Am ersten Wochenende des Jahres 2014 startet die Piratenpartei gleich mit einem Bundesparteitag im Bochumer Ruhr-Congress durch. Der Parteitag, der knapp einen Monat nach dem letzten in Bremen stattfindet, dient vor allem der Aufstellung von Kandidaten und Kandidatinnen für die Wahl zum Europa-Parlament am 25. Mai.
So war der Parteitag nach einer programmatischen Auftaktrede des neuen Vorsitzenden Thorsten Wirth auch geprägt von den Vorstellungen der Bewerber und Bewerberinnen für einen Platz auf der Liste der Piraten für die kommenden Europawahlen. Besucher, die auch dem Parteitag im Herbst 2012 in Bochum beiwohnten, wunderten sich über die nüchterne, arbeitsame Stimmung, und darüber, dass der Parteitag nicht von den gewohnten Schlachten um Geschäfts- und Tagesordnung geprägt war.
Vom frühen Vormittag an hatten dutzende von Bewerbern und Bewerberinnen für einen Platz auf der Liste der Partei jeweils zehn Minuten Zeit, um sich und ihre Schwerpunkte für eine Tätigkeit im europäischen Parlament vorzustellen.
Am Rande des Parteitags sprach ich mit einigen Vertretern der Piratenpartei. Oliver Höfinghoff, Fraktionsvorsitzender der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus, wünschte sich ein „progressiv-linkes“ Team, das für die Piraten ins europäische Parlament einzieht. Er sieht, wenn sich die Partei auf einen solchen Kurs festlegt, Chancen die Drei-Prozent-Hürde zu knacken und durchaus auch mehr als fünf Prozent der Wählerstimmen zu gewinnen. Thematisch sieht Höfinghoff es als notwendig an, sich zur europäischen Flüchtlingspolitik zu positionieren, da diese „ täglich Menschenleben fordert“. Außerdem denkt der Berliner Fraktionsvorsitzende, dass sich die Piraten auf europäischer Ebene gegen die zunehmende staatliche Überwachung und für eine Demokratisierung der Institutionen der Europäischen Union einsetzen sollten.
Ein weiteres wichtiges Thema ist für Höfinghoff der Ausbau europäischer Volksentscheide, wenngleich er dabei betont, dass Minderheitenrechte von negativen Auswirkungen solcher Entscheidungen ausgenommen werden sollten.
Ein weiteres Gespräch führte ich mit dem nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Daniel Schwerd. Schwerd gab unumfunden zu, dass er in der Europapolitik „eher am Rande aktiv“ sei und den Parteitag als eine Art „Klassentreffen“ betrachtet. Für den Europawahlkampf wünscht er sich trotzdem, dass die Themen Uhrheberrecht und Datenschutz in den Mittelpunkt des Wahlkampfs gestellt werden.
Eine gute Position auf der Kandidatenliste zum EU-Parlament wird wohl die 27-jährige Julia Reda einnehmen. Die Politikwissenschaftsstudentin aus Frankfurt am Main bekennt sich auch selbstbewusst zu dem Ziel, Spitzenkandidatin der Piratenpartei werden zu wollen. Die Vorsitzende der Europäischen Jungen Piraten, die im Sommer 2013 gegründet wurden, absolvierte im Jahr 2012 ein dreimonatiges Praktikum bei der schwedischen EU-Parlamentarierin Amelia Andersdotter und schwärmt seitdem von der Stimmung rund um das EU-Parlament. Für ihre eindrucksvolle Vorstellungsrede bekam Reda großen Applaus von den anwesenden Piraten. Im Gespräch betonte sie den Unterschied des EU-Parlaments zu deutschen Parlamenten, weil sie davon überzeugt ist, dort auch über Parteigrenzen hinweg Einigungen zu erzielen. Falls sie Mitglied des europäischen Parlaments werden sollte, gab sie drei Kernthemen aus. Erstens eine Urheberrechtsreform, die für „mehr Freiheit und kulturellen Austausch“ einsteht. Zweitens eine Asylpolitik, die eine „sichere Einreise“ nach Europa möglich macht und den Geflüchteten die Wahl überlässt, in welchem Land sie ihr Asylbegehren vortragen. Als Drittes ist es Julia Reda wichtig, dass das Internet offen gehalten wird, sie setzt sich für die Netzneutralität und einen wirksamen Datenschutz ein.
Heute folgen die Wahlen der Kandidaten und Kandidatinnen der Piratenpartei zum Europaparlament. Mit ca. 700 Teilnehmern ist der Parteitag zwar eindeutig schlechter besucht als der letzte in Bochum im Herbst 2012. Anita Möllering, Pressesprecherin der Piratenpartei, fällt am Samstagabend trotzdem ein positives Zwischenfazit. Sie spricht vom Parteitag als „angenehmer Veranstaltung“, bei der die Menschen ihre Fragen und Anträge überlegt gewählt hätten.
Die Ruhrbarone berichten über den Wahlausgang und weitere Geschehnisse auf dem Bundesparteitag der Piraten 2014 in Bochum.
Die Piraten sind ja mit Lichtgeschwindigkeit in Richtung Establishment gerutscht.
Anfangs hatte ich die Hoffnung, dass eine liberale Partei entsteht, die die moderne globalisierte Welt versteht und gestaltet.
Das Verständnis der modernen Welt bezog sich dann auf das Senden von Kurznachrichten und dem Einrichten von zusätzlichen Unisex-Toiletten.
Jetzt haben wir eine Partei, in der relevante Personen Politikwissenschaften studiert haben und ein Praktikum bei Abgeordneten absolviert haben.
Willkommen im Club der vielen anderen Parteien.
Die Zeiten, in denen der Politikernachwuchs in Richtung Piraten strömten, weil man dort wahrscheinlich am Schnellsten in Richtung Berufsziel Parlamentarier kam, sind wohl auch vorbei.
Schade, hier wurde eine Chance vertan. Inhaltlich kommen mir die Positionen sehr bekannt vor.
@1:
hä? Wollen Sie eine Partei, die nur Mitglieder ohne Studium und ohne politische Arbeiterfahrung aufnimmt?
Wie wird man dadurch Establishment?
Was ist das überhaupt,und was stört Sie daran?
Dass die Positionen inhaltlich sehr bekannt sind, ist klar. Mit den Grünen haben wir eine große liberale Partei, mit der FDP eine andere. Die SPD und die Linke und die CDU vertreten mal sozialdemokratische, mal konservative, mal faschistische Themen… rechts außen gibts noch AfD, CSU und NPD…
das ganze Spektrum ist an sich abgedeckt. Parteien können sich inahtlich nicht groß unterscheiden zu anderen. Man kann sich unterscheiden in der Art und Weise wie Politik stattfindet, z.B. basisdemokratisch (Piraten, Grüne) oder von oben herab (SPD, CDU) und in der Wahl der Farbe…
Grün, Gelb, Schwarz, Blau, Rot, Rosa, Orange, Braun, Violett… ne.. an sich kann sich ne neue Partei nichtmal mehr farblich richtig abheben 😉
Hm. Nachdem Sie bei der BT-Wahl meine Stimme bekamen, wähle ich zur Europawahlwohl wieder ne andere liberale Partei.
Bzgl. der Einordnung der Parteien kann man durchaus auch anderer Meinung sein.
Die SPD hat ihre Mitglieder befragt, was sehr basisdemokratisch ist.
Im CSU-Bayern gibt es Volksentscheide.
Die Grünen vollziehen auch nicht das, was ich unter einer liberalen Politik verstehe.
Die basisdemokratischen Experimente der Piraten waren auch sehr interessant.
Mir fehlen Politiker, die selber in der Wirtschaft gearbeitet haben und dadurch die Globalisierung etc. mit ihren Regeln kennen. D.h. Menschen, die einfach mal selber gefühlt haben, wie es ist, in einer weltweiten Konkurrenzsituation zu arbeiten. Natürlich darf man hierfür auch ein Studium abgeschlossen haben.
Final muss nämlich genau in dieser Wirtschaft das Geld erarbeitet werden, was dann verteilt werden kann.
[…] der 27-jährigen Politikwissenschaftsstudentin Julia Reda aus Frankfurt am Main(die wir im letzten Artikel zum Parteitag vorgestellt haben). Die Plätze zwei und drei belegen Fotios Amanatides aus […]
[…] Wochenende ihren ersten Bundesparteitag des Jahres in Bochum ab (die Ruhrbarone berichteten hier und […]