Und auch das Gezerre um die flächendeckende Umweltzone im Ruhrgebiet beweist, dass die staatliche Bürokratie den kommunalen Aktivitäten in der Region weit hinterher hinkt“, führt Tönnes beispielhaft an und bilanziert: „Die Menschen und die Wirtschaft im Ruhrgebiet ersticken an einer preußischen Bürokratie aus dem letzten Jahrhundert.“

 

Netzer der Woche: Livestream Champions League

"Come on you Celts", sagte der Sprecher gestern Abend am Anfang der Champions League Partie gegen Barcelona. Hab ich mir noch nichts bei gedacht über den Lokalpatrioten am Mikro. Dann fiel schnell das 1 zu 0 für Barca und der Sprecher mit näselschottischen Akzent sagte plötzlich "for fuck’s sake, fuck, fuck, fuck off, you", bellte, stöhnte, verzweifelte, "oh lord, there playing boys against man, i mean boys, with b o y s not with h". Dann lief ihm die Nase feucht, er schnäuzte sich, redete mit seiner Frau (?), ein Teller klackerte auf die Tischplatte, dann schabten Messer und Gabeln.

Mein Kommentator machte erstmal zwanzig Minuten Pause, – und beim Essen spricht man nicht. Statt Mittagsschläfchen fragte er später, ob wir ihn vermisst hätten. In der Halbzeit schaltete er durch eine beeindruckende Fernsehsendersammlung, schaute sich ein Video von Duffy an, sang mit. Dann wandte er sich wieder Setanta und den Kelten zu, wurde schnell böse, fluchte über die Celtic-Spieler, die zu lang, zu langsam, zu schlecht seien oder doofe Namen hätten wie Jan Vennegoor of Hesselink. Das Internet macht möglich, wovon alle träumen. Sprich deinen eigenen Live-Kommentar, lass die Rethys und Pletis hinter dir, sei gemein, blind und parteiisch!

Kurzum: Wer Fußball im Internet mag, muss diese Seite besuchen, am besten noch heute Abend. Wenn drei, vier Parteien gleichzeitig laufen, entsteht ein fantastischer Soundteppich aus schottischen Fanreportern, englischen Profisprechern, Fangesängen, mexikanischen Hysterikern und arabischen Cholerikern, dazu laufen die Spiele als Mäusekino, und das reicht zumeist vollkommen.