In Paderborn hat einer der größten Umweltprozesse der vergangenen Jahre begonnen. Sechs Angeklagten droht bis zu fünf Jahre Haft, weil sie Bauern mit vergifteten Klärschlämmen durchsetzte Bodenverbesserer geliefert hatten.
Es ist eng im großen Saal des Landgerichts Paderborn. Kein freier Platz mehr auf der Zuschauerbank, Journalisten, die sich drängeln, und dazu noch einige Schüler, die ein Protokoll einer Gerichtsverhandlung anfertigen sollen. Der Prozess, wegen dem alle gekommen sind, soll einen Umweltskandal aufklären, der Millionenschäden verursacht und Menschen in den Städten an der Ruhr in Angst versetzt hat.
Sechs Angeklagte aus Deutschland, den Niederlanden und Belgien müssen sich seit Donnerstag vor dem Landgericht Paderborn in einem der größten Umweltprozesse der vergangenen Jahre verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, zwischen 2003 und 2006 mit giftigen Klärschlämmen versetzte Bodenverbesserer an Bauern im Sauerland verkauft zu haben. Die 80.000 Tonnen Klärschlämme und Chemieabfälle wurden von Firmen aus Belgien und den Niederlanden ins Sauerland importiert und dort durch das mittlerweile insolvente Unternehmen GW Umwelt an die Bauern unter den wohlklingenden Markennamen „TerraTop“ und „TerraAktiv“ vermarktet.
Eines der Gifte, das in dem Bodenverbesserer war, die die Angeklagten an Bauern verkauften, waren Perfluorierte Tenside, kurz PFT. PFT baut sich in der Natur nicht ab, steht im Verdacht, krebserregend zu sein. PFT wurde vor allem in der Textilindustrie genutzt – zum Beispiel bei der Herstellung von Funktionskleidung.
Von den Feldern des Sauerlands gelangte das PFT in die Ruhr, ihre Nebenflüsse und die großen Wasserspeicher wie den Möhnesee, verseuchte das Trinkwasser von Millionen Menschen.
Bis heute sind in Folge des Skandals Wasserwerke abgeschaltet. So hoch war die Belastung des Trinkwassers, dass 2006 in Arnsberg Bezugsscheine für Mineralwasser ausgegeben wurde: Schwangere und Mütter von Säuglingen konnten sich im Supermarkt mit Wasser versorgen.
Bis zu fünf Jahre Haft und Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe können auf die Angeklagten zukommen, sollte das Gericht sie schuldig sprechen.
Es ist ein Mammutprozess, der da in Paderborn begonnen hat. Sechs Angeklagte, vier Dolmetscher für die Beschuldigten aus den Niederlanden und Belgien sowie zwölf Anwälte. Die von Richterin Margret Manthey angesetzten Verhandlungstermine reichen bis zum Ende des Jahres.
Ob sie ausreichen, ist fraglich: Das Gericht vertagte sich nach der Feststellung der Personalien, der Verlesung der Anklage und einer Stellungnahme von Anne-Louise Schümer, der Anwältin des Hauptangeklagten und ehemaligen Geschäftsführers von GW Umwelt Ralf W. Der Grund: Die Verteidiger der Angeklagten hatten sich darüber beschwert, dass ihnen die Namen eines Schöffen und einer Ersatzrichterin nicht rechtzeitig bekannt waren, so dass sie sie nicht überprüfen konnten.
In ihrer Stellungnahme, die Schümer vor Gericht vorlas, behauptete sie, W. habe weder von den Gefahren, die von PFT ausgehen etwas gewusst, noch habe er Kenntnis davon gehabt, dass die Klärschlämme illegale Substanzen enthielten – er habe sich auf die Unterlagen verlassen, die die belgischen und holländischen Unternehmen angebracht hätten, und die von den deutschen Behörden nicht bemängelt worden wären.
Tatsächlich war das Verhalten der Behörden im PFT-Skandal mehr als zweifelhaft. So hatten die Kreise Soest und der Hochsauerlandkreis GW Umwelt von der Pflicht zur chemischen Kontrolle der zugelieferten Materialien befreit. Die Kontakte von GW Umwelt zu den Behörden und zu öffentlichen Unternehmen waren über Jahre exzellent. Der Ruhrverband, zu dessen Aufgabe auch die Sicherstellung der Qualität des Ruhrwassers gehört, hatte lange mit GW Umwelt kooperiert: Das Unternehmen hat vom Ruhrverband gelieferte Klärschlämme auf die Felder der Bauern gebracht. Tausende Felder waren betroffen. Nicht enden wollte die Liste, die Oberstaatsanwalt Oliver Brendel bei der Verlesung der Anklage vortrug. Die Bauern wollten die Erträge ihrer Böden steigern – und sie vergifteten sie dabei. Zudem wurde eine weitere Quelle der PFT-Verseuchung erst gar nicht untersucht: Industriebetriebe entlang der Ruhr ließen PFT in die Ruhr ab. Die zwischengeschalteten Klärwerke des Ruhrverbandes waren nicht in der Lage, das PFT aus den Industrieabwässern zu filtern.
Aktiv wurden die Behörden erst, als 2006 höhere PFT-Werte im Trinkwasser gemessen wurden.
Dass das PFT allerdings überhaupt in das Trinkwasser gelangen konnte, ist ein weiterer Skandal, der jedoch nicht Thema des Prozesses vor dem Paderborner Landgericht ist. Denn in weiten Teilen von NRW, vor allem im Sauerland und im Ruhrgebiet, den von der PFT-Verseuchung am stärksten betroffenen Regionen, kommt das Trinkwasser aus Flüssen. Normal ist das nicht: Bundesweit stammt 90 Prozent des Trinkwassers aus dem Grundwasser. Gut 30 Jahre braucht es auf seinem Weg dorthin, und viele Giftstoffe werden in dieser Zeit abgebaut oder stark verdünnt. Im Versorgungsbereich der Ruhr ist das anders. Hier wird das Wasser aus dem Fluss entnommen. Um eine mit dem Grundwasser anderer Bundesländer vergleichbare Qualität zu bekommen, müsste man es durch moderne Kohleaktiv- oder Membranfilter schicken. Die städtischen Wasserwerke am Oberlauf der Ruhr wenden diese Verfahren an. Auch der Mühlheimer Wasserversorger RWW und die Stadtwerke Aachen und Köln haben sich für den aufwändigen und teuren Reinigungsprozess entschieden.
Gelsenwasser, der wichtigste Versorger des Ruhrgebiets und seines Umlandes, ein Tochterunternehmen der Stadtwerke Bochums und Dortmunds, hingegen nicht. In etlichen Wasserwerken des Unternehmens wird das aus der Ruhr entnommene Wasser gerade einmal acht Stunden durch Sandfilter gepresst – ein ebenso preiswertes wie nach Expertenmeinung unsicheres Verfahren. Von Arnsberg bis Essen werden die Bürger häufig nicht nach dem Stand der Technik mit sauberem Trinkwasser versorgt. Gelsenwasser will seine Wasserwerke erst in den kommenden Jahren nachrüsten.
Dabei hatte das Unternehmen schon vor Jahren Investitionen in Höhe von 140 Millionen Euro zugesagt. Gelsenwasser Vorstand Bernhard Hörsgen sagte dieser Zeitung im Januar 2008: „Wir stellen uns der Herausforderung und rüsten mit unseren Partnern DEW21 sowie den Stadtwerken Bochum und Essen in den nächsten Jahren die Wasserwerke nach.“
Ein Grund dazu liegt in den klammen Kassen der Kommunen. Die Haushalte der Städte Dortmund und Bochum sind abhängig von den Einnahmen, die sie aus den Gewinnen ihrer Unternehmenstöchter ziehen. Teure Investitionen schmälern die Gewinne und belasten die Haushalte der Städte schwer. Erst ab 2017 muss Gelsenwasser umrüsten – eine finanzielle Verschnaufpause zu Lasten der Bürger.
Auch ein weiterer Akteur des PFT-Skandals steht nicht in Paderborn vor Gericht. Der ehemalige Umweltminister des Landes NRW, Eckhart Uhlenberg, ist heute Landtagspräsident. Uhlenberg hatte auf dem Höhepunkt des Skandals versucht, mit frisierten Tabellen zu belegen, dass die von ihm in Gang gesetzten Maßnahmen zu einer schnellen Senkung der PFT-Belastung im Wasser der Ruhr geführt hätten. Als die Welt am Sonntag dies aufdeckte, zog Uhlenberg gegen diese Zeitung nach Berlin vor Gericht, um die Berichterstattung zu untersagen. Allerdings scheiterte Uhlenberg mit seinem Vorhaben. Richterin Anne-Kathrin Becker stellte damals fest: „Die Tabelle ist geschönt.“
Für seine Berichterstattung über den PFT-Skandal , von der er sich auch durch den Widerstand der Landesregierung nicht aufhalten ließ, erhielt der damalige Welt am Sonntag Korrespondent und Mitbegründer dieses Blogs David Schraven 2008 den Wächterpreis der Tagespresse.
Material:
PDF: .01-KLAERANLAGEN-Emissionsdaten in die Ruhr-2007 bis 2008
PDF: 02-KLAERANLAGEN-Emissionsdaten in die Ruhr-MESSUNG MUNLV-2007 bis 2008
PDF: 03-PFT-EMMISSIONEN-KLAERANLAGEN 2007 und 2008-KARTE 1
PDF: 04-PFT-EMMISSIONEN-KLAERANLAGEN 2007 und 2008-KARTE 2
PDF: 01-KLAERANLAGEN-Emissionsdaten in die Ruhr-2007 bis 2008
Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag.
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Links anne Ruhr (17.01.2012)…
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