Polizisten mit kleinen Nummern dran

Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Das ist zumindest an guten Tagen in diesem Lande so. Wer schon mal sein Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wahrgenommen hat, der hat eine sehr klare Vorstellung vom staatlichen Gewaltmonopol. Schon das massive Auftreten der Polizei als Variante der Klonkrieger nach George Lucas macht nachhaltig Eindruck. Richtige Gewalt ist das noch nicht, aber von struktureller Gewalt darf man bereits sprechen.

Manchmal greift die Ordnungsmacht „richtig durch“, auf der Suche nach vermeintlichen Gewalttätern und möglicherweise Vermummten. Das führt regelmäßig zu „Kollateralschäden“ in Form von verletzten Demonstranten und Bürgern. Die staatliche Reaktion auf die Proteste gegen den Bahnhof in Stuttgart hat die Polizeigewalt zu einem Thema in den Medien gemacht. In der letzten Woche wurde in Stuttgart ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum Einsatz im Schlossgarten ins Leben gerufen. Dabei ist staatliche Gewaltanwendung auf Demonstrationen eher die Regel – auch wenn es in den letzten Jahren auf der Straße etwas ruhiger geworden ist.

Wer gegen Übergriffe der Polizei vorgehen will, der erlebt nicht selten seine zweite Überraschung. Die Kollegen der beschuldigten Polizisten haben plötzlich eine völlig andere Erinnerung an den Vorfall und aus dem Betroffenen manchmal ein Beschuldigter. Soweit kommt man zumindest dann, wenn der einzelne Beamte identifiziert werden kann. In den meisten Fällen ist das schon die erste Schwierigkeit, da unsere staatlichen Klonkrieger kaum auseinanderzuhalten sind. Moderne Handys und youtube haben hier für etwas Abhilfe gesorgt – die Polizei filmt also nicht mehr alleine. Da liegt die Forderung nach einer Kennzeichnung mit einer Identifizierungsnummer eigentlich auf der Hand. Viele Bürgerrechtsgruppen und Amnesty International fordern das schon seit langem.

Die Interessenvertretung der Polizei lehnt das grundsätzlich ab: Man will die Kollegen nicht unter Generalverdacht stellen. „Wir befürchten, dass dies nur darauf abzielt, einzelne Beamte mit Verfahren zu überziehen“, erklärt Frank Richter, NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei. Dieser Logik kann der gesunde Menschenverstand selbst mit viel Anstrengung kaum folgen. Wenn durch die Kennzeichnung nur eine einzige unangemessene Gewaltanwendung gegen Menschen verhindert werden kann, dann ist das schon ein großer Erfolg. Im Programm der Grünen zur Landtagswahl 2010 in NRW findet sich die Forderung nach einem Beschwerdemanagement für die Bürger und nach einer Kennzeichnung der Beamten: „ „Dazu gehört auch eine Dienstnummer, die deutlich sichtbar an der Uniform getragen werden soll“. Im Koalitionsvertrag mit den Sozialdemokraten ist davon nichts mehr zu lesen. Es bleibt also abzuwarten, wie engagiert die Koalition in NRW für die Bürgerrechte eintritt.

Der Bochumer Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Professor Thomas Feltes fordert externe Kontrollgremien für die Polizei und unabhängige Untersuchungskommissionen: „Die Ereignisse in Stuttgart zeigen erneut, dass solche Gremien unbedingt notwendig sind.“ Vergleichbare Einrichtungen gibt es bereits seit einigen Jahren in anderen Ländern. Nachprüfbare Zahlen zu polizeilicher Gewalt gibt es dagegen kaum. Nach Angaben von Amnesty International hat es zum Beispiel 2008 in Berlin 548 Fälle gegeben, bei denen wegen Körperverletzung im Amt ermittelt wurde. Bisher ist es hier zu keiner einzigen Verurteilung der verdächtigten Beamten gekommen. Der aktuelle Bericht „Täter unbekannt – Mutmaßliche Misshandlungen durch die Polizei“ von Amnesty International listet exemplarisch eine Reihe von Vorfällen auf – mit Solingen und Duisburg sind zwei Städte in NRW vertreten. „Mehr Verantwortung bei der Polizei“ fordert die aktuelle Kampagne von Amnesty. „Überall in Deutschland wird momentan die Frage diskutiert, wie rechtswidrige Polizeigewalt verhindert werden kann“, sagt Katharina Spieß, Polizeiexpertin von Amnesty in Deutschland,. „Nicht zuletzt die Empörung vieler Menschen über den Polizeieinsatz gegen die Stuttgarter Demonstranten hat dazu beigetragen.“ Die Organisation will mit einer Online-Aktion den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz(IMK), den Hamburger Innensenator Heino Vahldieck, dazu auffordern, in der nächsten IMK-Sitzung am 18. und 19. November in Hamburg das Thema rechtswidrige Polizeigewalt auf die Tagesordnung zu setzen.

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
8 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
trackback

[…] hier den Beitrag weiterlesen: Polizisten mit kleinen Nummern dran | Ruhrbarone […]

Swenger
Swenger
14 Jahre zuvor

Hier werden wieder mal nur sogennante PRO-Argumente angebracht. Wer schütz die Polizisten vor ungerechten Anzeigen. Es kommt auch schon ohne ID-Nummern zu ungerechten Diffamierungen von Seiten der Bürger gegenüber Polizisten. Das Prügel-Polizisten bestraft werden sollten ist hier keine Frage… aber auch die Anständigen sollten vor ungerechten Anzeigen und Beschwerden geschützt werden. Hier spricht aber niemand davon. Wenn schon eine Änderung, dann sollte es gut für beide Seiten sein. Eine unberechtigte Anzeige hat für einen Polizeibeamten auch unangenehme Folgen!!!

Beatsox
14 Jahre zuvor

Einseitiger Artikel. Was ist mit vermummten Demonstranten? Wo sind deren Identifikationsnummern?

Wo wird berücksichtigt, dass auch die Gewalt GEGEN Polizeibeamten stark angestiegen ist in den letzten Jahren?

Alden
14 Jahre zuvor

Ein Mitglied der Grünen im Innenausschuss ist Matthi Bolte. Zum Nachfragen:
matthibolte.wordpress.com
😉
Und für Swenger, auf lawblog gibt es folgenden Kommentar von einem manni:

Meine Freunde im Wach- und Wechseldienst haben mittlerweile mehr Angst vor den Schwierigkeiten in die sie durch die ausufernde Gewalt von Kollegen kommen könnten als vor Angriffen durch Bürger.

Quelle: http://www.lawblog.de/index.php/archives/2010/10/13/die-maslose-polizei/

schandgalgen
schandgalgen
14 Jahre zuvor

@Swenger: Und wie soll die Nummer die Situation für Polizisten nun verschlimmern? Wenn ich jemanden ungerechtfertigt anzeigen will, dann kann ich das immer machen, die schlimmste Auswirkung die dieser dann über sich ergehen lassen muss ist eine Untersuchung des Falls. Das muss ich auch, wenn mein Nachbar mich ungerechtfertigt anzeigt.
Andererseits sind gerechtfertigte Anzeigen dadurch um einiges einfacher umzusetzen und erfolgsversprechender.

@Beatsox: Weil vermummte Demonstranten ja der Standard sind in Deutschland… Achne, ist ja sogar verboten, da hab ich wohl was verwechselt.
Wer sich auf einer Demonstration vermummt wird meistens ziemlich schnell einkassiert.
Die Aussage, dass Gewalt gegen Polizisten zunimmt stimmt so auch nicht unbedingt, denn tatsächlich stehen in der Statistik nur (wenn ich mich recht an den Terminus erinnere) Vollzugsbeamte und dazu gehören auch Gerichtsvollzieher.
Die andere Studie von Pfeiffer sprach von einem Anstieg von ungefähr 60%, allerdings in einem Rahmen von 203 auf 325 Fällen (https://www.ulla-jelpke.de/news_detail.php?newsid=1629 Und ja, auch diese Quelle ist natürlich mit Vorsicht zu betrachten, nennt aber wenigstens Zahlen).
Allgemein ist der Anstieg der Gewalt auch eher bei Festnahmen, Kontrollen und ähnlichem zu finden und nicht bei Demonstrationen. Einmal ganz davon abgesehen, dass die verschiedenen Statistiken miteinander kaum kombinierbar sind und so auch kaum brauchbare Aussagen herzuleiten sind. Zumindest keine Eindeutigen.

Allgemein bleibt noch zu sagen, dass Gewaltanwendung immer eine Straftat sind, auch gegen Polizisten. Ungerechtfertigte Gewaltanwendungen der Exekutive gegen Bürger hingegen sind zudem noch Menschenrechtsverletzungen.
Und zum Schluss vielleicht noch eine Anekdote aus der Berufserfahrung meines Vaters (der Polizist ist): Früher (vielleicht 20 bis 10 Jahre her) wurde auf seiner Wache, wollte sich jemand über den Beamten beschweren, stets der Name eines bereits pensionierten Kollegen genannt. So kam es, dass sich auf diesen lauter Beschwerden beliefen, die natürlich nicht zugeordnet wurden und somit unter den Tisch fielen. Dies bezog sich jetzt nur auf telefonische Gespräche, zeigt aber vielleicht in wie weit es mit der moralischen Integrität bestellt ist. Und das ist durchaus nur menschlich, zeigt aber, warum es externer Kontrolle der Polizei bedarf: Um Missbrauch zu verhindern.

David
David
14 Jahre zuvor

@Swenger:
1. ist in dem Artikel auch die Position der Polizei aufgeführt. (3. Absatz) Wer lesen kann ist klar im Vorteil!
2. Wer schützt den Bürger vor ungerechtfertigten Anzeigen? Wenn die Anzeigen ungerechtfertigt sind, wird ein Gericht dies feststellen und entsprechend entscheiden. Oder haben Sie etwa kein Vertrauen in unsere Justiz?
3. Wie soll eine ID-Nummer ungerechte Diffamierungen gegen die Polizei bitte forcieren? So ein Quatsch.
4. Es ist leider so, dass der Bürger vielmehr vor der Polizei geschützt werden muss als anders herum. Die „Anständigen“ werden nicht ungerecht Angezeigt und wenn doch, ist es Aufgabe der Justiz dies festzustellen. Dies sollte kein Problem sein, ist doch eine Aussage eines Polizisten vor Gericht viel Gewichtiger als die Aussage eines Nicht-Polizisten.
5. Die unangenehmen Folgen einer unberechtigten Anzeige beschränken sich meines Wissens auf ein Beförderungsstop während eines laufenden Verfahrens. Wenn die Anschuldigungen sich als nicht wahr erweisen werden die Nachteile die der Polizist erlitten hat rückwirkend wieder gut gemacht. Mir ist es lieber wenn jemand auf seine A12-Besoldung länger warten muss als wenn jemand „ungeschoren“ davon kommt.

David
David
14 Jahre zuvor

Vermummte Demonstranten sind nicht erlaubt. Unidentifizierbare Polizisten leider schon. Wo bleibt da die gerechtigkeit?

Und das die Gewalt gegen Polizisten stark angestiegen haben sie woher?

crusius
crusius
14 Jahre zuvor

Natürlich möchten wir am liebsten in einer Welt leben, in der auch der Schutzmann einzig dem Wahren, Schönen und Guten verpflichtet ist. Und spätestens, wenn ein Zwei-Meter-Hulk vorschlägt, einen Konflikt „unter Männern“ zu lösen, wird der ein oder andere hier vielleicht doch dankbar sein, daß es das staatliche Gewaltmonopol gibt. Was wir gerne übersehen, ist, daß eine solche „Externalisierung“ von Konfliktlösungen ihrerseits „Folgekosten“ hat.
Wer Menschen dafür ausbildet, daß sie für den Rest der Gesellschaft die Kohlen aus dem Feuer holen – und das zumeist in Lebenslagen, von denen der Nichtpolizist gerne verschont wird -, wird nie vollständig in der Lage sein, Übergriffe, Mißbrauch, Willkür einen Riegel vorzuschieben. Dem kann man durch politische Vorgabe von Strukturen – und dazu zähle ich die Identifikationsnummer – in Grenzen versuchen, Einhalt zu gebieten. Aber wem 16 Seiten PDF nicht zu lang sind, dem sei folgendes zur Lektüre empfohlen: Warum Polizisten oft schweigen, wenn sie reden sollten – der Autor ist übrigens Soziologe und Polizist. Beides merkt man dem Text an. Und doch hat er mich nachdenklich zurückgelassen.

Werbung