Premiere in Dortmund: Furcht und Elend des dritten Reiches

Fiederike Tiefenbacher, Uwe Schmieder, Bettina Lieder, Frank Genser (Foto: Birgit Hupfeld)
Fiederike Tiefenbacher, Uwe Schmieder, Bettina Lieder, Frank Genser (Foto: Birgit Hupfeld)

Vergangene Spielzeit inszenierte Sascha Hawemann „Eine Familie“ von Tracy Letts am Dortmunder Schauspiel. Hawemanns aufgebrochene,  auf das theatral unfertige zielende Ästhetik und die manchmal allzu glatte Oberfläche des amerikanischen Well-made-Plays prallten hart aufeinander und die Reibung, die daraus entstand, ließ nicht immer Funken sprühen. Nun nimmt sich der Regisseur mit „Furcht und Elend des Dritten Reiches“, das am 10.12. im Megastore Premiere feierte, Bertolt Brecht vor. Dass in diesem Fall Autor und Regisseur in ihrem Theaterverständnis weitaus einiger sind, war abzusehen.

Fast schon als Lehrstunde in epischem Theater geht Hawemann seine Inszenierung an. Und Brecht selbst (Uwe Schmieder) darf gleich zu Beginn die Prinzipien der Verfremdung erläutern. Mit seiner podestlosen Offenheit bietet die Halle ohnehin beste Brecht-Voraussetzungen. Dennoch stellt Bühnenbildner Wolf Gutjahr weit hinten eine schmale Bühne mit Vorhang auf. Doch der graue Stoff gibt dann nur eine Leinwand frei, auf der zunächst Brecht in historischen Bildern und Filmen zu sehen ist und später die Szenentitel eingeblendet werden. Gespielt wird zumeist auf hereingerollten Elementen, die mit unfertigen Böden und der berühmten Brechtgardine wie aus dem Schulbuch gesprungen zu sein scheinen.

So gerät „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ in Dortmund zuallererst einmal zu einer grundsätzlichen Befragung des epischen Theaters. Der, wie er am Beginn in Dortmund selbst postuliert, „größte deutsche Autor des 20. Jahrhunderts“ ist ja in deutschen Theatern nur noch wenig präsent. Seit Jahren ist die Aufführungstradition nahezu abgerissen. Allenfalls die ewige „Dreigroschenoper“ gibt es noch regelmäßig zu sehen, meist nur mit etwas Episches-Theater-Folklore dekoriert. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung und Weiterschreibung von Brechts Theatertheorie findet kaum noch statt, auch weil bis heute seine Erben argusäugig darüber wachen. Wenn Hawemann nun also hier einen Brecht nahezu in Reinform in den leeren Raum stellt, so ist das auch ein theaterästhetisches Experiment. Und zweierlei kommt dabei heraus: Zum einen wirkt es unendlich fremd und fern, sobald der Zuschauer „Ah ja, V-Effekt“ denkt, zum anderen ist aber das meiste davon auch sehr heutig, sobald der Schul-Brecht mal aus dem Blick gerät. Mit dieser Dichotomie spielt Hawemann in seiner Inszenierung durchaus geschickt und bleibt dabei längst nicht an der reinen ästhetischen Oberfläche. Denn auch inhaltlich zielt „Furcht und Elend“ auf dieses Schwanken zwischen Nähe und Ferne.

Insgesamt dreißig einzelne Szenen hat Brecht geschrieben, von denen nun elf in Dortmund gezeigt werden. Es sind Schlaglichter auf das Leben im dritten Reich. Kleine Etüden über die Macht der Angst, des Misstrauens und der Lüge. Mal ganz im Privaten angesiedelt, dann wieder mehr im Politischen wie in der Szene, in der ein Richter (Andreas Beck) hilflos im selbstgeknüpften Netz aus Recht, Gerechtigkeitsempfinden und Abwägung politischer Interessen zappelt und zuletzt nur noch wünscht, irgendjemand möge ihm sagen, was er zu tun habe. Viel SA und SS marschiert durch den Text und schafft damit eine große historische Distanz, die aber immer wieder den Blick öffnet, um die allgemeinen Strukturen hinter den Ereignissen offenzulegen. Eben genau das erzeugt, was Brecht immer vorschwebte und was heute insbesondere bei diesem Text weit besser funktioniert als noch zu dessen Entstehungszeit.

Trotz aller intellektuellen Sprödigkeit, die der Idee des epischen Theaters durchaus innewohnt, gelingt Hawemann mit seinem Ensemble auch ein unterhaltsamer Abend. Immer wieder blitzt  Humor auf, wenn zum Beispiel das Theater selbst nach seiner Rolle befragt wird, indem Carlos Lobo als Riesenbaby im mauvefarbenen Nicki-Jogginganzug den Gündgens-Mephisto gibt. Und Friederike Tiefenbacher als jüdische Frau, die ihre Flucht vorbereitet und dabei stets versucht den gutbürgerlichen Schein aufrecht zu erhalten, ist zutiefst anrührend. Noch etwas mehr, wenn sie selbst ihren Mann (Andreas Beck) im Unklaren lässt, um ihn nicht zu gefährden. Von direkten Bezügen zu unserer heutigen Lebensrealität hält Hawemann sich weitgehend fern. Nur einmal als Raafat Daboul im Kampfanzug arabisch spricht, setzt die Inszenierung deutlich ins Heute über.

Insgesamt gelingt Hawemann mit „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ eine Untersuchung über das epische Theater heute und gleichzeitig zeigt seine Inszenierung ohne vordergründige Aktualisierung, was uns dieser Brecht-Text heute erzählen kann, insbesondere indem er die historische Distanz deutlich gewähren lässt.

Zu erwähnen ist auch noch, dass das Schauspiel Dortmund diese Inszenierung erstmals mit arabischen Übertiteln zeigt. Es ist zu hoffen, dass dieses aufwendige Experiment – die Brecht-Übersetzung musste extra dafür erstellt werden – auch sein Publikum findet.

Termine und Tickets: www.theaterdo.de

 

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