Paul Ronzheimer, der stellvertretende Bild-Chefredakteur, den man vor allem als Kriegsreporter in der Ukraine kennt, war wieder an der Front, diesmal in Ostdeutschland, mittendrin in meiner Heimat Thüringen.
Nun da sich Sat.1 nach seinen menschenverachtenden Witzen zu den Paralympics endlich von Luke Mockridge verabschiedet hat, kann man den Sender wieder guten Gewissens schauen.
Besonders, wenn es eine solche Sendung gibt. Gestern 20:15 Uhr kam die erste Folge “Ronzheimer – Wie geht’s Deutschland“. Schon als ich die letzte Podcast-Folge von Paul Ronzheimer gehört habe, wusste ich, das könnte interessant werden… Höcke nennt Ronzheimer “therapiebedürftig“ und es fällt der Begriff “Antifa-Aktivist“. Das ist schon ziemlich lustig, wenn ich bedenke, wie sehr ich aus linken Kreisen dafür angefeindet werde, dass ich die Medien des Axel Springer Verlags konsumiere. Aber seit Reichelts Weggang hat sich die “Bild“ für mich tatsächlich ab und zu als lesbar herausgestellt. Vor allem aber halte ich Paul Ronzheimer für einen guten Journalisten und das hat sich in seiner Fernsehdoku auch bestätigt. Ich kaufe ihm sogar ab, dass er wirklich versucht, die Menschen im Osten zu verstehen.
Seine Entscheidung nach Ostthüringen zu gehen, war genau richtig. Denn das ist eine dieser abgehängten Regionen, die mit Erfurt, Jena oder Weimar nicht zu vergleichen sind. In den schick sanierten, bunten und lebendigen Städten hätte sich seine Untergrundreportage nicht gelohnt. In Greiz aber schon, denn das ist der Wahlkreis, den sich Björn Höcke ausgesucht hatte. Greiz hat seit der Wende ¼ seiner Bewohner verloren. In der DDR war es ein florierender Wirtschaftsstandort und jetzt ist es ein verlassenes Nest und ein Paradebeispiel für die Entwicklung ländlicher Regionen in Thüringen, wo die AFD leichtes Spiel hat. Ein ehemaliger Sozi, jetzt AFDler plant hier ein Sommerfest ähnlich dem, was ich in Arnstadt besucht hatte.
Er redet vom “Genderscheiß“ und davon, wie der ÖRR alle manipuliert. Der AFDler mit dem Ronzheimer spricht, erklärt ihm, was die Politik machen muss, um besser zu werden, aber er repetiert eben auch sehr viel AFD-Propaganda, die er selbst glaubt. Im Übrigen weiß ich jetzt endlich, wofür die Flugzeuge in Höckes Sonnenbrille auf den Wahlplakaten stehen, nicht für “Sommer, Sonne, Urlaub…“ wie der AFDler meint, sondern für die Remigrationsflieger von denen Höcke und seine Gesinnungsgenossen träumen.
Ronzheimer trifft in seiner Doku ganz verschiedene Menschen: AFD-Wähler, die nicht wirklich rechtsextrem sind, besorgte Bürger, die die AFD aus gutem Grund nicht wählen, echte Rechtsextreme aber auch Gegendemonstranten, die aktiv gegen die AFD ankämpfen. Die Argumente für die AFD sind wenig überraschend: soziale Ungerechtigkeit muss weg, Zuwanderung ist ein Problem, in die Ukraine wird zu viel Geld gesteckt, Altparteien müssen weg, die Grünen sind ganz schlimm, die Verschwendung muss aufhören…
Die rund 400 Besucher in Greiz sind wie in Arnstadt auch ein gemischtes Publikum. Rechtextrem oder rassistisch sind die meisten aber nicht, meint Ronzheimer. Doch es gibt auch klare rechtextreme Tendenzen. In den Reden werden Feinbilder aufgebaut und Angst wird geschürt. Das Erfolgsrezept der AFD. Und auch wenn (noch) nicht alle AFD-Wähler rechtsextrem sind, sehen die Gegendemonstranten genauso wie ich die große Gefahr darin, dass die rechtsextremen Einstellungen, die es schon immer gab, durch die AFD heute salonfähig gemacht werden. Im Osten werden solche Ansichten immer offener und unverhohlen geäußert. Wir haben ja schließlich Meinungsfreiheit. Mit der AFD sind rechtsextreme Meinungen und Verhaltensweisen völlig legitim.
Höcke kann ausdruckstark reden und die Zuhörer stört es nicht, dass er rechtsextrem ist. Manche glauben es auch einfach nicht und andere fahren voll drauf ab. Höckes rechtsextreme Äußerungen werden als Provokation oder Versehen verharmlost, von den echten Neonazis aber entsprechend gefeiert.
Obwohl man die “Lügenpresse“ dort bedroht und natürlich auch um der Sache ein bisschen Dramatik zu verleihen, geht Ronzheimer dann etwas provokant auf Höcke zu und nervt ihn mit seiner Frage nach seiner Rechtsradikalität. Dieser ignoriert ihn erst und meint dann „Legen sie mal ne andere Kassette ein…“ und sagt dann zu einem seiner Fans, der ein übergroßes Autogramm von ihm bekommt: „will ihn nicht wegscheuchen. Der Mann ist therapiebedürftig“ Ronzi bleibt am Ball und wird schließlich noch als “Antifa-Aktivist“ betitelt. Mit der Antifa redet Paul Ronzheimer auch. Bei einem Gespräch auf der Straße mit Leon Walter von der Linken über dessen Erfahrung mit Bedrohungen durch Neonazis, kommt auch prompt ein Auto vorbeigefahren, aus dem Beschimpfungen zu hören sind, bezeichnender Weise mit dem Kennzeichen AH (für Adolf Hitler).
Dann geht es in der Doku um die Jugend. Die AFD hat social media vor allem TIKTOK schon sehr früh für sich entdeckt und das funktioniert. Junge Leute wählen deutlich mehr die AFD (11% über dem Durchschnitt). Die wenigsten verstehen, worum es eigentlich geht, und der Algorithmus sorgt von ganz allein für ihre Radikalisierung. Ein junger AFD-Wähler mit dem sich Paul Ronzheimer am Fenster unterhält, will, dass Höcke Ministerpräsident wird, damit er mehr Geld in der Tasche hat, Ausländer verschwinden und er hat die Hoffnung, dass die AFD das System umstrukturieren wird. Wie das dann aussehen könnte, davon hat er wahrscheinlich keinen Schimmer. Daran, dass er der Meinung ist, dass deutsche Straftäter grundsätzlich härter bestraft werden als ausländische, merkt man, dass die Propaganda funktioniert.
Andere junge Menschen, Studenten, die Ronzheimer trifft, erkennen Höckes verächtliches Menschenbild und machen sich große Sorgen, dass, wenn die AFD erst an der Macht ist, Frauenrechte beschnitten, altmodische Geschlechterrollen durchgesetzt, Abtreibung verboten, die Gleichberechtigung beschnitten und gleichgeschlechtliche Ehen abgeschafft werden. Da macht man auch mal Schluss mit einem Freund, der AFD wählt. Ronzheimer spricht an, wie schwierig es sein muss, wenn gute Freunde bedenkliche Ansichten vertreten und die AFD wählen. Ein Problem mit dem ich persönlich im Alltag sehr häufig konfrontiert werde.
Ronzheimer spricht von dem Medienparallelsystem zu dem auch Zeitschriften wie Compact gehören, die Feindbilder schaffen und den Sturz der Altparteien propagieren. Bei dem Volksfest in Gera, dass ursprünglich als Feier für diese Zeitschrift gedacht war, ist Ronzheimer auch. Dort trifft er richtige echte Neonazis, wie z.B. auch Herrn Poggenburg, ein ehemaliges AFD-Mitglied, dass zu radikal für die Partei war. Er ist natürlich immer noch dabei. Denn nur die AFD hat eine greifbare Machtoption, auch wenn sie ihm eigentlich nicht radikal genug ist. Von den Teilnehmern wird Ronzheimer ganz ordentlich bedroht und beleidigt. Es fallen Sätze wie “…ihr kriegt eure Strafe…Da gibt’s ein Baum ein Strick…“, “Volkverräter“, “Drecksocke“ und obwohl er es sicher ein bisschen darauf angelegt hatte, ist er kurz sprachlos. Ja, hier sind die richtig echten Rechtsextremen mit Adolf- und Eva- T-Shirts und allem Drum und Dran. Und zurecht fragt er sich: Wie vernetzt ist die AFD mit diesen echten Rechtsradikalen?
Und dann ist Paul Ronzheimer in seiner Heimat in Ostfriesland. Warum? Auch hier haben 25% die AFD gewählt. Es ist also per se kein Ostphänomen, sondern ein Problem, das im ganzen Land besteht. Im Osten ist es nur größer, lauter und unverschämter. In Ostfriesland findet diese Protestwahl im Stillen statt. Es gibt noch keine Propaganda, keine Parteistrukturen und keine Höckeplakate wie bei uns. Hier ist die AFD noch nicht so salonfähig, aber ich befürchte, dass das nur eine Frage der Zeit ist. Ronzheimer meint: Es kann überall passieren.
Als Paul Ronzheimer in Meiningen ist, erkennt man sofort, dass dies keine so deutlich abgehängte Region wie Greiz in Ostthüringen ist. Denn die kleine Stadt ganz in meiner Nähe ist sehr hübsch anzusehen und durchaus belebt. Hier in Südthüringen kommt jedoch ein anderes Phänomen hinzu, was der AFD in die Karten spielt, die Corona-Spaziergänge. Ja, es gibt sie immer noch. Wie in meiner Heimatstadt Arnstadt wurden die Fackeln irgendwann durch Russlandfahnen ersetzt. Ronzheimers vergebliche Versuche mit diesen Leuten ins Gespräch zu kommen, machen klar, wie groß die Verblendung und der feste Glauben an Verschwörungsmythen bei diesen Menschen immer noch ist. Auch diese Irren fängt die AFD mühelos ein.
In der Sendung wird von Beginn an ein Spannungsbogen zu dem Treffen von Russlandfreunden mit Vladimir Klitschko aufgebaut. Der „Ukrainestammtisch“ wirkt allerdings leider etwas konstruiert und enttäuscht insgesamt ein wenig. Klitschko denkt, die Verblendung in großen Teilen der ostdeutschen Bevölkerung ist vor allen auf die starke Präsenz russischer Medien und alte nostalgische Gefühle gegenüber der Großmacht Russland zurück zu führen. “Die Realität bleibt auf der Strecke.“ 81% der AFD-Wähler sind gegen Waffenlieferungen an die Ukraine…
Göring-Eckard und Klingbeil dürfen sich auch zu Ronzheimers Begegnungen äußern, aber da kommt nur heiße Luft, wenig Selbstkritik und viel Rechtfertigung. Die klare Botschaft an “Die da oben“ mehr für “das Volk“ zu tun, ist gerechtfertigt, auch wenn sie aus der rechten Ecke kommt. Allerdings kommt sie nicht bei den Politikern an.
Zum Schluss versucht die Sendung noch die Stimmung am Wahlabend einzufangen. Die durchaus hohe Wahlbeteiligung (73%) sehe ich persönlich als Zeichen der Polarisierung und der verhärteten Fronten weniger als ein tiefes Bedürfnis, an der Demokratie teilzuhaben. Es werden die Wahlparty der AFD und die ca. 800 Gegendemonstranten in Erfurt gezeigt. Die AFD findet sich zwischen Selbstbeweihräucherung und Häme. Höcke feiert sich schon vor dem Wahlergebnis als Sieger und Pabst sagt mit Blick auf die Gegendemonstranten „Haben die jemals gearbeitet?“. Dort auf der Gegendemo ist hingegen Trauerstimmung. Die AFD wird in Thüringen mit 32,8% nicht nur stärkste Kraft, sondern ist dreimal so stark wie alle Ampelparteien.
Ronzheimer stellt am Ende eine wichtige Frage. Wie blicken die Menschen, die die AFD nicht gewählt haben, in die Zukunft? Mit Trauer, mit der Hoffnung, dass es nur ein zeitweises Phänomen und nach 5 Jahren wieder vorüber ist? Er resümiert: Erfurt ist symbolisch für ganz Deutschland und Europa und ein Signal an die Ampel. Die Menschen die AFD wählen, sind nicht alles Nazis und fast 70 % haben es eben nicht getan. Vielleicht ist es ein Schockmoment, das es braucht, damit es endlich ein Zusammengehörigkeitsgefühl gibt, ein aufeinander Zugehen und Zuhören. Er spricht darüber, wie wichtig es ist sich gegenseitig ernst zu nehmen, Nachzufragen, die beidseitige Akzeptanz und das Miteinanderreden egal, ob im Bundestag oder am Gartenzaun. “Nur so werden wir Lösungen finden, denn das ist Demokratie“.
„Und dann … Ostfriesland“
Sieht so aus, als ob man für eine Wahlprognose in Zukunft eine Karte mit den Wahlergebnissen von 1933 brauchen kann, um die Erfolgsaussichten der AfD abschätzen zu können.