Premiere in Dortmund: Hell / Ein Augenblick

hell / ein Augenblick (Foto: Birgit Hupfeld)

Wer die Inszenierungen des Dortmunder Intendanten Kay Voges aus den vergangenen Jahren betrachtet, könnte sie leicht für das Alterswerk eines Regisseurs halten. „Das goldene Zeitalter“, „Die Show“ und „Borderline Prozession“ sind Arbeiten an der Conditio Humana und grundsätzliche Befragungen der Möglichkeiten und Bedingungen des Theaters. Sie alle kamen so fundamental daher, als fasse Voges in ihnen noch einmal zusammen, was er in seinem Leben im und für das Theater erfahren hat. Und nun das: „hell / ein Augenblick“. Eine zutiefst persönliche Meditation über die Erinnerung und die Auflösung. Ein radikaler Abschied, der unweigerlich an Derek Jarmans „Blue“ denken lässt.

Kay Voges ist 44 und also viel zu jung für sein Alterswerk. Bei „hell / ein Augenblick“ steht am Beginn die Frage nach einer Verbindung von Fotografie und Theater. Eine Verbindung, die erst geknüpft werden muss und letztlich zur Auflösung des Theaters führt, denn die Fotografie existiert im Theater eigentlich nur als Marketinginstrument, als Behelfsmittel, um das Publikum in die Aufführungen zu locken. Gelungen ist Theaterfotografie genau dann, wenn sie vermittelt, dass auf der Bühne etwas passiert, dass dort Bewegung ist, die ein Foto eigentlich nicht abbilden kann. Anders als der Film, der immer eine Reihung von Einzelbildern ist und zumindest theoretisch wieder in diese Momente zerlegt werden kann, ist das im Theater eben nicht möglich. Der Augenblick im Theater ist immer echt und nicht wiederholbar. Dem Theater ist das Vergängliche eingeschrieben, gegen das sich die Fotografie mit ihren Möglichkeiten anstemmt.

Voges setzt nun die Fotografie in das Zentrum seiner Arbeit. Er zerlegt den Abend in Einzelbilder. Pia Maria Mackert hat zentral auf die Bühne eine Box gebaut, die gleichzeitig Fotostudio und überdimensionales Blitzlicht ist, flankiert wird sie von zwei riesigen Screens. Der Zuschauer verbringt den größten Teil des Abends in völliger Dunkelheit, die dann immer wieder von einem Blitzlicht zerrissen wird, Sekunden später erscheint auf den Screens das Foto das entstanden ist. Im Licht der Projektionen sehen wir die Schauspieler im Freeze auf der Spielfläche dazwischen und der Blitzkasten im Hintergrund, in dem Marcel Schaar fotografiert, schimmert als unwirkliches Licht-Farbfeld, das in seinem Oszillieren zwischen Zwei- und Dreidimensionalität von James Turrell erschaffen zu sein scheint. Dazu hören wir Texte, die live über Mikrofon eingesprochen werden, aber auch immer wieder als Schleife aus dem Bühnenhintergrund zurück kehren.

Diesen Ablauf hält Voges über die gesamten fast zwei Stunden stoisch bei. Das ist zunächst nicht ganz einfach. Es braucht recht lange, bis sich eine Atmosphäre, eine Stimmung in diesem Nicht-Theaterstück einstellt. Die Exposition bilden Texte über das Sehen und das Licht. Hatte Voges in der Borderline-Prozession schon nahezu alle Kubrick-Filme zitiert, so reicht er hier noch dessen große Etüde über das Sehen „Clockwork Orange“ nach. Und wie schon in der Borderline beginnt es auch hier im biblischen Urgrund. Doch erst nach einiger Zeit, wenn der Abend tiefer in Themen wie Erinnerung und Verschwinden eintaucht, entwickelt das Prinzip gemeinsam mit dem Soundtrack von T.D. Finck von Finckenstein seine meditative Kraft. Die Fotos in harten Schwarz-Weiß-Kontrasten bekommen eine emotionale Tiefe und die Texte, die aus verschiedensten Richtungen ineinanderfließen, verdichten sich zu einem Assoziationsraum, der wunderbar brüchig ist. Es gibt eine schmerzvoll-schöne Sequenz über das kurze „Jetzt“ der glücklichen Liebe, das Aufbegehren gegen das Alter und den Tod, den schwierigen Umgang mit unserer kollektiven Erinnerung anhand von Familienfotos. Die Bilder und Texte, die Dunkelheit und der Blitz, der nichts erhellt, weil er den Zuschauer für Sekunden blind werden lässt, bekommen eine meditative Kraft, die bei aller Verweigerung dessen, was Theater eigentlich ausmacht, zutiefst theatralisch ist, weil sie den Zuschauer auf sich selbst zurück wirft und erfahrbar macht, dass immer wir im Dunkel des Zuschauerraumes es sind, die die Geschichte in unserer Vorstellung formen.

Und zuletzt ist Alex, Kubricks zum Sehen Verdammter, zu Jesus geworden und wird von Engel und Teufel, Schwarz und Weiß, Etwas und Nichts auf dem Foto-Papier, abgeholt und uns überantwortet. Und dieser Augenblick im Theater – er war viel zu kurz.

Termine und Tickets: www.theaterdo.de

 

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