Bus und Bahn kostenlos für alle: Tallinn hat es gerade für seine Bürger eingeführt, Tübingen will es und in Hannover warben am vergangenen Wochenende rund 100 Piraten dafür. Wird sich die ÖPNV-Flatrate durchsetzen oder ist sie ein unbezahlbarer Traum? Von unserem Gastautor Oliver Bayer, MdL, Piraten-NRW.
Verkehrsinfrastruktur ist teuer und Qualität hat ihren Preis: Selbst der Kraftstoff E10 ist derzeit kaum für weniger als 1,50 Euro zu haben, ein VRR-Einzelticket durchs Ruhrgebiet kostet 12,50 Euro. Dafür erhalten Pendler eine gute Portion Stau oder überfüllte Regionalexpress-Züge. Augenscheinlich reichen die Straßen nicht aus, auch wenn sie immer weiter ausgebaut wurden: Die A40 funktioniert nur noch, weil die Autofahrer den Sicherheitsabstand deutlich unterschreiten und bei Köln darf man bereits achtstreifig im Stau stehen.
Noch mehr leidet der Schienenpersonennahverkehr in NRW durch die geplatzten Metrorapid-Träume und chronische Unterfinanzierung an Kapazitätsengpässen: Während der Ballungsraum München über 2,8 km S-Bahn-Gleise pro 1000 Einwohner verfügt, sind es im Ballungsraum Rhein-Ruhr gerade einmal 0,9 km – zu wenig.
Dabei wurden gerade im Ruhrgebiet bis in die 70er Jahre hinein fleißig Autobahnen, Brücken und auch U-Bahnen gebaut. Doch das ist lange her und die Infrastruktur basiert auf dem damaligen Erkenntnisstand: Autos waren die Zukunft, das Verkehrsaufkommen war relativ gering und Transitverkehr aus Osteuropa gab es genauso wenig wie die großen Volumen der Containerhäfen in Rotterdam und Antwerpen. Gar nicht eingeplant hatte man aber offenbar, dass die Verkehrsinfrastruktur erhalten und beizeiten modernisiert werden muss. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten stehen nach einer Zeit ohne wesentliche Bestandsinvestitionen umfangreiche Sanierungs- und Instandhaltungsaufgaben an. Mit großem Aufwand müssen vor allem bestehende Brücken und Tunnel in NRW erneuert oder ersetzt werden.
Während verkündet wird, dass der Verkehrsinfrastruktur bundesweit sieben Milliarden Euro jährlich fehlen [1] und Bundesverkehrsminister Ramsauer gar die PKW-Maut fordert, um mehr Geld für zuvorderst Bundesfernstraßen zu erhalten, offenbaren sich in NRW bereits die Probleme in der Praxis: Mehr als eine Milliarde Euro sollen laut eines Kommissionsberichts [3] bis 2016 für den Erneuerungsbedarf bei U- und Straßenbahnlinien in NRW fehlen. Der ÖPNV wird sogar zurückgebaut: Klamme Kommunen streichen Linien, die Zusammenarbeit zwischen den Städten und damit der städteübergreifende Linienverkehr verschwinden dank städtischer Haushaltslöcher. Auch neue Landstraßen wird es 2013 in NRW nicht geben [2], die Landesregierung möchte nur noch Projekte realisieren, die bereits begonnen wurden.
Darf man in einem solch finanziell gebeutelten Umfeld den „Gratis-ÖPNV“ fordern?
Man darf. Schon aus rein ökonomischen Gründen werden wir es uns nicht leisten können, einfach so weiterzumachen wie bisher. Immer mehr Straßen, mehr Autos und damit mehr Verkehr, das führt in einer Endlosspirale zu immer stärker anwachsenden Instandhaltungskosten, zu Kosten durch Gesundheits- und Umweltschäden und Kosten für den zunehmenden Flächenverbrauch. Bereits jetzt besteht das Ruhrgebiet zu 10% aus Verkehrsflächen [4]. Dabei stiege mit jedem Quadratmeter, der nicht zum Bewegen und Parken von Autos genutzt wird, die Lebensqualität im Revier.
Der Gewinn an Lebensqualität – weniger Feinstaub und Lärm, dafür mehr Raum für Stadtleben – lässt sich natürlich nicht allein durch die Grundstückskosten beim Flächenerwerb abbilden. Auch indirekte Kosten müssen in die Verkehrsplanung einfließen. Nicht nur Kosten für Klimaschutz und Umweltschäden sowie die sozialen Kosten müssen berücksichtigt werden. Auch die individuellen Aufwendungen für Mobilität, also beispielweise die Anschaffung und der Unterhalt des eigenen Autos müssten in die Gesamtrechnung mit einfließen. Eine verantwortungsvolle und vorausschauende Verkehrspolitik beugt Ausgaben an anderer Stelle vor.
Benzintanks durch Akkus zu ersetzen wird dabei auf Dauer nicht helfen. Es ändern sich weiterhin und grundlegend die Anforderungen an unser Verkehrssystem: Reurbanisierung, Demographischer Wandel, Klimawandel, steigender Transit- und Güterverkehr, neue technische Möglichkeiten – all dies sind Gründe, warum sich unsere Infrastruktur weiterentwickeln muss. Sie wird sich wandeln. Wir können ihr dabei zusehen und darauf hoffen, dass es schon irgendwie weitergeht – oder die Verkehrswende aktiv selbst gestalten, indem wir in dem katastrophalen Zustand der nordrheinwestfälischen Verkehrssysteme eine Chance zum Neuanfang sehen. Wir müssen so oder so mit großem Aufwand die in der Vergangenheit versäumten Erneuerungsaufgaben nachholen, wir sollten uns dabei jedoch nicht nach den Verkehrskonzepten der Vergangenheit richten.
Die Herausforderung besteht darin, die jahrzehntelange Konzentration auf den Autoindividualverkehr zu korrigieren ohne die Bevölkerung zu bevormunden. Der Umstieg vom eigenen Auto auf das Angebot des ÖPNV, das Fahrrad oder auch CarSharing-Konzepte muss eine freiwillige Entscheidung sein. Langfristig sollte sich niemand aus externen Gründen für das eigene Fahrzeug entscheiden müssen. Als Freizeitvergnügen und teures Hobby wird es sie immer geben, auch wenn sie als Statussymbol bereits manchem Tablet-Computer weichen müssen.
Gäbe es das System des Autoindividualverkehrs nicht, würde vermutlich heute niemand auf die Idee kommen, ein solches einzuführen. Die gesamte Republik mit Asphalt versiegeln, gigantische Verkehrsanlagen bauen und jeder Haushalt kauft sich für mehrere tausend Euro eigene Fahrzeuge und unterhält diese? Unbezahlbar.
Um die Herausforderung der Verkehrswende zu meistern, bedarf es neben pendlerfähiger Radwege und komfortabler Fußwege eines attraktiven und leistungsfähigen öffentlichen Personennahverkehrs. Eine Attraktivitätssteigerung erreicht man vor allem durch ein dichtes, abgestimmtes Liniennetz, ausgedehnte Betriebszeiten und Taktzeiten von 10 Minuten oder darunter. Sauberkeit, Sicherheit und Bequemlichkeit sind weitere Faktoren.
Eine ÖPNV-Flatrate für alle stellt eine weitere Attraktivitätssteigerung dar und löst auch das „Henne-Ei-Problem“: Attraktive Angebote benötigen eine entsprechende Nachfrage, die nur durch attraktive Angebote entsteht. Die ÖPNV-Flatrate beseitigt die riesige Einstiegshürde, die derzeit zwischen der Autonutzung und dem ÖPNV-Abo steht. Derzeit schrecken die hohen Preise für Einzeltickets und die komplizierten Wege zum Erwerb derselben viele potentielle Nutzer ab. Den Verkehrsbetrieben entsteht leider kein wirtschaftlicher Vorteil durch die Anwerbung neuer Fahrgäste mittels Einzelfahrscheinverkauf während niedrigere Einzelpreistickets die Abopreise gefährden würden.
Da der Preis des Tickets maximal mit dem Spritpreis, kaum jedoch mit den Gesamtkosten des eigenen Fahrzeugs verglichen wird, müsste ein Modellversuch zur ÖPNV-Flatrate mindestens den Zyklus eines Autokaufs andauern: Die Menschen müssen die Gelegenheit erhalten, den Neukauf eines Wagens mit den gesammelten Erfahrungen abzuwägen.
Erfahrungen benötigen Zeit und auch die Gewohnheit ist eine Hürde. Eine Straßenbahn ist kein fahrendes Wohnzimmer, in dem man alles jederzeit mitführen kann – in einer Straßenbahn kann man sich schwerlich zu Hause fühlen. Dafür ist es sehr viel verkehrssicherer und bequemer, die Tageszeitung oder ein eBook in der Straßenbahn zu lesen als im Auto: Zeit ist besser nutzbar. Zusätzliche Angebote und Dienstleistungen könnten die Hürde weiter senken: WLAN in den Fahrzeugen, Frühstücksservice, ausreichend Dienstleistungsangebote oder flexible CarSharing-Modelle für den Großeinkauf, den Besuch im Möbelhaus oder Fahrten außerhalb erschlossener Gebiete.
Die ÖPNV-Flatrate für alle benötigt weitere flankierende Maßnahmen, um zu funktionieren. Das zeigen die Erfahrungen und Studien in Städten, die bereits verschiedene Arten eines ÖPNV-Nulltarifs eingeführt haben oder hatten. Die belgische Stadt Hasselt kämpfte mit einem massiven Autoverkehrsproblem und hatte nicht die finanziellen Mittel, einen dritten Umgehungsring zu bauen. Man entschloss sich daher 1997 aus finanziellen Gründen für den kostenlosen Busverkehr. Eine Verknappung und Verteuerung der innerstädtischen Parkplätze verstärkte die Verlagerung zum ÖPNV. Die gesamte Innenstadt ist inzwischen verkehrsberuhigt umgestaltet, Einkaufsstraßen wurden Fußgängerzonen und vierspurige Straßen zweispurig. Hasselt hat heute nicht nur ein besonders attraktives ÖPNV-Angebot, welches allen zugutekommt, auch Shopping-Touristen kommen gerne, der Nulltarif wirkt als Tourismusmagnet. Infolge der Einführung der ÖPNV Flatrate hat sich die Zahl der Arbeitsplätze in der Innenstadt verdreifacht, die Zahl der Hotelbetten hat sich von 200 auf 1500 mehr als versiebenfacht und der Tourismus boomt.
In Deutschland probierten die brandenburgischen Städte Lübben und Templin die Einführung eines kostenlosen ÖPNV, begleiteten diese jedoch nur mit sehr wenigen Maßnahmen. Von 1998 bis Ende 2001 konnte man in Lübben kostenlos Bus fahren, doch die Taktzeiten und die Netzabdeckung waren zu unattraktiv. Templin hatte zumindest einen Takt von 30, später 20 Minuten und stockte das Angebot auf. Doch gab es kaum flankierenden Maßnahmen im Bereich von Parkplätzen oder Verkehrsberuhigung. Heute haben dank Kurtaxe nur noch Touristen eine ÖPNV-Flatrate in Templin – wie in vielen deutschen Kurorten.
Tallinn zieht mit seinem Modell leider noch nicht einmal Touristen an und bekämpft auch nicht den Pendlerverkehr. Es gilt nur für Bewohner der Stadt. Der Ticketverkauf wurde nicht eingespart. Außerdem wurde weder die Innenstadt auf eine Verkehrskonzeptänderung vorbereitet, noch der Versuch unternommen, den ÖPNV auch anderweitig attraktiver zu gestalten. Es gibt außer dem Preis keinen Grund für Autofahrer, auf Bus und Bahn umzusteigen.
In Seattle versuchte man sich auf Pendler zu konzentrieren und gab den ÖPNV nur in den Zeiten des Berufsverkehrs frei. Seattle verfügt über Kapazitätsressourcen, von der deutsche Städte nur träumen können. Heute möchte Seattle wie viele weitere amerikanische und australische Städte nur einzelne Linien zur kostenlosen Nutzung anbieten, um bestimmte Straßen und Verkehrsströme zu entlasten.
Auch in NRW gibt es eine Teilvariante einer ÖPNV-Flatrate: Studenten können mit Ihrem Semesterticket meist ganz Nordrhein-Westfalen bereisen. Alle Studenten zahlen einen Pflichtbeitrag von rund 110 bis 140 Euro pro Semester, egal ob sie das Angebot nutzen oder nicht. Der Preis wird zwischen den Verkehrsbetrieben und den Asten ausgehandelt, ohne dass die Semestertickets vom Land mitfinanziert werden.
Eine solche Umlage könnte auch Vorbild für alle Bevölkerungsgruppen sein. Die Kostenschätzungen liegen je nach Gültigkeitsbereich zwischen 5 und 25 Euro. Bochumer Studenten zahlen 23,33 Euro für einen Monat freie Fahrt in ganz NRW. Tübingen rechnet mit 8,30 Euro bis 12,50 pro Person und Monat für den Ersatz durch den Wegfall des Ticketverkaufs und den entsprechenden Ausbau des ÖPNV. [5][6] Im Juni 2003 stellte der Forschungsbericht „Umweltpolitischen Handlungsempfehlungen für die Finanzierung des ÖPNV“ [7] des Bundes fest, dass eine ÖPNV-Flatrate bundesweit zu Kosten in Höhe von 45 Milliarden D-Mark führen würde. Das wären 7,67 Euro pro Kopf und Monat. Hasselt liegt mit seinen Gesamtkosten noch deutlich darunter. [6]
Der ÖPNV zum Nulltarif ist also nicht wirklich gratis. Daher spricht die Piratenpartei inzwischen lieber vom fahrscheinlosen ÖPNV: Gemeint ist immer eine pauschale Finanzierung von Bus und Bahn, und wahrscheinlich läge sie oft unter der pauschalen Finanzierung von ARD und ZDF. Die Haushaltsabgabe beträgt derzeit 17,98 Euro pro Monat. Ist das Recht auf Mobilität für alle – auch von Minister Groschek als Grundrecht bezeichnet – weniger wert als das Recht auf Fernsehen?
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Neben einer direkten Umlagefinanzierung – einer Nahverkehrsabgabe durch die Menschen in NRW – gibt es zahlreiche weitere Konzepte der kommunalen Gegenfinanzierung. Das Land NRW muss jedoch den Städten und Regionen die entsprechenden Rahmenbedingungen einräumen, zweckgebundene Abgaben erheben zu können. Tübingen hat derzeit das Problem, dass Baden-Württemberg die Verantwortung für eine entsprechende Regelung an den Bund weitergeschoben hat. Bundesminister Ramsauer besteht jedoch darauf, dass dies Ländersache sei, wie man am Montag in der Sendung „Hart aber Fair“ [8] erleben durfte.
Der Bund wäre dann gefragt, wenn die Finanzierung über eine generelle Maut oder Steuer stattfinden sollte. Eine ausgeweitete LKW- oder PKW-Maut brächte Probleme mit sich, die einem Verkehrswandel entgegenstünden: Einheitliche Vignetten bevorzugen Vielfahrer, große und spritfressende Autos sowie Autobahnfahrer und benachteiligen Berufspendler und Kleinwagenfahrer. Komplexere Maut-Systeme verlangen komplexere, damit teurere Verwaltungsstrukturen und sind bezüglich Datensparsamkeit und Datenschutz bedenklich.
Eine Kraftstoffabgabe hingegen wäre effizient und elegant: Gefahrene Kilometer, Fahrzeugtyp und Gewicht, Umweltfreundlichkeit, Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit – all dies wird automatisch, ohne großen bürokratischen Aufwand und datenschutzfreundlich berücksichtigt. Allerdings handelt es sich dabei derzeit um eine Steuer und Steuern sind nicht zweckgebunden. Zu Recht wird immer wieder angemerkt, dass die gut 48 Milliarden Euro, die deutsche Autofahrer jährlich an Kraftfahrzeugsteuer und Energiesteuer (ehem. Mineralölsteuer) zahlen, nicht zweckgebunden für Verkehrsinfrastruktur verwendet werden.
Die regional oder kommunal organisierte Finanzierung mit durch das Land gestellten Rahmenbedingungen ist nicht nur finanziell flexibler, sie kann auch die je nach Größe und Struktur einer Stadt oder Region unterschiedlichen Umsetzungskonzepte berücksichtigen.
So könnten sich auch, wie in Frankreich, ansässige Firmen an der Finanzierung beteiligen. Einführend vielleicht zunächst nur dadurch, dass als Parkausweis für den Mitarbeiterparkplatz das Firmenticket dient. Immer möglich sind zusätzlich die Ausweitung der Werbeflächen und digitalen Anzeigetafeln sowie die Abschaffung von Ticketautomaten und Kontrollsystemen.
Parkraumbewirtschaftung und Modelle wie die City-Maut können dagegen gleichzeitig als flankierende Maßnahme zur Attraktivitätssteigerung als auch der Finanzierung des fahrscheinlosen ÖPNV dienen. Hohe Gebühren für Innenstadtparkplätze wirken wie eine City-Maut, sind jedoch einfacher und ohne Datenschutz- und Abrechnungsprobleme umsetzbar. Allerdings wirken sie nicht auf privat organisierte Parkmöglichkeiten.
In beiden Fällen müssen ehemalige Verkehrsflächen umgestaltet und der innerstädtische Lebensraum insgesamt attraktiver werden, damit sich Urbanisierungsentwicklungen nicht in das Umland verlagern. Eine City-Maut kann als Begleitmaßnahme für den fahrscheinlosen ÖPNV um ökologische oder soziale Aspekte ergänzt werden. In einigen Städten anderer Länder zahlen beispielsweise Autofahrer keine City-Maut, wenn sie mindestens einen weiteren Fahrgast haben.
Wichtig bei der Umsetzung einer City-Maut und bei allen durch Straßenverkehr eingenommenen Geldern ist, dass von den Einnahmen vor allem diejenigen profitieren müssen, die sich diese Ausgaben nicht leisten können. Die Zweckbindung muss sich also auf die Verbesserung des lokalen ÖPNV beziehen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Innenstädte den wohlhabenderen vorbehalten bleiben, bzw. sie die alleinigen Profiteure sind.
Denn für eine Gestaltung einer Verkehrswende und die Etablierung des fahrscheinlosen ÖPNV sprechen nicht nur finanzielle und volkswirtschaftliche Aspekte, auch CO2-Ausstoß, Feinstaub, Klima- und Umweltschutz sind letztlich nicht ausschlaggebend.
Das stärkste Argument für den fahrscheinlosen ÖPNV ist die soziale Gerechtigkeit.
Derzeit erhalten Empfänger des SGB II maximal ein Viertel dessen als Mobilitätspauschale, was ein örtliches Monatsticket kostet. Das eigene Auto ist für einen gigantischen Posten im privaten Haushaltsbudget verantwortlich und dennoch oft noch immer notwendig. Gleichzeitig fördern wir mit Pendlerpauschale und Abwrackprämie diejenigen, die sich ein Auto leisten können, anstatt Mobilität wirklich als Grundrecht für alle zu behandeln.
Als die Piratenfraktion einen Antrag zum Thema in das Plenum des Landtages brachte, sagte Verkehrsminister Michael Groschek: „ÖPNV – wenn für lau, dann jau!“ sei nicht richtig. Wertschätzung für einen hoch qualitativen ÖPNV, müsse sich auch in einem Preis ausdrücken. [9]
Wie sehen an der Unzufriedenheit der Menschen im Ruhrgebiet mit der jetzigen Verkehrssituation und den Spritpreisen sowie auch mit der Deutschen Bahn, dass ein hoher Preis im Verkehrsbereich kein Kriterium für eine hohe Qualität sein kann. Die Wertschätzung entsteht, wenn das Verkehrssystem so funktioniert, wie man es benötigt. Kostenpflichtige Dienstleitungen und Bequemlichkeit für angenehmes Reisen kann es zusätzlich geben.
In dem Antrag der Piraten geht es darum, Prognosen und Daten zur Vorbereitung auf neue Verkehrsmodelle zu erhalten – im März findet eine Anhörung dazu statt. Ein erster Schritt von vielen. Die meisten davon müssen in den Städten und Kommunen von der Bevölkerung selbst gemacht werden.
Oliver Bayer [10] ist Sprecher der Piratenfraktion im Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landtags NRW
[1] http://www.mil.brandenburg.de/sixcms/detail.php?id=572176
[2] Die Landesregierung sieht im Landesstraßenbauprogramm 2013 „nur“ 44 Millionen Euro für die Fertigstellung bestehender Projekte vor. Leider ist das Dokument noch nicht in der Parlamentsdatenbank vorhanden.
[3] http://www.mbwsv.nrw.de/presse/pressemitteilungen/Archiv_2013/2013_01_11___PNV-Zukunftskommission/index.php
[4] http://www.metropoleruhr.de/fileadmin/user_upload/metropoleruhr.de/Daten___Fakten/Regionalstatistik_PDF/Kl_Zahlenspiegel_2012_klein.pdf
[5] http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/tuebingen_artikel,-ALGruene-und-SPD-diskutieren-Gratis-Nahverkehr-_arid,159883.html
[6] http://www.zak-tuebingen.org/files/TueBus_Umsonst.pdf
[7] http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/2322.pdf
[8] http://www1.wdr.de/themen/politik/faktencheck262.html
[9] http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMP16-14.html#_Toc342053420
[10] http://www.oliver-bayer.de/
In der Stadt Hasselt in Belgien funktioniert das ganze absolut prima!
Der Preis für den ÖPNV schlägt sich im Ruhrgebiet nicht in der Qualität nieder:
– das nördliche Ruhrgebiet ist sehr schlecht an den Schienenverkehr angeschlossen
– der Preis ist im Vergleich mit anderen Städten sehr hoch
– es gibt seitens der Politik keine nachhaltigen Pläne und Bemühungen, die Situation des ÖPNV im Ruhrgebiet zu verbessern
Von daher ist das Argument teuer = guter Nahverkehr nicht nachvollziehbar und es wäre schon gut, wenn die Politiker, die die Piraten für die Idee kritisieren eine Perspektive für einen besseren ÖPNV an Rhein und Ruhr aufzeigen würden.
Eine „uralte Idee“, über die es sich trotzdem lohnt, immer wieder ‚mal zu diskutieren.
Dabei muß jedoch unterschieden werden zwischen Plänen für Mittelstädte -Hasselt, Belgien, Tübbingen-und ihre dort -ganz oder teilweise – erfolgten Umsetzung und Plänen, diese Idee z.B.in einem Ballungsraum wie dem Ruhrgebiet flächendeckend umsetzen zu wollen.
Nicht nur deshalb, aber auch deshalb bin ich gespannt, was die diversen Anhörungen, die die Piraten ankündigen, an neuen Erkenntnissen liefern werden.
Vor vielen, vielen Jahren habe ich ‚mal an einer Diskussion in kleiner Runde teilgenommen, in der zu diesem Thema gefragt wurde:
„Was wäre durch den Staat, die Region,die Kommunen an Investitionskosten und an Betriebskosten zu tragen, wenn z.B. hier im Ruhrgebiet e i n D r i t t e l (oder gar die Hälfte)derjenigen, die hier jetzt tagtäglich mit dem PKW unterwegs sind, ein solches kostenloses ÖPNV-Angebot (Bus, S-Bahn,Regional-Bahn)nutzen wollten?“.
Wenn ich mich nicht irre, haben „Fachleute“ seinerzeit in dieser Gesprächsrunde geantwortet, das sei allein wegen der Kosten für die dafür unbedingt notwendigen Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen und in betriebliche Investitionen aus öffentlichen Mitteln nicht zu finanzieren. Ähnlich kritisch waren die Äußerungen der „Fachleute“ zu den dann entstehenden betrieblichen Aufwendungen und deren Deckung aus öffentlichen Mitteln -sh.dazu die Idee im o.a.Kommentar-.
Ich denke, auch das wird in der von den PIRATEN geplanten Anhörung zu diskutiert werden, z.B. mit Blick auf die flächendeckende Umsetzung dieser Idee im gesamten Ruhrgebiet.
Alles in allem -sh.einleitend-:
Eines immer wieder diskussionswürdige und diskussionsbedürftige „uralte Idee“, die die PIRATEN jetzt aufgreifen.
Ich persönlich empfinde die monatlichen 130€ für ein Ticket D (Süd) als relativ kostengünstig. Über die Verbindungen kann ich auf meiner Strecke Bochum – Düsseldorf auch nicht meckern und als Bonus kommt wenigstens die S-Bahn zu 90% pünktlich.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich die Erfahrungen aus Hasselt so einfach auf eine Ballungsraum wie das Ruhrgebiet übertragen lassen. Zudem sind die REs zu den Stoßzeiten jetzt schon überfüllt, da die Strecke zwischen Rhein und Ruhr ausgelastet ist, wird man auch keine weiteren REs einsetzen können. Der REX wird höchstwahrscheinlich auch erst um nächsten Jahrzehnt zur Verfügung stehen. Aufgrunddessen wird man die Zahl der täglichen Autopendler wohl kaum weiter reduzieren können.
Im Großen und Ganzen stimme ich dem Artikel zu.
Durch den Umzug meiner Arbeitsstelle, hätte ich die komfortable Lösung mit der Straßenbahn – ohne Umstiege – innerhalb der Stadt zur Arbeit zu kommen. Nach kurzdem durchrechnen bin ich zu dem Schluss gekommen, bei gutem Wetter das Rad zu nehmen und bei schlechtem Wetter weiterhin mit dem Auto zu fahren.
Kosten mit dem Auto (nur Sprit) : 24,- monatlich
Kosten eine Bogestra-Tickets(A2) im Abo : 61,97 € monatlich
Ich möchte hiermit auf keinen Fall das Auto verteidigen, aber der Preisunterschied ist mir einfach zu hoch.
Vielleicht schreibe ich mich einfach wieder als Student ein….
Der Beitrag ist ein bisschen lang und ich bin wahrscheinlich etwas blind: Wie hoch sind denn die Einnahmen der grossen Verkehrsverbuende durch Tickets? Absolut und in %? Ich habe da ueberheupt kein Gefuehl fuer die Relationen.
Ein Teil des Problems steckt in zu wenig Schienen. Dass z.B. die Anbindung des Rheinlandes an das Ruhrgebiet mehr als problematisch ist, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass es zwischen Köln und Düsseldorf (aber auch im Ruhrgebiet) zu wenig Schienenstränge gibt. Im Klartext heißt ein Ausbau des ÖPNV also erst einmal den Bau neuer Trassen und Gleise. Dazu müssen auch erst einmal wieder Grundstücke gekauft, Felder, Häuser, Wiesen eingeebnet werden, etc.
Solche Texten würden überzeugender wirken, würden sie nicht mit Phrasen und unwahren Fakten vollgestopft. So ist er leider Beispiel dafür, wie Piraten genauso einseitig argumentieren wie andere Politiker.
Ein Beispiel:
„Immer mehr Straßen, mehr Autos und damit mehr Verkehr“
Die Zahl der neugebauten Straßen ist im Vergleich zu den bestehenden Straßen so gering, dass solche ein Argument geradezu lächerlich wirkt. Die Behauptung, es gäbe immer Autos, ist falsch. Es würde mich wundern, wenn der Autor dies überhaupt überprüft hätte. Die Zahl der zugelassen PKW liegt seit Jahren mit nur geringen Schwankungen bei 39 Mio für Privatwagen und bei 3,5 Mio. für Geschäftswagen. Schaut man auf die Zahlen hinter den Kommata, sieht man seit 2010 sogar abnehmende Zahlen. Die Behauptung des Autors, es gäbe immer mehr Autos, ist ein Ammenmärchen.
@6 Einnahmen des VRR 2011 ca. 1 Mrd. € (https://www.vrr.de/de/vrr/presse/meldungen/archiv/2012/00214/index.html)
Danke, Crusius. Das ist in der Tat mehr, als ich gedacht habe. Kann man die Aufhebung der 50%-Zuzahlung und die 1 Mrd. Mehraufwand politisch usw. an die Leute bringen? Wohl kaum. Die Idee, dass man, sagen wir mal, Soli-Gelder umleitet damit NRWler ‚fuer lau‘ Bahnfahren koennen-also das ist nicht vermittelbar. Aber spinnen wir die Idee mal weiter: Das Riesenchaos, wenn die unterfinanzierte Infrastruktur von Gratis-Fahrern ‚heimgesucht‘ wird will sich doch auch niemand geben. Fuer mich kommt die Debatte gefuehlte 30 Jahre zu spaet. In den vermeintlich oder tatsaechlichen ‚fetten Jahren‘ haette man experimentierem sollen, jetzt ist der Zug abgefahren ;)…
Für die, die daran interessiert sind möchte ich sn dieser Stelle einen älteren eigenen Vorschlag ins Spiel bringen, der einen kostenfreien Nahverkehr für Preisstufe A einschließt:
https://ruhrblogxpublik.buergerbegehren-musikzentrum.de/2012/08/02/79/
Viel Spaß damit.
Markthändler, nach dem Gang ihrer Geschäfte gefragt, werden zu 99% losschimpfen wie die Rohrspatzen, Autofahrer, gefragt nach der Qualität der AB- und Zubringer-Versorgung genauso wie ÖPNV-Nutzer, die ihre Meinung über die Zufriedenheit mit ihrem Mobilitätsmitte kundtun.
Insofern bedient der Artikel v. Oliver Bayer genau die populistische Schiene, auf der all die letzten Jahrzehnte fruchtbare Diskussionen über neue Finanzierungsmodelle im ÖPNV baden gingen. Teekay hat es auf den Punkt gebracht – es wird viel zu spät drüber geredet, da der Nachfragedruck auf das öffentliche Netz schon seit einigen Jahren das Angebot mehrfach überfordert.
Und bitte: Hasselt gehört in Touristik- und Tübingen in Studenten-Verbänden diskutiert, nicht in Ballungsräumen.
In den meisten Ballungsräumen wird der Individualverkehr aus den Zentren gedrängt: Paris, London, Barcelona, Stockholm… .
In den Ballungsräumen, wo der ÖPNV funktioniert, steigen die Bevölkerungszahlen. Bei uns nicht.
Insbesondere das Lärmproblem, das mit dem MIV verbunden ist, macht das Ruhrgebiet als Wohnstandort unattraktiv. Der gute Ausbaugrad der Straße ggü. dem ÖPNV macht das Pendeln mit dem Auto interessant.
Man wohnt im schönen ruhigen Umland und der Lärm der Pendelei, verstärkt das Problem weiter. 48% aller Menschen, die z.B in Bochum arbeiten, wohnen nicht in der Stadt.
Stimmt, das Problem jetzt anzugehen ist viel zu spät. Rechtfertigt aber nicht es zu ignorieren. Wir sind eine polyzentrischer Ballungsraum, bei dem für Ballungsräume vergleichsweise wenige Menschen auf dem qm leben.
U-Bahnen müssten weite Strecken zurücklegen durch teilweise kaum besiedelte Gebiete. Sind daher für das Ruhrgebiet viel zu teuer. Hat man leider zu spät gemerkt, jetzt leben wir mit Bruchstücken der Stadtbahn.
Im Ruhrgebiet sind die Stadteile verschiedener Städte häufig schlecht vernetzt. Man fährt von Stadteil A der Stadt B zum Stadtteil C der Stadt D häufig nicht direkt, sondern erst vom Stadtteil A zum Zentrum von B dann Zentrum von D und von da ins Stadteil D. Das ist unattraktiv.
Woanders kommen Ballungsräume mit einem Nahverkehrsunternehmen aus, wir brauchen gefühlte 20. Das ist teuer. Es wird mehr lokal als im Ruhrgebietsnetz gedacht und die Abstimmungsnotwendigkeiten machen Entwicklungen total langsam und träge.
Zitat Ben: „Ein Teil des Problems steckt in zu wenig Schienen.“
Genau. Zwischen Bochum (Bf Präsident) und Duisburg liegt seit Jahren eine zweigleisig trassierte Bahnstrecke brach, die noch in den 1990ern vom VRR als zusätzliche S-Bahn-Strecke geplant war. Zustand heute: Pionierpflanzen auf Ruderalflächen, demonierte Gleise, abgebrochene Brücke über die A40 im Rahmen deren Ausbaus…aber der Überflieger Clement wollte hier ja unbedingt den Metrorapid zur WM 2006 fahren sehen 🙁
@Springorum
Du meinst die Trasse der „Rheinischen Bahn“, die ist mittlerweile nicht nur durch
den (ersatzlosen) Abriss der A 40-Brücke zerstückelt, sondern auch durch den bereits existierenden Radweg auf dieser Trasse in Essen bzw. Duisburg !
Noch schlimmer finde ich, dass man als Bochumer mit dem Auto über die A 43 in 10 Minuten im Vest (RE) ist, aber nie ein Ersatz für früher bestehende Schienendirektverbindungen geschaffen worden ist (Straba 305 bzw. Bahn über BO-West / Bf. Riemke) und man somit als ÖPNV-Nutzer mehrmals umsteigen muss.
Kein Wunder also, dass die Herner- und auch die Dorstenerstraße eigentlich rund um die UHr verstopft sind !
Sollte man auf jeden Fall mal durchrechnen.
[…] den Ruhrbarone-Gastbeitrag von Oliver Bayer bisher verpasst hat, kann diesen hier nachlesen. Die Ruhrbarone fragten nach der “Alternative kostenloser Nahverkehr”. Daher […]
[…] einem Gastbeitrag für das Blog Ruhrbarone vor drei Wochen habe ich absichtlich mehrere Begriffe genutzt und mich auch nicht beschwert, dass […]