In ein altes Postgebäude in Bochum werden bald bis zu 100 Kreative einziehen – bis es einem Einkaufszentrum weichen muss.
Noch steht sie gegenüber dem Bochumer Rathaus: Die einstige Hauptpost der Stadt. 4000 Quadratmeter, von denen die meisten nicht mehr genutzt werden. Nur noch eine Postbankfiliale im Parterre erinnert an die alten Zeiten. Geht es nach dem Einkaufszentrumsbetreiber ECE, sind die Tage der alten Post gezählt. Es soll, wie der ganze Block, zu dem auch noch das Landgericht gehört, abgerissen werden. ECE will hier ein weiteres Einkaufszentrum errichten.
Aber bis es frühestens 2014 soweit sein wird, könnte sich das alte Postgebäude in eines der größten Künstlerhäuser Nordrhein-Westfalens verwandeln. Zwischennutzung heißt das Stichwort. Ist es in US-Städten wie New York durchaus üblich, leer stehende Immobilien zeitweilig und zu günstigen Preisen Künstlern, Galerien oder kleinen Agenturen zu überlassen, stößt die Idee in Deutschland noch immer auf Skepsis. Viele sorgen sich, dass sie das bunte Völkchen der Kreativen nicht mehr los werden, wenn es sich erst einmal in den Räumen niedergelassen hat.
Immobilienberater Bernd Albrecht, der unter anderem für ECE in Bochum arbeitet, war von der Idee, Künstler für ein paar Jahre Platz im Telekomgebäude einzuräumen, von Anfang an begeistert: „Die Verträge können in der ersten Januarhälfte in trockenen Tüchern sein.“ Albrecht ist sich sicher, dass das Modell der Zwischennutzung auch auf andere Projekte übertragen werden kann.
Entwickelt haben es für Bochum der IHK-Mann Rouven Beek und der Stadtplaner Dr. Arnold Voss. Sie wollen Kreative in der Bochumer Innenstadt binden. Beek: „Kreative wollen Cafés, Kneipen und brauchen den Nahverkehr. Das alles gibt es nur in der Innenstadt. Nur da können sie häufig die Mieten nicht bezahlen. Mit unserem Projekt wollen wir ihnen helfen, bezahlbare Räume zu finden.“
Um die fünf Euro Warmmiete soll die Quadratmetermiete in der alten Post kosten. Selbst für die meisten Existenzgründer bei Raumgrößen ab zehn Quadratmeter ein bezahlbarer Preis.
Doch Beek und Voss geht es nicht nur um die Kreativen und ihr wirtschaftliches Potential. Sie hoffen auf Synergieeffekte zwischen Künstlern, kreativen Jungunternehmern und den anderen Branchen in der Stadt. Bochum soll sich als Stadt der Kreativen auch gegenüber den großen Nachbarn Dortmund und Duisburg profilieren.
Bis zu hundert Kreative können sich in der alten Post ansiedeln – und sollen auch in Bochum gehalten werden, wenn eines Tages die Bagger kommen. Beek will einen Förderverein gründen und bei den großen Immobilienbesitzern der Stadt nach weiteren Räumen suchen. Er will für die Stadt und die Kreativen eine langfristige Perspektive, kein spektakuläres Strohfeuer.
Mit der Ruhr2010 GmbH und ihrem für Kreativwirtschaft zuständigen Direktor Dieter Gorny hat in Bochum übrigens keiner gesprochen. Die hatten eigentlich vor, sich für preiswerte Räume für junge Kreative stark zu machen und versprachen die Förderung der Kreativwirtschaft. Gefördert hat man sich allerdings in erster Linie selbst: Gornys neues European Centre für Creative Economy (ECCE) hat für sich das Raumproblem gelöst: Man residiert nobel im gerade zum dritten Mal eröffneten U-Turm in Dortmund. Die klamme Revierstadt unterstützte die Ansiedlung von Gornys aus drei festen Mitarbeitern bestehenden Truppe großzügig mit über 400.000 Euro.
Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits ist der Welt am Sonntag
Klingt gut! Da kann man nur Glück und Erfolg zu wünschen. Mir gefällt, dass die Galerien direkt mit eingebunden werden. Man muss weniger Werbung machen, wenn man in der Innenstadt eh drüber stolpert.
Wie erfolgt denn die Auswahl der Künstler, die da einziehen dürfen? Und gibt es irgendwelche Verbindungen zu Kunsthochschulen?
Den Seitenhieb auf Gorny finde ich berechtigt. Außer seinem Schweigen zur Loveparadekatastrophe und dem Lebensrat an Lena, sich jetzt vor allem auf ihr Abitur zu konzentrieren, hat man von ihm voriges Jahr eigentlich nüschte jehöhrt. Wie legitimiert er denn da sein Residenzleben? Welchen Nutzen hat er im Kulturjahr 2010 gestiftet?
Mal ganz unabhängig vom Artikel:
Können wir die Künstler nicht einfach wieder Künstler nennen?
Das Wort kreativ nur auf eine kleine Gruppe von Menschen zu beziehen diskreditiert alle, die in ihren Berufen kreativ sein müssen: Ingenieure, Frisöre, Pastoren, Computerheinis, Tortenmacher, die Angestellten der Prüfungsämter der Universitäten, usw.
Oder muss man mittellos sein um als „Kreativer“ unter den Künstlern zu gelten, wie im Artikel hervorgehoben?
@Ede: Nein, das würde nicht passen. Es sollen auch kleine Agenturen, Verlage oder Journalistenbüros rein. Es geht also nicht nur um Künstler, sondern um das, was man „Kreative“ nennt. Ich kann das Wort aber auch nicht mehr hören. Wer was Besseres weiß – her damit!
Kreative passt schon. Künstler wäre einfach zu hoch gegriffen, solche gibt`s in Bochum nämlich nicht.
Ursprünglich wollte ich, nachdem ich den Artikel gelesen hatte, anmerken, daß zum Gelingen nun nur noch die kreativen Mietsuchenden fehlen würden und es wohl ziemlich doof sei, wenn sich niemand melden würden… Diese Frage sollte irgendwas zwischen ironisch oder sarkastisch sein… egal.
Aber nach Kommentar Nr.4 wollte ich doch zunächst mal lieber fragen, was das für Leute sind, die es in Bochum angeblich nicht geben soll, was macht den Menschen also zum Künstler und damit zum Nichteinwohner von Bochum?
[…] Platz für Kreative (Ruhrbarone) […]
Ralf Odermann, Peter Michalski oder Martin Margielka haben in den 80/90ern hier mal was geschaffen was Potenzial hatte. Heute interessiert Bochum niemanden mehr. Ein Drecksloch wie es im Buche steht. Bochumer Künstler gibt es nicht, gab`s nie und wird es auch nie geben. Tote Stadt. Das „Bochumer Künstlerhaus“ wird irgendwelche Ü-50-Acryl-Doppelhaushälftenmuttis aus Hattingen, Witten usw. beheimaten , aber niemals fähige Menschen hervorbringen, die die Fähigkeit haben in Düsseldorf/Berlin oder sonstwo zu studieren. Ruhrgebiet=Riesengrossesscheissdilemma.
@M.: In der geistigen Beschränktheit der Schwerindustrie konnte sich natürlich kein Kunstschaffen entwickeln. Hier musste doch alles einer bedingungslosen Körperlichkeit untergeordnet werden, um die Stahl-/Kohlearbeiten machen zu können. Es war wahrscheinlich nötig. Wir müssen diese Denke jetzt aus den Köpfen rauskriegen, das dauert halt. Jahrzehnte. Minimum. Wir können ja schonmal ein kleines Künstlerhäuschen pflanzen. Auf Acrylbasis. 🙂
@ M: „Künstler gibt es in Bochum nicht“ – Klingt nach dem Kunstverständinis der Bourgeoisie und ist ernüchternd diskursverlängernd, weil es – ganz im Sinne der alten Montan-Barone – Distinktion mit Kultur verwechselt. Dazu passt natürlich das rührselige Abfeiern der alten Haudegen. Doch dass man von deren Errungenschaften heute nichts mehr hört, könnte vielleicht auch damit zu tun haben, dass diese Konzepte nicht so sehr auf Nachhaltigkeit ausgerichtet waren, sondern dazu dienten, sich selbst abzufeiern. Somit ist das Ganze eine beeindruckende Kreisbewegung. Einziges Problem: Im Zentrum gähnt das Vakuum. Dann doch lieber Rouven und Arnold. Chapeau, meine Herren!
PS: „Chapeau“ ist übrigens französisch und bedeutet: Ich leg nicht mehr House auf, weil mich dann alle für einen alten Sack halten. Dabei bin ich das doch gar nicht, sondern die anderen. (…hier wäre Platz für so ein bescheuertes Emoticon…)
🙂