Marketing ist alles. Auch dann, wenn das angepriesene Produkt gar nicht vorweisbar ist? Von unserem Gastautor Reinhard Matern.
Typische Metropolen wie New York, London, Paris haben nicht nur viele Einwohner, sie ziehen nicht bloß Wirtschaft, Kultur und Touristen an. Die Städte wurden und werden auch gestaltet. Metropolen waren und sind eigenständige politische Räume. Als Metropoleregion gelten hingegen Verflechtungsgebiete mit wenigstens einer Metropole. Typische Beispiele für solche Regionen sind Tokyo-Yokohama, Berlin-Brandenburg. Im Ruhrgebiet ist man auf die Idee gekommen, dass es auch anders geht. Im Vorfeld und Rahmen der Events zur europäischen Kulturhauptstadt ist aus dem Ballungsraum eine Metropole geworden, die auch ohne eigenständigen politischen Raum auskommt.
Dem Vorgehen stehen Defizite gegenüber, die dem Bemühen diametral entgegenstehen. Das Ruhrgebiet war in der Zeit von Kohle und Stahl eine hochgradig politisierte Region. Die Mitgliedschaft und das Engagement in einer Partei, nach dem Zweiten Weltkrieg überwiegend in der SPD, gehörte zum Alltag der Menschen. Die Einflussmöglichkeiten reichten jedoch nur bis zu den jeweiligen Stadt- und Gemeindegrenzen. Das Leben gestaltete sich primär im Ortsteil. Privater Hort war der Schrebergarten, die Laube. Die Region ist bis heute kein politischer Raum. Eine Identifikation mit dem Ruhrgebiet fehlt. Die Region ist drei verschiedenen Bezirksregierungen zugeordnet, die allesamt außerhalb des Ruhrgebiets liegen: in Düsseldorf, Münster und Arnsberg. Diese noch aus preussischer Zeit (1816) stammenden unterschiedlichen Zuständigkeiten haben eine Metropolenbildung wirksam unterbunden.
2003 formulierten acht Großstädte Ziele für eine Kooperation: im ‘Stadtregionalen Kontrakt’. Inzwischen gelten diese Ziele als Grundlage aller Städte und Gemeinden, die im Regionalverband Ruhr, dem Zweckverband der Kommunen, vertreten sind. Doch beschränken sich diese Vorgaben auf Flächenplanungen und ein Standortmarketing. Seit Herbst 2009 obliegt dem Zweckverband die Koordinierung der Flächennutzungspläne als hoheitliche Aufgabe. Für die Schaffung eines gemeinsamen Regierungsbezirks, obwohl seit den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts immer wieder darüber diskutiert wurde, war und ist bis heute keine Einigung aller Beteiligten zu erzielen. Die notwendige Verwaltungsreform beträfe nicht bloß die Region, sondern ganz Nordrhein-Westfalen. Ebenso gibt es derzeit keine Pläne, dem Regionalverband der Kommunen weitere hoheitliche Aufgaben der verschiedenen Bezirksregierungen zukommen zu lassen. Anstatt dem Ruhrgebiet die geeigneten Rahmenbedingungen bereitzustellen, um eine Entwicklung zur Metropole zu ermöglichen, eine, die dem gesamten Bundesland neue Impulse geben könnte, gefällt man sich darin, die Region faktisch als Provinz zu erhalten.
Die regionale Moibilität ist rückständig. Der Nahverkehr, der die überlasteten ‘Stadtautobahnen’ A40 und A42 wirksam entlasten könnte, lässt Fahrten innerhalb des Ruhrgebiets unter Umständen länger dauern als eine Zugfahrt nach Frankfurt. Jede Großstadt hat ihre eigene Verkehrsgesellschaft, die Fahrpläne sind schlecht abgestimmt, nicht bloß untereinander, auch mit der Deutschen Bahn. Der Nahverkehr befördert nur 11% des regionalen Personenverkehrs. In Berlin sind es gut 25%. Während der Vorbereitungen zum Jahr der Kulturhauptstadt, eingedenk der erhofften auswärtigen Besucher, sah man sich genötigt, übergangsweise den Eindruck von regionaler Mobiltät vermitteln zu müssen und investierte punktuell in den Nahverkehr. Eine Lösung des strukturellen Problems sähe anders aus. Die zur Verfügung stehenden Verkehrsverbindungen werden den Einwohnern und der regional notwenigen wirtschaftlichen Entwicklung kaum gerecht.
Auch die Wirtschaftsförderung ist primär lokal angesiedelt. Seit 2007 ergänzt eine aus dem Zweckverband entstandene Einrichtung die separaten, in Konkurrenz ausgetragenen Bemühungen der Städte und Gemeinden. In dieser Kooperation hat man ‘Kompetenzfelder’ der ansässigen Wirtschaft ausgewählt, sowohl Branchen-Cluster als auch Branchen-Konzentrationen, um die Region im nationalen und internationalen Vergleich zu positionieren. Die Cluster Energie, Logistik und Chemie werden von der ansässigen Großindustrie dominiert. Die Gesundheitswirtschaft besteht primär aus den Kliniken in der Region, die in hoher Konzentration vorzufinden sind. Zusätzlich geförderte Zweige stehen überwiegend in einem direkten Zusammenhang mit den neu entstandenen Technologie- und Wissenschaftszentren. Mit diesem ‘Kompetenzfeldmarketing’ erhofft man sich den Ausbau von Clusterbildungen und ein weiteres Fortschreiten der Konzentrationen. Es ist schon einmal geschehen, dass sich die Wirtschaft im Ruhrgebiet zu sehr an den Großbetrieben orientiert hat. Der Mittelstand war schwach und einseitig auf die herrschende Kohle- und Stahlindustrie bezogen, wie in der ‘Regionalkunde’ des Verbandes betont wird. In einer politischen Diskussion hätte die Frage nach dem Mittelstand öffentlich aufgeworfen werden können und auch müssen.
Das Fehlen einer regionalen Politik hat jüngst zu einer kaum ermessbaren Katastrophe beigetragen. In Duisburg sind durch die Loveparade vom 24. Juli 2010 einundzwanzig Menschen zu Tode gekommen und über fünfhundert zum Teil schwer verletzt worden. Der Plan, die Loveparade im Jahr der europäischen Kulturhauptstadt und im Zusammenhang mit der Kampagne ‘Metropole Ruhr’ in Duisburg stattfinden zu lassen, hat zu einem Sicherheitskonzept geführt, das den ungeeigneten Bedingungen angepasst worden ist. Sowohl die Ruhr.2010 GmbH, Betreiber der Kampagne ‘Metropole Ruhr’, als auch die ehemalige Landesregierung haben auf eine Durchführung gedrungen. Für die Sicherheit zu sorgen, lag fraglos bei der Duisburger Genehmigungsbehörde und dem privaten Veranstalter: Diese Verantwortung ist ihnen nicht zu nehmen. Zu den Rahmenbedingungen der Loveparade gehörte jedoch auch ein von außen produziertes Drängen. Fritz Pleitgen sah sich als Geschäftführer der Ruhr.2010 GmbH veranlasst, seine moralische Mitschuld öffentlich (ZDF, 29.07.10) einzugestehen. Eine regionale Planung der Loveparade hätte völlig anders verlaufen können: Duisburg wäre aufgrund der ungeeigneten Bedingungen als Ausrichtungsort kaum in Betracht gezogen worden, unabhängig von einem lokal herrschenden Ehrgeiz. Alternativen hätte es in der Region gegeben.
Das Ruhrgebiet benötigt sowohl für die weitere Entwicklung als auch zur Vermeidung zukünftiger Katastrophen einen politischen Raum. Ohne ein gemeinsames politisches Planen und Gestalten würde die Region ein in sich zerrissener Ballungsraum bleiben, der den gestellten Aufgaben nicht gerecht wird. Die Frage nach einer Metropole ist hingegen nachrangig. Zwei Wege, eine regionale Politik betreiben zu können, sind bislang angedacht worden: 1. Eine Verwaltungreform, die das gesamte Bundesland beträfe, 2. die Überantwortung von Aufgaben und Ressourcen der verschiedenen Bezirksregierungen auf den Regionalverband. Der zweite Weg ist unter den derzeitigen Bedingungen leichter zu beschreiten. Auf diesem Weg wäre allerdings zu erörtern, ob die neu zu schaffende politische Institution nicht einer gesonderten politischen Legitimität durch die Bürger der Region bedarf. Als Kommunalverband besonderer Art wäre eine solche Möglichkeit durchaus gegeben. Das Versammlungsgremium des Regionalvebandes nennt sich bereits ‘Ruhrparlament’. Warum nicht ein echtes Parlament entstehen lassen?
Der Text ist aus der aktuellen Ausgabe des politischen Kulturmagazins Gazette.
Das Ruhrgebiet ist keine Metropole und wird auch nie eine sein, zumal die Bevölkerung auch noch erheblich schrumpft. Es gibt ja noch nicht mal eine Einheit innerhalb der einzelnen Städte. Allein in Duisburg gibt es schon eine Zweiteilung in rechtsrheinisch und linksrheinisch. Entsprechend ist die ÖPN Anbindung. Oder die Telefon Vorwahl. Der linksrheinische duisburger Stadtteil Rumeln-Kaldenhausen gehört zu Krefeld. Die in den 70er Jahren betriebene Zwangseingemeindung hat die Trennung eher verschärft. Das Ruhrgebiet, zumindest das westliche, ist eine Anreihung von Kleinstädten und Dörfern geblieben. Und das künstliche Gebilde „Kulturhauptstadt 2010“ wird in ein paar Monaten vergessen sein. Die Kirchturmpolitik mit ihren Lokalmatadoren wird sich eher noch intensivieren.
Das immergleiche Thema. – Ja, es gibt tatsächlich ein paar wirklich gute Argumente für mehr regionale Politik. Das Loveparade-Desaster zählt allerdings nicht dazu, denn ich sehe nicht, dass ein Ruhrparlament anders entschieden hätte als das Stadtparlament von Duisburg, oder dass der Direktor eines Regionalverbands klüger und umsichtiger agiert hätte als der OB einer Ruhrgebietsstadt. Die Idee vom „urbanen“ Massenspektakel, das den „Standort Metropole Ruhr“ stärkt, ist ohnehin genau in jenem politischen Raum entwickelt worden, dessen Stärkung hier gefordert wird.
Solange die regionale Politik dem eigenen Marketing-Geklingel auf den Leim geht – man denke nur an das „Satellitenbild“, von dem so mancher der regionalen Entscheider nicht verstanden hatte, das es billiger, obendrein unsinniger Quatsch ist – gibt es nicht viele Gründe, sich von einem Ruhrparlament etwas substanziell anderes zu versprechen als das, was der Beitrag in Teilen zu recht moniert.
Oh ja Dirk, gefühlt ist das die 1000. Diskussion zum Thema Ruhrstadt. Und dein Argument ist eigentlich immer das gleiche geblieben. Wenn sich die Köpfe nicht ändern hilft auch keine Verwaltungsreform. Das ist so richtig wie nichtssagend. Die Frage ist doch, genau wie bei der von dir immer wieder eingeklagten Profilierung der Unterschiede zwischen den Ruhrgemeinden, wie diese neuen Köpfe mit den neuen Ideen entstehen bzw. wo sie herkommen sollen. Wie die kreativen Unterschiede innerhalb der Region gefördert werden.
Ein direkt gewähltes Ruhrparlament böte dabei, sofern sich dafür Menschen aus der Region auch unabhängig von Parteienlisten wählen lassen könnten, diesbezüglich ein paar Vorteile gegenüber den hiesigen Stadtparlamenten und deren Entsendungspolitik in die aktuelle Regionalversammlung:
1. Neue und vor allem unabhängige Köpfe könnten überhaupt in einem wichtigen Parlament in Erscheinung treten.
2. Auch die alten Köpfe müssten im Wahlkampf ein Programm/Ziele für die gesamte Stadtregion und nicht nur für ihre eigenen Gemeinden vorlegen.
3. Die Diskussion zur Wahl als auch im Parlament würde auf jeden Fall kontroverser und damit spannender und kreativer als in der bisherigen Regionalversammlung und in den Stadtparlamenten.
4. Der Wähler würde dieses Parlament deswegen auch ganz anders wahrnehmen und beobachten.
Das Ergebnis wäre nicht gleich eine neue Politik, aber doch die Chance eine solche in einer breiten Öffentlichkeit an konkreten regionalen Problemen zu diskutieren. Das hielte ich für einen großen nicht nur formalen sondern auch inhaltlichen Fortschritt für das Ruhrgebiet.
Wo du recht has hase recht
Arnold, ob mit einem direkt gewählten Ruhrparlament eine andere Politik für das Ruhrgebiet einhergehen wird, das ist eben keine bereits entschiedene, sondern nach wie vor offene Frage. Bis es soweit ist, darauf auch eine Antwort geben zu können, freue ich mich über jeden neuen Kopf, der sich nicht sofort in die Institutionenfrage verbeißt.
Die Freude über jeden neuen Kopf teile ich mit dir. Das direkt gewählte Parlament hat für die Ruhrstadtkritiker obendrein den Vorteil, dass es eben nicht die Zusammenlegung der Kommunen voraussetzt. Es ist eine institutionelle Änderung die relativ wenig kostet, dafür aber erhebliche Integrationschancen eröffnet.
Vom Verbeißen in die Institutionsfrage kann deswegen in diesem Fall ernsthaft nicht die Rede sein.
Wer ist dabei?
Zum Tag der Offenen Tuer des Rathauses am Sonntag, den 3.10. bei angemeldeter Demo im Sinne einer „Mahnwache gegen das Vergessen der Love Parade Opfer“ inkl. einer friedlichen Kreide-Performance in der Zeit von 13.30-18 Uhr!
Wir wollen, wir muessen zeigen, dass wir gedenken, erinnern, fordern und dass wir täglich mehr werden, nicht weniger!
Näheres: suehne@web.de
Infos zum Tag der offenen Rathaustuer:
https://www.duisburg.de/news/102010100000336410.php
Es wird bestimmt voll werden!