Postwachstumsökonomie: Die Visionen der saturierten, deutschen Ökobourgeoisie sind global nicht anschlussfähig

Babboe Modell Long John Foto: W. Bulach Lizenz: CC BY-SA 4.0


Der Wille, das Wirtschaftswachstum zu beenden,
ist reaktionär, national und autoritär.

Niko Paech, Volkswirt und Inhaber einer außerplanmäßigen Professor an der Universität Siegen, singt in der taz das Lied von der Postwachstumsökonomie. Er schwärmt von Selbstversorgung, einem Lebensstil, der von Industrieproduktion unabhängiger werden soll und „partielle Selbstversorgung in Form von Reparatur, Instandhaltung“ und  achtsamer Verwendung. Was fortschrittlich klingt ist zugleich reaktionär und weltfremd.

Nach 200 Jahren können die meisten Linken dem Kapitalismus immer noch nicht verzeihen, dass er nicht gescheitert ist: Obwohl mittlerweile acht Milliarden Menschen auf dem Planeten wohnen, wurden sie noch nie so alt, waren so gesund, gebildet und wohlhabend wie in der Gegenwart. Natürlich gibt es noch Armut, aber sie ist in den vergangenen Jahrzehnten weltweit stark zurückgegangen. Nachdem klar wurde, dass Kapitalismus nicht zur Verelendung führt und besonders erfolgreich in demokratischen Staaten ist, war ein neuer Überbau nötig geworden, um ihn weiterhin mit Elan und gutem Gewissen bekämpfen zu können. Man fand ihn in der Ökologie. Nun machte der Kapitalismus die Menschen nicht mehr arm, nein, schlimmer noch, er zerstörte den gesamten Planeten. Im Kampf gegen den verhassten Feind griff man nun auf Vorstellungen zurück, die wahlweise ihre noch halbwegs sympathischen Wurzeln bei konservativen, die Industrialisierung kritisierenden, britischen Landbesitzern des 19. Jahrhunderts oder wesentlich finsterer bei Hitlers Reichsernährungsminister Walther Darré hatten, der von einer Rückkehr zu einer vorindustriellen Gesellschaft träumte. Solche Vorstellungen nennen sich heute Postwachstumsökonomie oder Degrowth und sind schlicht nichts anderes als die Aufgabe einer der Kernideen, welche die Linke in früheren Zeiten einmal erfolgreich machte: Die Verbesserung der materiellen Lebensgrundlagen der Menschen. Und dazu gehören heute nicht nur drei Malzeiten am Tag und ein warmer Mantel im Winter, sondern auch eine schön eingerichtete Wohnung, Fernreisen, ein Auto oder ein Haus. Der schwedische Mediziner und Statistiker Hans Rosling hat nachgewiesen, dass sich die materiellen Wünsche der Menschen unabhängig von Nationalität, Kultur oder Religion ähnlich sind. Dem Historiker Frank Trentmann verdanken wir die Erkenntnis, dass das Streben nach dem Besitz materieller Güter nahezu so etwas wie eine anthropologische Konstante ist. Zu allen Zeiten und an allen Orten strebten Menschen danach, mehr Güter zu besitzen. Tretmann beschreibt in seinem Buch „Herrschaft der Dinge“ gleich zwei Folgen niedrigen Wachstums. Würde der materielle Wohlstand massiv sinken, wie es sich Degrowth-Anhänger wünschen, würden sich diese Probleme potenzieren: „Niedriges Wachstum wiederum droht die Ungleichheit zu zementieren, und zwar sowohl im Westen als auch zwischen diesem reichen Teil und dem weniger glücklichen Rest der Welt.“  Zudem erschwere es den Wechsel von schmutzigem zu „grünem“ Wachstum.

Der Klimawandel, so das Argument von Paech und den anderen Freunden der Verarmung der Menschheit, denn nichts anderes würde Postwachstumsökonomie in der Praxis bedeuten, sei der große Gamechanger, der es der Menschheit nicht mehr erlauben würde, weiterhin auf dem vor gut 200 Jahren mit der Industrialisierung eingeschlagenen Wachstumspfad zu bleiben. Die taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann schlägt in ihrem Bestseller „Das Ende des Kapitalismus: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind“ vor, den Wohlstand in Deutschland auf den Stand der 70er Jahre zurückzuführen. Auch wenn ganze Berufe wie Journalist oder Banker kaum noch benötigt würden, müsste sich niemand langweilen: „In einer klimaneutralen Wirtschaft würde niemand hungern – aber Millionen von Arbeitnehmern müssten sich umorientieren. Zum Beispiel würden sehr viel mehr Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und auch in den Wäldern benötigt, um die Folgen des Klimawandels zu lindern.“ Und da gehen sie hin, die Träume eines Lebens voller Müßiggang im Einklang mit der Natur: Statt Hegellektüre im Garten Rübenernte im Regen.

Je nach Statistik wird die Zahl der Menschen zwischen 2055 und 2070 auf 8,7 bis 9,8 Milliarden ansteigen und ab dann sinken. All diese Menschen haben ein Recht darauf, nicht nur genug zu essen zu haben, sondern auf Schulen zu gehen, Krankenhäuser aufsuchen zu können, ein Dach über dem Kopf zu haben und nach ihrem Glück zu streben, wie es schon in der amerikanischen Verfassung steht. Und Glück hat oft etwas mit Besitz zu tun. Dafür braucht es Wirtschaftswachstum.

Es gibt als zwei Möglichkeiten, auf die Herausforderung des Klimawandels zu reagieren: Da Menschen nicht dauerhaft freiwillig auf Wohlstand verzichten werden, Herrmanns Beispiel der britischen Kriegswirtschaft taugt nicht als Modell, weil allen klar war, nach einem Sieg über Deutschland würde es ihnen materiell wieder besser gehen, müssen sie gezwungen werden. Zwingt man 9 Milliarden Menschen gegen ihren Willen in eine große Landkommune, werden sie sich das nicht bieten lassen. Es gibt keine Macht der Welt, die in der Lage ist, der gesamten Menschheit vorzuschreiben, wie sie zu leben hat. Ein solche Vision ist zudem abstoßend autoritär.

Auf die andere Möglichkeit setzen fast alle Gesellschaften, sie ist mehrheitsfähig und hat sich historisch bewährt. Nur Degrowth – und Allmachtsphantasten gefällt sie nicht: Technischer Fortschritt. Verbesserte Speichertechnologien, Solarzellen, Windkraft, Kernkraftwerke, gentechnisch veränderte Pflanzen, Fleisch aus Bioreaktoren, Speicherung von CO2 unter der Erde oder Wiederverwertung in Treibstoffen und die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre sind heute schon möglich. Sicher, nicht alle diese Technologien sind schon alltagstauglich, aber wie schnell die Entwicklung verlaufen kann, wenn es darauf ankommt, haben wir während der Corona-Pandemie gesehen: Im Dezember 2019 wurde das Covid19-Virus erstmals beschrieben, im November 2020 gab es drei verschiedene Impfstoffe von Biontech, Moderna und AstraZeneca. Weitere folgten in kürzester Zeit.

Neue Technologien sind bereits am Horizont zu erkennen: Die Kernfusionsforschung hat in den vergangenen Jahren beeindruckende Fortschritte gemacht. Den Experimentalreaktoren werden nun Modelle folgen, die Energie wirtschaftlich erzeugen können. Die Raumfahrtkosten sinken rapide, immer mehr Staaten beteiligen sich am Wettlauf um gute Positionen im Orbit oder attraktiven Flächen auf dem Mond: An den Orten auf dem Erdtrabanten, wo Wasser vermutet wird und die Temperaturunterschiede nicht zu groß sind, soll in Zukunft Bergbau betrieben werden. Solarkraftwerke in der Erdumlaufbahn könnten die Energieversorgung der Welt unterstützen. Alles undenkbar? Noch vor 30 Jahren konnte sich kaum jemand Smartphones, wiederverwendbare Raketen, funktionierende KI-Systeme oder Gentech-Impfstoffe vorstellen. Heute ist all das Teil unseres Alltags.

Anstatt der reaktionären Degrowth-Doktrin zu folgen, käme es jetzt darauf an, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die Durchbrüche neuer Technologien ermöglichen. Und diese Rahmenbedingungen sind vor allem in Europa und Deutschland nicht gegeben. Technik war immer ein Treiber auch des gesellschaftlichen des Fortschrittes. Autoritäre Ideologien, und zu denen gehört die Postwachstumsideologie, arbeiten mit Angst. Sie wollen die Menschen nicht befreien, wollen nicht, dass sie ein gutes Leben haben, sondern dass sie sich aus Furcht fügen. Dazu kommt: Der grüne Traum der Gesellschaft ohne Wachstum und des Glücks der Armut ist vor allem ein deutscher Traum: Kaum jemand in Asien, Afrika oder Amerika mag ihn träumen. Weltweit ist dieses Denken in der Praxis vollkommen unbedeutend. Die Visionen der saturierten, deutschen Ökobourgeoisie sind global schlicht nicht anschlussfähig.

Der Glaube und die Angst vor dem Ende der Welt ist so alt wie die Menschheit selbst. Und ebenso lang wird diese Angst von religiösen und politischen Scharlatanen ausgenutzt und instrumentalisiert. Es war der heute geschmähte technische Fortschritt durch den die Menschheit der Malthusianischen Falle entkam, die prognostizierte Hungersnot durch das Bevölkerungswachstum abwenden konnte und ein lange nicht für möglich gehaltenes Maß an Wohlstand erreichte. Das durch technologischen Fortschritt geschaffene wirtschaftliche Wachstum war zudem die Grundlage, für gesellschaftliche Weiterentwicklung: Arme Gesellschaften, in denen Angst die Menschen beherrscht sind selten offen und demokratisch.

 

Der Text erschien einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World

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