Premiere in Dortmund: Poser (sic!) – Gebt Gedankenfreiheit!

Foto: MayerOriginals
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Nein, langweilig wird es nicht in den rund anderthalb Stunden. Trotzdem ist es ein ganz schöner Brocken, den Björn Gabriel – oder besser: sein freies Theaterkollektiv „Sir Gabriel Dellmann“ – da unter dem Titel „Poser (sic!) – Gebt Gedankenfreiheit!“ den Zuschauern beim Favoriten-Festival am 28.9. im Depot vor die Füße klotzt. „Eine multimediale Performance“ heißt es im Untertitel, „Referenz-Dschungel“ würde es auch treffen.

Fangen wir beim Titel an. Der Poser ist der Marquis von Posa, Freund von Don Carlos aus Friedrich Schillers gleichnamigem Drama, in dem der den berühmten Satz „Sir, geben Sie Gedankenfreiheit“ sagt. Im weiteren Verlauf des Abends erfahren wir aber auch, dass dieser Poser (sehr schön unsicher tastend von Martin Hohner gespielt) nicht nur eine digitale Version von von Posa ist, sondern gleichfalls auch Edward S., genannt Snowdón.

Schillers „Don Carlos“ als Parabel auf den (auch modernen) Überwachungsstaat zu lesen, ist nicht ganz neu. Schon Anselm Weber inszenierte noch in Essen das Stück (mehr schlecht als recht) aus dieser Perspektive. Zudem kann Schiller in allen seinen Dramen als Vorreiter der Medien-Kritik gelesen werden, da Briefe als nicht oder fehlgeleitet oder zu spät/zu früh übermittelte Information stets darin eminent wichtige Handlungselemente sind. Von der Einschränkung unser aller Gedankenfreiheit durch die allgegenwärtige Überwachung erzählt dieser Abend also. Mehr als von Don Carlos und Schiller. Über die Snowden-von-Posa-Verschneidung hinaus verlieren sich die Spuren schnell. Stattdessen bekommen wir ein technisch anspruchsvolles und wie geschmiert laufendes Assoziationsfeuerwerk zu sehen.

Gespielt wird im ersten Drittel fast ausschließlich hinter einer Leinwand direkt an der Rampe. Was dahinter geschieht, sehen wir nur als Projektion. Manche Szenen finden im realen Bühnenbild statt, andere vor hineinmontierten Hintergründen. Die Leinwand fällt erst, als Poser „Interzone“ snieft und sich in der ganz und gar gedankenfreien Technodisco wiederfindet. Aber wie das nun mal so mit Drogen ist: Irgendwann lässt die Wirkung nach. Dann schlittern wir plötzlich auf die Hinterbühne, wo die Garderobiere (Fiona Metscher) sich ganz medienreflexiv darüber ereifert, dass es doch viel besser wäre den Schiller zu spielen. Zwischendurch malt Aicha-Lina Löbbert als gestresste Barfrau mal Sigmar Polkes „Höhere Wesen befahlen: Rechte obere Ecke schwarz malen“ auf einen Bierdeckel. Später ist auch der gekreuzigte Frosch des Künstlers  als Projektion zu sehen, im Wechsel mit der Ludovico-Methode aus Stanley Kubricks „Clockwork Orange“. Etwas „Matrix“ ist sowieso auf der Leinwand (Video: Björn Nienhuys, Tilmann Oestereich) immer präsent. Matthias Hecht gibt bullig den allgemeinen Überwacher.

Stilistisch sehen wir hier viel, was den Stil des Dortmunder Schauspiels, zu dessen Ensemble Björn Gabriel gehört, ausmacht. Dass das alles auf so hohem technischen Niveau, in perfektem Zusammenspiel zwischen Video, Livefilm, Schauspiel, Sound und Licht bei einer freien Produktion gelingt, ist durchaus erstaunlich. Was hier an Assoziationen vergnubbelt wird, ist  gewitzt und intelligent, aber manchmal auch ein bisschen viel. Das geht schon mit der von-Posa-Anspielung los, die nur zu verstehen ist, wenn man Schillers „Don Carlos“ wenigstens halbwegs präsent hat. Und dann bleibt die Frage, wo das alles hinführt. Dass Vorratsdatenspeicherung und Videoüberwachung nicht schön sind, dachten sich wohl die meisten der Besucher schon vor der Premiere. Dass es unsere Freiheit einschränkt, wohl auch. Doch nehmen wir wirklich noch mehr aus diesem Abend mit? Sicherlich: In der Vielzahl von Referenzen findet jeder Zuschauer noch einen Punkt, der ihn interessiert. Deshalb wird der Abend, obwohl er gegen Ende manchmal rhythmisch nicht mehr ganz sitzt, bis zum Schluss nicht langweilig. Und gut: Mit „Where is my mind“ von den Pixies geht man immer zufrieden aus dem Theater.

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