PISA: Lernen in den Zeiten der Botox-Bildung

Hurra, die neue PISA-Studie ist da. Die Freude im Land kennt keine Grenzen, weil die deutschen Schüler endlich die usbekische Konkurrenz in der Kategorie „Textaufgaben mit Zahlen über hundert“ abgehängt haben. Oppositionell und traditionell wird dann noch bemängelt, dass die Situation von migrationsgeschädigten Kindern in der Republik mal wieder unter aller Sau sei, was aber in der Selbstbejubelungsorgie vergessen werde. Kein Mensch kommt auf die Idee, mal nachzufragen, warum man sich von der OECD vorschreiben lässt, was Bildung ist, ein durch Rankingpunkte vermeintlich objektiver Wert nämlich. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist ein ökonomisches Bündnis, das folglich Bildung der Wirtschaft unterordnet. Das ist so, als würde der Vatikan Sterne vergeben für die neuesten Hardcorepornos, weil man sich dort bekanntlich gerne dem Thema  Liebe widmet. Wobei man vergisst, dass ein Unterschied besteht zwischen Eros und Caritas, den man eigentlich leicht erkennen könnte. Schließlich leben Senioren im Caritas-Heim und nicht im Eros-Center. Aber die OECD macht nicht nur auf Bildung. Sie hat auch schon festgestellt, im internationalen Vergleich sei der deutsche Hatz IV- Empfänger vollkommen überbezahlt. Andere sagen, eher das Gegenteil stimme. Vielen kinderreichen Hartz IV- Familien im Osten fehle zum Beispiel das Geld für Neuanschaffungen, etwa für eine größere Tiefkühltruhe.

Was auch bitter fehlt, ist eine PISA-Studie für die Hochschullandschaft, genauer: für das dortige Spitzenpersonal. Man darf annehmen, bei den Textaufgaben bis 500 Euro pro Semester würde diese Peer Group grandios scheitern. Was der Schule die PISA-Studie, ist der Universität bekanntlich der Bologna-Prozess, so eine Art Hartz IV der Bildung. Bologna sorgte für die angeblich bitter nötige Straffung der Hochschulstrukturen, wie vor Jahresfrist noch der WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz einsam jubelte.

Ob diese Botox-Bildung allein für eine Teilnahmegarantie an Pflichtveranstaltungen sorgt, für einen Treppensitzplatz im Hörsaal, für die Bezahlbarkeit von Studienkrediten oder die Erreichbarkeit von möglichst vielen Creditpoints in möglichst wenigen Semestern bei gleichzeitigem Auslandsaufenthalt, den sicheren Übergang vom Bachelor- in den Masterstudiengang oder die erkennbare Verwendung der idiotischen Studiengebühren, ist nicht hinreichend erforscht. Nach dieser Logik wäre das Problem des Gesundheitssystems jedenfalls schnell gelöst, wenn man in diesem Land in einer Handvoll Feldlazaretten in straffen Strukturen nur das behandelte, was der Wirtschaft dient.

Dummerweise boxte der sich ansonsten stetig durchs eigene Blatt grinsende Chefredakteur ziemlich allein auf das faule Studentenpack ein. Da gruschelten sich Politiker von Annette Schavan bis Andreas Pinkwart schon längst an die Studierenden ran, als bewürben sie sich um den imaginären Titel der Miss bzw. des Mister Studien-VZ, freilich ohne Willen ernsthaft etwas bei den Studiengebühren zu ändern.

Dann passierte die Landtagswahl in NRW, und damit ging der Stern der Dortmunder Universitätsrektorin Prof. Ursula Gather auf. Sie ist nebenher Vorsitzende der NRW-Rektorenkonferenz. In dieser Funktion hat es sich, kaum droht die Abschaffung der Studiengebühren, mittlerweile ausgegruschelt. Die Frau ist Mathematikerin und gerade dabei, das Thema ihrer Dissertation per Selbstversuch mit Leben zu füllen. Damals ging es um die „Ausreißeranfälligkeit von Wahrscheinlichkeitsverteilungen“.

Man muss wissen, bis vor drei Jahren war die Technische Universität nur Universität. Mit Einführung des neuen Labels tröstete man etwa die bundesweit anerkannten Gerontologen mit dem Tipp, sie könnten auch an einer technikfixierten Uni ihren Platz finden, indem sie etwa erforschten, wie Senioren so klarkommen mit dem, was die richtigen Wissenschaftler nebenan im Labor entwickelten.

Neulich war die Rektorin strunzstolz im Lokalblatt abgelichtet. Da weihte sie mit einem anderen grinsenden Akademiker eine rotierende TU-Leuchtschrift auf dem Dach des Matheturms ein und frohlockte entfesselt angesichts dieses Logos: „Über 85.000 Fahrzeuge pro Tag fahren allein auf der B1 an der TU vorbei, es wird bis in die Stadt zu sehen sein – und das jeden Tag!“ Das ist ein bisschen wie ein niederbayrischer Dorfbürgermeister, der dem berühmten Zuchtbullen der Gemeinde ein beleuchtetes Denkmal spendiert, das von der Autobahn aus zu sehen ist, und hofft auf diese Weise den Manager eines taurinhaltigen Energydrinks anzulocken, der umgehend in Dorf Millionen investiert. Immerhin, wenn es um Firlefanz geht, scheint und der Dortmunder Universität Geld vorhanden zu sein.

Wenn es jedoch um die finanziellen Nöte von Studierenden geht, fehlt jedes Verständnis. Die Studiengebühr abzuschaffen, so erklärte Gather im Namen ihrer Rektorenkonferenz, sei falsch. Aha. Denn es kämen zusätzliche Belastungen auf die Hochschulen zu, etwa durch den Wegfall der Wehrpflicht oder den doppelten Abiturjahrgang 2013/14. Es ist wunderbar, wie hier Studierende in Geiselhaft genommen werden für ein Problem, das sie nicht verursacht haben. Unverschämt ist aber, wie hier ein Satz Wahrheit behauptet, nur weil er sprachlich korrekt ist wie die berühmte Aussage: „Farblose grüne Ideen schlafen zornig.“  Gather hätte einfach sagen können: „Hey Frau Kraft, ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber wir brauchen da etwas mehr Geld.“

Dieses Beharren auf den Studiengebühren ist typisch für Verwaltungen. Was man hat, das hat man. – Den Soli wahrscheinlich, bis der Osten endgültig entvölkert ist. Man wundert sich, dass wir nicht heute noch das Notopfer Berlin auf unsere Briefe kleben müssen. Rumsitzen in durchstrukturierten Verwaltungen sorgt offensichtlich zu Ängsten vor Änderungen. Leute wie Ursula Gather sollten sich keinen Abreißkalender ins Büro hängen. Täglich eine andere Zahl sehen zu müssen, das könnte zu schweren psychischen Störungen führen.

Die Verteidigung der Studiengebühren zeigt auch, wie weit die Rektoren von ihren Studierenden entfernt sind. 500 Euro im Semester sind viel Zeit, die dem Studium fehlen, etwa drei Arbeitsstunden pro Woche, im Copyshop oder an der Tankstelle, Zeit in der man lernen oder zum Chillen  an einem rotierenden Uni-Logo vorbeifahren könnte. Was Studis mit Finanzhintergrund sicher auch weidlich tun. Natürlich gibt es für Studiengebühren kein vernünftiges Argument, solange man für den Schulbesuch ab Klasse elf nicht auch abkassiert und die Azubis dazu nötigt, dem Chef wieder Lehrgeld abzudrücken.

Glücklicherweise musste ich vor langer Zeit nur diese erbärmlichen Sozialgebühren entrichten. Das machte mich so sauer, dass ich versuchte das Geld wieder reinzuholen, indem ich mir in der Cafeteria die Taschen kiloweise mit Würfelzucker vollstopfte und in der Mensa minderwertiges Besteck klaute. Irgendwann rechnete ich mal nach, nach wie viel Zentnern Zucker ich mit der Uni quitt gewesen wäre.

Eine herablassende Haltung gegenüber Studierenden ist nicht neu. Ein Akademischer Rat prüfte uns Erstsemester, Literaturwissenschaftler, damals mit einem Fragebogen, der nur dazu dienen konnte, unsere Minderwertigkeit zu offenbaren. Fachfragen, bei denen der letzte PISA-Versager laut lachen würde („Erklären Sie den Unterschied zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit!“ – Antwort: „Obwohl Opa gern und ausführlich vom Krieg erzählte, dauerte dieser nach Angaben von Historikern doch noch länger.“), wurden getoppt durch das Ausforschen von Privatem. Der Dozent wollte wissen, wofür wir mehr Geld ausgäben, für a) Schallplatten, b) Bücher, c) Kino und Ausgehen. Ich teilte die Rubrik mit einem senkrechten Strich, fügte die Kategorien d) Miete, e) Nahrung, f) Kleidung hinzu, kreuzte alle drei an und verachtete den Mann seither.  Zum Glück trug er nur Verantwortung dafür seine Schnürsenkel ordentlich zu binden.

Das ist heute anders. Schuld an der miserablen Ausstattung von Forschung und Lehre ist niemand, außer der Uni an und für sich. Jedenfalls nicht die Politik. Die hat das neue Hochschulfreiheits-Gesetz geschaffen. Dadurch entscheiden Unis sogar über ihr eigenes Geld. Diese Freiheit kennt auch der Wellensittich in seinem Käfig, der jeden Morgen frei entscheiden kann: Kack ich heute von der Schaukel oder kack ich heute doch lieber von der Sitzstange?

Wenn das mal jemand Prof. Ursula Gather erklären könnte.

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Tortist
Tortist
13 Jahre zuvor

Ich habe die Befürchtung, das Sie noch nie einmal in eine PISA Studie reingesehen haben. PISA testet Lesen, Rechnen und Grundwissen in Naturwissenschaften. Das kann man wohl kaum als Wissen unter rein wirtschaftlicher Verwertung laufen lassen. Ich jedenfalls finde es gehört schon zur Allgemeinbildung.

Der PISA-Schock war sehr hilfreich. Er hat nämlich viele Probleme ziemlich klar herausgarbeitet. Gegen die Studie zu wettern ist eine reichlich dümmliche Position.

Ausserdem wurden besonders in der Grundschule und in den Kita gerade wegen PISA viele neue Bildungsangebote und Förderungen gestartet.

Das man die in PISA noch nicht sieht liegt einfach daran, das die Kinder, die im Moment davon profitieren, erst nach dem Jahr 2000 geboren sind. Also noch in die Grundschule gehen. Die Erolge dieser Bildungsangebote wird sich frühestens also ab 2015 zeigen.

Ich jedenfalls bin über die neuen Angebote und Förderung aufgrund des PISA Schocks für mein Kind froh und dankbar.
Er hat verhindert das Bildungspolitik noch mehr kaputtgespart wird.

c.
c.
13 Jahre zuvor

hurra, ein gelungener versuch über das momentane reizwort „pisa“ interesse an einem artikel zu wecken, der, ausser der anmerkung, dass usbekische schülerInnen noch weniger mit zahlen über einhundert rechnen können, nix, aber auch gar nix mit der gleichnamigen studie, geschweige denn mit den problemen von schülerinnen und schülern in deutschen schulen zu tun hat.
was auch bitter fehlt, ist eine pisa-studie für journalistInnen…

Hella mit Sinnen
Hella mit Sinnen
13 Jahre zuvor

Klasse Artikel ! Diese ganzen Vergleichsstudien, wo sich wieder Wissenschaftler ein lukratives Feld schaffen. Die Länder und die Lehrmethoden sind nicht vergleichbar, auch nicht durch diese Tests.
https://www.focus.de/schule/schule/bildungspolitik/bildungsexperte-warnung-vor-asiatischem-erfolgsmodell_aid_579491.html

lebowski
lebowski
13 Jahre zuvor

Man sollte doch meinen, dass eine Institution wie eine Universität genug Selbstvertrauen hat, für ihre Bildungsziele und die Wege dahin selbstständig einzutreten. Schließlich beschäftigen sich Universitäten seit Jahrhunderten mit nichts anderem. Aber nein, heutzutage erzählt die abgebrochene Psychologiestudentin einer Unileitung, was „Qualitätsmanagement“ ist.

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