Was hatten Sie zu der Zeit von ihm gelesen?
Gelesen hatte ich damals von ihm die „Verstörung“ und die Kurzgeschichten. (Längere Pause) Das waren ganz wunderbare Sachen.
Bernhards Werk wird ja oft als düster bezeichnet…
(Unterbricht) Na ja, düster ist es nicht Es ist nur düster, wenn man es so liest. Es ist ein bisschen zynisch. (Überlegt) Österreichisch.
Einigen wir uns auf verstörend.
Ja.
Samuel Beckett war vom Werk Bernhards so verstört, dass er fragte: Wie lebt so jemand? Haben Sie Bernhard auch persönlich kennengelernt?
Wir waren einmal gemeinsam Essen. Natürlich in den drei Husaren. Sonst habe ich nur mit ihm telefoniert und bin mit ihm spazieren gegangen in Österreich. Sobald er den Mund aufkriegte, haben wir dann auch geplaudert.
Bernhard wird von Menschen, die ihn kennen lernten oft als menschenfeindlich und abweisend beschrieben. Wie haben Sie ihn erlebt?
Da war eine unglaubliche Distanz zwischen der eigenen Figur und dem Menschen Thomas Bernhard. Man kam gar nicht an ihn ran. Er hat immer so eine Art Schutzschild vor sich hergetragen. (Grinst) Aber das durchschaut man ja auch schnell und dann war’s auch nach einiger Zeit vorbei damit.
Das zentrale Thema der Kunst ist die Vergänglichkeit? Haben Sie Angst vor dem Tod?
Ich weiß auch nicht, ob ich Angst vor dem Tod habe. Ich habe nur Angst, dass es irgendwann vorbei ist. Wissen Sie, der Tod ist nicht das Problem. Dass dann aber Schluss ist, das ärgert mich und da habe ich keine Lust zu. Jedenfalls jetzt noch nicht.
Ist für Sie die Kunst also eine Möglichkeit der Ablenkung von der Gewissheit…
(Unterbricht und zitiert aus dem Theaterstück:)
„Wie komme ich durch einen tagtäglichen Trick durch das Leben?“ (Lacht)
Nein, nein, Ablenkung ist es nicht. Mir hilft die Kunst Sachen zu durchdringen oder denen auf den Grund zu gehen dafür mache ich das auch alles, die ganze Schauspielerei. Das Ganze mache ich um irgendetwas zu kapieren.
Thema Alkohol: In der Aufführung vorhin hieß es: „Was man will einerseits, ist das was man dann gar nicht will andererseits.“ Stimmen Sie dem zu?
(Nimmt einen großen Schluck Rotwein, hebt die Hände und nickt heftig.)
Ja, ja: Was man will einerseits, ist das was man dann gar nicht will andererseits. Das ist ein schöner Spruch, wie nennt man das? Ein Aphorismus, mehr nicht. (Lacht)
Ist es echter Alkohol, den Sie auf der Bühne in Ihrer Rolle als Alkoholiker zu trinken haben?
Nein, das geht gar nicht. Ich habe lange in der Requisite gearbeitet. Man muss dann halt gut mischen und Johannisbeersaft mit Leitungswasser als Rotwein trinken.
Dazu eine Anekdote: Damals bei der Uraufführung 1972 in Salzburg sagte ich dem Regisseur, dass ich eine echte Flasche Champagner Dom Pérignon auf der Bühne servieren möchte. Damals kamen wir von der Schaubühne, ein linkes Theater, damals waren wir als Kommunisten verschrien, so dass es dann am nächsten Tag auf der Titelseite der „Kronenzeitung“ hieß: Die Roten trinken Champagner!
Dabei haben wir den gar nicht getrunken, sondern den Bühnenarbeitern gegeben.
Wim Wenders sagte über sie: Otto heute ist nicht Otto gestern und Otto morgen ist wieder ganz anders. Welchen Otto Sander haben wir heute Abend gesehen?
Ich habe auf der Bühne über den Bernhard-Minetti-Preis nachgedacht.
Auf der Bühne, während des Spielens?
Natürlich, es waren ja viele Pausen dazwischen. Dann habe ich so ins Publikum geschaut. Das sieht man ja nicht, da ich die Blindenbrille aufhabe. Und dann ging mir einiges durch den Kopf. Warum eigentlich noch mal. Was soll das alles? Das war jetzt aber nicht zynisch gemeint. Ich habe ja alles schon gemacht, warum heute noch mal? Aber dann denke ich wieder, es gibt noch einige Menschen, die das sehen wollen, und dann schleppt man sich eben wieder von Berlin nach Bochum.
Wenn Sie in Bochum spielen, ist die Vorstellung fast immer ausverkauft.
Ja, weil ich das Publikum mag und versuche mit dem Publikum indirekt Kontakt aufzunehmen. Ich möchte eine Geschichte erzählen, mehr nicht. Ich will keine Weisheit verkünden. Oder den Weg weisen. Vielleicht kann das Publikum damit etwas anfangen. Ich will, dass Theater unterhält und Lust macht.
Ich war vor ein paar Jahren hier in Bochum am Matthias-Claudius-Gymnasium und habe mit den Schülern Gedichte geübt. Habe erst einmal die Deutschlehrerin rausgeschickt, was die Schüler natürlich ganz toll fanden. Es geht darum die Lust an der Literatur lebendig zu machen, mehr ist das nicht. Literatur muss Spaß machen.
Sie können sich die Theater aussuchen, an denen Sie spielen möchten. Sie könnten jederzeit in Wien, Zürich oder in Berlin arbeiten. Und dennoch kommen Sie seit Jahren regelmäßig nach Bochum. Was mögen sie hier?
Es liegt an dem Publikum, ich weiß nicht wie das kommt, entweder mögen die hier Theater oder sie haben Lust auf Theater. Das Publikum geht derartig mit und ist so aufmerksam, wie ich es in keiner anderen Stadt erlebt habe. Das muss ich echt sagen. Auch in Berlin nicht. Dort weiß das Publikum alles besser als die Agierenden auf der Bühne. Pfeift immer und lacht an den falschen Stellen, um zu zeigen, dass man einen Fehler gemacht hat. Während hier Aufmerksamkeit herrscht. Das Publikum atmet Sympathie zurück. Nachher können sie dann buhen, das ist ja egal, aber erst einmal wird zugehört und aufmerksam betrachtet, was man da so macht.
Steht schon fest, ob sie 2009 in Bochum auftreten werden?
Nein, es hat mich noch keiner angerufen. Privat lese ich zurzeit nur Drehbücher. Die lege ich dann aber zur Seite, drehe sie um und benutze sie als Faxpapier. Das Stück „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ wird aber noch im Januar, Februar und März in Bochum zusehen sein. Dann möchte ich hier noch eine kleine Lesung machen. Robert Musil „Tonka“, das ist eine tolle Erzählung.
Sie haben bereits als Jugendlicher Ihren Eltern im Wohnzimmer Becketts „Das letzte Band“ vorgespielt und dann auf Band aufgenommen, dieses dann aber vor Jahren verloren. Haben Sie das Band von damals inzwischen gefunden?
Nein, eben nicht. Immer noch nicht. Aber ich habe das Stück in Bochum und Berlin gespielt. Es macht mir irrsinnigen Spaß, weil ich dann immer noch an den Altmeister Beckett denken muss.
Wann spielen Sie Beckett wieder in Bochum?
Es ist nichts geplant. Aber rufen Sie hier mal bei Herrn Goerden (Intendant des Schauspielhauses) an und sagen: „Ich möchte das Stück noch mal sehen. Bitte laden Sie Herrn Sander ein!“ Herr Sander kommt dann sofort.
Sie sind am Montag hier in Bochum ausgezeichnet worden mit dem Bernhard-Minetti-Preis. Was bedeutet Ihnen der Preis?
Das ist eine große Ehre für mich. Aber fürs Lebenswerk ist noch etwas zu früh. So alt bin ich noch nicht. Aber so ist das nun mal. Wenn man Ende sechzig ist, dann kommt das schon mal. (Lacht)
Sprechen wir über Ihre Studienzeit. Wie haben Sie diese damals erlebt?
Der Apparat war mir zu kompliziert. Das war in München und bis man sich da eingeschrieben hatte, musste man Schlange stehen. Ich war damals nicht fleißig genug. Ich habe gesagt, endlich bin ich frei, kann machen was ich will. Wie man so ist Anfang 20. Schon war die Zeit rum. Ich hätte mehr machen können. Da saß ich in der Bibliothek, das weiß ich noch heute, und habe die Aufführungsgeschichte der „Maria Stuart“ studiert. Ich wollte aber in die Praxis, nicht hinter Büchern hocken bleiben und bin dann parallel zur Schauspielschule gegangen. Morgens zur Universität zum Studium und Abends zum Schauspielunterricht. Das war wirklich toll, dass ich in der Uni sagen konnte, dass ich der Einzige bin, der die Theorie und die Praxis versucht unter einen Hut zu bringen.
Sie haben vor einigen Jahren die „Essais“ von Montaigne gesprochen und als Hörbuch herausgebracht. War der französische Philosoph Gegenstand Ihres Studiums?
Nein, das nicht. Aber in den Essais von Montaigne steht alles. Wenn er einen Schluck Rotwein getrunken hat, hat er sich darüber drei Seiten ausgelassen. Wenn er auf die Toilette gegangen ist, hat er auch da wieder drüber nachgedacht. Das fand ich sehr humorvoll und witzig. Dann gibt es von ihm auch noch das „Tagebuch einer Reise nach Italien“. Das habe ich alles gelesen damals.
Sie waren als junger Erwachsener bei der Marine, Ihr Vater war im zweiten Weltkrieg Verbandsingenieur der ersten Schnellbootdivision. Haben Sie deshalb vor kurzem die „Orkanfahrt“ aufgenommen, in der Sie die Seefahrts-Geschichten von Kapitänen sprechen.
Jawohl! Natürlich hat das damit zu tun. Mein Vater hat mich als ich vierzehn war auf die Segelschule geschickt, dass ich segeln lerne. Dann war ich bei der Marine und wenn man da immerhin anderthalb Jahre zubringt, bleibt das schon hängen. Und wenn alte Kapitäne von ihren Abenteuern erzählen…
Die Seefahrt hat mich immer schon interessiert. Man muss sich vorstellen, dass zwei drittel der Erde aus Wasser besteht und nur ein drittel aus Land. Dann ist die Frage: Wie kommt man von einem Ende an das andere. Auf See kann man in die Sterne gucken. Oder in den Sextanten schauen. Das ist ein Faszinosum auf offener See, nichts als Wasser um einen herum. Wie findet man sein Ziel? Das fasziniert mich immer noch.
Auch der von Ihnen geliebte Joachim Ringelnatz fuhr zur See…
Der wurde eingezogen und war dann in Wilhelmshaven als Soldat. Da gibt es von ihm das schöne Buch „Als Mariner im ersten Weltkrieg“. Ein wunderbares Buch mit so schönen Anekdoten über das normale Leben an Bord und den Alltag bei der Marine. Ringelnatz lebte in Berlin und hat dann später die Leute so liebevoll beobachtet. Auch diejenigen, die durch das soziale Netz gefallen sind und an der Straßenecke rumhingen. Das finde ich noch heute ganz wunderbar.
Zu Ihren schönsten und auch erfolgreichsten Hörbüchern gehört Joachim Fests Autobiographie „Ich nicht“. Wie kam es dazu, dass Sie die Autobiographie des großen Historikers und FAZ-Herausgebers sprachen?
Mit Fest habe ich oft über das Theater und die Oper gesprochen. Dann kam sein Sohn eines Tages auf mich zu und sagte: „Ich habe hier eine Notiz von meinem Vater, mit Füller geschrieben: Wenn das jemals irgendwer liest, dann nur Otto Sander.“ (Otto Sander setzt ein beeindrucktes Gesicht auf) Und schon hatte ich das Ding am Hals und habe gesagt, dass ich das ihm zuliebe mache. Manchmal bin ich nicht einverstanden, mit dem was man da aufzeichnet. Aber dies gefiel mir, das ist wirklich gelungen.
Gibt es eine Rolle, die Sie noch nicht gespielt haben, die Sie sich aufgehoben haben für das Alter?
Bewusst nicht, ich habe ja nichts abgelehnt. Aber König Lear und Richard III, um nur zwei zu nennen, möchte ich schon noch machen.
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