Das Schauspiel Dortmund ist zurück im Haus in der Innenstadt. Der Megastore ist Geschichte. Eine Geschichte mit vielen Schwierigkeiten, die aber zu Großartigem genutzt wurden. Eine Geschichte, die länger geworden ist, als zunächst erwartet, aber, wie Intendant Kay Voges vor der ersten Premiere im Stammhaus am 16.12. bei seiner kurzen Ansprache vor dem Vorhang sagte, doch schneller beendet war als die von BER und Stuttgart21. Vom zähen Umbau des Schauspielhauses sieht der Zuschauer allerdings nichts, außer neuen Notausgangsschildern im Zuschauerraum. „Brandschutz“ war eines der Themen, die die Baumaßnahmen am Schauspielhaus nötig machten. Vielleicht auch deshalb eröffnete nun das Theater mit zwei Texten neu, in denen Feuer eine ganz entscheidende Rolle spielte. Der junge Regisseur Gordon Kämmerer, der im Megastore bereits Horvaths Oktoberfeststück „Kasimir und Karoline“ zum schrillen Comic aufgeblasen hatte, inszeniert nun Max Frischs Parabel „Biedermann und die Brandstifter“ und Ray Bradburys dystopischen Roman „Fahrenheit 451“ an einem Abend.
Lange fristete „Biedermann und die Brandstifter“ ein Dasein als Schullektüre. Allzu durchkomponiert und zeigefingerig schien es für die Bühne, doch mit AfD und Rechtspopulismus fand Max Frischs mahnendes Lehrstück über die Vorbedingungen von Faschismus seinen Weg zurück auf die Bühnen. Weniger schwierig zu inszenieren ist es dennoch nicht. In Dortmund wird nun der Text extrem verknappt. Gerade mal eine Stunde Zeit nimmt sich Kämmerer für das Eindringen der Brandstifter in Biedermanns Familienidylle. Rund zwanzig Minuten davon dauert allein schon mal das textlose Vorspiel in der lindgrünen 3-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung. Mechanisch bewegt sich die Ein-Kind-Idealfamilie auf vorgezeichneten Bahnen durch ihren Alltag: Vom Aufstehen zum Zähneputzen, zum Ankleiden und Frühstück, zum Abendessen und zurück ins Bett. Ja, so sind sie die Biedermanns dieser Welt. Hätte Max Frisch nicht seiner Hauptfigur bereits den etwas dick aufgetragenen Namen Gottlieb Biedermann verpasst – wir hätten es kaum geahnt. Und in diesem Vorspiel nimmt sich sogar die genüssliche Hinrichtung und etwas später die Gruppenvergewaltigung des Riesenteddys merkwürdig vertraut aus. Vielleicht ist dieser plüschige Abgrund im wohlgeordneten Spießerleben auch einfach zu sehr erwartbares Theaterklischee. Langweilig ist dieses präzise choreographierte Vorspiel nicht. Dennoch ist es durchaus erlösend, wenn Björn Gabriel als Brandstifter einbricht und endlich gesprochen wird. Wirklich erhellend ist das Folgende allerdings auch nicht, denn die Zeit ist knapp und es muss die Handlung halt kurz abgearbeitet werden. Dass Biedermann sehenden Auges in sein Verderben rennt – ja, das erinnerten wir auch noch aus der Schule. Und dabei blitzt in wenigen Augenblicken auf, was für ein verstörender Gottlieb Biedermann Ekkehard Freye hätte sein können, wie schmierig verführerisch Björn Gabriel als Brandstifter Sepp daherkommen kann. Aber es sind schlicht zu wenige dieser Momente.
Dann also weiter zu Fahrenheit 451. Ray Bradburys Roman über eine Zukunft, in der Feuerwehrleute dafür zuständig sind, Bücher zu verbrennen, weil sie als gefährlich für eine glückliche Gesellschaft gesehen werden. Zu Beginn lässt Kämmerer es dekorativ regnen, wenn Feuerwehrmann Uwe Schmieder und die idealistische Clarisse der Bettina Lieder sich begegnen. So sehr hier Romanadaption mit dem Wechsel aus epischen und dialogischen Passagen zelebriert wird, zeigen die Darstellenden doch, was möglich wäre. Doch dann folgt Regisseur Kämmerer gemeinsam mit seinem Kostümbildner Josa Marx und Bühnenbildner Matthias Koch viel zu sehr seiner Vorliebe für opernhaft aufgeblasene Bilder. Alles ist fingerdick und überdeutlich, der nackte Uwe Schmieder, der sich mit Blut beschmiert in der Bücherasche wälzt und dann als Phoenix herumflattert, der Granger von Max Thommes, der als Fetischmephisto von der Kanzel herab eine der zahllosen Schlussbilder dieses Abends zelebriert, bei denen sich das Bühnenbild immer wieder verändert, schließlich sich noch die Drehbühne in Bewegung setzt und die Projektionen schick verzerrt. Es ist alles zu viel und ständig wummert und kratzt, raunt und klimpert der elektronische Soundtrack von Max Thommes dazu – manchmal nur an der unteren Hörbarkeitsgrenze als klingele irgendwo im Publikum ein Handy.
Gelegentlich erinnert das statische und durchchoreographierte Theater von Gordon Kämmerer an diesem Abend an das des Robert Wilson – und mit Verlaub: Das hat uns auch seit Jahren schon jenseits der schick polierten Oberfläche nichts mehr zu erzählen.
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