Premiere in Dortmund: Mozarts Zauberflöte

Die Zauberflöte am Theater Dortmund (Foto: Björn Hickmann)
Die Zauberflöte am Theater Dortmund (Foto: Björn Hickmann)

Ein todsicherer Repertoirrenner, ein ewiger Kassenschlager – bei Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ stimmt einfach alles. Eine putzige Märchengeschichte, jede Menge bunte Gestalten, Tophits am laufenden Band. Da sieht man doch gern darüber hinweg, dass Schikaneders Fantasystory so einige logische Fehler aufweist, dass dem Librettisten zur Lösung von brenzligen Situationen meist nicht mehr einfällt als der alte Deus-Ex-Machina-Trick, das ganze vollgepackt ist mit einem haarsträubenden Frauenbild und die humanistischen Botschaften schockierend naiv daherkommen. Und auch musikalisch zeigt sich Mozart hier als gewiefter Bühnenkomponist, der die Trickkiste perfekt aber nur selten wirklich originell plündert. Lediglich der Pamina schreibt er wirklich echtes Gefühl ein und bei der Feuer- und Wasserprüfung gelingt ihm ein Effekt der nicht pure Oberfläche ist. Eher sportlich orientiert ist die halsbrecherische Koloraturpartie der Königin der Nacht genauso wie die mörderisch schwere Basspartie des Sarastros. Kommen sie heil durch? Das ist der echte Zauberflöten-Thrill.

Für die Regie ist eine Zauberflöte eine ganz andere Herausforderung als die großen Da-Ponte-Opern Mozarts. Geht es bei diesen um einen echten interpretatorischen Zugriff und psychologische Personenführung, wäre bei der Zauberflöte ein zuviel an Regietheater völlig verfehlt. Mozart/Schikaneder haben die Zauberflöte als große Show konzipiert und aus Starlight Express würde ja auch niemand versuchen, etwas tiefsinniges herauszuholen. Da ist es ein kluger Coup des Intendanten Jens-Daniel Herzog, auf die Inszenierung mit Stefan Huber einen Musical-Regisseur anzusetzen. Der tut zunächst gemeinsam mit seinem Ausstatter José Luna das, was er perfekt beherrscht: Er inszeniert die ganz große Bühnenshow. Die technischen Möglichkeiten werden bis zum letzten ausgereizt, da fahren ständig neue knallbunte Bühnenbilder herein und herauf und herunter, es glitzert und funkelt und blinkt. Für jede szenische Herausforderung, die die Story bereithält, findet Huber eine überraschende und überzeugende Antwort.

Doch er findet noch einen weiteren Dreh, der sich über die Distanz des Stückes als überaus schlüssig  und erhellend erweist. Huber verschaltet die Zauberflöten-Welt mit dem Disney-Imperium. Da kommen die drei Damen daher wie Nina Queer, Olivia Jones und Cybersissy, die  ihre Outfits von sämtlichen Disney-Prinzessinnen zusammengeklaut haben, die drei Knaben entpuppen sich als die drei kleinen Schweinchen, der Königin der Nacht wachsen zwei Flamingos aus dem Kopfputz, Monostatos ist eine Horror-Mickey-Mouse im Samuraikostüm mit Lederpeitsche und Sarastros Tempel ein Sammelsurium aus den phallischen Sehenswürdigkeiten der Welt inklusive Riesenpimmel, auf dessen Eichel eine Zwiebelturmkuppel wie ein nicht abgerolltes Kondom thront. Auch die Chordamen tragen als Monostatos Begleiterinnen wippende Messingschwänze im Schritt. Ein kritischer Verweis auf das extrem Männerdominierte Menschenbild der Oper, aber auch extrem schwul. Wer will, kann in diesem Kontext auch die Regenbogen in Sarastros Tempel lesen. Das führt nicht unbedingt weiter, passt aber zur Musical-Ästhetik, denn ohne Schwule auf der Bühne und im Zuschauerraum wären Elisabeth und Evita, Phantom der Oper und Tarzan gar nicht denkbar. Schockieren will das alles freilich nicht, höchstens vielleicht ein wenig irritieren. Vor allem ist es aber sexy.

Das beginnt schon, wenn die drei Damen unverschämt um den ohnmächtigen Tamino streiten, nachdem sie die Schlange erlegt haben. Wie Joshua Whitner da nur in Unterhose auf der Bühne liegt, kann man das Transentrio vollauf verstehen. Und kurz darauf zeigt der Tenor bei seiner ersten größeren gesanglichen Aufgabe – „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ – dass er nicht nur optische Qualitäten hat. Wunderbar jungendlich und kristallklar, mit einer Leichtigkeit und Einfachheit singt er Mozart. Da ist die Pamina der Ashley Thouret ein ganz anderes Kaliber. Sie gibt ihrer Rolle eine bezaubernde, religiöse Innerlichkeit, die als emotionales Highlight im Fantasyradau strahlt. Karl-Heinz Lehner als Sarastro und Marie-Pierre Roy als Königin der Nacht lassen in ihren Extrempartien keinen Augenblick der Angestrengtheit entstehen, der ohnehin überaus spielfreudige Morgan Moody zeigt sich als Papageno hier stimmlich wie darstellerisch in Höchstform. Gleiches gilt für Hannes Brock als Monostatos. Die drei Knaben-Schweinchen sind in Dortmund mit Solisten des Knabenchores der Chorakademie Dortmund – Joshua Kahnefeld, Vincent Schwierts, Nick Esser – ideal besetzt. Und das gilt tatsächlich auch für die vielen anderen Partien, angefangen von der Luxusbesetzung der drei Damen mit Emily Newton, Ileana Mateescu und Almerija Delic. Dazu ein glänzend tanzend und singender Opernchor, der nebenbei auch noch für den reibungslosen Umbau des Bühnenbildes sorgt und lustvoll luzide aufspielende Dortmunder Philharmoniker unter Gabriel Feltz. Musikalisch hat das erneut absolut Metropolenniveau.

Und dann ist da dieser Regie-Kniff von Huber/Luna. Die Verschaltung von Mozart und Disney legt auf unaufdringliche Art die immergleichen Mechanismen des Show-Business offen und entzaubert damit gleichzeitig das historische Genie wie den Comic-Konzern. Gelingen kann das nur, weil Huber im Musical so überaus erfahren ist und trotz aller Plattheiten beides mit dem nötigen Ernst und der gebotenen Sorgfalt behandelt. So zieht seine Inszenierung Mozarts Zauberflöte eine zusätzliche Ebene ein, ohne sie zu verbiegen oder zu überfrachten. Man mag vielleicht an Peter Shaffers „Amadeus“ denken, jenes Stück, das nicht zuletzt in der Verfilmung von Milos Forman Mozart als Popstar seiner Zeit inszenierte. In Hubers Inszenierung gewinnt aber selbst die perfekte Ausnutzung der Bühnentechnik plötzlich eine inhaltliche Ebene, indem sie zurückweist auf das technische, das trickreiche Handwerk in der Komposition. Die Zauberflöte wird als das, was sie tatsächlich ist, ausgestellt: Eine perfekte Show, die nichts will als den größtmöglichen Effekt und dabei eben genauso wie die Disney-Produkte gezielt auf eine moralische und emotionale Vereinfachung setzt, die die Massentauglichkeit nicht gefährdet. Dass das gelingt, ohne der Oper Schaden zuzufügen, ist umso überraschender.

Termine und Karten: www.theaterdo.de

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discipulussenecae
discipulussenecae
7 Jahre zuvor

Oh je! Eine harmlose Oper für ein Publikum, daß sich vor allem unterhalten wollte, verfaßt von zwei Theaterleuten, die vor allem Geld verdienen wollten. So eine Oper darf selbstverständlich nicht "mit einem haarsträubenden Frauenbild" daherkommen! Denn wo kämen wir denn dann hin? Im politisch korrekten Hoch-Kultur-Teil der RUHRBARONE …

JAZ
JAZ
7 Jahre zuvor

Habe die Inszenierung heute gesehen und kann mich dieser Kritik bzw. Analyse nur anschließen. Hier wurde eine weitere Ebene eingezogen, ohne die Statik des glitzernden und funkelnden Gebäudes zu gefährden. Ein bemerkenswerter Abend in Dortmund.

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