In den Umfragen sind sie längst bei den „Sonstigen“ angekommen und für Aufmerksamkeit sorgen sie vor allem durch Streitigkeiten und Skandale. Wer jedoch glaubt, die Zeit der Piraten sei vorbei, könnte sich irren. In den Städten arbeiten die Politfreibeuter oft erstaunlich erfolgreich.
Die Stimmung war aufgeheizt und ernst auf der Sondersitzung des Innenausschusses im Düsseldorfer Landtag. Vor allem die Abgeordneten der Opposition setzten Innenminister Ralf Jäger (SPD) mit ihren Fragen schwer zu.
Christdemokraten und Liberale wollten Jäger nicht durchgehen lassen, dass er sich auch nach den Missbrauchsvorfällen in der Kölner Silvesternacht jeder persönlichen Verantwortung zu entziehen versuchte. In der angespannten Atmosphäre meldete sich auch Frank Herrmann, der innenpolitische Sprecher der Piraten, zu Wort. Er will wissen, wie viele Betrunkene es gab. „Und was haben sie denn getrunken? Welche Marken?“ Gelächter im Saal. Niemand außer dem Piraten interessiert sich angesichts von über 500 Strafanzeigen in einer Nacht dafür, wer in Köln Jägermeister oder Doornkaat, Gaffel oder Becks getrunken hat. Die Piraten sitzen an diesem Montag zwar im Ausschuss, aber ernst nimmt sie niemand.
Als die Piraten im Mai 2012 mit 7,8 Prozent in den nordrhein-westfälischen Landtag einzogen, gelang der Partei der letzte nennenswerte Erfolg bei einer Wahl. In Berlin, Saarland und Schleswig-Holstein war ihnen zuvor der Einzug in die Landesparlamente gelungen. Nach Nordrhein-Westfalen begann der Absturz. Der Partei, die wenige Monate zuvor noch als neue politische Hoffnung gehandelt wurde, gelang es innerhalb weniger Monate, nur noch alsinkompetente Chaostruppe wahrgenommen zu werden. Auf Parteitagen gab es statt politischer Beschlüsse endlose Debatten über Formalien, die NRW-Landtagsabgeordnete Birgit Rydlewski wurde bekannt, als sie die Menschheit über den Kurznachrichtendienst Twitter wissen ließ, dass ein kaputtes Kondom keine unangenehmen Folgen gehabt habe: „So: Allen einen lieben Dank, die wegen des gerissenen Kondoms mitgezittert haben: Alle Tests negativ! (Also HIV, Hep. B, Hep. C).“ und galt fortan als „Twitter-Luder“. Der damalige politische Geschäftsführer der Partei, Johannes Ponader, räsonierte Sandalen tragend in Talkshows über die Vorzüge einer Beziehung zu mehreren Partnerinnen aus, bei Diskussionen über das Thema Urheberrecht wurde über die Piraten diskutiert, die allerdings selbst kaum zu dem Thema Stellung bezogen, und als die durch Edward Snowdens Veröffentlichung über die Überwachung durch Geheimdienste 2013 ihren Höhepunkt erreichte, war von den Piraten nicht viel zu hören. Und auch aus den 20 Piraten, die 2012 in den Düsseldorfer Landtag zogen, sind längst 18 geworden: Zwei der Politfreibeuter haben die Fraktion verlassen.
In den Umfragen spielt die Partei kaum noch eine Rolle: Egal, ob es um Bundestagswahlen oder die Landtagswahl in NRW geht: Die Piraten sind meist in der Gruppe der sonstigen Parteien verschwunden.
„Wir haben seit 2012 einen Absturz erlebt, aber wir sind dabei, uns zu stabilisieren“, sagt Patrick Schiffer, der Vorsitzende der Piraten in Nordrhein-Westfalen. Die Zahl der Mitglieder sei von 6600 auf gut 4000 zurückgegangen, aber die große Austrittswelle sei vorbei. „Wir waren alle Laien, als der große Hype begann, und wir haben alle Fehler gemacht.“ Unbedachte Äußerungen auf Twitter oder gegenüber der Presse, eine Parteiverwaltung, die durch den Ansturm der Neumitglieder überlastet war und eine ruppige Diskussionskultur hätten für zahlreiche Probleme gesorgt. „Aber wir haben aus den Fehlern gelernt. Wir arbeiten inhaltlich intensiv an unserem Programm und greifen vermittelnd ein, wenn Konflikte zwischen den Mitgliedern aus dem Ruder laufen.“
In Bochum habe man so dafür gesorgt, dass die Parteimitglieder auf die Austritte ihrer beiden Ratsmitglieder aus der Partei mit einem offenen Brief reagiert hätten. Eine öffentliche Schlammschlacht konnte so vermieden werden.
Und auch im Landtag haben die Piraten Erfolge vorzuweisen. Dass es in NRW einen NSU-Untersuchungsausschuss gibt, ist die Leistung von Birgit Rydlewski, dem angeblichen Twitter-Luder. Sie überzeugte die CDU-Fraktion, einen solchen Ausschuss zu beantragen. SPD, Grüne und FDP wollten ihn nicht.
Mit der Arbeit der Fraktion ist die Landtagsabgeordnete und Förderschullehrerin Monika Pieper zufrieden: „Wir haben viel erreicht, aber das wird oft nicht in der Öffentlichkeit wahrgenommen.“ Rot-Grün habe die Zahl der Medienberater an den Schulen verdoppelt und hätte damit einen Piratenantrag übernommen, den die Regierungsparteien erst abgelehnt hätten. Dass der Breitbandausbau und seine Probleme zum großen Thema im Land geworden seien, liegt nach Piepers Ansicht auch an den Piraten, die immer wieder auf das Thema aufmerksam gemacht haben. „In vielen Bereichen sind wir heute auch Ansprechpartner für die unterschiedlichsten Initiativen. Da konnten wir über Jahre hinweg Vertrauen aufbauen.“
Ein Vertrauen, das in der eigenen Landtagsfraktion nicht allzu groß gewesen sein kann. Daniel Schwerd hat die Fraktion im Oktober verlassen. Und im Gegensatz zu Robert Stein, der bereits vor zwei Jahren ging und heute Mitglied der CDU Fraktion ist, hatte Schwerd weniger inhaltliche als atmosphärische Probleme: „Das größte Problem war für mich der innerparteiliche Umgang miteinander.“ In allen Auseinandersetzungen habe ein rüder Ton geherrscht, alles sei immer persönlich ausgetragen worden und das sowohl in der Fraktion als auch in der Landes- und Bundespartei. „Es gibt bei den Piraten keine Kultur, andere Meinungen gelten zu lassen.“
Auch andere Abgeordnete berichten von Streitigkeiten in der Fraktion, die persönlich und mit Härte ausgefochten werden. Es könne gut sein, sagt ein Fraktionsmitglied, dass noch weitere Piraten austreten werden. Um ihren Sitz im kommenden Landtag müssen sie nicht fürchten: Kaum jemand in der Fraktion glaubt noch daran, dass die Partei bei der Landtagswahl 2017 erneut über die 5-Prozent Hürde komme. „Die Partei hofft darauf, dass es einen neuen Hype gibt, wenn die Piraten es im September in Berlin erneut ins Abgeordnetenhaus schaffen.“ Doch auch in der Hauptstadt sind die Piraten seit fast zwei Jahren in Umfragen unter fünf Prozent.
Die Hoffnung der Piraten richtet sich in NRW auf die Räte. 136 Ratsmitglieder stellte die Partei nach der Kommunalwahl 2014. Nur sechs haben bislang die Partei verlassen. „Die Arbeit in den Kommunen läuft gut“, sagt Hansjörg Gebel, Landesgeschäftsführer der Piraten in der Kommunalpolitik in NRW e.V., der kommunalpolitischen Vereinigung der Piraten. In Aachen, Herzogenrath, Ratingen, Unna, Velbert, Witten, Bad Salzuflen und im Ruhrparlament sind die Piraten mit eigenen Fraktionen vertreten. „In Witten erreichte der Pirat Stefan Borggraefe bei der Bürgermeisterwahl im vergangenen September mit 10,5 Prozent ein außerordentlich gutes Ergebnis“, sagt Gebel.
Wo es für eine eigene Fraktion nicht reicht, sind es oft Einzelkämpfer oder Gruppen, die Piratenpolitik machen und oft schlossen sich Piraten auch mit anderen zu Fraktionen zusammen: In Dortmund arbeitet man mit der Linkspartei, in Essen mit der Satirepartei Die PARTEI und in Hürth mit der FDP zusammen. In Köln, wo die Piraten eine Gruppe bilden, waren sie sogar kurzzeitig an der Macht: Im vergangenen Jahr bildeten sie zusammen mit SPD und Grünen eine Paprika-Koalition, die allerdings durch die Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen ihr Ende fand. Der Kölner Pirat Thomas Hegenbarth ist trotzdem mit den Ergebnissen der Kurz-Koalition, die einen gemeinsamen Haushalt durch den Rat brachte, zufrieden: „Wir konnten dafür sorgen, dass viele Kürzungen, die von der Verwaltung geplant waren, verhindert werden konnten. Meine Sorge ist, dass Schwarz-Grün das alles nachholen wird.“ Durch die wechselnden Mehrheiten im Kölner Rat hätten die Piraten viele Anträge durchbekommen: „Wir haben oft unsere Internetkenntnisse mit dem sozialen Gedanken verbunden. Internetanschlüsse für Flüchtlingsheime, eine App für Flüchtlinge oder ein interaktiver Bebauungsplan waren wichtigsten unsere Erfolge.“ In den Städten gäbe es für die Piraten viele wichtig Themen.
Was die Zukunft der Piraten betrifft, ist Hegenbarth zuversichtlich: „Der Hype 2012 kam zu früh. Politik ist ein Marathon und kein Sprint. Man muss lange und kontinuierlich arbeiten, dann stellt sich auch der Erfolg ein.“
Das schwierige dürfte nun sein Aufmerksamkeit für die Partei in den Medien zu gewinnen um wieder Unterstützung und Wähler zu erhalten. Selbst im Social Media ist die Partei nicht mehr präsent.
Auch die Flüchtlingsdebatte, Terrorangst und andauernde Euro Finanzkrise sind Themen bei denen die Piraten nicht punkten können. Ich sehe da die Aussichten da im moment alles andere als rosig und gut an.
@Piraten Wähler, das liegt aber zu großen Teilen nicht an uns 🙂
Wir haben Anträge zu den Flüchtlingen gebracht, als es die Debatte noch nicht gab, wir haben den Braunkohleausstieg gefordert, bevor er ein Thema war, wir haben insgesamt einige Anträge geschrieben, die abgelehnt wurden, später aber exakt so oder ähnlich von Rot-Grün umgesetzt wurden. An der Arbeit im Landtag liegt es auf jeden Fall nicht.
"Auch die Flüchtlingsdebatte, Terrorangst und andauernde Euro Finanzkrise sind Themen bei denen die Piraten nicht punkten können."
Was die Terrorangst betrifft bilden wir einen wichtigen Gegenpol zu Hardlinern, die ständig mehr Überwachung fordern ohne sich darüber Gedanken zu machen wie weit unsere Grundrechte das zulassen. Oder die trotz früherer Ablehnungen durch Bundesverfassungsgericht, europäischem Gerichtshof und einer ablehnenden Einschätzung der Bundesdatenschutzbeauftragten an ihrer Idee der Vorratsdatenspeicherung festhalten. Der Name hat sich geändert in "Mindestspeicherfrist", auch an den Rahmenbedingungen hat sich was geändert, das Prinzip bleibt aber das Gleiche.
Naja, das liest sich doch ein bisschen nach Grundstudiumshetorik fuer das Seminar 'das politische System der BRD'…das man durch gute Parlamentsarbeit von den WählerInnen bestätigt wird oder das sich ganz allgemein im Wettbewerb um die besten Ideen Parteien profilieren können ist 2016 doch kaum noch haltbar. Ohne eine/n medial sichtbare/n Bundesvorsitzende/n wird die Partei eher bei unter als ueber 5% rumduempeln. Es gibt auch keine empirischen Belege fuer den 'Marathon': Gibt es neue Parteimitglieder? Gibt es Fuehrungspersoenlichkeiten die Wirkung erzielen? Gibt es SpenderInnen die den Spass finanzieren? Gibt es Piraten-Sympathisanten in Medien, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft? Gruen, Links, Gelb, Rechts, Piraten und 'Sonstige' werden sich ca. 20% der Stimmen teilen muessen und das reicht nicht immer fuer alle.