Die letzte gemeinsame Oper von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal – Arabella – ist eine lyrische Komödie. Tatsächlich ist sie das Sittengemälde einer untergehenden Gesellschaft, in der die Frauen ihre Lebensentscheidungen der Esoterik überlassen, die Männer spielsüchtig sind, auf Kredit ein längst nicht mehr finanzierbares Leben im Rausch von Alkohol und Bällen zelebriert wird und letztlich ein nicht sonderlich vertrauenserweckender Mann aus einem wenig bekannten Land zum Retter und Heilsbringer hochstilisiert wird. Uraufgeführt wurde dieser Taumel der Dekadenz dann auch noch ausgerechnet 1933 und geschrieben von einem Komponisten der sich mehr als leichtfertig den Nazis an den Hals warf.
Und nun Premiere in Dortmund ausgerechnet am Abend der Bundestagswahl, bei der eine rassistische Horde fast 13% erhält. Als Intendant Jens-Daniel Herzog die Oper als Eröffnungspremiere seiner letzten Spielzeit in Dortmund ansetzte, stand freilich der Wahltermin noch nicht fest. Doch auch ohne dieses Zusammenfallen bietet „Arabella“ jede Menge Ansatzpunkte für den Regisseur Herzog, der schon bei anderen Klassikern gezeigt hat, dass er gern unter der allzu bekannten Oberfläche nach Geschichten forscht – bei Don Giovanni etwa oder Tristan und Isolde, bei der Entführung aus dem Serail und Otello.
Zunächst ist der Abend jedoch der von Eleonora Marguerre. Ihr samtiger, voller Sopran nimmt in der Titelpartie sofort den gesamten Raum ein. Mühelos lässt sie aus dem Strauss’schen Parlando groß ausschwingende lyrische Linien hervorblühen. Und so ungemein präsent ihre Stimme auch immer ist, verschmilzt sie in den großen Duetten mit Zdenka und Mandryka zu einer organischen Einheit. Stimmlich, musikalisch, und auch von der Physis her ist Marguerre eine traumhafte Arabella. Und sie kann sich auf ein in weiten Teilen ebenbürtiges Ensemble verlassen. Da ist zunächst Sangmin Lees Mandryka, der sich überraschend wohl beim Österreicher Strauss fühlt. Almerija Delic gibt der gar nicht so großen Rolle von Mutter Adelaide stimmlich wie darstellerisch viel mehr Charakter als eigentlich vorgesehen. Zdenka, Arabella Schwester, die als Junge aufgezogen wird, wird von Ashley Thouret mit sehr jugendlichem (manchmal etwas spitzem) Sopran ausgestattet und Thomas Paul singt einen überzeugenden Matteo. Bei Morgan Moodys Vater Graf Waldner hätte man sich etwas mehr sonores Gewicht gewünscht. Jeannette Wernecke liefert in ihrem kurzen wie prägnanten Auftritt als Fiakermilli ein Koloratur-Kabinettstück mit höchstem schauspielerischen Einsatz ab. Insgesamt ein Strauss auf sehr hohem Niveau.
Die Erwartungen an die Regie erfüllt Jens-Daniel Herzog an diesem Abend jedoch nicht. Beinahe zurückhaltend inszeniert er im funktionalen aber etwas beliebigen Bühnenbild von Mathis Neidhardt an der Geschichte entlang. Das ist sehr gut gemacht – keine Frage – da sind viele schöne Details, ein ganz auf die Vorlage abgestimmter Humor, in den Kostümen von Sibylle Gädeke steckt viel Personencharakterisierung und eine unaufdringliche Aktualisierung. Doch insgesamt wirkt das alles merkwürdig zurückgenommen und im positiven Sinne routiniert. Vielleicht wollte Jens-Daniel Herzog einfach seinem großartigen Ensemble den Raum zur musikalischen Entfaltung lassen, seinem Publikum noch einmal einen eher kulinarischen Abend schenken, in dem sich niemand durch die Regie gestört fühlen kann. Für die große Altersmilde ist er noch zu jung und im März wird er ja auch noch mit Verdis Nabucco Premiere haben.
Termine und Karten: Theater Dortmund