Ein Geständnis: So sehr ich mich stets redliche mühe, unvoreingenommen an jeden Theaterabend heranzugehen und persönliche Vorlieben zunächst auszublenden, gibt es doch im Positiven wie im Negativen Schlüsselreize gegen die ich kaum ankomme. Ich denke, dass ich mit diesem Problem unter meinen Kollegen allerdings auch nicht alleine bin. Einer dieser Schlüsselreize ist für mich Glitter. Wenn es auf der Bühne ordentlich funkelt und glitzert, bin ich zumindest schon einmal milde gestimmt. Bei der Premiere von Paul Abrahams Jazz-Operette „Die Blume von Hawaii“ am Theater Dortmund am 21.1. glitzerte es schon bevor der Vorhang überhaupt aufging. Mark Weigel steht als Paul Abraham im Frack aus schwarzem Flittersamt an der Rampe. Dann öffnet sich der Vorhang und auf der Drehbühne steht ein kreischbunter Aufbau von Ausstatter Toto, der gleich zwei glitzernde Showtreppen bereit hält. Was soll da noch schief gehen? Nehmen wir ausnahmsweise die Antwort mal vorweg: Es geht fast nichts schief an diesem Abend, außer dass es kleine Probleme mit den Mikroports gibt.
Paul Abraham ist ein großartiger Komponist, dessen Stücke den Übergang von der Operette zum Musical markieren. Schwache Nummern leistet er sich nicht – jeder Song, jedes Ensemble ist hitverdächtig. Die Story tritt da etwas in den Hintergrund. In der Blume von Hawaii geht es auf dem historischen Hintergrund der Annektierung Hawaiis durch die USA um drei Liebespaare, die über Umwege zuletzt in Monte Carlo ziemlich holterdiepolter zusammenfinden. Wichtiger als eine psychologisch nachvollziehbare Geschichte war den Librettisten Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda dem Zeitgeschmack entsprechend einen Rahmen für satirisch aufgeladene Songtexte, große Revuenummern und jede Menge Exotismus zu schaffen. Man könnte das genau so – nämlich als bunte Revue – auf die Bühne stellen und dank der Musik würde es funktionieren. Doch Regisseur Thomas Enzinger will mehr. Als ausgewiesener Operetten-Spezialist nimmt er das Genre ernst und findet einen Kniff, der dem Abend eine überraschende Tiefe verleiht, ohne die Vorlage zu überfordern, indem er Paul Abraham selbst auftreten lässt und aus dem Ministrel-Star Jim Boy dessen Alter Ego macht. Zunächst führen beide vor allem durch die Handlung, verweisen sowohl auf historisch korrekte Details, wie auf die Erfindungen von Abraham, die nur dem dramaturgischen Effekt geschuldet sind. Das macht die Handlung nicht nur nachvollziehbarer und ironisiert sanft die abstruse Exotik, sondern erlaubt auch einen rasanten Einstieg mit viel Witz in den hinzuerfundenen Sprechtexten. Im letzten Drittel jedoch gibt es Enzinger auch die Möglichkeit in einer ergreifenden Szene, das tragische Flüchtlingsschicksal des Juden Abrahams zu erzählen. Wenn Jim Boy (Gaines Hall) im ohnehin erstaunlichen „Nigger-Song“ sein Schicksal als gefeierter Star und Ausgestoßener thematisiert, reflektiert Abraham das als seine eigene Geschichte. Dass es danach nahtlos wieder zurück in die glitzernde Operettenseligkeit geht, ist ein kleines Inszenierungswunder. Und selbst wenn zuletzt Jim Boy sich als Arzt in der psychiatrischen Klinik, in der Abraham die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, entpuppt, zerstört das nicht den wunderbaren Abend, sondern lässt ihn umso strahlender als Operette auf höchstem Niveau glänzen.
Philipp Armbruster führt die Dortmunder Philharmoniker mit Eleganz durch Operetten-Prickeln und Jazz-Feuer, Marc Horus singt mit Schmalztolle und bis an die Grenze zelebriertem Schmelz den Prinzen Lilo-Taro, Fritz Steinbacher ist als sein blondes Gegenüber Kapitän Reginald Harold Stone ebenbürtig, doch setzt mehr auf Natürlichkeit denn Prätention. Karen Müller verleiht der Bessie Worthington einen herrlich überdrehten Sopran und tanzt mit unglaublicher Energie und Präzision. Der leicht trottelige John Buffy von Jens Janke glänzt stimmlich ebenfalls selbst dann noch, wenn er sich in die großen Showchoreographien von Ramesh Nair einreiht. Verena Barth-Jurca als Raka und Ian Sidden als Kaluna/Kanako Hilo vervollständigen das Ensemble. Unnötig zu erwähnen, dass der Dortmunder Opernchor unter der Leitung von Manuel Pujol hier wieder einmal seine Qualitäten voll ausspielen kann. Das achtköpfige Tanzensemble steppt und tanzt durch nahezu jede Szene und bringt mit immer neuen Kostümen den ganz großen Revueglanz. Doch wie in einem schweren Collier, das über und über mit kostbaren Edelsteinen besetzt ist, erstrahlt in der Mitte Emily Newton als kostbar funkelnder Diamant. Ihre Doppelrolle als Prinzessin Laya/Suzanne Provence macht endgültig den Operetten-Abend perfekt. In einer Welt, in der die Operette noch so viel Wertschätzung erfährt, wie hier an der Oper Dortmund, wäre die Newton längst ein Superstar. Die Eleganz, die Grandezza, das Gefühl, den Sex – sie bringt alles mit, was es braucht, und in der Rolle der heftig beschwipsten Suzanne liefert sie auch noch den darstellerischen Witz oben drauf.
Die leichte Muse, die durch dauergenudelte amerikanische Musicals von „Starlight Express“ bis „Tarzan“ so viel von ihrem eigentlichen Charme und Glanz verloren hat, in Dortmund findet sie mit „Die Blume von Hawaii“ zu verloren geglaubter Größe zurück. Champagner!
Termine und Karten: www.theaterdo.de
[…] Unterhaltungswert, den man vom Dortmunder Haus gewöhnt ist und erwarten darf. Wie man ihn etwa bei Die Blume von Hawai oder Foxy und ihr Wunderteam […]